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MdnOrHMatt Nationale TagesZeitung für Landwirtschaft und ^>ar »Wilsdruffer Taycblatt" erscheint an allen Werktagen nachmittags 4 Uffr. Bezugspreis monatlich 2,— NM. frei Haus, bei Poftbestcllung 1,80 RM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Rpfg. Alle Postanstalten und Post- doten, unsere Austräger u. .. Meschästsstelle, nehmen zu jederzeit Bestellungen ent- Wochenblatt fUk Wllsdrufs U. UMfleqeNd gegen. Im Falle höherer Gewalt, od. sonstiger —- - -- — ' .- - Betriebsstörungen besteht Lein Anspruch auf Lieferung dec Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. Rücksendung emgcsandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Rückporto beiliegt. alle anderen Stände des Wilsdruffer Bezirks Fernsprecher: Amt Wilsdruff Nr.M -rUschU wcnn dir Drwng duich jUage eingczogcn wcrdrn mutz oder irr Au«lr°gg!drr^°j7"«onkur! Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meisten des Stadt rats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt' Nr. 207 — 94. Jahrgang Telegr.-Adr.: „Tageblatt- Wilsdruff-Dresden Posticheck: Dresden 2640 Donnerstag, den 5. September 1935 Genf in Not. Die Vertreter der Völkerbundsmächte geben sich in Genf ihr herbstliches Stelldichein. Genf im Herbst. Wird der sich neigende Sommer mit seiner Todesahnung ein Symbol sein für den Völkerbund, um dessen Existenz es in dieser Herbsttagung geht? Wenn kein Wunder geschieht, ist der abessinische Konflikt dazu berufen, dem Völker bund den Fangschuß beizubringen, nachdem er schon lange waidwund geschossen ist. Sicherlich wird man das Wunder recht bescheiden in einem neuen Kompromiß sehen und finden, wie das in Genf der politischen Weisheit letzter Schluß zu fein pflegt. Über Nacht hat der nordostafrikanische Konflikt eine sensationelle Wendung erfahren durch die Veröffent lichung des Konzessionsbertrages. Hörbar klang das Gelächter der unbeteiligten Zuschauer um den Erdball, daß der Kaufmann dem Diplomaten und Soldaten den Siegespreis entrissen hat. Italien fühlt sich um seinen Kampfpreis betrogen, bevor die Gewehre gesprochen haben. Italien will fest bleiben, und Baron Aloisi hat genaue Anweisungen für Genf erhalten. Der Duce glaubt nicht an die Aufrichtigkeit der englischen amtlichen Ver lautbarungen über den Konzefsionsvertrag. Das Regie rungsorgan des Faschismus, „Giornale d'Jtalia", be zeichnet als eigenartig, daß die englische Regierung, die in der abessinischen Angelegenheit wie in anderen Fällen über den raffiniertesten Informationsdienst zu verfügen Pflege, bis zu den Veröffentlichungen nichts von der Existenz einer derartigen Angelegenheit gewußt haben wolle. — Wir können Italiens Ansicht verstehen, ohne Beweise dafür zu erbringen. „Inoffizielle" Beauftragte, wie es der mysteriöse Mr. Rickett fein könnte, hat es in der englischen Kolonialgeschichte allerdings mehrfach gegeben. Warum sollte Mr. Rickett nicht im Schatten von Cecil Rhodes und Oberst Lawrence stehen? Zweifel los erscheint England belastet auf der Genfer Versamm lung. Herrn Edens Stellung in Genf ist auf jeden Fall durch den Konzessionsvertrag eine sehr schwierige' geworden. Die entscheidende Rolle aber fällt Frankreich zu. Herr Laval steht in der Gefahr, sich mit feiner Schaukel politik zwischen beide Stühle zu fetzen. Die Freundschaft mit England steht ebenso auf dem Spiel wie die mit Italien. Das der Regierung nahestehende „Petit Parisien" hat die Aufgabe Frankreichs in Genf dahin umschrieben, daß Frankreich sich keinesfalls entschließen könne, eine feindselige Haltung gegenüber Italien ein zunehmen, daß