Volltext Seite (XML)
T I Montag, den 2. September 1935 Wilsdruff-Dresden Nr. 204 — 94. Jahrgang Telegr.-Adr.: „Tageblatt Postscheck: Dresden 2640 Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meisten, des Stadl rats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt Nationale Tageszeitung für Landwirtschaft und Das »Wilsdruffer Tageblatt» erscheint, an allen Werktagen nachmittags 4 Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— RM. Erei Haus, bei Poftbestcllung 1,80 RM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Rpfg. Alle Postanstalten und Post boten, unsere Austräger u. . ... „ Geschäftsstelle, nehmen zu jederzeit Bestellungen ent- Wochenblatt sUV WllsdrUsf U. UMgegeNd gegen. Im Falle höherer Gewalt, od. sonstiger —' Betriebsstörungen besteht tein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. Rücksendung eingesandtcr Schriftstücke erfolgt nur, wenn Rückporto beiliegt. alle anderen Stände des Wilsdruffer Bezirks Anzeigenpreise laut aufliegendcm Tarif Nr. 4. — Nachweisungs-Gebühp: 20 Rpfg. — Vorgeschriebene Erscheinungstage und Platzvorschriftcn werden nach Möglichkeit berücksichtigt. — Anzeigen «Annahme bis vormittags 10 Uhr. . d" ^'H^beit der durch Fernruf übcrmit- «eilen Anzeigen überneh men wir keine Gewähr. — "" — Feder Radatianspruch erlischt, wenn der Betrag durch Klage eingezogcn werden must oder der Auftraggeber in Konkurs gerät. Atemraum für Deutschland. Was dem einen recht, ist dem anderen billig. Inder lenglischen Öffentlichkeit, die immer schon ein seines politisches Fingerspitzengefühl bewiesen hat, fängt !man an, sich darüber klarzuwerdcn, welche politischen iFolgen der Angriff Italiens auf Abessinien nach sich zu Ziehen vermag. Mussolini begründet seinen kolonialen An- sspruch aus das Negusreich mit der Übervölkerung Italiens, und so sagt man sich in der englischen Presse, daß es an gesichts der Übervölkerung in Mitteleuropa daun auch! recht und billig wäre, Deutschland seine einsti gen überseeischen Besitzungen zurückzu geben, da auch Deutschland Atemraum für sein über völkertes Gebiet braucht. Vol dem Kriege besah Deutschlands Kolonialreich eine Ausdehnung von mehr als einer Million Quadratmeilen. Deutschlands übersee ische Besitzungen bildeten ein wertvolles Sicdlungsland für seine überschüssige Bevölkerung, und von seinen Ko lonien bezog Deutschland über 56 Prozent seiner cingc- führten Rohstoffe. Doch das nur kurz zur Unterstreichung der Bedeutung unserer ehemaligen Kolonien! Der Aufrollung der Kolonialfrage in der englischen Presse kommt zugute, daß das deutsch-englische Verhältnis seit der Unterzeichnung des Flottenabkommens sich freund schaftlich gestaltet hat und mehr und mehr in England eingesehen wird, daß der Schlüsselpunkt der britischen Politik die Freundschaft mit Deutschland sein Zollte. Die „Daily Mai l" war die englische Zeitung, die die Ko- lonialsrage zuerst in der englischen Öffentlichkeit dieser Tage aufrolltc. Sie schrieb: „üöas Flottcnabkommen war ein größerer Schritt zur Befriedigung der berechtigten Wünsche Deutschlands als je zuvor. Jetzt bleibt noch die Frage der Kolonien übrig, die Deutschland durch den Vertrag von Versailles genommen wurden. Die Zeit rückt schneller heran, wo diese ' Angelegenheit ün Interesse des Weltfriedens ein und für allemal geregelt werden muß. Deutschland hat sein Recht durchgesetzt, als gleichberechtigt unter den Mächten angehört zu werden, und es hat a-u ch einen guten begründe ten Anspruch aus Berücksichtigung hon ko lonialem Gebiet. Die britische Regierung könnte sehr Wohl erwägen, ob es nicht klug sein würde, die gegenwärtig unter britischem Mandat befindlichen Gebiete an Deutsch land zu übertragen. Was die Dominicnmandate anbetrifst, so muß die Frage der Übertragung