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Wilsdruffer Tageblatt : 20.09.1929
- Erscheinungsdatum
- 1929-09-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192909208
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19290920
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19290920
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1929
-
Monat
1929-09
- Tag 1929-09-20
-
Monat
1929-09
-
Jahr
1929
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 20.09.1929
- Autor
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Ausschlag aus die Erde explodierte der Motor und setzte aas Flugzeug in Flammen. Die beiden Flieger, Haupt mann Kumschaitis und Oberleutnant Wedaika, ver brannten. Banditenüberfall auf eine südmandschurifche Bahn station. Chinesische Banditen überfielen die japanische Eisenbahnstation Tschunun aus der südmandschurischen Bahn, um die Eisenbahnverbindung zwischen Mukden und Charbin zu zerstören. Japanische Gendarmerie er öffnete gegen die Chinesen das Feuer und zwang sie zum Rückzug. Bei dem Gefecht sind vier Japaner gefallen und sieben schwer verwundet worden. Die Banditen verloren mehr als 20 Tote und Verwundete. Vulkanausbruch in Japan. Wie aus Tokio gemeldet wird, ist der Vulkan Karuijawa Asama in Tätigkeit ge treten. Große Feuersäulen steigen aus dem Krater, während ein starker Aschenregen die ganze Umgebung be- seckt. Die Ausbrüche sind von Erdstößen begleitet. Die Bevölkerung ist geflohen. Tunte Tageschronik Frankfurt a. d. O. Ein aus der Grenzmark vertriebenes Ehepaar Hermann begeht in Werbig an der Ostbahn das Fest oer diamantenen Hochzeit. Schleusingen. In Waldau wurden vier Wohnhäuser mit ven Stallungen und sechs Scheunen durch Feuer vernichtet. Zwei Wohnhäuser wurden stark beschädigt. Wien. Die Bankräuber Otto Bricken und Udo Kühle, die am 28. August in Hannover zwei Kassenboten der Landesbank überfallen hatten und mit ihrer Beute von 59 000 Mark über die österreichische Grenze entkommen waren, sind in Blinden markt in Ntederösterreich verhaftet worden. London. „Daily Expreß" zufolge sind die Sachverständigen der Meinung, daß der große Brand eines Petroleumtanks in Hull auf Brandstiftung zurückzusühren sei. üMIAIangen Von Eduard'Klocke. Kürzlich ist mitten in der Stadt Hannover ein Knabe von einer Kreuzotter gebissen worden, die einem Tierliebhaber ent wichen war, so daß er in ärztliche Behandlung gegeben werden mußte. Nun werden — es ist ja die passendste Zeit dafür — bald wieder allerhand Schauermären über das „giftige Ge zücht" ihre Auferstehring feiern, und des Gruselns wird kein Ende sein. Ueber wenige Tiere ist ja so viel gefabelt worden, find noch heute im Volke so widersprechende Anschauungen verbreitet wie über die Schlangen. Das ist erklärlich haupt sächlich durch den Nahrungserwerb dieser Tiere, bei dem töd liches Gift eine so unheimliche Rolle spielt. Aber auch die Art, wie nichtgiftige Schlangen ihre Beute überwältigen, wirkt auf Weiche Gemüter abstoßend.. Wer es je erlebt hat, wie eine Riesenschlange ihr stets lebendes Beutetier erwürgt, begeifert und verschlingt, ja, wie auch nur unsere Ringelnatter einen lebendigen Frosch langsam in den Schlund hinein zieht, kann es begreifen, daß viele Menschen ihr Leben lang einen un überwindlichen Abscheu vor diesen Reptilen hegen. Der Ruf „Eine