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Inmitten Vieser yaHgervsketen und sich immer mehr der modernsten motorisierten Kräfte bedienenden Kriegs- staaten war Deutschland ein machtm ästig leerer Raum, jeder Drohung und jeder Bedrohung jedes einzelnen wehrlos ansgelicfcrt. Das deutsche Bolt erinnert sich des Unglücks und Leides von 15 Jahren wirt schaftlicher Vererlendung, politischer und moralischer Demütigung. Es war daher verständlich, wenn Deutschland laut auf die Einlösung des Brrsprcchcns auf Abrüstung der anderen Staaten zu drängen begann. Denn dieses ist klar: einen hundertjährigen Frieden würde die Welt nicht nur ertragen, sondern er müßte ihr von unermeß lichem Segen sein. Line hnnderljährige Zer reißung in Sieger und Besiegte aber erträgt sie nicht. Die Empfindung über die moralische Berechtigung und Notwendigkeit einer internationalen Abrüstung war aber nicht nur in Deutschland, sondern auch innerhalb vieler anderer Völker lebendig. Aus dem Drängen dieser Kräfte entstanden die Versuche, auf dem Wege von Kon ferenzen eine Nüstungsverminderung und damit eine internationale allgemeine Angleichung auf niederem Niveau in die Wege leiten zu wollen. So entstanden die ersten Vorschläge internationaler Rüstungsabkommen, von denen wir als bedeutungsvolles den Plan MacDonalds in Erinnerung haben. Deutschland war bereit, diesen Plan anzu nehmen und zur Grundlage von abzuschlicßcnden Ver einbarungen zu machen. Er scheiterte anderAblehnungdurch andere Staaten und wurde endlich prcisgegeben. Da unter solchen Umständen die dem deutschen Volke und Reiche in der Dezember-Erklärung 1932 feierlich zugesichertc Gleichberechtigung keine Verwirklichung sand, sah sich die neue deutsche Reichsregierung als Wahrcrin der Ehre und der Lebensrechte des deutschen Volkes außerstande, noch weiterhin an solchen Konferenzen teilzunehmcn oder dem Völkerbund anzugehören. Allein, auch nach dem Verlaffen Genfs war die deutsche Regierung dennoch bereit, nicht nur Vorschläge anderer Staaten zu überprüfen, sondern auch eigene prak tische Vorschläge zu machen. Sie übernahm dabei die von den anderen Staaten selbst geprägte Auffassung, daß die Schaffung kurzdiencnder Armeen für die Zwecke des Angriffs ungeeignet und damit für die friedliche Ver teidigung anzuempfchlen sei. Sie war daher bereit, die langdienende Reichswehr nach dem Wunsche der anderen Staaten ineinekurzdiencndeArmeezuvcrwandcln. Ihre Vorschläge vom Winter 1933/34 waren praktische und durchführbare. Ihre Ablehnung sowohl als die endgültige Ablehnung der ähnlich gedachten italienischen und eng lischen Entwürfe ließen aber darauf schließen, daß die Geneigtheit zu einer nachträglichen sinn gemäßen Erfüllung der Versailler Ab- r ü stu n g s b e st i m mu n g cn auf der anderen Seite der Vertragspartner n i cht m e h r b e st a n d. Unter diesen Umständen sah sich die deutsche Regie rung veranlaßt, von sich aus jene notwendigen Maßnah men zu treffen, die eine Beendigung des ebenso unwürdigen wie letzten Endes bedroh, lichen Zustandes der öhumächtigen Wehr losigkeit eines großen Volkes und Reiches gewähr leisten konnten. Sie ging dabei von denselben Erwägungen aus, denen Minister Baldwin in seiner letzten Rede so wahren Ausdruck verlieh: „Ein Land, das nicht gewillt, die notwendigen Vor sichtsmaßnahmen zu seiner eigenen Verteidigung zu er greifen, wird niemals Macht in dieser Welt haben, weder moralische noch materielle Macht." Die Regierung des heutigen Deutschen Reiches aber wünscht nur eine einzige moralische und materielle Macht, es ist die Macht, für das Reich und damit wohl auch für ganz Europa den Frieden wahren zu können. Sie hat daher auch weiterhin getan, was in ihren Kräften staird und zur Förderung des Friedens dienen konnte. 