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Nr. 37 — 94. Jahrgang Wilsdruff-Dresden Telegr.-Adr.: „Tageblatt* Postscheck: Dresden 2640 Mittwoch, den 13. Februar 1935 Der abWnifche KonMI National Tageszeitung für Landwirtschast und Das .Wilsdruffer Tageblatt" erlcheini an allen Werkiagcn nachmiltags e Utzr Bezugspreis monatlich 2,— RM. teei Haus, bei Postbestellung >.M RM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Rplg. Alle Bostanstaltcn und Post boten, unlere Austräger u. ,, Gcichästsstclle, nehmen zu jederzeit Bestellungen ent- W0MeNbIatt für WtlsdrUfs U. UMgegeNd gegen. Im Falle höherer Gewalt !vd. sonstiger Betriebsstörungen besteht kein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. Rücksendung eingesaudter Schriftstücke ersolgt nur, wenn Rückporto beiliegt. alle anderen Stände des Wilsdruffer Bezirks 'men"mI°L S ° kNspltchkl t Amt Wilsdruff N-. 6 Ln'Ln^Ü^^^I erlischt, wenn der Bewag durch Klage eingezogen , werden mutz oder der AustrL-?°ch"L Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amiskauvtmannschalt MeiKeü do« rat- zu Wilsdruff, des Forftreut-Mt- Tharandt und de- Finanzamt- Noffen behördlicher^ Zündstoff in Ostafrika. Es scheint, als ob in Afrika ein Pulverfaß hochgehen soll — kein Mensch kümmert sich, wenn es hart aus hart geht, um die mit steifen Beamten und würdigen Repräsen tationsgreisen besetzten Büros des sogenannten Völker bundes, die Mitglieder so wenig wie die Nichtmitglieder. Italien hat es zur Zeit mit Abessinien. Nicht erst seit heute und gestern, auch nicht erst seit dem ver gangenen Herbst, als die Italiener ihre Somaligrenze gegen Abessinien militärtechnisch erheblich zu verstärken be gannen. Italien hat dort an der ostafrikanischen Küste einen Wunden Punkt in seiner Kolonial geschichte. 1885 besetzte es, ohne zunächst Widerstand zu finden, den Küstenstreifen von Erythräa. 1896 aber wurde bei Adua ein italienisches Heer von den Abessiniern in einer mörderischen Schlacht bis auf den letzten Mann niedergemacht. Das hat man in Italien nicht vergessen. Gleichzeitig mit Erythräa war südöstlich ein Teil der Somaliküste von den Italienern besetzt worden. Von diesem Küstenstreifen aus erfolgte dann 1 9 26 die Besetzung der wichtigen Oase Ualual, wiederum ohne abessinischen Widerstand. . Erst am 5. Dezember 1934 kam es dort zu dem bekannten Grenz zwischenfall, als einer englisch-abessinischen Grenzfest setzungskommission das Betreten der Oase von dem italie nischen Kommandanten verboten wurde. Es kam dann wiederholt zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den italienischen Kolonialstreitkrästen und abessinischen Grenz stämmen, beiläufig zur selben Zeit, als sich gerade König Viktor Emanuel auf einer Besichtigungsreise in Somali land befand. Der Flecken Ualual liegt rund 100 Kilometer weit drinnen im eigentlichen abessinischen Gebiet, also etwa zwei Tagemärschs von der italienisch-abessinischen Grenze entfernt. Freilich — und das ist der eigentliche Anlaß des ganzen kriegsdrohenden Streites — die ,;Grenze", die da auf der Karte mit einem schönen graden Strich eingezeichnet ist und die beiderseitigen Gebiete fein säuberlich trennt, ist in Wirklichkeit noch garnichtvor- Händen. Aus europäischen Verhältnissen sind wir es ge wöhnt, eine Grenze zwischen zwei Staaten sozusagen bis auf den Zentimeter genau abgezirkelt und durch Grenz steine, Schlagbäume usw. (eventuell auch durch Stachel drahtverhaue wie zwischen Polen und Litauen) völlig ein wandfrei markiert zu finden. Dort in dem strittigen Ge biet ist die „Grenze" bisher nur eine