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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt Nr. 124 — Mittwoch, den 29. Mai 1935 An den Wanderer. Wandre, Mensch, in weite Fernen, Trink die Augen voller Lust; Schaue aufwärts zu den Sternen, Weite deine enge Brust! Ging ein Wanderlied und schreite Frohen Herzens durch die Flur. — Achte heilig die geweihte Und gesegnete Natur! Lerne ihren Wert erkennen, Dank ihr das, was sie dir schenkt; Fühl in tiefster Seele brennen, Was sie leidet, was sie kränkt. Schütz die Käfer, die im Moose Krabbelnd sich des Lebens sreun; Pflück nicht jede Heckenrose, j Die dich grüßt am Waldesrain. Stör die Vöglein nicht beim Brüten Latz die Hand von ihrem Nest! Uebe, treulich zu behüten, Was Natur uns wachsen läßt. Halte Saat und Frucht in Ehren, ! Denke an das täglich Brot! Einen Spruch nur latz dich lehre": „Ackersnot ist Mcnschcnnot!" Bete still im Dom der Buchen, Füll dein Herz mit Sonnenschein, — Lernst du Gott im Walde suchen, Wird dein Wandern heilig sein! Erna Riedel-Titius. z. ----- Was stehet ihr und sehet gen Himmel? Zum Himmelfahrtstag. Diese erstaunte und spöttische Frage ist nicht nur am Llberg erhoben worden. Nicht nur damals hat man über die Leute, die ihrem gen Himmel fahrenden Herrn nachsahen, gelacht. Auch heute ist das Himmelfahrtsfest < ein Fest, das den leisen oder lauten Spott der Welt her ausfordert. Was steht ihr und sehet gen Himmel? Glaubet ihr im Ernst, daß es noch einen Himmel gibt, dahin Jesus gegangen ist? Nein, nein, da oben ist blaue Luft und ziehende Wolken. Wir wollen nicht zuviel grübeln über diese Dinge der Ewigkeit. Wir wollen uns auch nicht den Himmel ausmalcn mit sinnlichen Farben oder dort nur eine Fortsetzung irdischer Freuden suchen. Wie wenig hat uns Jesus vom Jenseits gesagt! Daß wir mit ihm im Paradies sein werden, in der innigen Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater, das ist alles, was er uns Vom Himmel sagt. Und sein Apostel legt den Finger aus die Lippen und sagt: „Siche, ich sage euch ein Ge heimnis!" Man soll nicht neugierig dieses Geheimnis lüften wollen. Aber die Christen stehen und sehen auf gen Himmel, das heißt, sie sind wartende Leute, vom Himmel erwarten sie das Beste ihres Lebens und das Beste für ihr Sterben. Solch ein Wartender war mein alter Lehrer, Professor Kähler in Halle, ein Mann, der gen Himmel schaute. Als er im Sterben lag, hatte er einen schweren Todeskampf zu bestehen. Dann aber richtete er sich auf, ein Leuchten ging über sein Gesicht, und mit der letzten Kraft brachte er die Worte heraus: „Nun ist nichts mehr in mir, das Wider Gott ist!" Der Blick zum Himmel Will auch uns zu solchen Menschen machen! MWK imf MW-WlWten Wei. Das Gerichtsurteil im Prozeß der Schallplatteniudustrie gegen den Deutschen Rundfunk. Eine Reihe Firmen der Schallplattenindu strie hatte gegen den Rundfunk einen Prozeß wegen der Schallplattensendungen angestrengt, der vor der 21. Zivilkammer des Landgerichts Berlin verhandelt wurde. Die Schallplattenindustrie hatte sich aus den Standpunkt gestellt, daß ihr durch die Rundsunk- schallplattensendungen geschäftliche Ausfälle entstünden, da das Publikum die durch den Rundfunk gesendeten Platten nicht mehr so rege kaufte. Falls der Rundfunk weiterhin ihre Schallplatten senden wollte, verlangte sie eine ent sprechende Entschädigung. Der Rundfunk war dagegen der Ansicht, daß die Sendung eine Werbung für die Schallplattenindustrie darstelle und er daher keineswegs regreßpflichtig sei. Rach etwa einstündiger Beratung verkündete der Vor sitzende folgendes Urteil: 1. Der Beklagten wird bei Vermeidung einer vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung fest zusetzenden Strafe verboten, Schallplatten, die im Betrieb der Kläger erzeugt sind, und zwar auch solche, die von der Beklagten und ihren Sendegesellschaften käuflich erworben sind, zu senden, soweit diese Schallplatten ausschließlich die Wiedergabe von Schrift werken, Reden und Vorträgen enthalten. 