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Bei Sammetenten und Polarseetauchern / Don W. vonSa nden - E-uja. Der stille See, im Sommer so friedlich mit seinen dunkel grünen Schilfrändern, träumenden Inseln und blauen Wasser flächen, ist jetzt ein großes, schwarzes Meer geworden. Regen güsse haben ihn so anschwellen lassen, daß'die Wellen wei über die Ufer in das Land rollen. Die Schilfränder sind faf versunken. Mein Fischerboot gleitet lautlos, von den hohen Wasser« des Flusses getragen, stromab zum See. Ein schöner trockene« Kahn ist es, von dem Platze gesehen, auf dem ich sitze. Vor außen aber sieht er aus wie eine der schwimmenden Schilf inseln, die jetzt bei dem hohen Wasscrstand überall auf den See vor dem Winde treiben. Das Wasser hob sie hocy, de« Wind riß sie los, und nun segeln sie umher, Kolbenschils hohes Nohr und manchmal auch einen Weidenbusch aus sick tragend. Immer langsamer wird meine Fahrt, je näher ich zun See komme. Der Fluß ist aus den Ufern getreten, die Wieser sind weite Wasserflächen, und nur langsam zieht der Strom Vom See her höre ich den kurzen Hellen Ruf von Schellenten dazwischen die mir unbekannte Stimme eines Wasservogels Es muß auch eine Ente sein. Zu sehen ist bei dem dichter Nebel noch nichts. Der See liegt so still, daß neblige Luft mü Master nicht voneinander zu unterscheiden sind. Meine Absicht ist, ein Schellentenweibchen zu erbeuten das mir noch in der Sammlung fehlt. Jetzt denke ich abe« kaum noch daran. Die tiefe, unbekannte Stimme, die fast ar eine Saatkrähe erinnert, ganz bestimmt aber von der nebliger Wasserfläche kommt, erregt meine ganze Aufmerksamkeit. Meir Kahn treibt auf dem See. Verschiedene Enten sehe ich im Nebei auf der unbewegten Wasserfläche. Es scheinen Schellenten zr sein; sie beachten mich in meiner Schilfiusel nicht. Einig« schwimmen mir entgegen, so nahe, daß ich ihr schon fertiget Prachtkleid bewundern kann. Herrlich sehen die Männchen aut mit dem grünglänzenden Kopf und den Weißen Backen. Du Schwarz- und Weißtöne Pasten gut zu der winterlichen Land- schäft. Ich schieße nicht — weiter draußen ist immer noch di« tiefe Stimme zu hören ... Die Fahrt wird langsamer, aber weit kann es nicht meh« sein. Ich glaube zwei sehr dunkle große Enten zu erkennen Mit dem Glase sehe ich besser. Noch nie bemerkte ich dies« Vögel hier. Doch weiß ich bald, was ich vor mir habe. Et können nur Sammetenten sein. Trauerenten sind es nicht, di« haben nicht den Weißen Spiegel, und etwas anderes komiw nicht in Frage. Jetzt bin ich nahe gering heran und zögere nicht mit den Schuß. Beide Enten sind unter Wasser verschwunden, nack langer Zeit taucht die eine weitab auf und fliegt davon, danr kommt die andere hoch und bleibt tot auf der Oberfläch« liegen. Wie ich sie in der Hand halte, sehe ich, es ist wirklich eir altes Sammetentenweibchen. Langsam rudere ich mit meiner Schilfinsel die Mündnng hinauf in meinen Hafen. Zun erstenmal sah ich heute Sammetenten auf diesem See. Zr Tausenden bewohnen sie Sibirien und kommen zur Winters zeit gern an unsere Ostseeküsten, meinen tief im Lande ge legenen See freilich, der ihnen vielleicht auch zu seicht ist suchen sie nur selten ans. Sturmtage folgen und wieder stilles Wetter mit dichten den ganzen Tag lagernden Nebelschleiern. Mit den Fischerr bin ich auf dem See. Ich will nicht schießen. Gewiß ist ei meistens aut, die ganze Kraft auf ein bestimmtes Ziel zr richten, aber dazwischen sind auch Stunden und Tage not wendig, da man den eigenen Willen zurückstellt und sich auf schließt für die unendlich vielen Eindrücke, die Natur unk Leben bieten. Neue Ausblicke, neue Ziele und Wege eröffnen sich, und