1. Sie hat all ihren Nachbarstaaten schon vor langer Frist den Abschluß von Nichtangriffspakten angelragen. 2. Sie hat mit ihrem östlichen Nachbarstaat eine vertragliche Regelung gesucht und gefunden, die dank des großen entgegenkommenden Verständnisses, wie sie hofft, für immer die bedrohliche Atmosphäre, die sie bei ihrer Machtübernahme vorsand, entgiftet hat und zu einer dauernden Verständigung und Freund schaft der beiden Völler führen wird. 3. Sie hat endlich Frankreich die feierliche Ver sicherung gegeben, daß Deutschland nach der erfolgten Regelung der Saarfräge nunmehr keine territorialen Forderungen mehr an Frankreich stellen oder erheben wird. Sie glaubt damit, in einer geschichtlich seltenen Form die Voraussetzung für die Beendigung eines jahrhundertelangen Streites zwischen zwei großen Nationen durch ein schweres politisches und sachliches Opfer geschaffen zu haben. Die deutsche Regierung muß aber zu ihrem Bedauern sehen, daß seit Monaten eine sich fortgesetzt steigernde Aufrüstung der übrigen Welt stattfindet. Sic sieht in der Schaffung einer sowjetrussischen Armee von 101 Divisio nen, d. h. 960 000 Mann zugegebene Friedens-Präsenz- stärke, ein Element, das bei der Abfassung des Versailler Vertrages nicht geahnt werden konnte. Sie sieht in der Forcierung ähnlicher Maßnahmen in den anderen Staaten weitere Beweise der Ablehnung der seinerzeit proklamierten Abrüstungsidce. Es liegtdcr deutschenRegierungfern, gegen irgend einen Staat einen Vor wurs erheben zu wollen. Aber sic muß heute fcststellen, daß durch die nunmehr beschlossene Einführung der zweijährigen Dienst zeit in Frankreich die gedanklichen Grundlagen der Schaf fung kurzdiencnder Armeen zugunsten einer langdicnrndcn Organisation aufgegcben worden sind. Dies war aber mit ein Argument für die seinerzeit von Deutschland geforderte Preisgabe seiner Reichswehr. Die deutsche Regierung empfindet es unter diesen Um ständen als eine Unmöglichkeit, die für die Sicherheitdes Reiches notwendigen Maß nahmen noch länger auszu setzen oder gar vor der Kenntnis der Mitwelt zu verbergen. Wenn sic daher dem in der Rede des englischen Mini sters Baldwin am 28. November 1934 ausgesprochenen Wunsch nach einer Aufhellung der deutschen Absichten nun mehr entspricht, dann geschieht es: I. um dem deutschen Volk die Überzeugung und den anderen Staaten die Kenntnis zu geben, daß die Wahrung der Ehre und Sicherheit des Deutschen Reiches von jetzt ab wieder der eigenen Kraft der deutschen Nation anver traut wird; 2. aber, um durch die Fixierung des Um fanges der deutschen Maßnahmen jene Be hauptungen zu entkräften, die dem deutschen Volke das Streben nach einer militärischen Hegemoniestellung in Europa unterschieben wollen. Was die deutsche Regierung als Wahrcrin der Ehre und der Interessen der deutschen Nation wünscht, ist; das Ausmaß jener Machtmittel sichcrzustellen, die nicht nur für die Erhaltung der Integrität des Deutschen Reiches, sondern auch für die internationale Respektierung und Be wertung Deutschlands als eines Mitgaranten des allge meinen Friedens erforderlich sind. Denn in dieser Stunde erneuert die deutsche Regie rung vor dem deutschen Volk und vor der ganzen Welt die Versicherung ihrer Entschlossenheit, über die Wahrung dcr dcu 1 schcn Ehre und der Frei heit des Reiches nie hinauszugchcn und insbesondere in der nationalen deutschen Aufrüstung kein Instrument kriegerischen Angriffs als vielmehr ausschließlich der Vcr- teidigung und damit der Erhaltung des Friedens bilden zu wollen. Die deutsche Rcichsregicrung drückt dabei die zuver sichtliche Hoffnung aus, daß es dem damit wieder zu seiner Ehre zurückfindcndcn deutschen Volke in unabhän giger gleicher Berechtigung vergönnt sein möge, seinen Beitrag zu leisten zur Befriedung der Welt in einer freien und offenen Zusammenarbeit mit den anderen Nationen und ihren Negierungen. In diesem Sinne hat die deutsche Reichsregierung mit dem heutigen Tage das folgende Gesetz beschlösse»' Die Reichsregierung hak folgendes Gesetz beschlossen, das hiermit verkünde! wird: 8 1. Der Dienst in der Vehrmachk erfolg! aus der Grund lage der allgemeinen Wehrpflicht. 