von den Dominien selbst entschieden werden. Eines ist sicher: es ist unmöglich, eine Nation von 66 Millionen ständig auf ein Gebiet von 181 000 Quadratmeilen in der Mitte Europas zu beschrän ken. Deutschland braucht Atemraum für sein übervölkertes Gebiet." Früher war hier und dort schon öft-r einmal die Frage der deutschen Kolonien angeschnitten worden. Es blieben aber Einzelstimmen, die fast ungehört verhallten. Diesmal blieb es nicht bei dem Rufe der „Daily Mail". Collin Brooks behandelte in der großen Londoner Zeitung „Sunday Dispatch" ebenfalls eitrige Tage später die Frage der deutschen Kolonien. Er erklärt: „Wenige werden heute noch den Versailler Friedens vertrag als ein Denkmal der Gerechtigkeit und der Ehre verteidigen. Einem Waffenstillstand, der angenommen wurde unter der Voraussetzung, daß die deutschen Kolonien nicht konfisziert würden, folgte ein aufgezwungeuer Vertrag, der Deutschland jener Kolonien beraubte. 15 Jahre später treibt Deutschland der Mangel an überseeischen Be sitzungen und die Notwendigkeit von Absatzmärkten dazu, die Rückgab c seiner Besitzungen zu verlan gen. Der britische Außenminister hat sein Recht auf Aus dehnung stillschweigend zugegeben. Seine Forderung, wie es sic sieht, ist einfach auf Gerechtigkeit und Gleich berechtigung begründet, nicht weniger als auf einer unum gänglichen Zweckmäßigkeit. Eine Verweigerung wird die schwersten Folgen haben. Sie wird eine Lage herauf beschwören, die für Großbritannien bedrohlicher ist als die ungeschickt behandelte italienische Lage." Nicht genug damit. Die bedeutendste englische Zei tung „M orning P o st", das Blatt der englischen Die- hards, des rechten Flügels der englischen Konservativen, folgte mit der Erklärung: „Aus dem letzten halben Jahrbundert könnten meh rere Beispiele jener Art Außenpolitik zitiert werden, die durch eine Methode fortschreitender Einschüchterung Vorteile für sich herauszuschlagen versucht. Hoffentlich gibt sich kein Land der Täuschung hin, daß das britische Volk, weil es seit dem Kriege für die Sache des Friedens vrcle Opfer gebracht hat, bereit ist, auf unbestimmte Zeit drese Taktik zu erdulden. Besonders in Großbritannien wird die Tat sache gewürdigt, datz die F r i e d e n s r e g e l u n g eine Ordnung der Dinge hinterlassen hat, die, in vielerlei Hinsicht nicht dauernd sein kann und sollte. Rück sichtslos auf dem Ltatus guo bestehen, würde früher oder später zu dieser Katastrophe führen. Länder, die Beschwer den vorzubringen haben, können versichert sein, daß ver nünftige Abänderungsvorschläge vom britischen Reich in großzügigem und entgegenkommendem Geiste erwogen wer den würden. In dieser Beziehung ist kürzlich in verschie denen Kreisen angeregt worden, daß die Revision der V ö lk e r b u n d s m an d a 1 e rechtzeitig erwogen werden sollte. Wenn wir uns mit einem solchen Gedanken beschäf tigen, muß verhindert werden, datz hieraus eine falsche Auffassung entsteht. Nichts könnte gefährlicher iein als der Verdacht, daß wir unter Zwang handeln." MOM M Ws MM WehmO Im September Einziehung von weiteren 260 ONO Mann. Höchste Effektivstärke für die italienische Streitmacht. Bei dem italienischen Alpenmanöver sprach der Duce im Namen des Königs den Offizieren und den Soldaten seine Anerkennung für die während der Manöver gezeigte Widerstandskraft, Haltung und Diszi plin aus und fügte als Minister der bewaffneten Macht seine Anerkennung hinzu. Mussolini erklärte weiter hin, in anderen Zeiten seien die einberufenen Reservisten nach den Manövern entlassen worden, doch das geschehe in diesem Jahre nicht. Im September würden noch 200 006 Mann eingezogen, so daß die italienische Wehrmacht die vorgesehene Zahl von einer Million Mann unter den Waffen haben werde. Die Welt solle