wie die Natur immer jung bleibt, immer in Be- wcgung und Entwicklung, so geschieht es daun auch mit den eigenen Geist ... Die Fischer ziehen heute mit dem großen Garn. De« ganze Vormittag vergeht bei einem Zuge. Ich habe kein« Arbeit, sitze in einem der beiden Windenkähne und sehe, wi« die Leine dünn wie eine dunkle Linie aus dem Wasser auf- tanchend durch die Neöelluft zu mir läuft, wie die Wind« immer voller wird, dann wieder alle Leine hergibt, wenn de« Kahn nm eine Lcinenläuge weiterfährt ... und dann beginne dasselbe Spiel von neuem. Der Tabakrauch der Fischer misch sich mit dem Teer- und Wassergeruch. In grauweißer Unend- lichkeit verschwimmen die Ufer, und nur das Knarren dei Winden, das Läuten vorüberziehender Schellenten durchbrich die Stille. Einmal ist auch das Singen von Schwanenflügelr in der Luft. Stunden verrinnen. Als der Zug zu Ende und ein halbe« Kahn mit schönen großen Fischen gefüllt ist, fahren wir fas! eine Stunde lang zu eine««« ganz anderen Teil des Sees hin. I« einer Bucht taucht eine Schwanenfamilie auf, zwei schnee. weiße Alte und fünf graue Junge. Sie wenden sofort uni verschwinden, die Hälse hoch aufrichtend, geheimnisvoll in Nebel. An einer Insel fahren wir vorüber. Hier ist der Sei tiefer als sonst. Bor nns schwimmt ein großer Vogel auf den Wasser. Er taucht, kommt dicht vor unserm Boot hoch uni taucht sofort wieder. Ein großer Taucher schien es zn sein Sechzig Schritte vor nns erscheint er an der Oberfläche... eir Polarseetaucher. Er schwimmt genau vor uns her, den Kost mit dem spitzen Schnabel zur Seite drehend, beobachtet er uni scharf, bereit, bei dem geringsten Verdacht unterzutauchen. Die großen Seetaucher lieben nur freies Wasser. Dov fühlen sie sich sicher und sind sich im Tauchen ihrer Kraß bewußt. Schilf, Rohr und Binsen, in dem alle unsere Süß- Wasservögel sich so gern verstecken, bleiben den Seetauchcr« und Seenten unheimlich. Der Polarseetaucher hat seine Stärk« im Tauchen, und wenn das nicht hilft, fliegt er. Aber auck dazu braucht er freies Wasser. Er kommt schwer hoch und Hw einen langen Anlauf nötig. Als wir uns einer engen Stell« des Sees nähern, wo das Schilf von beiden Ufern weit hinein wuchert, taucht der fremde Vogel unter unsern Kähnen durck und kommt weit hinter uns als kleiner dunkler Fleck im graue« Nebel hoch. Auch der zweite Fischzug bringt guten Erfolg. Dann Vev senke«« die Fischer Netz und Leine«« im kalten Wasser; an nächste«« Tage wird hier weitergefischt. Wind ist aufgekommen wir setze«« Segel und fahre«« nach Hause. Durch den Nebei leuchtet die matte silberne Scheibe des Mondes. In den Rohv Wäldern flüstert der Wind. Außenbords glucksen klein« Weilchen, und immer noch ziehen Schellenten hoch durck die Luft. Der BrunnenimM. Skizze von Arnhold Krieger Herr von Meinhardt klappte das beleibte Gutsjournal zu dessen letzte Eintragungen er überprüft hatte. Er ging in« Schlafzimmer, um dort seine TageSweste mit einer absonder lichen Pelzweste zu vertauschen. Sodann trat er vor der Spiegel und ordnete feierabendlich das volle graue Haar. Ei war eine alte Gewohnheit, die längst überflüssig geworde« schien, denn Gäste kamen fast nie. Der Gutsherr litt'an jene: Menschenscheu, die im Grunde nichts anders ist als verharscht« Sehnsucht nach Menschen. Er.ging in die Veranda, setzte sich wie jeden Abend in der Korbsessel, zündete eine Zigarre an und rief leise: „Titelituri!' Alsbald kain eine große Zypernkatze mit schwarzen Quer streifen langsam und mauzend herangepfotet. Sie schwang sick ihm auf die Knie und begann ermunternd zu schnurren, bis e« über ihr Fell strich. Titelitnri. Das Wort nahin sich seltsam aus in dein vcr