8 2. Das deutsche Friedensheer einschließlich der ver führten Truppenpolizeien gliedert sich in z w ö! f S o r p s» kommandos und 36 Divisionen. 8 3. Die ergänzenden Gesetze über die Regelung der all gemeinen Wehrpflicht sind durch den Reich-r^^ dem Reichsministerium vorzulsgen. Berlin, den 16. März 1935. Unterschriften des Führers und sämtlicher Mitglieder des Reichskabinelks. Die Erklärung der Reichsregierung wurde von den deutschen Pressevertretern mit lautem Beifall und Hände klatschen begrüßt. Im Anschluß daran empfing Reichsminister Dr. Goebbels die Berliner Vertreter sämtlicher ausländischen Zeitungen und gab dort die gleiche Erklärung ab. Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht vom 16. Mörz 1935. Dr. Goebbels verkündet das neue Gesetz. Wagenborg-Bildmaterndiensi Das Ausland nicht überrascht. Die fremden AaiLsnsn vom neuen Gesetz m Rennims gesetzt. Der Führer und Reichskanzler hat im Bei sein des Reichsministers des Äußeren die Bot schafter Frankreichs, Englands, Italiens und P o l e n s empfangen, um ihnen den EnischM Reichsregierung, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen, mitzuteilen. * Das Ausland vom deutschen Schritt nicht überrascht. Man sieht durch die allgemeine deutsche Wehrpflicht den Frieden Europas nicht bedroht. Wenn man die Auslandspresse durchlieft, so füllt einem auf, daß das Ausland durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht nicht allzu sehr über rascht worden ist. Man hat einen derartigen Schritt eigentlich schon lange erwartet. Jntcrcssanter- weise wird auch in der Auslandspreise betont, daß durch den deutschen Schritt die allgemeine Lage in Europa grundsätzlich nicht geändert werde. In ein zelnen Hauptstädten des Auslandes haben auch bereits Ministerbesprcchungen über die neue Lage statt- gcfunden, aber erst im Laufe dieser Woche werden die einzelnen Kabinette sich näher mit dem Beschluß der Rcichsregicrung befassen. England spricht vom Ende des Versailler Diktats. Aus London wird gemeldet, daß die Mitglieder des Londoner Kabinetts am Sonntag früh zu einer Be ratung zusammeMratcn und beschlossen haben, eine ur sprünglich für Sonntag nachmittag vorgesehene Kabinetts sitzung auf Montagnachmittag zu vertagen. Das englische Nachrichtenbüro Reuter kündete eine Erklärung der Re gierung im Unterhaus für Montag an. Ministerpräsident Mac D o nald ist von seinem Landsitz Chequers nach London zurückgckehrt, Außenminister Sir John Simon hatte sein Wochenende schon am Sonnabend gleich nach Eintreffen der Nachrichten aus Berlin ab gebrochen. Die englischen Zeitungen haben unter großen Schlagzeilen den Wortlaut des Gesetzes und den gesamten Aufruf der Reichsregierung veröffentlicht, meist mit Über schriften, in denen sachlich festgestellt wird, daß Deutschland den Teil V des Diktats von Versailles beseitigt hat. Viel fach schreiben die Zeitungen auch, daß die deutsche Ent scheidung das Ende von Versailles darstelle. Paris nur zum Teil erregt. Der französische Außenminister Lavalist, als er von dem französischen Botschafter in Berlin von dem Entschluß der Reichsregieruug unterrichtet wurde/ sofort in sein Ministerium gefahren. Er hat dort keinen Beamten vor gefunden und