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WNdnOrAMit Erscheinungslage und Platzvorschriften werden nach Möglichkeit berücksichtigt. Anzeigen - Annahme' Wilsdruff-Dresden Freitag, den 6. September 1935 Nr. 208 — 94. Jahrgang Telegr.-Adr.: „Tageblatt , i Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amishauptmannschaft Meisten, des Stadt rats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt bis vormittags IO Uhr. - , Für die Richtigkeit der- durch Fernruf übermU- AlNl 9!k.2O6'elt^n Anzeigen überneh-l Nationale Tageszeitung für Landwirtschaft und ^as »Wilsdruffer Tageblatt" erscheint an allen Werktagen nachmittags 4 Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— AM. -rei Haus, bei Postbestellung 1,80 RM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Rpfg. Alle Postanstalten und Post boten, unsere Austräger u. Geschäftsstelle, nehmen zu ^derzeit Bestellungen^ Wochenblatt fUt WllsdrUfs U. UM^kgeNd ^cgcn.^m Falle^höherer tein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur. wenn Rückporto beiliegt. alle anderen Stände des Wilsdruffer Bezirks Anzeigenpreise laut aufliegendem Tarif Nr. 4. — Nachweisungs-Gebühr: 20 Rpfg. — Dorgeschriebene Postscheck: Dresden 2640 Am Nervenstrang des britischen Weltreiches. Warum eigentlich ist die ganze Welt in Aufregung geraten wegen des Abessinienabenteuers des Duce? Man wird es vielleicht nicht begreifen, daß das alte Europa so aufgescheucht werden kann durch die Absichten Italiens auf das schwarze Kaiserreich. Klar wird einem die Er regung erst, wenn man Abessinien in Zusammenhang bringt mit den großen Linien der Weltpolitik. Dann wird auch gleichfalls offenbar, weshalb England sein ganzes Gewicht in die Waagschale wirft, um den Krieg gegen Abessinien zu vermeiden und Italien von diesem Aben teuer abzubringen. England sieht klar und deutlich, daß der Marsch Mussolinis in das Land des Negus schwere Gefahren für das Weltreich heraufbeschwört. Denn Abessinien ist weit mehr als irgendein Staat im schwarzen Erdteil. Seine Bedeutung liegt für die Weltpolitik gar nicht etwa in den Bodenschätzen oder irgendeinem anderen Wert. Seine Bedeutung liegt vielmeyr darin, daß sich in dem schwarzen Kaiserreich zwei Lebensadern des britischen Weltreichs schneiden. Wer auch immer Abessinien angreift, der trifft diese Schlagadern. Durch Nord-Ostafrika geht einmal die Lebensader Englands, die das Mutterland mit Indien verbindet. Immer wieder tauchen in diesen Tagen dieselben Namen auf: Gibraltar, Malta, Suez, Aden. Wer diese Linie be rührt oder durchschneidet, dringt in den Lebensraum des britischen Imperiums und ist der Feind Englands. Dann aber liegt Abessinien auf einer zweiten englischen Lebens ader, die durch die beiden Punkte Kairo-Kapstadt bestimmt ist. Zwischen beiden Städten geht der ununter brochene Landweg durch den Osten Afrikas, — ununter brochen seit dem Tage, da England das Mandat über Deutsch-Ostafrika zufiel. So ist Abessinien gleichsam das Lebenszentrum des englischen Welt reichs geworden, das verteidigt werden wird gegen jeden, der sich ihm nähert. Bisher gab es keinen Staat, der den Schlüsselpunkt des britischen Weltreichs irgendwie in Gefahr brachte. Da Mussolini mit seinem Abessinienfeldzug es wagt, die englischen Kreise zu stören, bekommt er die ganze brutale Härte des englischen Machtstandpunktes zu