Schlange!" wirkt verwirrend selbst auf sonst kaltblütige Männer, und meist ruhen sie nicht eher, als bis das unglück liche Geschöpf unter Knüppeln und Steinen sein Leben aus- aehaucht hat. Auch der große Tierfreund Alfred Brehm zählte zu den Schlangenfeinden. Nachdem er sich bezüglich der Kreuz otter das Wort des alten Naturforschers Lenz zu eigen gemacht hat, daß diese „boshaft geboren wird und bts an ihr Lebens ende im Bösen verharrt", schreibt er in der ersten Auflage seines „Tierlebens": „Wer also Schonung der Schlangen predi gen will, muh sich wenigstens streng auf Deutschland beschrän ken, damit er nicht etwa Unheil anrichte. Ich meinesteils bin weit davon entfernt, diesem Gezüchte das Wort zu reden, und Wäre es auch nur, weil unsere ungiftigen Schlangen haupt sächlich solche Tiere fressen (Frösche und Eidechsen), welche uns unzweifelhaft mehr nützen als ihre Räuber. Wer alle Schlangen tötet, deren er habhaft werden kann, richtet dadurch, ich wiederhole es, keinen Schaden an; wer ein einziges Mal eine giftige Schlange mit einer ungiftigen verwechselt, kann dies mit Leben und Gesundheit zu büßen haben!" Ich bin weit davon entfernt, einem Menschen das Recht, eine Giftschlange zu töten, abzusprechen. Ja, unter gewissen Umständen kann das sogar zur unabweisbaren Pflicht werden. Wenn ich trotzdem nicht in die Worte Brehms emstimme, die die neueren Bearbeiter des „Tierlebens" übrigens wohlweis- ilich haben fallen lassen, so tue ich das, weil neuere Forschun- jgen ergeben haben, daß die Schauergeschichten über den un geheuren^ Schaden der Giftschlangen meist maßlos über- Das klassische Land des Todes durch Schlangenbiß ist Indien. Seitdem im Jahre 1869 der englische Arzt Fahrer die Zahl der durch giftige Schlangen in Indien getöteten Ein geborenen aus jährlich rund 20 000 geschätzt hatte, ist diese Zahl nicht mehr aus den amtlichen britischen Listen ver schwunden. Ausgesetzte Belohnungen bewirkten, daß eine von Jahr zu Jahr steigende Zahl von getöteten Giftschlangen bei den Behörden eingeliefert wurden. Jetzt hat sich herausgestellt, daß die Inder, um eine recht hohe Zahl von Prämien er halten zu können, die Giftschlangen in Massen gezüchtet haben. Zu gleicher Zeit aber wurde unwiderleglich nachgewiesen, daß auch nicht entfernt so viele Menschen in Indien an Schlangen gift sterben, wie angegeben wurde. Genaue Kenner der dorti gen Verhältnisse erklären, wie vr. zur Straßen mitzu teilen in der Lage ist, daß den Giftschlangen nahezu jeder Menschenverlust, namentlich alle Kindesmorde, die schrecken- erregend häufigen Selbstmorde der Witwen, ja so ziemlich alles zur Last gelegt wird, was das Licht der Oeffentlichkeit zu scheuen Ursache hat. Ferner werden den Steuereintreibern Personen als von Giftschlangen getötet angegeben, die später ganz munter aus ihren Verstecken hervor kommen. Dazu scheuen sich unzuverlässige eingeborene Beamte nicht, aus irgend welchen Gründen übertriebene Angaben zu machen. Aehnlich wie mit den indischen Giftschlangen steht es mit unseren Kreuzottern. Gewiß haben wir in Deutschland Land striche, in denen die Kreuzottern nicht selten sind. Aber wenn man einmal den Fällen ernstlich nachgeht, in denen Kreuz ottern gesehen oder erschlagen worden sind, so findet man in mindestens 9 von 10 Fällen, daß es sich um eine Blindschleiche, eine