wissen, datz, wenn weiterhin in törichter und provokatorischer Weise von Sanktionen ge sprochen werde, Italien auf keinen Soldaten, keinen Matrosen und keinen Flieger ver zichte, sondern seine Streitmacht auf die höchste Effektivstärke bringen werde. Mussolini verabschiedete sich dann von den aus ländischen Offizieren und den ausländischen Presse vertretern. Er dankte den ausländischen Journalisten für die objektiven und ruhigen Berichte, die sie ihren Zeitun gen zugesandt hätten und die er genau verfolgt habe. Er erklärte, er hoffe, die ausländischen Pressevertreter würden in dauernder Erinnerung behalten, daß das gesamte italienische Volk ohne Ausnahme umdieFeldzeichen des Faschismus geschart sei. Die Verpachtung der abessinischen Dodenfchütze. Der Sonderkorrespondent der Londoner „News CHronie le" in Addis Abeba meldet, datz der Kaiser am Freitag einer englisch-amerikanischen Gesellschaft mit dem Sitz in London eine bedeutungsvolle Konzession zur Ausbeutung der Mineral- und Pctrolcumschätze Abessiniens gewährt habe. Die Konzession, bei der es sich um viele Millionen Pfund Sterling handele, beziehe sich aus die Ausbeutung der Bodenschätze von Gebietsteilen, z« denen auch das südliche Harrar an der Grenze der Ogaden-Wüste gehören solle. Die Vereinbarung sei, so berichtet „News Chronicle", von einem Engländer namens E. W. Rickett aus London abgeschlossen worden. Er habe sich acht Tage in Addis Abeba aufgehalten, in dieser Zeit sollet die Verhandlungen Tag und Nacht in einem Regierunqsgebäude geführt worden sein. Rickett sei in der Nacht zum Freitag vou einem Beamten aus dem Bett geholt und in einem Kraftwagen zum Palast gefahren worden, wo nach einer abschließenden Besprechung mit dem Kaiser die Unterschrift bei Tages anbruch vollzogen worden sei. Hierauf sei Rickett sofort über Djibuti,nach, London abgereist. Von zuverlässiger Seite verlautet, daß dem Kaiser kürzlich vorgeschlagen worden sei, das Petroleum gebiet von Außa an Italien gegen Bezahlung ab zutreten. Aus diesem Angebot sei aber nichts geworden. Es handle sich, so schreibt der Korrespondent, um das wichtigste und weittragendste Ereignis in der Geschichte Abessiniens. Es sei beabsichtigt, die Pctroleumfeldcr durch den Bau einer ungefähr 500 Kilometer langen Rohrleitung mit Geludia und von dort aus mit einem Hafen am Roten Meer zu verbinden. Der größte Teil des erforderlichen Kapitals von ungefähr 10 Millionen Pfund Sterling werde in New Uork aufgebracht werden. Man rechnet da mit, datz bereits in den nächsten Wochen Bohrsachverstän dige in Abessinien einireffen werden, um die ersten Untersuchungen anzustellen. Es sei anzunehmen, daß die Einnahmen Abessiniens aus dieser Konzession in den nächsten vier oder fünf Jahren auf etwa 3 Millionen Pfund Sterling sich belaufen dürften. . In wenigen Tagen drei bedeutsame eng lische Stimmen zur Frage der Mandate und Kolo nien. Man möge sie nicht über-, aber auch nicht unter schätzen. Großbritannien mit seinem riesigen Weltreich von mehr als 13 Millionen Quadratmeilen sollte als letztes Land die Wünsche eines Volkes nach überseeischen Besitzungen verhindern, wenn damit dem Frieden Europas und der Welt gedient werden kann. Der Sonderberichterstatter des „Daily Telegraph" in Addis Abeba, SirPercival Phillips weiß weiter zu berichten, datz noch andere Verhandlungen von noch größerer Be deutung für England im Gange find, diedieStauungderWasferdesTanasees, der Quelle des Blauen Nils, betreffen. Hierfür soll ein Syn dikat gebildet werden, an dem Abessinien, der Sudan und Ägypten mit insgesamt 10 Millionen Pfund beteiligt werden sollen. Das Kapital soll in London und Kairo aufgebracht werden. Die Vorschläge gehen dahin, einen Staudamm und Pumpstationen anzulegen, die für den Sudan und