spüren. Zwar sollte auch Frankreich merken, daß der Abessinienkonflikt seine Kolonialpolitik berührt, aber es nimmt diese Gefahr, die für die Franzosen nicht sehr groß ist, da ihre Inter essen nicht in Ostafrika liegen, in Kauf, weil es Italien als Bundesgenossen für seine Europapolitik braucht. Als im Jahre 1906 die Großmächte England, Frank reich und Italien in einem Vertrage die Unabhängigkeit Abessiniens garantierten, da wußten sie sehr wohl, was sie taten. Das kommt z. B. in der Äußerung eines be kannten kolonialpolitischen Vorkämpfers Frankreichs zum Ausdruck, der vor einer Unterwerfung Abessiniens unter eine der drei Großmächte dringend warnte und er klärte, daß dies „Rivalitäten schaffen und Konflikte vor bereiten hieße, die, auf dem schwarzen Kontinent ent standen, sehr bald auf die europäische Front übertragen würden". Mussolini erhält von England bereits die Be stätigung dieses Satzes. Für England stellt sich das Abessinienabenteuer Mussolinis folgendermaßen dar: Italien hat den Haupt- teil seiner Heeresmacht gegen Abessinien in Massaua, dem Hafen seiner Kolonie Eritrea, ausgeladen und wird damit — einen anderen Weg gibt es gar nicht — über Asmara auf abessinisches Gebiet vorstoßen. Sein Ziel ist ohne Frage A d u a. Schon deshalb, weil Mussolini die Niederlage, die Italien vor 40 Jahren durch die Abessinier an diesem Orte erlitt, wiedergutmachcn will. Aus der Marschroute Asmara—Adna geht es weiter zum Tanasee Und hier liegt ein empfindlicher Punkt des britischen Kolonialreiches. Aus dem Tanasee entspringt der Blane Nil. Und der Nil bedeute: Ägypten. Ägypten ist aber der Stützpunkt Englands auf dem Wege nach Indien. Denn durch Ägypten geht der Suezkanal. So- AH mW tzemHM de» MW Genf sucht die Kompromißlösung. Wieder rege Tätigkeit hinter den Kulissen. — Italien lehnt neue Rats sitzung mit Abessinien ab. Der erste Akt der Abessinien-Tragikomödie in Genf ist verrauscht. England und Italien haben sich durch ihre Vertreter Eden und Aloisi die Meinung gesagt, Abessinien verteidigt sein Recht, und Frankreich, vertreten durch Laval, spielt die Vermittlerrolle. Erreicht ist nichts durch diese erste öffentliche Sitzung des Völkerbundsrates. Also beginnt das gewohnte Spiclhintcrdcn Kulissen. Die Besuche der Diplomaten gehen hin und her. Italiens Vertreter Aloisi hat sich am Donnerstag zunächst ein mal mit Laval ausgesprochen, dann haben Eden und Aloisi nach einmal ohne die Statisterie des gesamten Rates Aussprache gehalten. So ging das den ganzen Tag über. Daneben hat man — der Ordnung und der Form zu genügen — auch die kleinen Mächte unterrichtet. Italien und Abessinien bleiben hart. Angesichts der Ereignisse in Ostafrika sind die Genfer Diplomaten natürlich emsig bemüht, so schnell wie mög lich irgendein Kompromiß zustandezubringen. Eden hat die englischen Vorschläge vom 16. August, die er auf der zerplatzten Dreierkonferenz gemacht hat, wiederholt, die besagen, daß bei Wahrung der Souve ränität Abessiniens entweder die drei Großmächte gemein sam durch Vertrag oder unter Mitwirkung des Völker bundes in Abessinien ihre „Reformtätigkeit" aufnehmen sollen. Dabei sollten Italien besondere Vorrechte ein geräumt werden. Es war sogar, wie Eden wieder an gedeutet hat, die Möglichkeit einer Abtretung abessinischen Gebietes an Italien für den Fall vorgesehen, daß Abessinien zustimmen