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andere Seite. Der Hering Meb aus... Sein neuer Kurs geht durch die Nordsee, Reykjavik und Amsterdam wurden auf Heringen erbaut. Die Städte an der Ostsee erstarrten zu gemütvollen Nestchen mit vielen Mauern und wenig Menschen... Das war Ende der fünfziger Jahre des 16. Jahr hunderts. Die Schoneufahrer setzten sich in Bewegung, sechzig- tanseud Menschen auf achttausend Schiffen, Weiber, Knechte, Salz. Sie bezogen die Packhäuser auf Schonen und zechten bis in den Morgen des Laurentiustages, taten ihre frommen Sprüche und fuhren auf die See. Die Weiber standen am Strand und sahen den Schiffen zu. Die kreuzten Bord neben Bord. Flaggensignale kletterten die Maste entlang. Aber der Schrei, der Hanseschrei von Schiff zu Schiff, der aufschnellte und anschwoll und ein paar Jahrhunderte erschollen war, blieb aus... Kein Streichender schwamm aufrecht stehend in der Flut drängender Heringsleiber... Es war alles mit einem Schlag vorbei, und es war trotzdem genau Lauren- tiustaa... Die von der Hanse haben das nie begriffen. Die Schiffs käme« leer zurück, die Salzrechnungen rissen hier und dort einen Schonenfahrer in den Schuldturm. Die Knechte ent liefen, die Obristen der Söldner musterten ab und trugen ihre kriegerischen Tugenden in den Dienst der Holländer. Aber Jahr für Jahr noch fuhr man nach Schonen. Drei- tausend Schiffe, fünfhundert Schiffe, zwanzig Schiffe, sechs Schiffe. Der Hering kam nicht wieder... Im Jahre 1635, am Heiligen Laurentiustag, fuhr die letzte Schute von Lübeck nach Schonen, wie man fastMindert Jahre lang noch Jahr für Jahr mit einem städtischen Schiff hingefahren war, um zu sehen, ob der Hering nicht wieder kehre und der Hanse neue Macht bringe. Aber auch die letzten Schonenfahrer hingen vergeblich in den Rahen, starrten in das Wasser, brabbelten nutzlos ihre Sprüchlein zu dein gerösteten Heiligen. Auf Schonen stand schwarz und kalt das Kirchlein der Hansefischer, am Strand faulten die Balken und Bretter der Packhäuser. Einer speerte betend ein Streichruder in das Wassen Es versank... SOIutz mit Narbrn-KM Als die vierte Sektion der Transanden-Bahn, das heißt Ler Bauabschnitt Salta-Capamento, zum dritten Mal zerplatzt !war, hatte die Bauleitung sich ihre Leute aus allen Gegenden Les Kontinents zusammengekratzt. Zumeist Grünhörner, denn Leute, die auch nur eine Kleinigkeit vom Bahnbau in dieser ge- fegneten Gegend wußten, wären noch nicht einmal für den drei fachen Lohn zu haben gewesen. Denn abgesehen von den Staubwirbeln, die über die kahl- tzefressenen 3500 Meter hohen Gebirgsrücken rasten, und dem immerwährenden Gesteinsstaub hatte diese Sektion ihre eigene Geschichte. Nachdem zwei Sektionsleiter an einer unerfindlichen Krankheit gestorben waren, hatte beim dritten ein Rottenführer nachgeholfen, der es nicht mit ansehen konnte, wie alle eigent lich nur für die Tasche des Leiters arbeiteten. Und beim vier ten ... doch was soll ich alles aufzählen. Tatsache ist, daß da mals nicht nur das Magazin, sondern auch die Wohnung des Abschnittsleiters und der Bauschuppen ausgeräumt worden waren, und wenn schon vor diesem Zeitpunkt der Arbeiier- bestand des Abschnitts durch Polizeitrupps und verschiedene andere Mißhelligkciten stark herabgedrückl war, so blieb nach dem vierten „Ereignis", als die Regierung von Salta eine Kompanie Soldaten heraufschickte, überhaupt niemand mehr übrig. Eine verteufelt unfreundliche Gegend. Doch das erfuhren wir erst später. Als sich die neue Sektion beim Kilometer 857 zum ersten Mal zusammenfand, stellte es sich zur allgemeinen Ueberraschung heraus, daß fast niemand über zweiundzwanzig Jahre alt war. Wir waren Grünhörner — schlimmer, als sie in einem Buch stehen konnten, und hatten deshalb einen um so höheren Respekt vor dem einzigen in der Gruppe, der älter war. Kid hieß er, war etwa vierzig Jahre alt und ein Südstaatler aus Texas. Jedenfalls tat er so. Kid hatte uns vom ersten Tage ab unter der Fuchtel, als müsse das so sein. Einmal besaß er an Stelle des linken Ohrs nur eine purpurviolette Narbe, die bis zur Schläfe ausstrahlte — sic sollte von dem Knochenmcsscr eines Flußiudianers vom