kniffenen Munde des ernsten alten Herrn. Er hätte den Na- men auch nie so laut gerufen, daß es jemand vom Gesinde ode« überhaupt irgendwer hätte hören können. Nicht er selbst Haiti die Katze so getauft, sondern Aber dies hing mit de« Trauer zusammen, die nm seine Gestalt war, hing zusammen mit seiner Menschenscheu und Menschensehnsucht. „Titelituri, Titelituri", sagte er und suchte eine ander« Stimme herauszuhören. Da schrak er aus seinem Grübelr empor. Er gewahrte einen jungen Mann, dessen Herankom- men er überhört hatte. Es war der Gehilfe der Postaqentu« mit einem Eilbrief. , Herr von Meinhardt gab fünfzig Pfennig Lanfgeld. Alt er jedoch die Schrift gesehen hatte, fügte er ein Dreimarkstück hinzu. Der Brief war von seiner Tochter Jutta. Der Gutsher« tat einen langen Atemzug. Warum schrieb sic auf einmal wieder? Seit sie damal- vor zwei Jahren nach Wien abgereist war, um dort ihr reich lich planloses Studium zu beginnen, hatte er sie nicht wieder gesehen. Gewiß, es war hier vom äußersten Ostpreußen Ki nach Wien keine geringe Entfernung, aber Juttas Hinwei darauf war seinem Gefühl nach ein Vorwand gewesen. De« einzig überzeugende Grund lag in ihrer Natur, die ein gui Teil des Unsteten und des Welthungers ihrer Mutter über nommen hatte. Jutta nahm, ohne ihn mit Dankesansbrüchen zu behelligen, seine väterlichen Monatsspenden gelasten ent gegen. Auch Karin war voi« dieser Vergeßlichkeit und Selbst sucht gewesen. Sie hatte Christian von Meinhardt auf ihre Weise, ihre betörende Weste geliebt, und gerade deshalb hatte sie ihm nicht Hausmannskost werden wollen, wie sie es nannte. Nun konnte er doch nicht länger seine Spannung be- meistcrn. Er schaltete das Licht an und las: „Mein einzige« Pappi!!! — Ich hab Sehnsucht, unbändiae Sehnsucht! Nack Dir, nach unserm Gut, nach der Ginsterheide, dem Weißklee, rasen, nach Titelituri, nach der alte«« Rufglocke unter den drolligen Robrdäcklein. aerade an sie bad ich >o okt denke« müssen! Ich hab lang nichts von mir hören lassen. Das wa« wohl unrecht von mir. Aber ich wollte Dir immer mal einer anständigen Brief schrecken; es fehlte mir stets an innerliche« Sammlung. Du bist nicht böse, gelt? Du kennst doch Dein« Jutta, ich werde Dich dafür auch bald schön bemuttern un! betochtern. Dies wird wieder kein vernünftiger Brief. Es iß so viel zu erzählen, da müßte man schon eine ganz, ganz lang« Feder haben, na, und ich liege ja bald in Deine«« Arinen, Pappusch! Also ich komme am Dienstag mit dem Nachmittagszuge. Richard soll mit dem Auto zur Bahn. Du sollst nicht auf der Bahnhof kommen. Ich möchte Dich so gerne dort Wiedersehen, wo ich das letzte Mal eine ganz herrliche Stunde mit Dir er lebt habe. Du weißt schon, ich meine den alten Brunnen- winkel hinter dem Parktor. Du warst so ganz anders als sonst Vati, so ganz weich und erschlösse««, fast lyrisch. Du sprachst von Mutter, Du nanntest sie Karin und sagtest, daß ich ih« gleiche, das war alles so traumhaft schön. Jcy schäme mich ein bißchen, das aufzuschreiben, aber ich will doch meinen Wunsch begründen. Nicht wahr, Vati, Du erfüllst ihn mi« und erwartest mich dort? Ich muß eben iinmer Regie führen, das macht das Erbe meiner Mutter Karin, deren Vater uu! Bruder ja Schauspieler sind. Ich bring Dir auch etwas Schönes mit, ein Reiseandenken, das Dir hoffentlich willkom men jein wird. — Es küßt Dick Deine Autta." Herr von Meinhardt'saß zärtlich bestürzt da. Oh, faß zu plötzlich geschah dieses Geschenk! Ihm wurde siedend heiß vor Glück, er zog die Pelzweste aus, er pfiff einen verjährten Schlager, er schrie: „Mensch, Titelitun, mach keine Lippe! Weißt Du denn nicht, wer kommt?" Am nächsten Morgen