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Eine Frau zieht aufAbenteuer. Kämpferin für ihren Mann...! Das dramatische Schicksal eines Armee-Piloten. Nach einem Tatsachenbericht erzählt von H. R. Boenicke. Fortsetzung. „Ja, das könnte man Wohl tun", meinte Svar^ö langsam. Er Hatte es nicht eilig, zuzustimmen, obwohl sein Herz einer wilden Sprung machte. Den Rest der Fabrt überlegte er, wie er es bermeider konnte, von Leningrad nach Wladiwostok weiterfahren zr müssen. Sein Ziel war die finnische Heimat — mochten di, anderen ruhig nach dem Fernen Osten fahren, um Schiff, gegen Japan zu bauen. Svantö entwirft einen Fluchtplan. In Leningrad kam Svantö gut vom Bahnhof. Der Führer des Arbeitstrupps schob sich einfach mit seiner Mann schaft unter Vorzeigen eines Sammel-Passierscheins durch di, Kontrolle — und dann standen sie auf der Straße. Für's erste blieb dem jungen Offizier nichts übrig, al- bei dem Trupp U-Boot-Mechaniker zu bleiben, denn wie sollt, er als einzelner ein Hotelzimmer bekommen, ohne aufzu fallen? Wie sollte er sich benehmen, in irgendeinem Restau rant Essen bekommen, ohne für einen Ausländer gehalten uni von der G. P. U. geschnappt zu werden? Und in einen Lader gehen, etwas kaufen — ja, wer gab ihm da die Lebensmittel karten? In der Nähe des f'müschen Bahnhofs in Leningrad wcn ein Hotel, in dem vier Zimmer für den Mechanikertrupp nack Wladiwostock reserviert worden waren. Svantö teilte da- Zimmer mit einem anderen Arbeiter, der ziemlich gutmütic erschien und wortkarg war. Nachdem man unten in der Gast stube zusammen die warme Mahlzeit eingenommen hatte — ein Hochgenuß für den hungrigen Offizier! —, legte man sich gegen neun Uhr schlafen. Svantö sank todmüde ins Bett. Sein Zimmergefährt, schlief bald ein. Bei einer Zigarette, die ihm der Truppführei geschenkt hatte, weil ihm der junge Finne irgendwie gefiel grübelte Svantö über seinen Fluchiplan. Weiterfahrt nach Wladiwostok schied aus. Er mußte ii spätestens zwei, drei Tagen wieder in Finnland, sein. Seil Plan war außerordentlich kaltblütig und genau berechnet Wieder zu Hause, würde er sofort nach Savukoski im nörd lichen Finnland fahren. Er kannte seine Heimat wie sein, Tasche. Von Savukoski führte ein alter, holperiger Lanowe, nach Alakurtti, das keine fünf Kilometer von der russischer Grenze lag. Hier wollte er mit seinem Lappenwagen, der ober altes Gexümpel und unten einige Kanister Benzin führer sollte, den direkt nach Rußland weiterführenden Weg verlasser und erst drei Stunden weiter in einem großen Bogen um di, Grenzbauernhöfe und die Sowjetpatrouille wieder auf ihr stoßen. Es war zwar ein schauerlicher Weg — wie alle russi schen —, aber hatte den Vorteil, daß er fast haargenau in du Gegend von Kandalakscha führte, keine zwei oder drei Kilo meter von jenen Sümpfen entfernt, in denen sein Flugzeuj verborgen steckte. Das Starten konnte nicht schwer fallen, denn die An lauffläche vor dem Sumpf war nicht uneben. Mit etwat Glück ließ sich die Sache schon schaffen, und Glück hatte er jc schon so oft im Leben gehabt. Der Rückweg zur Grenze betruc dann höchstens noch 80 Kilometer Luftlinie, so daß er in eine, runden halben Stunde nach dem Start in Sicherheit sein konnte. Die Gefahr, in den Einöden Lapplands Menschen zr treffen, war dabei die allergeringste. Der Plan zeigte nicht die kleinsten Lücken, und nach dem Svantö noch vorsichtig seine Zigarette ausgedrückt hatte, schlief er ein. Ueber Leningrad senkte sich dunkle Nacht... „Stoi! — oder wir schießen...!" Am andern Morgen zählte der junge Offizier sein Geld Es hätte für eine Fahrkarte nach Udelnaza oder an der Sysderbäk gereicht, aber Svantö hatte genug vom Fahrkarten lösen auf den Sowjetbahnen. Sehr wahrscheinlich verlangt, man bei Fahrten in Richtung auf die finnische Grenze eben ¬ falls einen Ausweis — und die Grenze lief wahrhaftig nichi weit, knappe 40 Kilometer von Leningrad. Als sich sein Mechanikertrupp auf einer Autobusrundfahri