2. Der Beklagten wird aufgegeben, Auskunft darüber zn erretten, in welchem umfang sie Platten der gekenn zeichneten Art gesandt hat. 3. Es wird sestgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin denjenigen Schaden zu ersetzen, der durch eine von der Beklagten verursachten Rundfunk verbreitung der bezeichneten Schallplatten seit dem 1. April 1935 entstanden ist oder noch entstehen wird. 4. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. — 5. Die Kosten des Verfahrens werden den Klägerinnen zu neun Zehntel, der Beklagten zu ein Zehntel auferlegt. 6. Das Urteil ist gegen eine Sicherheitsleistung von 10 00N Mark vorläufig vollstreckbar. Die klagenden S ch a l l P l a t t e n h e r st e l l e r, so führte der Vorsitzende weiter aus, sind nach dem Urheber gesetz klagcberechtigt. Die Schallplattcnhcrsteller haben aber nicht das Recht, die Rundfunksendung von Musikschallplatten zu verbieten, weil das literarische Urhebergesetz in § 22a die Benutzung solcher Platten zn öffentlichen Aufführungen ausdrücklich gestatte und die Rundfunksendung von Musikschallplatten den Begriff der öffentlichen Aufführung erfüllt^ Schall- platten, auf denen ausschließlich Werke der Sprach- kunst wiedergegeben sind, unterfallen nicht der Auf führungsbefugnis nach § 22a des literarischen Urheber gesetzes. Insoweit ist der Klageanspruch begründet. Dr. Goebbels dankt -er DAK. Reichsminister Dr. Goebbels hat an D r. Ley folgendes Schreiben gerichtet: „Das Winterhilfswerk >934/35 ist mit großem Erfolg durchgeführt und beendet worden. Durch die bewiesene Opferbereitschaft und Mit wirkung des ganzen deutschen Volkes konnten die Leistungen dieses Winterhilfswerkes gegenüber dem Vor jahre wesentlich gesteigert werden. Die Deutsche Arbeitsfront hat, durch ihre tatkräftige Mitarbeit zu diesem Erfolge erheblich beigelragen. Ich spreche Ihnen dafür meinen herzlichsten Dank aus und bitte Sie, meinen Dank auch Ihren Mitarbeitern und den Nachgeordneten Stellen zu übermitteln." Kieler Marineabteilung stellt Skagerrak-Wache. Auf dem Lehrter Bahnhof in Berlin traf das Marinekommando ein, das diesmal die Skagerrak-Wache stellt. Es sind Mannschaften von der Marine-Unteroffizier-Lehrabteilung in Fried richsort bei Kiel. Eine Marinemusikkapelle mit Spielmannszug unter Leitung von Musikmeister König von der 5. Marine-Artillerie-Abteilung in Pillau holte das Wachkommando vom Lehrter Bahnhof ab. Das Programm für den Skagerrak-Tag am Freitag, dem 31. Mai, sieht für 7 Uhr früh eine Flagge nhissung an der Admiral-Scheer-Brücke vor. Um 1412 Uhr findet am Ehrenmal Unter den Linden die Kranzniederlegung zum Gedenken an die in der Seeschlacht vor dem Skagerrak gefallenen Seeleute statt. Im Anschluß daran nehmen die Abordnungen der Marinekameradschaften an der Schmückung von 13 Kriegs flaggen der alten Marine mit dem Ehrenkreuz für Front kämpfer im Zeughaus teil. Am Freitagabend findet im Clou ein großes Treffen aller Skagerrak-Kämpfer statt, das mit einer Wieder- sehensfeier der überlebenden der Schiffe „Leip- z i g", „Gneisena u", „Dresde n", „Frauenlo b", von U-Booten und Torpedobooten, von Luftschiffen und Hilfskreuzern verknüpft ist. Marine-SA. und Marine-Hitler-Jugend beteiligen sich ebenfalls an dieser Feier, bei der Admiral a. D. Gladisch die Festansprache hält. Ausländische Motorsportler bei Dr. Goebbels. Die zur Zeit auf Einladung der Obersten Nationalen Sportbehörde für die deutsche Kraftsahrt zu ihrer Früh jahrstagung in Berlin weilenden Delegierten der FJCM. (Föderation Internationale des Clubs Moto- ciclistes) wurden vom Reichsminister Dr. Goebbels in Vertretung des Führers empfangen. Dr. Goebbels erklärte in seiner Begrüßungsansprache u. a.: Deutschland freue sich aufrichtig