zeigte sich der sonst so wortkarge Mann verschwenderisch liebenswürdig. Es zog ihn in den Brunnenwinkel. Er sank auf die alte, knorzige Bank. Schloß- mauer und Parkmauer stießen hier efeuverkleidet zusammen, und um das schmiedeeiserne Gitter rankten Träume. Wie lang wohl schon mochte der alte Ziehbrunnen seinen rostigen Schlas hallen! Hier hatte es sich damals vor zwei Jahren ereignet, daß der Anblick Juttas über ihn gekommen war wie der einer anferstandenen Karin. Es stand alles brennend klar vor seiner Seele. Sie trug an jenem Tage eine fremdartige Frisur, die heimwehsüß an die früheste Karin erinnerte. Das blonde, wolkige Haar duftete stark nach Akelei. In der rechten Hand schaukelte ein goldgelber Seidenhut mit einer zyklamenroten Samtschlcife... Er schritt alle Wege ab, die Jutta besonders liebte. Hier an der Findstngsmauer hatte sie einen Schmollwinkel, uin dieses voi« Stauden eingerahmte Becken hatte Karin getanzt, auf dieser Rasenbank hatte Jutta so gerne nach dem Regen gesessen, es hatte oft einen kleinen Streit deswegen gegeben. „Du wirst Dich erkälten. Kind!" — »Bewahre!" ..Du bist ungehorsam, Liebling." — „Du bist frech, Vati." Und dann lachte sie eine'silberne Tonleiter. Am Nachmittag stieg seine Erwartung fieberhaft. Schon ganz früh begann er, sich zurechtzumachen. Er kleidete sich viel zu jugendlich. Die flammende Krawatte besonders war für ihn eigentlich unmöglich, aber sie stammte von Juttas höchst eigener Hand. Viel zu früh schickte er Richard mit dem Auto ai« die Bahn. Viel zu früh stieg er auf den Auslughügel. Immer wieder hob er vergeblich das Fernrohr an die Augen. Er hätte vielleicht doch lieber an die Bahn fahren sollen. OK sie es etwa trotz ihrer Bitte erwartete? Nein, sie wollte ihn im Brunnenwinkel begrüßen. Es war ihr unzweifelhafter Wunsch. Ein vernünftiger und vielleicht auch weiser Wunsch. Sie hatte von jeher so törichte und betörende Wünsche gehabt. Ein Ruck lief durch seine Gestalt. Wo sich die Straße aus dem Walde ins Tal senkte, war soeben ein bewegtes kleines Etwas, sein Auto aufgetaucht. Er hob erregt das Fern glas. Er schaute mit saugendem Blick, aber plötzlich sank seine Hand wie gelähmt hinunter. Noch einmal riß er das Glas hoch. Nein, er hatte sich nicht geirrt. Er zog Juttas Brief aus der Herztasche seines Jacketts, verschlang den letzten Satz wie einen vergifteten Bisten: Ach bring Dir auch — etwas — Schönes — mit, — ein — Reise andenken, — das Dir hoffentlich willkommen sein wird...? Herr von Meinhardt nickte mehrmals stumm. Er ging hastig ins Gutshaus, schickte das Küchenmädel nach Bier und Zigarren. Dann begab er sich mit schleppenden Schritten in den Park zurück, setzte sich in den Brunnenwinkel, fröstelte ein wenig, und erst, als er das Auto schon heranknirschen hörte, erhob er sich schwerfällig und zwängte ein Lächeln in sein Gesicht. Die Brüder. Skizze von Hans-Eberhard v. Besser. Spärlich flimmerte die Sonne über den Wipfeln de« Bäume, die der lose Wind schon geplündert hatte. Rascheln! tanzte das bnnte Laub über die Wege der Parkanlagen Gärtnerburschen waren dabei, die Beete zuzudecken. Langsam wanderte der alte Rüdiger den vom Laub wi« mit bunten Tupfen bestreuten Weg herauf, gewohnheitsmäßig bog er ein, nahm die Richtung auf die Bank zu, auf der er du Vormittagsstunden zu verbringen Pflegte. Gleichmäßig klang das Aufschlagen der Stockzwinge in der Schritt des alten Mannes, der mit nachdenklichen Augen dahin ging. Nun war er an seiner Bank angelangt, die der warm« Glanz der Herbstsonne umgoldete. Da stutzte er, seine Stirr zog sich in Falten. Seine Bank war besetzt — seine Bank, Li« Bank, ans der er seit Jahren saß, und