angenommene Linie, die in einer ungefähr bestimmten Gegend irgendwie durchdieWüste, teilweise durch die Steppe läuft. Um diesem übelstand abzuhelfen, der aus gering fügigem Anlaß zu einem Kriege führen kann, hatte in den letzten Monaten England wiederholt beide Parteien gedrängt, die Grenze genau festlegcn zu lassen. Abessinien kann darauf verweisen, daß Ualual unzweifelhaft auf seinem Gebiet und, wie gesagt, etwa hundert Kilometer von der angenommenen italienischen Grenzlinie entfernt liegt. Italien beruft sich darauf, daß es schon seit 1926 unangefochten diesen Stützpunkt unterhält. Man ist auf beiden Seiten nicht müßig gewesen. RasTafari,der Beherrscher Abessiniens, Kaiser von Äthiopien genannt, betreibt seit dem Herbst vergangenen Jahres die Moderni sierung seines Heeres, das man auf etwa 100 000 Mann, 300 Maschinengewehre, 150 Geschütze und eine geringe Anzahl Tanks und Flugzeuge schätzt; es hat ein Gebiet von einer Million Quadratkilometer mit etwa zehn bis fünfzehn Millionen Einwohnern zu schützen. Seit dem Herbst hat Italien auch erhebliche Mengen Kriegsgerät in Somali massiert, hat Vorräte für große Truppenmengen in Tripolis und in den süditalienischen Häfen bereitgestellt und die Truppen in Somali verstärkt. So war es nicht weiter verwunderlich, wenn Italien schon bei den ersten Zwischenfällen um Ualual in einem menschenleeren und straßenlosen Gebiet mit einem bedeutenden Aufwand von modernen Kriegsmitteln aller Art, einschließlich starker Bombengeschwader, auftreten konnte. Freilich weiß man auch in Rom sehr gut, daß ein Krieg gegen Abessinien selbst unter den heutigen technisch stark verbesserten Verhältnissen für Italien ein sehr zweifelhaftes Abenteuer bleibt: es hätte seine Operationen auf eine Entfernung von mindestens 4000 Kilometer Luftlinie zu führen; seine dortigen Kolonial truppen bestehen vorwiegend aus den Erythräcrn, die mit den Abessiniern stammverwandt sind und also militärisch auf keinen Fall als zuverlässig anzusehen sind; der Gegner besteht aus den freiheitliebenden, stolzen, körperlich ge stählten Gebirgsstämmen der abessinischen Hochebene, denen überdies das zerrissene, von tiefen Taleinschnitten durchzogene Gelände zu Hilfe kommt, das gegen Orts unkundige leicht zu verteidigen ist. Es ist zum mindesten eine große Frage, ob sich die italienische Regierung auf ein Experiment von derartig zweifelhaftem Ausgang unter den heutigen, höchst unge klärten Verhältnissen in Europa einlassen wird. Freilich, Italiens Expansions- und Kolonialwünsche sind 1919 durch die Friedensverträge genau so unbefriedigt geblie ben wie seine Forderungen an der dalmatischen Küste, und es hat aus seinen Absichten gegenüber Abessinien Italiens Mobilisierung. Der Völkerbund in Nöten. Sowohl das englische als auch das französische Aus wärtige Amt sind mit einer diplomatischen Aktion befaßt, um zu verhindern, daß der italienisch-abessinische Streit in einen bewaffneten Konflikt ausartet. Um des Ansehens des Völkerbundes willen möchte man vermeiden, daß ein Klageantrag Abessiniens, der bereits bei der letzten Genfer Tagung nur mit Mühe verhindert wurde, jetzt wiederholt wird. Man fürchtet allerdings, daß Abessinien im gegenwärtigen Fall auf eine öffentliche Klage be stehen wird. * Oie Kampfkraft Abessiniens Nach in London vorliegenden Meldungen soll der abessinische Geschäftsträger in Rom erklärt haben, wenn Italien wirklich die Absicht habe, Krieg gegen Abessinien zu führen, so stehe es fest, daß die Abessinier ihr Land bis aufs äußerste vertei digen und Italien zwingen würden, seine Grenzen