Paris es aber sür ebenso wichtig halte, die französisch-englische Zusammenarbeit ausrechtzuer halten und zu stärken, die durch Deutschlands Wieder aufrüstung notwendiger denn je geworden sei. Damit ist schon angedeutet, daß Frankreich an der nordostafrika nischen Frage nur insofern interessiert ist, als es Rück wirkungen auf die europäische Mächte- konstellation hat. Schon berichten englische Blätter, daß zwischen der italienischen und der französischen Regie rung ein Übereinkommen betreffs des Donau abkommens erzielt worden sei, worin es um die alten Gedanken der Unabhängigkeitsgarantie Österreichs, des Abschlusses von Nichtangriffspakten und der Sanktionen Segen „Friedensstörer" geht. Man kann nicht sagen, daß dadurch die Lage ver einfacht würde. Kein Wunder, daß die Vorbesprechungen zwischen Eden und Laval in Paris nicht ein eindeutiges Ergebnis gezeitigt haben, so daß der französische Außen minister die Aussprache im Zuge nach Genf fortsetzte. Die Genfer Atmosphäre ist wieder einmal mit Unheil geladen. Eine Reihe von Fragen wird miteinander verquickt. Fragt sich, wie man durch dieses Dickicht hin durchkommen wird. Das übliche Kompromiß geistert schon durch die Genfer Kulissengespräche. Der Völker bund wird dabei den letzten Rest seines kläglichen Ruhmes einbüßen. Schon spricht das englische Blatt „Daily Telegraph" von der Krisis seiner Laufbahn. Wenn die Völkerbundssatzung sich als unwirksam erweise, dann müsse die Welt zu älteren Methoden der Beilegung von Streitigkeiten znrückkchren, das heiße aufrüsten und in Bündnissen den Schutz suchen, den man bisher vom Völkerbund erhofft habe. Der Völkerbund als Zentrum der europäischen Politik und als Schiedsrichter des Abessinienkonflikts — ein etwas komisches Bild, wenn dieser „getarnte Zweck verband" der Siegermächte von Versailles nun mit einem Male der Hort des Friedens werden soll. Man darf sich in Genf nicht wundern, wenn die Welt einem Klub jede Daseinsberechtigung abspricht, dessen Satzungen nie in Kraft treten. Fünfzehn Jahre falsche Völkerbundspolitik lassen sich nicht plötzlich ungeschehen machen. Daran wird England auch nicht viel ändern können, bei aller Er kenntnis der Gefahr einer Katastrophe, wenn der letzte Rest der Völkcrbundsidee unter den Hammerschlägen einer Politik, hinter der Tanks und Flugzeuge stehen, zer trümmert wird. Fordert Sie Ortspress«! Kann cker Oölkerduncksrat einen Rneg versiinckern? Scharfe Erklärung des italienischen Vertreters in Genf. Unter großem Aufmarsch von Photographen, Film- opcratcuren und ausfallend viel Publikum versammelte sich am Mittwochnachmittag der Rat des Völker- bund es zur Verhandlung über den abessinisch-italie nischen Konflikt. Nach einer kurzen geheimen Beratung trat der Völkerbundsrat zu seiner angekündigten öffent lichen Sitzung zusammen. Der Ratspräsident, der argen tinische Gesandte in Bern, Ruiz Guinazu, teilte zunächst mit, daß der Spruch des italienisch-abessinischen Schieds- gcrichts über den Fall von Ual-Ual als einstimmige Ent scheidung der fünf Schiedsrichter nunmehr vorlicge und den Mitgliedern des Völkcrbundsrats baldigst mitgcteilt werde. Nach einigen Bemerkungen des Präsidenten über die Geschäftsordnung erhielt dann sofort der englische Völkerbundsministcr Eden das Wort zu seinem Bericht über die Pariser Verhandlungen. Die Erklärung Edens bestand aus zwei deutlich getrennten Teilen: dem mit der französischen Regierung vereinbarten Bericht über die Pariser Verhandlungen und einer Erklärung der englischen Regierung. Im ersten Teil wiederholte Eden in großen Zügen den Verlauf der eng lisch-französisch-italienischen