über jeden Besuch von ausländischen Gästen. Es wolle nicht den Nationalsozialis mus anderen Völkern anfzwingen, aber es sei natürlkkh, daß das Ausland, wenn auch der nationalsozialistische Gedanke keine Exportware sei, ein Anrecht habe, ihn in seinen Ursprüngen kennenzulernen. Man werde dann feststellen können, daß der Nationalsozialismus ein ganz anderes nationalistisches Prinzip verfolge als etwa das Vorkriegsdeutschland oder manche andere Nation. Der Führer habe es in feiner letzten Rede noch einmal betont, daß der Nationalsozia lismus nicht fremde Völker zu germanisieren gedenke, sondern nur das deutsche Volk so deutschbewußt wie möglich machen wolle. Die Stabilisierung Europas sei ohne Deutschland unmöglich. Eine Einbeziehung Deutschlands aber ließe sich nur mit der Zustimmung Deutschlands selbst vollziehen, die es nur dann geben werde, wenn man es nicht länger als zweitklassig zu behandeln gedenke. In dieser Frage seien das deutsche Volk und seine Regierung völlig einig. Der Reichsminister betonte anschließend, daß er mit großer Genugtuung und Freude den Fortschritt der deutschen Leistungen auf dem Gebiete des Sportes undd s Motorwesens gesehen habe. Deutschland werde ein ehrlicher, loyaler und fairer Partner sein, nicht nur im Sport, sondern auch vor allein in der Politik. Der Führer und seine Mit arbeiter seien.unverbrauchte Männer aus dem Volke. Sie seien schon deshalb A n h ä n g e r d e r M o t o r 1- sierung der Welt, weil sie selbst gesehen hätten, wie der Motor dem Großstadtmenschen die Natur wieder er öffnet habe. Er sei mehr als eine tote Maschine, sondern vermöge Glück und Seaen zu bringen. 37 kOinsn von HsäiviZ lejÄimsrin Urheberrechtsschutz durch Lit. Büro „Das Neue Leben", Bayr. Gmain. (Nachdruck verboten.) „Ja, die Hochzeit. Sehen Sie, Marianne, ich freue mich, Laß Henni so treu ist. Ich hätte es nie gedacht. Ein so schönes Geschöpf! Nun, vielleicht darbt sie nicht allzu lange an der Seite meines armen Sohnes. Doktor Moser, der neue Arzt, hat mir vorhin die schonende, aber betrübende Mitteilung gemacht, daß Edgars Herz recht schwach ist, es kann vorkommen, daß er eines Tages sanft einschläft. Es Wäre ihm zu wünschen . . Sie brach ab, und Marianne konnte nichts erwidern. Ahr Herz pochte und brannte. i Nach einer Weile fuhr Frau Breitenfurt ruhiger fort: -„Deshalb habe ich mich entschlossen, schon jetzt Henni als seine Erbin einzusetzen. Dann ist sie reich und kann tun und lassen, was sie mag. Wem sollte dies auch alles gehö ren? Doch nur der, die so treu an meinem Jungen hängt und der sein ganzes Herz gehört. Das ist nur ganz gerecht Und in Ordnung. Nicht wahr, liebe Marianne?" Die saß ganz still da und kämpfte mit Tränen. Wie blind war die Frau! Henni treu! Henni innig an Edgar hängen! Sie, die solches Grauen vor dem Kranken empfand, die ihn floh, wo sie konnte, und zu sterben meinte, wenn sie mit ihm allein bleiben sollte! — Er freilich, er hatte sie ge liebt, einst in gesunden Tagen. Jetzt war jedes Gefühl er loschen. Sic beneidete Henni nicht um dies große, einsame Haus, um Geld und Besitzung. Aber es stieg bitter und schmerz lich in ihr auf, da sie die Ungerechtigkeit des Schicksals sah. Der Baron, wie sehr war er verschuldet! Er war zu ollem fähig. Vielleicht hatte er allein die Dinge in letzter Zeit so gelenkt. Sie aber war verurteilt, zu allem zu schwei- Len, nichts durfte sie sagen, nichts verraten. , Auch als Frau Breitenfurt den fremden Arzt zu loben begann und ein wenig auf den fahnenflüchtigen Doktor Wey- mont schmähte, mußte sie schweigend die Zähne zusammen- beißen. Frau Breitenfurt deutete ihr düsteres Schweigen anders. Sie nahm sanft des Mädchens Hand in die ihre und sagte herzlich: „Sie aber bleiben immer bei mir, liebes Kind. Den Kranken freilich müssen Sie dann mehr seiner jungen Frau überlassen. Mir aber sind Sie sehr nötig. Wir