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Nr. 6 — 94. Jahrgang Dienstag, den 8. Januar 1935 Wilsdruff-Dresden Postscheck: Dresden 2640 Telegr.-Adr.: „Tageblatt' Der erste AbstimmungSta« im Saargebiet Llnparteilichkeit des Heiligen Stuhls Der „Osservatore Romano" bringt folgende Erklä rung zur Saar-Abstimmung: „Trotz unserer wiederholten Erklärungen hört die Verbreitung von Gerüchten nicht auf, die die Neutralität und die Unparteilichkeit des Heiligen Stuhles in der Frage der Saar-Abstimmung in Zweifel ziehen. Deshalb legen wir Wert darauf, nochmals zu wie derholen, daß derartige Gerüchte jeglicher Grundlage ent behren. Der Heilige Stuhl steht jedweden derartigen Kund gebungen in dem einen oder anderen Sinne vollkommen fern und will nur, daß jeder Gläubige den Richtlinien seines katholischen Gewissens folgt." ohne gesprochenen Grus? gegrüßt wird. Selbst jede Reflex bewegung auf einen solchen Gruß hat den Stimmverlnst zur Folge. Am besten ist es, wenn die Abstimmungsberech tigten, solange sie sich im Wahllokal befinden, überhaupt kein Wort sprechen, es sei denn, daß sie die Fragen des Vorsitzenden des Wahlbüros beantworten. Auch hierbei haben sie sich jeglicher politischen Meinungsäußerung zu enthalten! Den Anordnungen dieses Vorsitzenden ist un bedingt Folge zu leisten! Es seien deshalb noch einmal die wichtigsten Bestimmunge n wiederholt: Die Abstimmungsberechtigten haben, solange sie noch nicht abgestimmt haben, Zugang zum Wahllokal und haben sich in dem für sie bestimmten Teil des Lokales aufzu- haltcn. Zunl Zweck der Stimmabgabe wird der Abstimmungs berechtigte in einer von dem Vorsitzenden des Wahlbüros zu bestimmenden Reihenfolge zu dem Teil des Wahl lokales zugelassen, wo das Wahlbüro Sitzung hält. Er hat sich zum Vorsitzenden des Wahlbüros zu begeben und ihm seinen Identitätsausweis (Karte oder Reisepaß mit Lichtbild) und seinen Abstimmungsausweis abzugeben. Nachdem der Vorsitzende sich von der Identität überzeugt hat, gibt er dem Abstimmungsberechtigten einen Stimm zettel und einen leeren Umschlag. Der Abstimmungs berechtigte zieht sich mit diesem Stimmzettel und Um schlag in eine unbesetzte Isolierzelle zurück. Es ist ihm strengstens untersagt, nach Erhalt des Stimmzettels mit irgendwelchen Personen zu sprechen oder auf andere Weise in Verbindung zu treten. In der Isolierzelle schreibt der Abstimmungsberechtigte mit einem schwarzen, in der Isolierzelle befindlichen Bleistift auf den Stimm zettel in das seiner Wahl entsprechende Weitze Kreisfeld ein Kreuz. (Die Benutzung eines Rotstiftes, eines Kopier stiftes oder anderer Stimmverlnst zur Folge.) Es darf nur ein schwarzer Bleistift benutzt werden. Darauf ist in der Isolierzelle besonders zu achten, da die dort befindlichen Stifte umgetauscht sein könnten! Danach mutz er noch immer in der Isolierzelle bleiben, den Zettel ungefaltet in den Umschlag stecken und diesen schließen! Aus der Isolierzelle tretend, begibt sich der Ab stimmungsberechtigte zum Vorsitzenden und übergibt die sem den verschlossenen Umschlag. Nach erfolgter Stimmabgabe und nach Entgegen nahme seines Identitätsausweises muß der Abstim mungsberechtigte sofort das Wahllokal verlassen. Es ist dem Abstimmungsberechtigten bei schwerer Strafe untersagt, im Abstimmungslokal auf irgendeine Weise die Wahl, die er treffen wird oder bereits getrof fen hat, bekanntzugeben. Auch die Ausfüllung außerhalb der Isolierzelle führt zur Ungültigkeitserklärung. Jede Außerachtlassung einer dieser Anordnungen bat unnachsichtlich den Verlust der Stimme zur Folge! Deutsche Stimmen wegen des Hitlergrußes für ungültig erklärt. Am ersten Abstimmungstag für die Beamten des Säärgebietes und ihre Angehörigen sowie für die In sassen der Gefangenenanstalten und der Krankenhäuser war die Beteiligung an der Wahl außerordentlich schwach. So haben in Saarbrücken z^ B. nur 200 Personen abge stimmt. Zur Teilnahme an dieser Vorabstimmung sind nur die Angehörigen des Landjäjgerkorps und der Blauen Polizei gezwungen, während sie für die übrigen Beamten freigcstellt ist. Es hat sich gezeigt, daß die Bevölkerung in die technischen Maßnahmen der Abstimmungskommis sion doch ein erhebliches Mißtrauen setzt und lieber erst am Hauptabstimmungstag, am 13. Januar, abstimmt. Es kommt hinzu, daß