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»Gräßlich!« denkt die alte Ente, »wenn der Flocki fliegen könnte, würden meine Kinderlein nirgends vor ihm sicher sein. Wenn doch bloß der Kater käme und den Flock beim Wickel nähme.« Kaum gedacht, da ist er schon. »Flock, setzt kriegst du deinen Lohn!« «Und es kommt gleich, eins, zwei, drei, zu der schönsten Balgerei. Flock bellt wütend: »Wau, wau, wau!« And der Kater quietscht: »Miau!« Zngelockt von dem Geschrei, stürzt die Mutter schon herbei. Zornig von des Hauses Schwelle, in der Hand die Suppenkelle, sieht man sie zum Hofe eilen, um den Kater zu verkeilen. Möcht' im Lause ihn erhaschen, weil er wollt' vom Kuchen naschen. Kater, setzt ergeht dir's schlecht, aber das geschieht dir recht! Flock denkt schlau: »Ich hau' jetzt ab. Dresche gibt's hier, nicht zu knapp!« Gern läßt er sich nicht verhau'n, flüchtet an den Gartenzaun. Hinter ihm ein Hase steht, und der guckt, was vor sich geht, ruft: »Schön ist 'ne Keilerei, wenn man selbst ist nicht dabei. Möcht' vor Freude drum, au weih, gleich jetzt legen schnell ein Et!« Spricht der Flock: »Bist nicht gescheit! Legt man Ostereier heut? Heute kommt der Weihnachtsmann bei den braven Kindern an!« Plötzlich / bautz! / was ist gescheh'n? Traurig ist es anzuseh'n: Bei der gagd um ihn herum fiel der kleine Schneemann um, eben stand er noch so stolz And jetzt ist er schon kabolz. Mutter purzelt, doch, juchhe, springt sie auf, ganz weiß von Schnee, denn im Haus gibt's viel zu tun, keine Hand darf heute ruh'n. gn der Küche braten, backen, für die Tunke Grünzeug hacken, Äpfel schmoren zum Kompotte, während Waldtraut und die Lotte Ketten kleben aus Papier für den Tannenbaum zur Zier... ... Knisternd gibt der Ofen Wärme, draußen fallen Flockenschwärme, denn für Christkinds weiten Weg muß recht glitzern jeder Steg, muß des Tannenbaumcs Pracht strahlen in die Winternacht. And wenn dann die Glocken klingen, müßt ihr Kindlein alle singen: »Lieber, guter Weihnachtsmann, klopf' an uns'rer Tür auch an!« von klE HZ WH, rvie sonst. Es war wirklich nicht wie sonst vorweihnachtlich im Hause Lindner. Zwar übte AUa auf dem Klavier mit einem Finger allerlei Weihnachtslieder, und ihr Helles, warmes Sümmchen klang noch am Abend in nachempfundenen Melodien; das Dienstmädchen Grete hatte auch schon einen Tannenbaum vom Markt geholt, und Herr Lindner kam manchmal mit Paketen nach Hause, die er in seinem Zimmer aufbewahrte, das Alla nicht mehr betreten durfte. Soweit war ja alles wie sonst. Auch Frau Lindner erledigte ihre Wety- nachtsvorbereitungen wie immer. Es wurden Pfefferkuchen ge backen und Aüsse vergoldet, an einem Nachmittag wurde dann auch der Eyristbaum geschmückt, und von Verwandten von außer halb kamen jetzt schon die üblichen Weihnachtspakete wie jedes gahr. Was fehlte denn noch für die richtige Weiynachtsstimmung? Es war doch eigentlich alles da, angesangen von dem kleinen Gedicht, das Alla heimlich für die Eltern lernte, bis hinauf zu der silbernen Spitze des Christbaumes. Nein, es war doch nicht wie sonst. Es war etwas ganz Heimliches, Unterirdisches, und davon wußten nur Frau Lindner und ihr Mann. Genn Alla in ihrem weißen Bettchen vom Weihnachtsmann träumte, lag Frau Lindner schlaflos und dachte an alle vergangenen Christabende ihrer Ehe und an den jetzt kommenden, dessen Lichte- g anz schon durch die Türspalten siel... Wer Frau Lindner dachte nicht wie Alla an den Weihnachts mann mit einem großen Sack voll Pfeffernüssen und Süßigkeiten, sondern an ein Gespenst, das nun schon monatelang in ihrem Hause umging. Ein Gespenst? Es kam allerdings nicht wie Gespenster in alten Grafenschlössern mtt einem weißen Laken und mit Ketten rasselnd, stöhnend durch die Zimmer-, es war ein ganz modernes Gespenst. 