Verhandlungen in Paris und das Angebot eines vom Völkerbund organisierten sranzösisch-englisch-italienischen „Beistandes" für Abes sinien, bei dem den italienischen Interessen in weitestem Maße Rechnung getragen werden sollte. Im Namen der englischen Regierung betonte er dann, daß England alles tun würde, um die friedliche Regelung des Konfliktes zu sichern, und daß es sich feiner Verpflichtungen aus der Völkerbundssatzung, die alle Regierungen binde, bewußt fei. Er betonte außerdem, daß von einem politischen oder wirtschaftlichen Konflikt zwischen Italien und England nicht die Rede sein könne; Eng land sei überzeugt, daß seine besonderen Interessen auch künftig von Italien geachtet würden. England handele nur als Mitglied des Völkerbundes. Der französische Ministerpräsident Laval betonte seinerseits, daß Frankreich auf dem Boden der Völker- bundssatzung stehe. Keine Negierung habe sich in der Ver gangenheit stärker sür den Pakt eingesetzt als Frankreich Noch im letzten Jahre seien die Regelung der Saarfrage und die Beilegung der ungarisch-jugoslawischen Frage Erfolge der loyalen Zusammenarbeit der verantwortlichen Mächte gewesen. Der Rat werde die Beschwerden Italiens über Abes- sinicn sicher mit der größten Aufmerksamkeit prüfen. Laval schloß mit folgenden Worten: Wir alle haben den Willen, für die Verpflichtungen des Paktes einzutreten, wir alle wollen den Frieden. Anschließend ergriff der italienische Vertreter, Baron Aloisi, das Wort zu einer längeren Erklärung, in der er unter Hinweis auf die i t a l i e n i s ch e D enkschrift ausführlich begründete, warum Italien die in Paris ge machten Vorschläge nicht habe in Betracht ziehen können Er gab einen historischen überblick über die Entwicklung der italienisch-abessinischen Beziehungen in den letzten 50 Jahren, um nachzuwciscn, daß Abessinien sich ständig der schweren Verletzung seiner vertraglichen Verpflichtungen schuldig gemacht habe, und ein „barbarischer Staat" sei, der weder seine Hand lungen noch das Verhalten seiner Untertanen in Ge walt habe. Aloisi schloß mit folgenden Worten: „Da es sich um die Lebensinteressen und um eine Angelegenheit allererster Ordnung sür die italienische Sicherheit und Zivilisation handelt; würde die italienische Regierung ihre grundlegen den Pflichten verletzen, wenn sie nicht endgültig Abessinien ihr Vertrauen entziehen würde und wcnn sie sich nicht jede Freiheit des Handelns Vorbehalten würde bis zu allen Maßnahmen, die für die Sicherheit der italienischen Kolonien und für die Sicherheit der eigenen Interessen Italiens notwendig werden könnten." Nach Aloisi erhielt der abessinische Delegierte, Pro fessor Jöze das Wort zu einer langen Rede, in der er zunächst die Erklärungen des englischen und fran zösischen Delegierten begrüßte, die ganz im Rahmen der abessinischen Politik lägen. Er sei aber erstaunt über die Anklage Italiens, die in vollem Umfange ungerechtfertigt sei. Es sei eine ernste und gefährliche Sache, wenn man innerpolitische Angelegenheiten eines Landes im Völlcrbundsrat erörtere und daraus den Schluß ziehe, die Anklage gegen ein Land zu erheben und es Gewaltmatznahmen unterwerfen zu wollen. Professor Jöze erörterte dann noch einmal das ganze Ver fahren, in dessen Verlauf der Zwischenfall von Ual-Ual eine Rolle gespielt habe. Auf Grund der von dem ^cksipdsaericku eraanaenen Entscheidung betrachte er Abessinien nicht als schuldig. Die Angelegenheit Ual-Ual fei damit im allgemeinen erledigt, und man könne jetzt nach seiner Auffassung zu einer Erörterung kommen, in welcher die italienisch-abessinischen Gegensätze