Ringelnatter oder eine ebenso harmlose Schlingnatter handelt. Und was die Kreuzotternbißfälle angeht, so schrump fen sie ebenfalls auf ganz geringe Zahlen zusammen. In den letzten Jahren haben Köhler, Wichand uckd Zimmermann die Kreuzotterbißfälle einer genauen Prüfung unterzogen, vr. zur Straßen berichtet darüber in der neuesten Auflage des „Brehm" wie folgt: Nach den Ausführungen von Wichand muß daran festgehalten werden, daß ein Kreuzotterbiß den Tod eines Menschen herbeiführen kann, aber solche Todes fälle sind äußerst selten. Köhler hat Kreuzotterbisse mit tödlicher Wirkung in Sachsen innerhalb der letzten 50 Jahre nicht nachweisen können, und seine Ergebnisse werden von Zimmermann bestätigt. Köhler unterzog sich vor 18 Jah ren der Mühe, über jeden in der Zeitung gemeldeten Todes fall auch außerhalb Sachsens bei den betreffenden Ortsbehör den nähere Auskunft einzuholen. Das Ergebnis war gleich falls überraschend. Von den Antworten, die, außer von Sachsen, auch von Thüringen, Pommern, Schlesien und Hannover eingingen, bestätigte nicht eine einzige den Todes fall. In manchen Fällen hatte die Krankheit drei Tage nicht überschritten. Einige waren vollständig erfunden, und zwar gerade die mit allen gruseligen Einzelheiten ausgeschmückten. Nach Professor L. Hoffmann ist in Württemberg, wo die Kreuzotter ziemlich häufig ist, noch niemand an einem Kreuz otterbiß gestorben, und ebenso weiß auch H. Laus aus Mäh ren und Oesterreich-Schlesien keinen einzigen Bißfall mit töd lichem Ausgange zu verzeichnen, obwohl auch hier die Kreuz ottern stellenweise sehr häufig sind. Der Zweck dieser Zeilen soll nicht sein, die Gefährlichkeit der Kreuzotter zu leugnen; aber sie sollen den Schauergerüchten entgegen treten, die oftmals -ei Nachrichten über Kreuzotter bisse entstehen, und die Nervosität beseitigen, die sich vieler Menschen bei solchen Meldungen bemächtigt. Die Kreuzotter in Hannover ist übrigens sicherlich dem Terrarium eines Liebhabers entschlüpft. So wie heute jeder, der eine Waffe führen will, einen Waffenschein erwerben, wie man, um Gift zu bekommen, einen Giftschein vorzeigen muß, so sollte auch das Halten von Giftschlangen eine« besonderen Genehmigung unterliegen. Gerade in den Wohnungen und Städten vermag eine entkommene Giftschlange größtes Unheil anzurichten. Ich spreche dabei aus eigener Erfahrung. Als Student der Naturwissenschaften hatte ich mir einmal eine sehr giftige afrikanische Hornviper kommen lassen. Sie wurde in einem heizbaren Terrarium aufbewahrt, dessen Deckel durch ein Scharnier geschlossen werden konnte. Eines Tages hatte ich ßen Deckel lässig geschlossen, so daß der Riegel nach innen geschlagen und ein ziemlich breiter Spalt zwischen Deckel und Glaskasten entstanden war. Durch diesen Spalt entwich die Hornviper. Nur meiner Gewohnheit, nachts, bevor ich ins Bett ging, noch einmal nach allen meinen Tieren zu sehen, war es zu verdanken, daß kein schweres Unglück geschah. Ich entdeckte in der Nacht das Entweichen des gefährlichen Rep tils. Ein maßloser Schrecken befiel mich; denn in der Nacht konnte ich nicht suchen, ohne das ganze Haus in Aufregung zu setzen, zumal wir damals noch auf Petroleumlicht angewie sen waren. So wartete ich den beginnenden Tag ab. Es war glücklicherweise Mittsommer, und es wurde früh hell. Um 4 Uhr morgens fand ich