Rio Tapajos sta^nmen —, und außerdem verfügte er noch über eine andere Merkwürdigkeit, die ihm zu einer Ausnahmestellung verhalf: Quer über die Brust tätowiert trug er einen geheimnis vollen springenden Frosch, der eine seltsame Zickzacklinie aus seinem Rücken hatte. Um diesen Frosch spönnen sich Legenden. Während Gabriel Ferasco, ein baskischer Holzarbeiter, hartnäckig behauptete, der Frosch sei ein Hexenzeichen, blieb der kleine Ungar Vida dabei, daß es sich hier um eine Geheimorganiscuion ähnlich dem Cu- Clux-Clau handeln müsse. Dies wurde zur allgemeinen Ansicht, zumal Narben-Kid — er hatte e ganz gern, wenn man ihn so nannte — auf solche Anfragen nur vielsagend die Augenbrauen hob und daun unvermittelt eine kleine Geschichte von einer Negerhinrichtung in Südkarolina, einem Lynchakt in Dallas oder womöglich einer Strafexpeditiou in Forly Miles oben in Alaska erzählte. An sich wäre daran nichts auszusetzen gewesen. Allein der Whisky kostete in San Fernando zwisckM fünfzehn und zwanzig Pesos, und Narben-Kid soff nur eine bestimmte Sorte — näm lich den, den w i r ihm bezahlen mußten. Wir selber dagegen beanüaten uns mit rotem Landkräker. der nach Eilia lcbmeckte Von Werner Libas». und mit Rotholz gefärbt war. Und'noch eine zweite 'kostspielige Angewohnheit hatte Kid: sobald er eine knappe Stunde gearbeitet hatte, bekam er „Atembeschwerden" — er legte sich dann hinter einen Gesteinshaufen und verschlief die Zeit bis Arbcitsschluß. Entsprechend sank der Lohn unserer Gruppe; wurde jedoch aus gezahlt, so nahm Narben-Kid als Aeltester die Tüte für die ganze Gruppe in Empfang. Zehn Pesos gingen jedesmal für die „Gruppenkasse" ab, wie er sägte, doch mußte die wohl in seinem Gürtel stecken. Denn als ihn Sammy Purt einmal nach dieser geheimnisvollen Kasse fragte, griff Narben-Kid an den Gürtel. Allerdings saß dort noch neben dem Beutel auch ein kurzes Messer... Das hätte noch ewig so weitcrgehen können, wenn nicht in dem einzigen Kino von San Fernando, in das wir Sonntags zu gehen pflegten, die Leinwand anläßlich einer Keilerei zwischen Tenor Antonio und den Besuchern total zerschlitzt worden wäre. Als Ersatz hatte Antonio seine einzige blaurot karierte Decke aufgespaunt, cutf der man naturgemäß die Kinobilder nur un vollkommen erkennen konnte. So waren wir statt ins Kino in Tenor Pereiras Kneipe gegangen. Dort bediente die magere Tochter des Wirts, die uns jedoch damals begehrenswerter erschien als die Schönheitskönigin von Lateinamerika in Person, denn Teresa war hier, während uns von der anderen ein paar Tausend Kilometer trennten. Natür lich saß Teresa bei Narben-Kid, der wieder als einziger Whisky soff. Und ebenso natürlich hatte er sie mit Beschlag belegt und erzählte ihr gerade von seiner Geheimorganisation, als ein Fremder den Perlvorhang vor der Tür beiseite schoh und laut nach einem Whisky verlangte. „Aber bißchen eilig, Chicita!" sagte er und blickte Teresa an. Wir hockten gespannt auf unseren Sitzen. Das Mädchen auf solch kurz angebundene Art vom Tisch Narben-Kids wegzuholen war eine Kühnheit, di- unbedingt zum Krach führen mußte. Und wie erwartet, stand Narben-Kid auf und schnallte an seinem Gürtel, dabei ließ er durch das offene Hemd ein Stück seiner Tätowierung sehen. „Kennen mich wohl noch nicht, Mann'?" knurrte er gefährlich und rückte gegen den kleinen, braungedörr ten Fremden vor. „Hatte noch nich> das Vergnügen", sagte der gleichmütig. „Nur den Frosch da sollte ich kennen — fast alle Guyanasträflinge haben ihn!" Uns stockte der Atem. Wir sahen noch, wie Narben-Kid nach einem Schießeisen griff, alles andere ging in einer Staub wolke unter. Als ,.e sich verzogen hatte, stand der kleine gelb häutige Mann allein an der Theke und trank seelenruhig sein Glas leer. Narben-Kid dagegen sammelte am Fuß der vierHolz- stufen zu Tenor Pereiras Kneipe ächzend und stöhnend seine Knochen und humpelte mühsam in Richtung der Baracken lager davon. ' Als er am nächsten Tag wieder seinen Tagesschlaf hinter einem Gesteinshaufen machen wollte, verdroschen wir ihn. Wir alle werden den Tag nie vergessen. Kämpft mit der NSV für die Gesunderhaltung des deutschen Volkes, werdet Mitglied!