z. B. von 32 Stimmen in Bek kingen und Mettlach finH sür ungültig erklärt worden sind, weil die Abstimmendcn entgegen den Bestimmungen der Abstimmungskommission im Wahllokal selbst ihrer politi schen Meinung Ausdruck gegeben haben. Als Ausdruck der politischen Meinung wird cs schon betrachtet, wenn die Hand zum Deutschen Gruß gehoben wird. Besonders tragisch liegt der Fall einer kranken alten Frau, die bettlägerig ist und nur mit Hilfe anderer Personen an der Abstimmung teilnehmen konnte; sie erklärte, sie sei deutsch ge boren und wolle auch deutsch sterben. Daraufhin . wurde ihre Stimme für ungültig erklärt. Gegen die Ungültigkeitserklärungen sind natürlich von den entsprechenden Dienststellen der Deutschen Front Proteste eingelegt worden, deren Ergebnis man noch ab warten muß. Insbesondere besteht ein starkes Mißtrauen dagegen, daß die Abstimmungskommission angeordnet hat, daß nur schwarze Blei stifte zur Ankreuzung in bestimmte Felder auf dem Stimmzettel benutzt werden dürfen. Schon eine andere Tönung eines Bleistiftes kann also zur Ungültigkeits erklärung einer Stimme führen, ebenso die Benützung eines Kopierstiftes. Da ferner die Möglichkeit besteht, daß böswillige Elemente in den Abstimmungszellen die vorhandenen schwarzen Bleistifte gegen andersfarbige Stifte austauschen, ist die Gefahr geschaffen, daß die ganze Wahl zu einer Farce wird. Es muß dringend erhofft werden, daß die Abstim mungskommission auch hier ihre Anordnung berichtigt und die Benutzung eines Kopierstiftes zuläßt, so wie das bei sämtlichen Wahlen in der ganzen Welt bisher der Fall gewesen ist, zumal gegen die Benutzung eines Bleistiftes schon an sich Bedenken bestehen. Ferner muß die unmög liche Grußverordnung für die Wahllokale aufgehoben werden, weil für einen wesentlichen Teil der Bevölkerung der Deutsche Gruß eine Selbstverständlichkeit ist und schon aus Gewohnheit beim Erkennen eines Freundes oder Bekannten der Arm gehoben wird. Strengste Beachtung der Abstimmungsordnung, sonst Stimmverlust! Der erste Abstimmungstag hat ergeben, daß die Ab stimmungsordnung der Abstimmungskommission auf das peinlichste eingehalten werden muß, soll nicht die Stimme als ungültig erklärt werden. Jeder Ausdruck der politi schen Meinung im Wahllokal führt unnachsichtlich zum Stimmvcrlust. AlS Ausdruck der politischen Meinung wird es schon betrachtet, wenn die Hand zum Deutschen Gruß gehoben, mit dem Deutschen Gruß „Heil Hitler" gegrüßt, wenn auf einen solchen Gruß mit Erheben des Armes geantwortet oder durch Erheben des Armes auch diese Hoffnung Stück für Stück begraben dürfen! Und nun zum Schluß bleibt diesen „Leidtragenden" gar nichts mehr übrig! Das weiß die Welt, weiß Deutschland. Denn: Deutsch ist die Saar, das Land und sein Mensch. Im Namen des Führers sprach sein Stellvertreter und im Namen des ganzen Deutschland. Ein Volk von 65 Millionen erhob in ihm und durch ihn die Stimme zum Ausschrei an die ganze Welt: Deutsch ist dte Saar, deutsch immerdar! Und die Hunderttausende, die im Saargebiet selbst sich vereint hatten, stimmten ein in diesen Ausschrei, in diesen Ruf in alle Welt hinaus: „Deutsche sind wir! Wir wollen heim zum Reichl Heim zum neuen Reich!" Und um dieses Land, um diese Menschen handelt es sich am 13. Januar. „Nicht um Kohle, Eisen, Stahl und Glas geht es uns, sondern nm viel mehr: Um den Boden, der mit deutschem Blut geweiht, mit Schweiß gedüngt ist, über alles um die Menschen, die so deutsch sind wie die Deutschesten unter uns!" Das sagte namens des Führers, namens des ganzen Deutschlands des Führers Stellvertreter. Und stolz, hoffnungsfroh und siegesgcwiß dürfen und können nur wir das sagen! Dr,M. sonderbar vor, und sie ist ausgiebig darüber unterrichtet worden, daß Deutschland alles mögliche getan hat, um dem Saargebiet und — der Welt selbst dieses Schauspiel zu ersparen. Es hat nicht sollen sein! „Die Welt weiß es, Deutschland weiß es: Deutsch ist die Saar!" so schloß die Rede, die der Stellvertreter des Führers, Rudolf Hetz, im Berliner Sportpalast an die do« versammelten vielen, vielen Tau sende und an die Millionen der Ruudfunkhörer richtete. An die 30 000 Versammlungen, die gleichzeitig im ganzen Reich stattfandenl An alle Deutschen! An die Tausende von Saarländern, die aus allen Teilen der Welt