nach Zar^skoje Selo befand, benutzte der Offizier die Gelegen heit, abzustecken. Mit fünf, sechs Scheiben Brot in der Tasche die er vom gemeinsamen Frühstück übrig behalten hatte machte er sich zu Fuß auf den Weg nach Sysderbäk am Fin nischen Meerbusen. Es war stockdunkel, als er erschöpft und durstig an, Rajajoki anlangte. Ruhig und still floß der kleine Fluß dahin In der Mitte lief ein Stachelzaun, teilweise zerfetzt — das war die Grenze. Jenes Ufer drüben, das er im Dunkel» schwach vor sich sah, war bereits Finnland, Land der Väter Heimaterde. Sowie er drüben war, wollte er seiner Fra» ein Telegramm schicken. Rechter Hand sprudelte ein kleine, Quell. Svantö beugte sich nieder und schlürfte gierig dat köstliche Naß. Dann krempelte er sich die Hosen hoch und trat in dar Wasser des Rajajoki. Tiefe Nacht lag um ihn. Er hatte fast den Stachelzaun erreicht, als urplötzlich eir Scheinwerfer aufzuckte. „Stoi! —Oder wir schießen!" gellte es dem Offizier ir die Ohren. Er drehte sich um. Hinter ihm sprangen drei Wachtposten ins Wasser und zerrten ihn zurück ans Ufer. Eine unbändig« Angriffslust erwachte in Svantö. Er.schlug den einen mu der Faust unter das Kinn, daß er taumelte und nach hinten über schlug. Dann sprang er zwischen den beiden anderen hin durch wieder in den Rajajoki. Drei-, viermal knallte es auf, dann sank der Verfolgt, nach hintenüber in das Wasser. Die beiden Rotarmisten griffen ihn unter die Arme und schleppten ihn ans Ufer. Durck die Schießerei und die Scheinwerferbeleuchtung war auch di, finnische Bewachung am gegenüberliegenden Ufer mobil ge worden und eilte herbei es war aber keine Hilfe mög lich. Verhaftung auf russischem Grund und Boden — nichst zu machen. Eine Viertelstunde später lag bereits wieder tiefe Nach über dem Rajajoki, und die Wellen des benachbarten Sysderdä! klatschten melancholisch gegen die Steine. Ein Mensch geschnappt, der nach Finnland wollte — kein Grund zur Aufregung — kam fast jede Nacht vor — Aufblenden, Schießen, Schreie, immer dasselbe immei dasselbe... Wenige Kilometer entfernt aber spielte im Grenz-Seebai Terijoki die Kapelle aus dem „Alkazar" in Barcelona zun Tanz auf. So dicht beieinander wohnen in dieser furchtbarer Gegend Verzweiflung und Vergnügen. In den Klauen des Gegners. Svantö lag 14 Tage an seiner Schußverletzung im Laza rett. Zum Glück war cs nur ein Streifschuß gewesen — linke« Bein — unterhalb des Knies — nicht weiter schlimm. Drei Tage später trat ein Mann mit dem Sowjetsterr auf der Mütze ins Zimmer und sagte: „Morgen fahren wir." Svantö wandte den Kopf. „Nach Moskau?" „Warum nach Moskau?" sagte der andere. „Zur G.P.U." „Nicht nötig", erwiderte der andere, „Ihr Fall ist bereit erledigt." „So —" Svantö stützte sich im Bett hoch — „so werd, ich freigelassen?"... Der andere lachte höhnisch. „Das nicht — aber Sn kommen dahin, woher Sie gekommen sind, Bürger!" „Was beißt das?" Svantö stockte der Atem. „Auf die Solowezki-Inseln! Ins Deportationslager de- Weißcn Meeres!" Svantö lachte schrill auf. „Unsinn! Ich bin ein finnische, Offizier, hören Sie?!" „Das wissen wir", entgegnete der andere kalt. „Ich verlange ausgeliefert zu werden", fuhr Svantö ir jagendem Tempo fort, „ich habe mich nur verflogen — mein, Maschine habe ich bei Kandalakscha Lersteckt — selbst de, tüchtigste Flieger kann sich einmal verirren — glauben Si, doch nicht, daß ich mich zu solchen lächerlichen und verwerf lichen Geschichten wie Spionage hergäbe — nie, sage ich Ihnen nie! — bringen Sie mich nach Kandalakscha, und ich werd, Sie von der Wahrheit überzeugen!" „Lieber Freund", erwiderte der Mann mit der unheim lichen Ruhe, „weshalb erfinden Sie sich keine besseren Trick°' Glauben Sie, daß wir wirklich so dumm sind, Sie naS Kandalakscha zu bringen, damit Sie uns unterwegs entwischet und Ihren Prozeß rn die Länge ziehen können? Sie sich rechtskräftig zu sieben Jahren Verbannung verurteilt.. „Wer — ich?" Svantö fuhr entsetzt im Bett