dann die Schlange in einem ganz anderen Zimmer in dem dunklen, gerafften Vorhang vor einem Fenster. Sie kam sofort in Alkohol, und von da an habe ich in einem Privathause niemals wieder eine Gift schlange gehalten. Ile Ute W dem HM MMels Roman von Anny von Panhuys 68. Fortsetzung Nachdruck verboten Er blickte finster und wollte zu dem seitlich der Tür an gebrachten Knopf der elektrischen Schelle. Margarete war ihrer Sinne nicht mehr mächtig. Sie vertrat ihm den Weg, hob die Rechte und wollte ihm ins Gesicht schlagen. Er zuckte zurück, geriet auf dem Teppich ins Stolpern und fiel. Beim Fallen schlug er mit dem Hinterkopf gegen die Ecke eines kleinen Schrankes, über dem eine schalartige Decke lag, die jetzt mit herabgerissen wurde und nun leicht und lose das Antlitz des Mannes verhüllte, der langausgestreckt auf dem Boden lag, ohne sich zu rühren. Margarete stand starr und abwartend. Weshalb erhob sich denn der Abscheuliche nicht, weshalb blieb er stumm und bewegungslos auf dem Teppich liegen? Zögernd trat sie näher, hob vorsichtig das rote, silber gestickte Seidentuch, das sein Gesicht verbarg. Ihre Finger bebten, ihre Augen spiegelten Entsetzen wi der, denn das Tuch war von frischen Blutflecken durchzogen, die sich klar und rot von der Silberstickerei abhoben. Sie stand wie eingepanzert in eine rasende, unerträgliche Angst. , .. .,, , Sie sah auf das Blut, auf den leblosen Menschen zu ihren Füßen und vermochte, trotz der überwältigend großen Angst, doch klar und logisch zu denken. „ „ „ Sie begriff, daß es sich hier um einen Unfall handelte, an dem sie eigentlich nur eine indirekte Schuld traf. Sie hatte nach dem Unverschämten schlagen wollen, er aber war beim Zurückweichen zu Fall gekommen und mit dem Hinterkopf auf eine der ziemlich scharfen Ecken des Schränkchens aufgeschlagen. Blitzgeschwind und klar arbeitete ihr Gehirn in dem Strudel der Furcht vor den Folgen, die sich aus dem Ge schehnis jetzt für sie ergeben würden. Noch immer vernahm sie nicht das leiseste Atmen. War der vor ihr Ruhende etwa tot? Würde er nie, nie mehr einen Atemzug tun? Vielleicht würde man ihr nicht glauben, wenn sie den Hergang des Unglücks erzählte? Vielleicht würde man sie beschuldigen, sie unter Anklage stellen? Man durste sie hier nicht zusammen mit dem leblosen Manne finden, der unter seinem falschen Namen in der hie sigen Gesellschaft eine Rolle spielte. Sie ließ das dünne Tuch wieder niederflattern über das starre Gesicht und warf hasfig den Mantel über, schlang den Spitzenschal um den Kopf und spähte zur Tür hinaus. Der schmale, matt erleuchtete Gang, auf den mehrere Türen mündeten, lag leer da, aus einem nahen Zimmer klang Frauenlachen. Sie stieg die Treppe herab und sah einen Ausgang seit lich zur Linken. So konnte sie also das Lokal im Erdgeschoß, durch das sie vorhin gekommen, vermeiden. Schon stand sie draußen auf der Straße. Vor ihren Augen zuckten bunte Lichter, in ihren Ohren sauste das Blut. Ein leeres Auto kam vorüber. „Alto chofer!" rief sie so laut, daß sie selbst davor er schrak. Sie nannte ihre Adresse und wunderte sich fast, daß sie der Chauffeur nicht fragte, woher sie käme. Sie stand dann auf ihrem kleinen Balkon, schaute Uber die Hinterhäuser, die sich mit ihren weißen Mauern wie Helle Kulissen in die Dunkelheit schoben und blickte auf zum süd