werden uns dann ein recht behagliches Leben einrichten. Auch Baron Balten wird im Hause wohnen, er verkauft seine Besitzung den Kindern zuliebe, um mit ihnen hier wohnen zu können. Und wenn ich einmal sterbe, dann sollen Sie nicht vergessen sein." Marianne machte eine heftig abwehrende Handbewegung. Da lächelte die alte Frau schelmisch und meinte: „Nun, nun, ein wenig Geld ist nötig, um einen Hausstand einzü- richten. Mir kommt es vor, als gäbe cs hier auf dem Gute ein Paar Augen, die der lieben Marianne gern nachblicken, wo sie geht und steht. Ja, ja, ich habe es schon bemerkt. Aber deshalb brauchen Sie nicht rot zu werden. Das ist keine Schande. Und den ersten werden Sie wohl schon ver gessen haben." Marianne stotterte irgendetwas Undeutliches; rasch empfahl sie sich und begab sich in ihr Zimmer. Vor dem Bett sank sie nieder und drückte, geschüttelt von Weh und Angst, den Kopf in die Kissen. Wie würde sich das Schicksal wenden? Henni saß im Eilzuge, der die nächtlichen Lande durch raste. Sie versuchte zu schlafen, die Gedanken auszuschalten, aber es wollte ihr nicht gelingen. Das Leben lag schwer mit seinen Unruhen und Sorgen auf ihr. Doll brennender Sehn sucht strebte sie danach, diesen Qualen für ein paar Tage zu entgehen. Wie freute sie sich auf den Süden, auf das gast liche russische Paar, auf all die bunten Zerstreuungen, die ihrer harrten. Sie wollte sich freuen, ja, freuen, das redete sie sich beständig ein. Dann aber kamen wie krächzende Ra benscharen die Sorgen wieder gezogen. Was hatte der Vater verraten? Sie wären arm? Baltenhof müßte verkauft wer den? Und ihr blieb als einzige Rettung der ihr unheimliche Elmar und eine Heirat mit ihm? Henni starrte in die Nacht hinaus, auf die vorüberhuschenden Landschaften, aus denen, oft ein trautes Licht aufflammte und verschwand. Leo ... wo war er? Was trieb er? Was hatte er vor? Wie seltsam hatte sein Brief geklungen! Ganz so, als ob er selbst an eine fern aufzuckende Hoffnung glauben könne. > Henni hüllte sich fester in den weichen Flauschmantel, denn es fröstelte sie in der kühlen Herbstnacht. Als sie aus leichtem Schlafe erwachte, waren die weiten, Lande dem Licht der Sonne aufgetan. Weiße Felsen um^ säumten schimmernd ein schönes, breites Flußbett, verson-, nene Schatten südlick-er Bäume legten einen blauen Saum um die Ferne der Täler. Die weißen Straßen aber schienen zu einem einzigen Jauchzen, Lachen, zu jubelnder Daseins wonne hinzuführen, dorthin, wo die Häuser des Südens,' hell und farbig wie in transparentes Licht getaucht, Mm- werten. Ganz fern da drüben — das war das Meer. Ein blauer leuchtender Streifen. Henni stand auf und reckte sich. Nun war sie bald am Ziele. Sie hatte ihre Ankunft von einer größeren Station aus telegraphisch gemeldet. Aber als sie in das Hotel kam das das russische Ehepaar bewohnte, erlebte sie eine kleine Ent täuschung: Es war niemand da, der sie empfing. Doch hatte man zwei reizende Zimmer für sie vorbereitet, und ein Brief Nadines lag auf der Schreibtischplatte. Er duftete stark nach dem eigenen Parfüm, das allen Suchen der Russin anhaftete.- Sie schrieb in ihrer großen, starken Schrift mit lateinischem Lettern: „Meine liebe Henni! Wir sind ungastlicherweise nicht daheim — Du verzeihst. Komme uns bitte nach — wir sind im Eispalast und sehen uns die Tänze Irene Weymonts an« Nachher ist gemütliches Beisammensein im Cafe. Wir er warten Dich bestimmt. Wenigstens eine Nummer des guten Programms wirst Du wohl noch sehen können. Nadine." i Henni nahm ein Bad, kleidete sich sorgfältig um, aß eine, Kleinigkeit. Dies alles tat sie mit schwellender Freude und hohem Genuß. Wie schön war doch solch Leben in Sorglosigkeit und gs-> meßender Lebensfreude! Erst jetzt kamen ihr die letztens Tage daheim wie ein schwerer, böser Traum vor, dem st» nun glücklich entkommen war, , ' .(Fortsetzung folgt.)