hoch. „Lassen Sie doch den Unsinn" — der andere wurde jetz ungeduldig — „wir haben Ihren Steckbrief und erkannter sofort, daß Sie trotz geringfügiger Veränderungen der von dei Solowezki-Inseln geflüchtete finnische Leutnant Vaiissunei sind, der seinerzeit wegen Spionage zu sieben Jahren Zucht Haus verurteilt wurde. Reden Sie nicht — es ist zwecklos Morgen früh geht's ab." Und damit schlug er die Tür Hinte sich zu. Gleich danach kam er wieder zuruck. „Sie wissen ja daß Sie für den Fluchtversuch eine Zusatzstrafe von doppelte Höhe zu gewärtigen haben, aber wenn Sie auf den Insel« immer noch glauben sollten, ein anderer zu sein, als JH Steckbrief besagt, dann können Sie das dem dortigen Lager kommandanten melden und Einspruch erheben." Dami knallte er wieder die Tür hinter sich zu. Svantö lachte bitter. Einspruch erheben — in Moska« — Beweise antreten — Nachfragen durch die Konsulate Jahre mußten vergehen, ehe er aus der Verbannung befrei wurde. Wer sich einmal auf den Inseln befand, war au« ewig verloren ... Der junge Offizier fragte sich bitter, ol das vielleicht der geheime Zweck der Sache sei. Dann trat di Krankenschwester bin und erneuerte den Beinumschlag. Solowezki-Inseln lebendig begraben... Alexander Svantö kam auf die Hauptinsel, die mit dei Südspitze in die Onega-Bucht ragt. Hier befand sich dai Lager der männlichen Deportierten. Die Frauen waren auf den umliegenden kleineren Jnseli nntergebracht. Ein Wachtmann der G. P. U. wies Svantö seinen Schlaf Platz in einer Blockhütte an. Sie war im ganzen mit zwök Gefangenen belegt, die wie die Heringe zusammengepferch lagen. Stumm musterten sie den Neuangekommenen. Svant! packte sein Bündel Kleider in die Ecke und ließ sich vom Wacht posten, der heißen Tee ausschenkte, seinen Becher füllen. Nach denklich setzte er sich auf die Bettkante. Hier sollte er also sein Leben zubringen. Monate? Jahrei Ein halbes Leben vielleicht? Sein Blick glitt durch die offen« Tür. Draußen lag das Wasser, das Weiße Meer — jede Fluch ausgeschlossen. Nie kam ein fremdes Schiff hierher, oder abei unter schwerster Bewachung — nie setzte eine Menschenseel, hier ihren Fuß an Land. Lebendig begraben... Am nächsten Morgen schleppte sich der Trupp müde uni nicht satt geworden zum Holzfällen. Hunderte von Gefangener warteten bereits. Dutzendweise standen die Wächter mit der aufgepflanzten Bajonetten herum und umlauerten die Arbeits plätze. „Hei — anfangen, los! Los!" Die Gefangenen eilten ar ihre Sägewerkzcugc, und dann begann der endlose Tag. Und noch ein endloser Tag. Und noch einer. So fraß sich das graue Elend in das Herz des Vev bannten. Der Name Alexander Svantö war ausgelöscht, gan, ausgelöscht, und wenn ein Wächter etwas von ihm wollte dann rief er einfach: „He da, Nummer 776, komm mal her!" —- — (Schluß folgt.) Urbsberreckrsobutr!: l-üat lürras-Verlag, Halls (Lasls). s42 Schnell bestellte sie noch für die zwei ein schönes, reich haltiges Mahl und freute sich, als die kleine Verkäuferin dankend zusagte. „Für niemand hätte ich meine kurze Freizeit geopfert, nur für sie, weil sie es unbedingt wert ist", sagte Erna überzeugt. Sieglinde aber war schon aufgestanden. Sie drückte dem kleinen freundlichen Mädchen herzlich die Hand, nickte Kraus, der sich tief verbeugte, dankend zu und verließ dann schnell den kleinen Raum. Kurz darauf startete ihr Wagen, und nicht lange danach stand sie vor der Villa des Arztes. „Welche Ehre, gnädiges Fräulein! Aber stimmt daheim irgend etwas nicht?" Professor Ehmer wußte absolut nicht, wie er sich Sieg lindes Besuch erklären sollte. „Alles stimmt, Herr Professor", lachte Sieglinde. „Aber Ihre Neugier soll sogleich gestillt werden." Doch als der Professor sie in seine Privaträume führen wollte, wehrte sie hastig ab. „Wenn ich darum bitten dürfte, so halten Sie meinen Besuch ganz streng vertraulich." Sie waren inzwischen in sein Sprechzimmer getreten und Sieglinde ließ sich, neben dem breiten Schreibtisch