herbei kamen, um Zeugnis abzulegen für ihre alte Heimat! An die Welt draußen, soweit sie hören will! Und einen Augenblick schleicht sich da der Gedanke durch das Gehirn: Was tut man denn dort draußen, um der Clömenceau- Tardieu-Lüge zur Wirklichkeit zu verhelfen, daß 150 000 Saarbewohner keine andere Sehnsucht hätten, als zu Frankreich zu kommen, wie man es 1919 in Versailles zu behaupten wagte, als man den amerikanischen Präsiden ten Wilson zur Abtrennung des Säärgebietes von Deutschland zu bestimmen hoffte! In den sechzehn Jahren, die dann seit dem 28. Juni 1919 veraanaen iind. bat man „Es geht um Vas Lanv und Vie Menschen." Als die Riesenscharen der Saardeutschen auf dem Bahnhof in Saarbrücken eintrafen, um an der Kund gebung der „Deutschen Front" teilzunehmen, sahen sie zwar nicht überrascht, aber doch einigermaßen erstaunt am Bahnhof eine schwer bewaffnete italienische Kom pagnie in Reih und Glied. Um für die „Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung" zu sorgen. Die Kompagnie ist dann später abgerückt, weil die befchlsfübrenden Stellen offenbar zu der Überzeugung gekommen waren, daß ihre „Sorge" völlig überflüssig gewesen ist. So etwas soll ja Vorkommen! Und zwar nicht bloß im Saargebiet. Fast historisch ist hierfür ein Wort geworden, das vor langer Zeit, als in den neunziger Jahren einmal im westfälischen Kohlenrevier ein Bergarbeiterstreik aus brach und auf Drängen der Behörden auch Militär zur Aufrechterhaltung der angeblich bedrohten Ordnung berangezvgen wurde, der betreffende Regimentskomman deur nach Berlin telegraphierte: „Hier ist alles ruhig, nur nicht die Behörde!" Auch im Saargebiet ist alles ruhig, nur nicht die Negierungskommission und die Abstimmungsbehörde. Die internationalen Streitkräfte freilich, die am Bahnhof von Saarbrücken und an andern Stellen „eingesetzt" sind, werden wohl schon selbst gemerkt haben, wie — überflüssig sie sind. Und doch hat das alles auch sein Gutes! In zahlreichen ausländischen Zeitungen sind nämlich Bilder erschienen, die das Einrücken und den „Dienst" dieser fremden Truppen im Saargebiet zeigen. Fast siebzehn Jahre ist es her, seit der Weltkrieg offiziell zu Ende ist, — und nun siebt dieselbe Welt die Bajonette fremder Truppen über einem Gebiet, von dem sie ja selbst ganz genau weiß, daß die Bevölkerung in ihrer erdrücken den Mehrheit nichts anderes will als zurückzukommen zum Reich! Jene italienische Kompagnie am Bahnhof von Saarbrücken nicht bloß, sondern alle ihre Kameraden, die im Saargebiet die gar nicht bedrohte Abstimmung „schützen", erhalten sozusagen einen drastischen An schauungsunterricht darüber, wie cs im Saar- gebiet in Wirklichkeit aussieht. Und vielleicht gibt es doch im Ausland außerdem hier und da jemanden, der bei der Betrachtung der Bilder vom Dienst der fremden Truppen im Saargebiet nachdenklich den Kopf schüttelt und fast erstaunt fragt: „Das alles auf deutschem Gebiet, fremde Soldaten in schwerer Bewaffnung, jetzt, sieb zehn Jahre nach dem Weltkrieg! Wenn der zur Abstimmung herangereiste Saarländer das sieht, dann muß er ja durch seine Haltung und seine Abstimmung dafür sorgen, daß mit diesem heute geradezu unglaub- lichen Zustand schleunigst ein Ende gemacht wird!" Die Saarländer selbst haben ja diesen Zustand mehr als anderthalb Jahrzehnt hindurch durchleben müssen. Aber der Welt selbst kömmt das alles heute doch wohl reichlich Die Stadt Homburg mit dem Schloßberg, eine der schönsten Landschaften aus unserem Saargebiet. -ft Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amishauptmannschast Meißen, des Stadt rats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt alle anderen Stände des Wilsdruffer Bezirks iAnzeigenpreise lau! ausliegendem Taris Nr. «. — Nachweisungs-Gebühr: A> Npsg. — Dorgeschriedenc 1 Erscheinungslage und Plahvorschristen werden nach Möglichkeil berücksichtigt. — Anzeigen . Annahme .bis vormittags 10 Uhr. . r>, . cvm-»->s. „ Für Lie Nichtigkeit Ler »Lurch F-rnru, übermtt. F e r n s p r e ch e r : Amt Wilsdruff Nr. 6 letten Anzeigen üderneh. men wir keine Gewä^. -—-—— ' ' — Jeder Radattanspruch Nationale Tageszeitung für Landwirtschaft und Das .Wilsdruffer Tageblatt» erscheint an allen Werktagen nachmittags t Uhr. 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