Ägypten nicht nur für immer eine gleich mäßige geregelte Wasserzufuhr gewährleisten, sondern auch die Kultivierung von Tausenden von Quadratkilometern jetzt noch unfruchtbaren Landes ermöglichen würden. Die abessinischeRegierung sieht in diesen Vorschlägen die beste Lösung des Tanasccproblcms. Rickett ohne englischen Auftrag? Die englische Nachrichtenagentur „Preß Association" meldete, daß in britischen amtlichen Kreisen von der Vergebung von Konzessionen an britische und amerikanische Interessenten nichts bekannt sei. So lange eine amtliche Bestätigung in London nicht eingetroffen sei, sei man nicht geneigt, der Angelegenheit eine unan gemessene Bedeutung beizulegen. Die Regierung habe nicht einmal davon Kenntnis gehabt, daß Verhandlungen ge führt wurden. Ferner werde erklärt, daß der Unterhändler Rickett weder amtliche noch nichtamtliche Unterstützung von der britiscb-m Reaierung erhielt. In einer Erklärung des Foreign Office, des englischen Auswärtigen Amtes, wurde erklärt, daß der britische Gesandte in Addis Abeba ermächtigt worden ist, für den Fall, daß der Bericht über die Erteilung der Ll- konzessionen richtig ist, dem abessinischen Kaiser mitzuteilen, daß die britische Regierung ihm rate, die Konzession vorläufig nicht zu erteilen. Abwartende Haltung der ASA.-Regierung. Im amerikanischen Staatsdepartement lehnt man nach Meldungen aus Washington jede Äußerung zu der von Abessinien an englisch-amerikanische Interessen erteilten Ll- und Erzkonzessionen bis zum Eintreffen einer Bestätigung aus Addis Abeba ab. In internationalen Bcobachterkreisen befürchtet man, daß der Vertragsabschluß zu diplomatischen Schwierigkeiten führen könne, glaubt jedoch nicht, daß Amerika dadurch in die augenblickliche Abcssinienkrise hincingezogen werden würde. Der Senator Borah, dessen Stimme in außen politischen Fragen stark beachtet wird, drückte die Ansicht aus, daß der Erwerb einer derartigen Konzession durch amerikanische Staatsbürger die Politik der Neutralität der Vereinigten Staaten nicht ändern würde. Staatssekretär 'des Äußern, Hull, teilte in einer Pressekonferenz mit, daß die amerikanische Gesandtschaft in Addis Abeba den Abschluß eines riesigen Pacht- und Ausbeutungsvertrages für englisch-amerikanische Inter essen telegraphisch bestätigt habe. Auf die Frage, ob die amerikanische Regierung nicht vorher zu Rate gezogen. Worden sei, antwortete der Staatssekretär, das sei unter der Regierung Roosevelt nicht üblich. Er fürchte daher keinerlei Hineinziehung der amerikanischen Regierung in Streitfragen, die sich aus diesem Vertrage etwa ergeben sollten. Größtes Aufsehen m Paris. Die Meldung, daß der Negus einem englischen Kon sortium und der amerikanischen Standard Olgesellschaft Konzessionen zur Ausbeutung eines großen Teiles seines Reiches abgetreten habe, rief in der Pariser Öffentlichkeit größtes Aufsehen hervor. In unterrichteten Kreisen be trachtet man diesen abessinischen Schachzug, wenn er sich bewahrheiten sollte, als ein Ereignis von größter Trag weite. Mau bemerkt in Paris, daß auf diese Weise ja eigentlich der wirkliche Siegespreis, den Italien bei seinem Feldzug zu erringen hoffe, ihm so schon von anderer Seite aus der Hand gerissen sei. Man fürchtet jedenfalls, daß sich die an sich schon so schwierige internationale Lage durch dieses Ereignis noch schwieriger gestalten könnte. Italien ist entrüstet. Der durch die englische Presse bekanntgewordene Ab schluß eines Konzessiv nsvcrtrages, durch den einer englisch-amerikanischen Gesellschaft die wirt schaftliche Ausbeutung Abessiniens gesichert wird, hat in d cr ita lienischcn Öffentlichkeit starkc Ent- rüstung hervorgerufen. Die Blätter veröffent lichen in entsprechender Aufmachung ausführlich den Be richt des „Daily Telegraph".