lichen Himmel, an dem ein Heer von Silbersternen funkelte. So fern und fremd, so fern der Heimat, die sie unüber legt, nur einem Sehnsuchtsruf ihrer Brust folgend, verlassen hatte. Und ihr schien es, über der Heimat standen die Sterne freundlicher, gütiger und erbarmender. Ein lauer Wind bewegte die verstaubten Palmen im Hofe, es klang wie das Flüstern menschlicher Stimmen. Stk Wiedemstandeue m MWquet Ein Offizier wird aus dem Schlachtfeld begraben und stirbt doch sechzig Jahre später als Gouverneur im Hennegau. Von Georg Wagener. Man schrieb das Jahr 1709, und der Spanische Erb folgekrieg verheerte seit langem die Oesterreichischen Nieder lande. Es stand schlecht um die Sache Ludwigs XIV. Lille war gefallen, und der Marschall von Villars sollte Nordftank reich gegen die Kaiserlichen unter Prinz Eugen und gegen di« Engländer verteidigen. Bei Malplaquet wartete der Franzose aus den siegreichen Feind. Jeder seiner Leute wußte, um was es ging. Jeder ahnte, daß heiß um die Entscheidung gekämpft werden sollte. Auch der junge Graf Le Danois, Leutnant im Regiment Royal Flandres, war sich des Ernstes des kommenden Tages bewußt: „Es kann mein letzter sein." Als das Regiment die Wachen bezogen hatte, ging er zum Obersten: „Ich möchte von meiner Mutter Abschied nehmen. Sie wohnt in ihrem Schloß Ruennes, eine Melle von hier. Ich bitte um drei Stunden Urlaub." Der Oberst gab dem Zwanzigjährigen gern seine Einwilligung. Der Abschied war kurz: „Mutter, ich muß zurück zum Regiment. Bange nicht um mich. Jacques, mein Reit knecht, steht bei unserem Troß, und er wird Dir nach der Schlacht sofort berichten. Gutes, hoffe ich." Die Gräfin mochte dem Jungen die Trennung nicht schwer machen, und sie unterdrückte ihre Tränen. Sie sah ihn in die Nacht hin aus reiten, bang und sorgenschwer, und doch hörte sie mit leisem Jubel eine innere Stimme sagen: „Es ist nicht das letzte Mal, daß Du den Sohn in die Arme ge schlossen hast." Die Schlacht war heiß. Blutig und verlustreich für die Verbündeten schlugen die Verteidiger die Angriffe ab, doch die Kaiserlichen und die Engländer verbissen sich in die fran zösischen Stellungen. Dann ging ein Raunen durch die Re gimenter: „Der Marschall ist verwundet!" Und gleich daraus schwirrte das Gerücht aufgebauscht durch die Glieder der Verteidiger: „Der Marschall ist tot!" Auch der Leutnant Graf Le Danois hörte es: „Glaubt es nicht!" schrie er seinen Leuten zu. „Es ist eine Lü ..." — „Lüge" wollte er sagen, doch eine feindliche Kugel zerriß ihm das Wort im Munde. Eine halbe Stunde später kamen Verwundete aus der Kompagnie des Grafen zum Troß, und einer sah Jacques, den Reitknecht des Leutnants: „He Du, Dein Herr liegt dort vorn mit dem Gesicht im Schmutz, mit einer Kugel in der Brust und ist tot!" Da warf sich der Diener auf sein Pferd und raste in die Linie vor. Sie schossen ihm den Gaul unter den Beinen zusammen, als er gerade die letzten von Le Danois' Kompagnie erreichte: „Wo liegt der Graf?" Einer wies mit dem Daumen zur Seite: „Dort drüben." Der Diener fand ihn bald. Der Waffenrock war vom Blute ge rötet, und Jacques hörte das Herz nicht mehr schlagen. Er wollte den Toten auf den Rücken laden und zurück tragen. Da gingen die Kaiserlichen zum letzten Angriff vor, und die Franzosen mußten zurück. Mit ihnen der Diener. Doch vor la Longueville