noch dazu von Kinder« besetzt. Der Alte zögerte sekundenlang, als überlege er, ob e> nicht doch eine andere Bank — doch nein, er war ein Mani der Ordnung, der Regelmäßigkeit, ein Mann von Grundsätzen, dies war seine Bant. Ein wenig verdrossen nahm er Platz, wie es seine Ar! war. Vorsichtig ließ er sich nieder, die Rechte auf den Stoö zwischen den Knien gestützt, etwas kurzatmig wartete er, bit das alberne Herz, das von dem bißchen Weg immer vernehm bar in Erregung geriet, sich beruhigte. Dann legte er Ler Stock sorgsam neben sich, langte die Brille heraus und putzt« sie umständlich mit dem Taschentuch. Fast ärgerlich sah er dabei auf die kleinen Störenfrieds; die es wagten, auf seiner Bank zu sitzen. Zwei winzige Wicht, in blauroten gestrickten Anzügen... Nun, solange sie sick ruhig verhielten, mochten sie bleiben, sonst würde er sie aus den Trab bringen. Der alte Rüdiger setzte umständlich die Brille auf; noch, einmal warf er einen nachdenklichen Blick auf die im Glanz, der letzten Sonne liegende«« Anlagen, auf das über die Weg« huschende, vom Winde spielerisch mitgenommene Laub, danr entfaltete es die Zeitung und fingen an zu lesen... Da begann es neben ihm unruhig zu werden, die Benge! rissen einander die Mützen vom Kopf, sie lachten, doch im Nr wurde es ernst, eine regelrechte Prügelei kam in Gang. War um, wieso, wer wußte es? Der alte RüdkMr ließ das Blatt sinken und schielte übe, seine Brille. „Wollt Ihr Euch Wohl vertragen, was fällt Euck ocun ein?" „Meir« Bruder reißt mir dauernd die Mütze herunter" erklärte der eine wütend, und schon wieder war das Gefech i«n Gange. Rüdiger hieb die Zeitung neben sich und ergriff seine« dicken Stock; gefährlich fuchtelte er damit in der Luft herum „Wenn Ihr Euch nicht anständig benehmen könnt, macht, das Ihr fort kommt!" Die Buben sahen verdutzt auf den grimmigen Alten, unl der rot Bemützte zog es vor, das Weite zu suchen. Der ander« aber musterte den alten Rüdiger zuerst noch einmal nachdenk lich und meinte im Fortgehen trocken: „Sie haben sich dock auch rnal mit Jhrein Bruder rumgehauen, das ist doch nich schlimm, oder?" Der Alte sah den Wicht mit einem Blick an, der diese« jäh zum Kehrtmachen veranlaßte, schleunigst fegte er seinen Bruder nach! Starr schaute Rüdiger den Weg hinunter, in der Fern« verschwände«« die blauroten Farben der Strickanzüge. Un beweglich saß der Alte da, die Zeitung glitt auf den Boden er merkte es nicht. Irgendwo da tief dr-nnen in der Brust wcn etwas wach geworden, Knabenworte, harinlose, unbedacht« Worte hatten ihn getroffen, tief getroffen. Der alte Rüdige: fuhr sich über die Stirn. Hatte er sich immer mit seinen Bruder vertragen? Er sah aus den Platz neben sich, dort hatten die beiden ge sessen; so hatte es damals, vor langer, langer Zeit angefangen, der Bruder... Wolken schoben sich vor die Sonne, grau und schwer, un! des Herbstes große Traurigkeit lag über dein stillen Park. De« alte Rüdiger saß unbeweglich; er sah in das verklingende Le ben ringsum und dachte an das Los alles Seins — das Ver gehen. Und Plötzlich erhob er sich mit einem Ruck, er raffte die Zeitung zusammen, er packte den Stock, eilig ging er davoi«... Der Bruder war gerade wieder mit seinem Schiff aus Amerika zurück, der Bruder, der alte Seebär, den er solange nicht gesehen. Nie hatten sie sich wie Brüder verstanden, weil auseinander waren ihre Lebenslinien gelaufen und nun Oer alte Rüdiger saß an seinem Schreibtisch, hastig glitt die Feder über das Papier, er schrieb an den Bruder, er lud ihn ein. Durch das offene Fenster kam der Duft welken Lau bes, tönte fernes Kinderlachen. Ruhig schrieb der Alte. Nun — es war noch nickt zu svät.