würde. Frankreich zieht sich weite/- auf die Völkerbunds politik zurück mit dem entscheidenden Satze: „Frankreich bleibt unbedingt dem Werk der Zusammenarbeit ver pflichtet, wie es unter der Herrschaft des Völkerbundes begonnen ist. Der Frieden kann innerhalb des Völkerbunds paktes gesichert werden. Der Pakt bindet uns alle." So hat Laval offiziell gesprochen. In den geheimen diplomatischen Verhandlungen, welche dem Zusammenbruch der Dreier konferenz vom 13. August folgten, hat er aber, wie es heißt, eine kontrollierte Entwaffnung Abessiniens vorgeschlagen, die natürlich von Italien vurchgeführt werden sollte, selbstverständlich unter Mit wirkung eines kleinen französischen und englischen Kom mandos. England hat den Vorschlag verständlicherweise abgelehnt. Der VertreterAbessiniensin Genf hat neue Anweisungen erhalten, darunter, wie bisher bekannt wurde, die strikte Anweisung, den bisherigen abessinischen Standpunkt nicht zu verlassen und keine Kompro misse einzugehen. Italien ist allen Vorschlägen gegenüber unnach giebig. Aloisi hat in Genf alle Vorwürfe gegen Abessinien in einer überaus scharfen Weise wiederholt. Er hat dann noch einmal das Kompromiß von Paris abgelehnt. Er hat auch praktisch ein Eingreifen des Völkerbundsrats im Sinne einer Verhandlung zwischen gleichberechtigten Staaten gegenüber Abessinien abgelehnt. Er hat an gedeutet, daß praktisch nur die Lösung durch Gewalt übrig- bleibt, und nicht einmal den Schiedsspruch von Ual-Ual, den ein italienischer Delegierter unterzeichnet hat, an erkannt. Unter keinen Umständen werde Ita lien, so heißt es, an einer weiteren Ratssitzung über die abessinische Frage teilnehmen, falls Abessi nien ebenfalls zu dieser Sitzung zugezogen würde. mit stößt Italien auf seinem Vordringen in der Richtung auf den Tanasee auf den Lebensnerv des britischen Weltreichs. Bisher war der Weg nach Indien gesichert. Britische Besitzungen, Militärstützpunkte, und englische Einfluß gebiete sicherten ihn. Seitdem es England gelungen ist, durch Übernahme eines großen Aktienpostens sich das Be stimmungsrecht an den Unternehmungen des Suezkanals zu sichern, hat es diese Stützpunkte stark befestigt und zu drohenden Festungen ausgebaut, die ihre Geschütze auf den richten, der es wagt, Englands Interessen am Suez kanal zu stören. Das würde Italien tun, wenn es sich Abessinien unterwirft. Somit betrachtet England den Vorstoß Mussolinis gegen Abessinien als einen Angriff aufdieenglischeKontrolleüberdenSuez- kanal. Deshalb die starken Truppenverlegungen nach Gibraltar, Haifa, Malta und Aden, deshalb dis Zu sammenziehung starker Seestreitkräfte im Mittelureer, deshalb die scharfen Drohungen gegen Italien. Trotzvem verhandelt Alost weiter in Gens. Und das gibt der Genfer Diplomatie Hoffnung, daß viel leicht doch noch eine friedliche Lösung möglich ist. Wie sie aussehen soll, weiß niemand zu sagen. Italien macht Schwierigkeiten. Eine für Donnerstagnachmittag um 6 Uhr in Aus sicht genommene Sitzung des Rates wurde auf 7 Uhr abends verschoben, weil der abessinische Vertreter die Er klärung, die er abgeben wollte, noch nicht fertiggestellt hatte. Inzwischen hatten im Generalsekretariat des Völker bundes Laval und Eden mit mehreren Delegierten über die Zusammensetzung eines besonderen Aus schusses von fünf Mitgliedern des Völker bundsrats verhandelt. Für