deshalb weitere Beratungen auf Moutag vertagt. In politischen Pariser Kreisen wird darauf hin gewiesen, daß Flandin schon in seiner Kammerrede die Stärke des deutschen Heeres mit 600 000 Mann angegeben, also offenbar die Maßnahme der Rcichsregicrung voraus- geahnt habe. Die französische Rechtspresse spricht zum Teil iu erregten Tönen von einer „unerhörten Ge walttat" und fordert eine Verschärfung der Bündnispolitik Frankreichs. Ruhiger sind die Zeitungen, die der Regie rung nahestehen. Sie stellen auch fest, daß kür Eurova an vcm vesteyenden Zustand sich kaum etwas ändere. Eine Zeitung wie „Le Jo n r" schreibt, daß mit einer leb hafteren Reaktion auf die deutsche Maßnahme kaum zu rechnen sei. Polen sagt: Folgen der polM der WLfimäch^ » In der polnischen Hauptstadt W a r sch au bcs^ man sich mit der Frage,.ob der englische Außenminis . sein?» .Besuch'jn Berlin noch ansführcn wirdi Der regic rnngssreündliche „Kurzer Poranny" stellt fest, daß Adolf Hitler schon jetzt das Ziel erreicht habe, das er mit dem Austritt aus dem Völkerbund beabsichtigte. Inter essant ist, daß der Havas-Vertretcr in Warschau als Auf fassung der polnischen Regierung nach Paris übermittelt, daß für die polnische Regierung der Gang der Entwick lung nur als Ergebnis der Politik der Weltmächte gegen über Deutschland gewertet werden könne. Italien: FnedensvertrZge kZünsn die Geschichte nicht anfhattsn. Die italienische Presse hat übereinstimmend scstgestellt, daß nach der Auffassung der italienischen Re gierung eine wesentlich neue Lage durch die deutschen Erklärungen nicht geschaffen ist. Italien habe den deut schen Schritt erwartet. Die Geschichte schreite vorwärts, und Friedensvertrüge könnten sie nicht aufhalten. LlSA. an europäischen Fragen uninteressiert. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika hat Präsihem Roosevelt nach dem Eintreffen des Aufrufs des Führers sofort mit dem Staatssekretär des Äußeren, Hnll, und anderen hohen Beamten des Staatsdeparte ments beraten. Rach allen Washingtoner Meldungen be trachtet man die Lage sachlich nnd ruhig und betont noch einmal den Entschluß Amerikas, zur unbedingten Zurück haltung gegenüber europäischen Fragen. Man hält es für möglich, daß Roosevelt nochmals einen Ab- rüftnngsappell an die Welt richtet. Be zeichnend ist aber, daß dis Ncw-Aorker Zeitungen Mel dungen aus Berlin veröffentlichen, in denen davon ge sprochen wird, daß das Diktat von Versailles Deutschland mit Gewalt auferlegt sei und schon deshalb nicht so wie andere Vertrüge sanktioniert sei. Außenminister Hqmrns über die deutsche Entscheidung. Brüssel, 18. März. Außenminister Hymans wurde nach seiner Rückkehr von Paris Sonntag Abend durch belgische Journalisten über die Entscheidung der deutschen Regierung befragt. Wie das halbamtliche belgische Nachrichtrnbüro mit- teilt, gab Hymans nachstehende Erklärung ab: Das Ereignis ist ernst. Es erfordert größte Aufmerksamkeit der Regierungen. Es kann die Anstrengungen, die in Ncm und London zur Or ganisierung der Sicherheit und des Friedens vorbereitet wur den, gefährden, obwohl es vielleicht den tatsächlichen Zustand, wie man ihn vermutete, nicht ändert. Es ist wichtig, daß die Mächte sich unter einander beraten. Herr Laval hat die Ini tiative zu einer Befragung der Mächte unternommen. Die Auf rechterhaltung des Friedens erfordert das enge Zusammen gehen der Mächte. Wir haben uns über die Lage mit den fran zösischen Ministern unterhalten. Die französische Regierung sicht sie kaltblütig an. Da der Meinungsaustausch im Gange ist, wird man begreifen, daß ich mich im Augenblick jeder Stel lungnahme enthalte. Belgien bleibt in enger Verbindung mit den Großmächten, den Garanten seimr Sicherheit.