des Professors in einem eleganten Sessel nieder. Der Professor sah sie voll Erwartung an. „Ehrensache, gnädiges Fräulein", sagte er mit leichter Verbeugung. „Also ich komme in einer etwas seltsamen Angelegen heit. Vielleicht — es ist ja nicht unmöglich — haben auch Sie schon davon gehört, daß Hartmut beim Ueberfliegen der europäischen Grenze irgendein Telegramm an ein einfaches Mädel geschickt hat, das er aber ehrlich liebt und unter allen Umständen heiraten will." „Ich erinnere mich, von meiner Frau etwas Aehnliches gehört zu haben", unterbrach der Professor eifrig. „Sie war ja gestern bei Frau von Krehler zum Tee, und..." „Dann weiß ich schon, Herr Professor." „Um so besser", lachte der Arzt. Gesellschaftsklatsch war ihm in tiefster Seele zuwider. „Also, ich habe Ihnen eben erzählt, wie die Dinge in Wahrheit liegen, und Sie werden verstehen, daß meine Eltern nicht so ohne weiteres zu dieser Heirat ihre Ein willigung geben, zumal bereits von anderer Seite dafür gesorgt ist, daß dieses einfache Mädchen von der schlech testen Seite geschildert wurde." Der Professor war sofort im Bilde. Nach Meinung der alten Herrschaften war der einzige Sohn im Begriff, die größte Torheit feines Lebens zu begehen, indem er ein Mädel aus den untersten Kreisen heiratete. Da wurde nun nach besten Kräften gebremst. Gott — einerseits war das aber doch ganz verständlich. Er begriff Sieglinde von Camprath auch nicht sofort, die sich anscheinend für den Bruder einsetzen wollte. Aber was in aller Welt hatte denn er selber damit zu tun? Doch da horchte er auf. „Aber dieses Mädchen, Herr Professor, ist — Ihre Patientin! Und da ich Weitz, daß Sie nicht nur ein vorzüglicher Arzt, sondern ein ebenso ausgezeichneter Menschenkenner sind, wollte ich Sie einmal über das junae Mädchen befragen." Sieglinde sah den Professor ans ihren klugen dunklen Augen an, die in ihrer unverkennbaren Energie merk würdig an die ihres Bruders erinnerten. „Und wer ist jenes junge Mädchen?" Der Professor war aufs höchste gespannt „^zrmingart von Schadow." „Mein Gott!" Professor Ehmer schlug mit der Faust auf den Schreib tisch, daß es höchst gefährlich krachte. Sieglinde von Camprath aber war ganz in Erwartung seiner Antwort. „Mein Gott!" Der Professor sagte es noch einmal, aber auf seinem Gesicht lag ehrliche Freude, und ein so warmer Strahl kam aus seinen Augen, daß Sieglinde seltsam der- wundert war. Was für ein merkwürdiges Mädchen mußte diese Jrmingart von Schadow nur sein, daß alle Gesichter auf leuchteten, wenn ihr Name fiel? „Na, das scheint ja eine kleine Hexe zu sein, die alle Menschen bezaubert. Außer Hartmut sind Sie nun schon der dritte, der strahlt, sobald nur ihr Name fällt", sagte Sieglinde von Camprath da in ihrer etwas herben Art. „Eine kleine Hexe..." Ein wehmütiges Lächeln glitt über Professor Ehmers feines Gesicht. „Ich glaube, eher wohl eine kleine Heilige", sagte er schwer, und sein Blick ging während dieser Worte seltsam nach innen. „Aber jetzt wird mir auch manches klar. Sie lag viele Tage nach dieser bösen Gehirnerschütterung in furchtbaren Fieber- Phantasien, und da — ich erinnere mich jetzt ganz genau — rief sie manchmal ganz verzweifelt einen Namen." Der Professor sprach Hartmuts Namen in seiner taktvollen Art nicht aus. „Freilich — nun wird mir manches klar. Sie hatte unendliche Kraft in sich, wie sie Wohl nur eine ganz große Liebe geben kann, die sie wie ein Wunder wieder gesund werden ließ. Ich hatte, offen gestanden, bei ihrer sehr geschwächten Konstitution das Schlimmste erwartet." Sieglinde war von des Professors Worten tief bewegt. Diesem großen Menschenkenner konnte sie blind vertrauen. Nun war ihre Mission schneller erledigt, als sie gedacht, und noch heute konnte sie Hartmut eine frohe Botschaft bringen. Aber wie leicht hätte es auch anders sein können!, dachte Hartmuts Schwester erschauernd. Da überraschte der Professor sie mit einem seltsame» Vorschlag. (Fortsetzung folgt)