plagte ihn das Gewissen: „Du! darfst den Toten nicht allein dort vorn liegen lassen. Dü mußt ihn der Mutter bringen." Er stahl sich aus dem Trosss zog den Waffenrock aus, und keiner der Feinde hielt ihn am Dann fand er die Stelle, wo die Kompagnie des Grafen ge legen hatte. Engländer räumten das Schlachtfeld schon auf und verscharrten die Toten. Sie zogen ihnen die Stiefel und die Röcke aus, die zu schade waren, um mit vergraben zu werden, und warfen sie auf einen Haufen. „Was willst Du hier?" fragten sie den Diener. „Ich suche meinen toten Herrn, einen Leutnant von Royal Flandres." — „Einen Leutnant? Wir haben hier nur einen gefunden. Dort liegt er mit den anderen begraben." Die Engländer wiesen auf einen frischen Hügel. „Und hier ist sein Waffenrock." Da wandte sich Jacques und schlug den Weg nach Ruennes ein. Der Gang fiel ihm schwer: „Es war ihr ein ziges Kind." Am liebsten wäre er umgekehrt, um den Schmerz der Mutter nicht zu sehen. Doch irgend etwas trieb ihn wieder zur Elle, ein unbestimmtes Gefühl, und keuchend rannte er nach Ruennes. Er traf die Gräfin am Tor. Sie las ihm die Botschaft von den Lippen: „Er ist tot?" Der Diener nickte. Er stützte die Schwankende. Doch die Mutter rafste sich auf, und unbe wußt, von einer inneren Gewalt getrieben, sagte sie: „Ich glaube es nicht. Mein Herz I sagt es mir, daß er lebt." Jaques sah zu Boden und dachte: „Der Schmerz verwirrt sie." Da packte die Gräfin seine Hand: „Jacques, wo ist seine Leiche? Warum bringst Du sie mir nicht?" — „Die Engländer hatten ihn schon begraben, Frau Gräfin." Er fühlte ihre Hand zittern. Dann krallte sie ihre Finger um seine. Schultern: „Begraben! Er lebt doch! Ich weiß, haß er Margarete fuhr zusammen. Suchte man sie schon hier, hatte man so schnell ihre Spur gefunden? Sie schloß mit bebenden Händen die Balkontür und kroch ins Bett. Sie mochte nichts mehr sehen und hören, wollte nur ruhen und versuchen, bald einzuschlafen. Ihre Nerven streikten völlig. Kaum lag sie im Bett, als sich auch schon der Schlaf ihrer erbarmte und sie festhielt in seinen Armen bis zum Morgen. Heller, blendender Sonnenschein riß sie aus dem Schlum mer und mit nachdenklichem Lächeln starrte sie zur Decke auf, die mit einer kitschigen Goldstuckgirlande umgeben war. Welch ein häßlicher und eigenartiger Traum lag hinter ihr! Ihr Lächeln schwand plötzlich, als hätte es eine harte Hand weggelöscht. Sie hatte ja gar nicht geträumt. Was sich ihr noch eben wie ein Traum ins Gedächtnis gebracht, war Wirklichkeit, war Erlebnis. Schüttelfrost spielte mit ihrem Körper, Schauer auf Schauer rann Uber sie hin. Sie legte die Hand vor die Augen, um dem Bilde zu wehren, das sich ihr so fest eingeprägt hatte, als sähe sie alles in Wahrheit vor sich. Ihr graute vor dem leblosen Männerkörper, der auf dem Teppich des kleinen koketten Separözimmers lag, ihr graute vor dem Blut, das unter dünnem Haupthaar hervorquoll und eine dicke Silberstickerei färbte. Sie sprang von ihrem Lager hoch und kleidete sich an, ging wie sonst an ihr Tagewerk mit der stillen, inbrünstigen Hoffnung, daß niemand in dem Restaurant eine Ahnung da von hatte, wer sie war. Und wenn der Prinz, oder wie er sich nannte, Sennor de Guerra, tot war, wer sollte sie dann wohl beschuldigen? (Fortsetzung folgt.)
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