überwunden werden könnten. Jedenfalls müsse der Völker bundsrat jetzt zeigen,ob er die Machtzur Verhinderung eines Krieges habe. Nach einer kurzen Erklärung des spanischen Vertreters, der die Anwendung des Pattes zur Aufrechterhaltung des Friedens forderte, schloß der Ratspräsident die Sitzung mit dem Bemerken, daß die abessinische Regierung zweifel los zu den Erklärungen des italienischen Vertreters Stel lung zu nehmen wünsche. Der Rat werde deshalb erneut zusammentreten. Der Zeitpunkt werde noch bekanntgegeben werden. Oie italienische Denkschrift. Die römische Presse veröffentlicht die umfangreiche Denkschrift zum Abessinienkonflikt, die die italie - nische Regierung in Gens vorlegen wird. Vier Gesichtspu n k 1 e, so heißt es in der Denkschrift, hätten in den letzten 40 Jahren die Beziehung zwischen Abessinien und Italien stark belastet: 1. die abessinische Weigerung, eine endgültige Grenze zwischen dem eigenen Gebiet und den italienischen Kolo nien zu ziehen, und die fortgesetzte unzulässige Besetzung italienischen Gebietes durch Abessinien; 2. die fortgesetzte Beschränkung der Immunität der diplomatischen urK> konsularischen Vertreter Italiens in Abessinien; 3. die fortdauernde Mißachtung des Lebens und des Besitzes der italienischen Staatsangehörigen in Abessinien, denen eine wirtschaftliche Weiterentwicklung verhindert wurde; 4. gewalttätige Eingriffe gegen Leben und Besitz ita lienischer Staatsangehöriger auf eigenem italienischen Boden. Diese vier Punkte rechtfertigen die Beteuerungen der italienischen Regierung, daß Abessinien offen und absicht lich Italien gegenüber alle übernommenen Vertragsver pflichtungen verletzt habe. Der zweite Teil der Denkschrift befaßt sich mit der Stellung Abessiniens zum Völkerbund. Einen breiten Raum nimmt in der Denkschrift die Be handlung der in Abessinien angeblich heute noch herr schenden Sklaverei ein. Hierzu werden als Kronzeugen zahlreiche englische Poli tiker und Schriftsteller angeführt. Die italienische Regierung kommt dann zu folgenden Schlußfolgerungen: Italien habe in diesem Memoran dum in erster Linie den Stand der Beziehungen zwischen Italien und Abessinien erläutern wollen und habe gleich zeitig den Beweis der Nichtinnehaltung internationaler Verpflichtungen durch Abessinien gegeben. Kein Mitglied des Völkerbundes könne die Rechte des Völkerbunds paktes anrufen, wenn es nicht seine eigenen Pflichten er füllt habe. Die Zulassung Abessiniens zum Völkerbund sei in dem guten Glauben erfolgt, daß Abessinien eine internationale Zusammenarbeit wünsche und innehalten werde. Abessinien habe mehr als einmal bezeugt, daß es nicht die erforderlichen Eigenschaften besitze, dem Völker bund anzugehören. Der Völkerbund würde gegen seine eigenen Aufgaben verstoßen, wenn er nicht da von Kenntnis nehme. Abessinien habe systematisch alle mit Italien abgeschlossenen Verträge verletzt. Abessinien bilde daher für Italien eine ständige, gegen wärtige und dauernde Gefahr, da es seine ostafrikanischen Kolonien bedrohe. Diese Gefahr sei dadurch erhöht wor den, daß die abessinische Regierung sich des Freundschafts vertrages mit Italien vom Jahre 1928 gegen Italien bedient habe, um sich weiter zu bewaffnen. Abessinien habe sich daher mit feinem Verhalten offen außerhalb des Völkerbundspaktes gestellt und habe sich des ihm bei seiner Aufnahme in den Völkerbund gezeigten Vertrauens unwürdig erwiesen. Wenn sich daher Italien gegen einen derartig unerträglichen Tatbestand auflehnc, ver teidige es dadurch seine eigene Unversehrtheit, aber auch gleichzeitig das Prestige und den guten Namen des Völkerbundes.