diesen Ausschuß wurden Laval als Vertreter Frankreichs, Eden als Vertreter Englands, Außenminister Beck als Vertreter Polens, Außenminister Rustu Aras als Vertreter des tür kischen Staates und der besondere Vertreter Spaniens beim Völkerbund, Madariaga, vorgeschlagen. Der Vorschlag erfolgte unter dem Gesichtspunkt, daß Polen und Spanien die Interessen der mittleren Staaten ver treten. Die Berufung der Türkei erklärt sich daraus, daß Litwinow eine Mitgliedschaft in diesem Ausschuß abge lehnt hat. Die Bildung des Ausschusses stieß aber auf der artige Schwierigkeiten, daß die Verhandlungen über die Bildung des Ausschusses auf Freitag vertagt werden mußten. Aloisi lehnte die Bildung eines Ausschusses nicht grundsätzlich ab, wehrte sich aber gegen die Teilnahme von England und Frank reich, weil es sich bei beiden Staaten um interessierte Mächte handelt. Die Bildung eines Ausschusses, dem England und Frankreich nicht angehören, würde be deuten, daß sein Einfluß außerordentlich gering wäre. Aloisi verlaßt den Ratssaal. Die öffentliche Sitzung des Völkerbundsrates zur Ent gegennahme einer abessinischen Erklärung zu der italieni schen Denkschrift begann kurz nach 19 Uhr. Der Ratspräsident erteilte sofort dem Vertreter Abes, siniens Prof. Jeze das Wort. In diesem Augenblick erhob sich der italienische Ver treter Aloisi von seinem Platz am Ratstisch und verließ den Sitzungssaal. Ein Mitglied der italienischen Abort« »ung, das daraufhin seinen Platz einnahm, wurde nach einigen Minuten, während der Vertreter Abessiniens noch sprach, aus dem Saal gerufen, so daß der Platz Italiens von nun ab leer blieb. Abessinien fordert Schutz seiner Ltnabhängigkeit^ Nachdem der Vertreter Italiens, Aloisi, die Rats sitzung verlassen hatte, ging der Vertreter Abessiniens aus die Einzelheiten der italienischen Denkschrift nicht näher ein. Italien wolle Abessinien in Acht und Bann erklären, um dadurch von der Einhaltung seiner Verpflichtung frei zukommen. Italien handele nach dem französischen Sprich wort: „Wer seinen Hund ertränken will, sagt, er Habs die Tollwut." Die Beschimpfungen, die Italien gegen Abessinien vorbringe, erinnerten daran, daß Italien in letzter Zeit alle seine europäischen Nachbarn nacheinander auf das gröblichste beschimpft habe. Gefährlich werde die Haltung Italiens diesmal nur durch die umfangreichen militärischen Vorbereitungen, die eine unmittelbare Kriegsgefahr heraufbeschworen hätten. Wenn Italien Ausdehnung und neue Absatzgebiete brauche, warum trage es dann diesen Anspruch nicht offen vor? Abessinien sei jederzeit bereit, zur Durchführung von Re formen und zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes den uneigennützigen Rat des Völkerbundes zu befolgen. Der abessinische Vertreter forderte vom Völkerbunds rat: 1. Gemäß Artikel 10 der Satzung des Völkerbundes die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Un abhängigkeit und Unversehrtheit Abessiniens angesichts der italienischen Truppenzusammenziehung zu schützen; 2. das in Artikel 15 Abs. 3 vorgesehene Verfahren anzuwenden. Die Zeit der Vertagungen sei jetzt vorbei. Angesichts der aufs äußerste gestiegenen Gefahr, die ein Völkerbunds mitglied bedrohe, müsse sofort gehandelt werden. Ein Völkerbundsansschuß müsse sofort eingesetzt wer den und noch während der gegenwärtigen Tagung des Ratzes Bericht erstatten.