zu achten. Der Geschäftsträger hob hervor, daß Abessinien 800 000 Mann unter Waffen stehen habe und diese auf eine Mil lion erhöhen könne. Außerdem habe es moderne Waffen in Europa gekauft, besitze allerdings keine Tanks und Flugzeuge. In amtlichen englischen Kreisen sieht man die Lage nicht für so kritisch an, wie sie aus den Meldungen über die italienischen militärischen Vorbereitungen erscheinen müßten, und man gibt sich nach wie vor der zuversicht lichen Hoffnung hin, daß die italienisch-abessinischen Ver handlungen wieder ausgenommen werden, bevor sich die Verhältnisse noch weiter zuspitzen. Kein italienisches MimtM m Abessinien. London, 13. Februar. Die italienische Botschaft in London Hal dem Neuterschen Büro mitgeteilt, das; lein Ulti matum an Abessinien abgeschickt worden sei und daß die un mittelbaren Verhandlungen fortgesetzt würden. Nach einer Reutermeldung aus Rom wird dort an amt licher Stelle betont, daß keine bemerkenswerte Entwicklung in den in Addis Abeba geführten Verhandlungen zu verzeichnen sei, und daß die Meldungen über einen ganz bestimmten Cha rakter der von Italien vorgelegten Forderungen unrichtig seien. Es wird nachdrücklich versichert, daß die Mobilisierung zweier Divisionen eine der Verteidigung dienende Vorsichtsmaß nahme sei. . * England wünscht direkte Verhandlung Italien—Abessinien. Der englische Botschafter bei Snvich. Über die Entwicklung des abessinisch-italie nischen Konfliktes zeigt man in italienischen poli tischen Kreisen vorerst größte Zurückhaltung. Mit Nachdruck wird betont, daß Italien gern bereit sei, eigentlich nie recht ein Hehl gemacht: schon 1926 schloß es mit England ein förmliches Abkommen über die Aüs- teilung Abessiniens in zwei Interessensphären, Musso- lini schickte den „Marschall der Lüfte", Italo B a l b o , als Gouvernenr nach Libyen, und erst vor kurzem lreß er den General deBono, einen der führenden Männer des Marsches auf Rom, zum Kommissar über die ost afrikanischen Kolonien und sich selbst zum Kriegsminister ernennen Aber es bleibt schon allein ans finanziellen Gründen zweifelhaft, ob Italien sich um der Vereinigung zweier auseinanderliegender Kolonialieile willen in kriegerische Abenteuer so weit entfernt vom Mutterlande stürzen kann, ohne seine Währnng und den inneren Au'- bau zu gefährden. Die pessimistische Rückwirkung an der Börse besagt genug. Unterdessen ist man in Genf ebenso ratlos wie ver wirrt: genau wie 1930 im Fall Schanghai, genau wie in Südamerika, genau wie an der sibirischen Grenze ist eine Völkcrbundsmacht ohne Kriegserklärung, ohne Forma litäten zu kriegerischen Aktionen übergegangen — was heißt hier Völkerbund, was heißt hier Kellogg.Pakt! —, nnd der Genfer Rat fürchtet nichts mehr, als daß er in der Februarsitzung außer der Saarrückgliederung auch noch das verdammt heiße italienisch-abessinische Eisen ankallen soll, V. A. R. direkte Verhandlungen mit Addis Abeba zu führen, auch an den guten Willen des Kaisers von Abessinien glaube, aber Zweifel darüber habe, daß er über die nötige Auto- rüät verfüge, um auch für die Grenzstämme bindende Ver pflichtungen einzugehen. Die unmittelbaren Verhand lungen sollen, wie hinzugefügt wird, sowohl die Schaden ersatzansprüche Italiens als auch die seit Jahrzehnten un geregelte Grenzfcstsetzung betreffen. In bezug auf den letzteren Punkt erstrebt Italien zunächst die Bildung vo n n e u tr a l e n Z o n en, um die Möglichkeit weiterer Zusammenstöße auf ein Mindestmaß einzuschränkcn. Es wird bekannt, daß bei einer Besprechung zwischen Suvich und dem englische« Botschafter