3n manchen Ehen gibt es leider solche Gespenster. Es hat immer einen anderen Namen, es ist manchmal eine Frau, manchmal ein Mann. Es kvmüu früher oder später, wo der Helle Stern verlischt. Der Helle Stern ist die Treue, gn der Ltndnerschen Ehe hatte dieser Stern schon acht gayre geleuchtet, in wechselvollen Zetten, wo es geschäftlich dem Ruin entgegenging und wo es wieder aufwärtsfüyrre. And jetzt war der helle Stern verdunkelt. Das Gespenst hatte auch einen Namen, es hieß Frau Eva Küchler. Früher, als ihr Munn noch lebte, waren beide Ehepaare eng befreundet gewesen, Mr nach dem Tode des Herrn Küchler nahm diese Freundschaft allmählich andere Formen an. Es lag eben daran, daß Herr Küchler fehlte, getzl galten Herrn Lindners Besuche nicht mehr seinem Kollegen, sondern dessen Witwe. And diese Witwe war sehr schön rnd Frau Lindner sah diese aus alter Familienfreundschaft ab geleiteten Besuche, die zuletzt ganz einseitig blieben, mit schmerz lichem Befremden. Anter dem Christbaum begann Herr Lindner nun, da es die jöchste Zeit war, die Geschenke für Alla und für Frau Lindner aufzubauen. Er hatte diese ganzen Wochen vor dem Fest eigentlich herzlich wenig an Weihnacht gedacht. Er hatte sogar ein wenig Furcht davor. Es war ihm gar nicht nach »O du fröhliche, o du selige...« Er hatte geschäftliche Sorgen. Er hatte persönlichen Kummer. Er hatte so etwas wie ein böses Gewissen. Er hatte auch Frau Eva Küchler versprechen müssen, den Rest des Heiligen Abends bet ihr zu verleben. Mit Frau Lindner natürlich. Aber sie wußte ja, daß Frau Lindner nie und nimmer am Heiligen Abend fortgehen würde. Sie wußte auch, daß es wieder Kämpfe geben würde zwischen Herrn und Frau Lindner: »Ich komme nicht mit!« »Warum willst du nicht mitkommen? Du verdirbst wieder den ganzen Wend!« »Gerade wei! es Heiliger Abend ist, komme ich nicht mit. Auch du solltest hierbleiben.« Dann gäb' es schon Tränen und Herr Lindner würde noch nervöser sein, als er sonst war. Er würde den Hui nehmen: »8ch gehe!« And Frau Lindners verweinte Stimme würde ihm nach rufen: »Geh' doch, geh' doch, es ist ja schon alles gleich.« And so begann der Christabend wie in allen vergangenen Jahren im Hause Lindner. And Alla drängte sich mit strahlenden Augen ins Zimmer hinein. Herr und Frau Lindner gaben sich unter dem brennenden Christbaum etwas verlegen die Lippen zum Kuß. Schwer war es, zu singen. Man mußte Alla ansehen, um Müsingen zu können. Man durfte sich nicht erinnern lassen an vergangene Christ abende ihrer Ehe. Der Helle Stern am Christbaum funkelte, der Ring, den Herr Lindner seiner Frau geschenkt, war schön, und all die kleinen Sachen, die Frau Lindner ihrem Manne aus den Weih nachtstisch gelegt hatte, trugen ihre heimlich geweinten Tränen. Für dir beiden 'Menschen waren diese Stunden unter dem Christbaum eine schwere Prüfung. Herr Lindner sah, daß seine Frau Tränen in den Augen hatte,wenn sie in den strahlenden Tannenvaum blickte, und er wurde nervös. Sie dachten an die vergangenen Heiligen Abende ihrer Ehe, wie sie so anders waren. Der erste: da war das Glück ihrer Liebe hell brennend und geheimnisvoll, wie die Lichter am Geiynachtsbaum. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr und das war sein allerschönstes Weihnachtsgeschenk. And dann der nächste Heilige Abend: Alla in der Wiege. Allas Lächeln, Allas süße Augen, Allas warmes, Helles Sümmchen. And dann die anderen Christabende: alle schön und rein, alle gesegnet. Genn auch die Gaben manchmal geringer ausfielen, ihr Heller Stern leuchtete und ihre Liebe beschenkte sich gegenseitig mit den köstlichsten Gaben. Acht gayre... Herr Lindner befreite sich zuerst. Er sagte heiser, daß Frau Küchler sie eingeladen habe, daß er versprochen habe, heute noch Hinüberzugeyen. Mit ihr natürlich. Sie möge doch bedenken, daß Frau Küchler allein sei am Heiligen Abend; man müßte tkr diesen Freundschaftsdienst erweisen... Frau Lindner saß starr. Sie fühlte, daß der letzte Schritt gecan würde und daß sie sich verlieren müßten. Sie fühlte, daß nicht Frau Küchler, sondern sie, sie selbst zum erstenmal in ihrer Ehe am Heiligen Abend allein war. — Frau Lindner saß am Bett ihres Kindes, das Nichteinschlafen konnte. »Mutti, find heute am Weihnachtsabend alle Menschen glücklich?« And Frau Lindner antwortete mit einem dunklen Zittern: »Heute sind alle Menschen glücklich, mein Kind, heute ist der Heiland geboren!« Sind aber auch die Irmen glücklich, die Bettler, die Kinder von den Zigeunern, Mutti?« — »Alle sind heute glücklich, mein Kind; für alle gibt es einen HetligenWend. - And nun schlafetn, meinLtebling... Frau Lindner saß lange am Bett ihres Kindes und fühlte sich gestrandet und doch irgendwie geborgen. - Frgu Küchler hatte Herrn Lindner schon ganz ungeduldig erwartet. Sie hatte gefürchtet, daß er vielleicht doch nicht kommen würde. Nun war er da lind sie wollte es ihm schön machen in ihrem Heim. Sie hatte einen großen Tannenbaum im Zimmer stehen, der drehte sich auf einem Mechanismus und trug lauter bunte Glühbirnen. Herr Lindner stand fassungslos vor diesem Pracht exemplar von einem Christbaum, aber er gefiel ihm nicht. Frau Küchler gefiel ihm heute auch nicht. Es war über sie nichts von weihnachtlichem Glanz ausgcgossen, ihr Gesicht hatte nicht den Schein, den Mütter haben vor ihren Kindern unter dem Christbaum. Heute war ihm Frau Küchler ganz fremd. Ihre Worte waren ihm fremd, ghre Augen. Er stellte sich plötzlich vor, daß Frau Küchler »Stille Nacht« singen würde. Er mußte fast lachen. Er sah plötzlich seine Frau am Bette des Kindes sitzen und ihr Muttergesicht weinen. Er sah einen Hellen Stern leuchten und der führte ihn nach Haust. Der führte weit weg von Frau Küchler. Da erhob sich Herr Lindner und verabschiedete sich von der enttäuschten Frau. »Wann kommen Sie wieder?« fragte sie. Herr Lindner lächelte: »gm neuen gahr.« Er dachte aber: »Srgendmal im nächsten gahr, mit meiner Frau natürlich, wie früher...« Herr Lindner fand daheim seine Frau am Bett des Kindes etn- geschlafen. Er setzte sich zu ihr und sah ihr ins Gesicht. Er erlebte hier noch einmal die acht Christabende ihrer Ehe und beugte sich über Frau Lindners Gesicht und küßte sie auf den Mund. Davon erwachte sie. And ihr war, wie sie in die leuchtenden Augen ihres Mannes sah, sie würde gleich die Weihnachtsbotschaft vernehmen: Siehe, ich verkündige euch große Freude.