Sir Eric Drummond dieser im Name« seiner Regierung den Wunsch nach der sofortigen Aufnahme unmittelbarer Verhandlungen zwischen Abessinien und Italien zwecks Beilegung der be stehenden Schwierigkeiten ausgesprochen hat. Auch die italienische Presse verhält sich vollständig ab wartend, bekundet aber das lebhafteste Interesse für das Echo der Weltpresse über die von Italien getroffenen vor bereitenden Vorsichtsmaßnahmen. * Ser MWW EtMstlSm lii Rom OM nicht on einen Krieg. London, 13. Februar Reuters Vertreter in Nom hatte eine Unterredung mit dem abessinischen Geschäftsträger Af- work, in der dieser erklärte, er persönlich glaube nicht, -aß es zu einem italienisch-abessinischen Krieg kommen werde. Nach seiner Ansicht sollte es möglich sein, die Angelegenheit aus friedlichem Wege zu regeln. Der Geschäftsträger gab jedoch zu verstehen, daß seine Regierung alle „unvernünftigen" Forde rungen nach wie vor entschlossen ablehnen werde. Die Lage ist so, sagte Aswork nach der Reutermeldung weiter, daß in dem Falle, daß die Italiener auf einer Entschädigung sür den Zwi schenfall von Ualual ausdrücklich bestehen sollten, und daß die italienische Regierung an dem Standpunkt sesthielte, das Gebiet bis Ualual gehöre ihr, eine Regelung auf einer solchen Grundlage zwischen Abessinien und Italien unmöglich wäre und wir an den Völkerbund appellieren müssen. * Oer gute Onkel in Genf und die bösen Buben. Das verstimmte „Friedensinstrumcnt". Die in Florenz und Messina durch Mussolini zu sammengezogenen zwei mobilen Divisionen, die ge gebenenfalls gegen Abessinien eingesetzt werden sollen, stehen noch Gewehr bei Fuß. Die britische Negie rung hat Italien und Abessinien aufgefordert, unver züglich in direkte Verhandlungen über den Grenzkonflikt einzutreten. In der Zwischenzeit sollen beide Teile weitere Konflikte vermeiden. Man hofft in englischen Kreisen, daß die Lage durch Einschaltung des Völker bundes vor einer weiteren Verschärfung bewahrt wer den könne. In Frankreich teilt man diese Hoffnung aller dings nicht ganz. Man fürchtet dort, wohl nicht ganz mit Unrecht, daß Genf, nachdem es schon machtlos habe zu lassen müssen, daß China und Japan, daß Boli vien und Paraguay kämpfen, nun auch noch werde znsehen müssen, wie Italien und Abessinien sich schlagen, wodurch die Wertlosigkeit dieses „Friedensinstruments" schon wieder einmal in Erscheinung treten dürfte. Mussolini hat erklärt, daß er bei weiteren Angriffen Abessiniens Zuschlägen müsse, und ob sich die Übergriffe abessinischer Truppen durch einen Spruch des Völker bundes oder durch diplomatische Verhandlungen werden verhindern lassen, darf füglich bezweifelt werden. Die örtlichen abessinischen Häuptlinge tun, was sie wollen, und von einer Regierung, der es nicht gelingt, ihre Stammesmitglieder in Zaum zu halten, kann man schwerlich erwarten, daß sie den Streitkräften ihrer selb ständigen Häuptlinge und ungenügend unterworfenen Stämme strenge Disziplin auferlegt. Der Kaiser von Abessinien hat sich auch durch seine Bemühungen, die Sklaverei abzuschaffcn und die Macht des Adels zu beugen, viele Feinde gemacht, die nur zu froh sein wer den, ihn in weitere Schwierigkeiten mit Italien zu ver wickeln Wenn diese Verwicklungen eintreten, wird dann Mussolini seine Divisionen antreten lassen zu einem Feld- zug, der sowohl militärisch wie politisch ein Aben- teuer bedeutet? Ganz abgesehen davon, daß jetzt rn Abessinien bald die Regenzeit beginnt, die Operationen umfangreicher Art unmöglich macht, kann Italien, dessen finanzielle Lage nicht die beste ist. aus einem kernen