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Wilsdruffer Tageblatt Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Sonnabend, den 5 Oktober 1928 Wilsdruff-Dresden Postscheck: Dresden 2640 für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter. ?f-rnsprecher: Amr Wilsdruff Nr^6 durch^Erus"b"mi°Ät^^ 5^«rR°d°! ausp».ch°niMU, wenn derBe,rag durch .Vagc^ngezolcn »erdeumutz aderd-rAustraggeberinKondur-gerSt. LnzeigenurlMcu aUcD-ra^liluagrft-llrncntgcg-u. Nr. 233 — 88. Jahrgang Telegr.-Adr.: „Amtsblatt Da« »Wilsdruffer Ta-eblatt* erscheint an allen Werkt«»«* nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis: Bei Abholung in der Geschäftsstelle und den Ausgabestellen 2 AM. im Monat, sei Anstellung durch die Boten 2,30 AM., bei Poftbestellung 2 «M. zuzüglich Abtrag- . gebühr. Einzelnummern ISNpfg.AllcPoftUnstRlten A)0chenolll11 für 28flSvkUff u. ÜM0L0EN0 Postboten und unscreAus- trägerund Geschäftsstelle» - — — - nehmen zu jeder ^eit Be ¬ stellungen entgegen. 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Ein Stresemann wird nicht alle Tage ge boren. Sein Tod mußte deshalb auch wie ein außer ordentliches Ereignis auf die Menschheit wirken, deren Besitz an überragenden Persönlichkeiten ja in den letzten Jahrzehnten nicht gerade gewachsen ist. Die deutsche Politik sieht sich ganz plötzlich vor einen Szenenwechsel gestellt, in einem Augenblick, wo man am wenigsten darauf vorbereitet war oder dazu geneigt schien, sich auf eine solche Notwendigkeit vorzubereiten, Wird sie ihn im Geiste nationaler Einigkeit vollziehen — oder werden sich die allbekannten Gegensätze unter den Parteien, die ja viel fach gerade an den Namen und an die politischen Grund anschauungen des Heimgegangenen Außenministers an- knüpsten, umgekehrt noch schärfer zuspitzen, nun, da es gilt, die von Stresemann im Ringen mit den Gläubigern des Deutschen Reiches erstrittenen Positionen zu halten, zu festigen und, wenn irgend möglich, zu erweitern? Die Erfahrungen der letzten Zeil ermutigen kaum zu der Hoff nung, daß wir es ohne Stresemann leichter haben werden, zu einer innendcutschen Verständigung zu gelangen, als es unter seiner Führung möglich ge wesen ist. Wer aber dazu helfen will, das deutsche Volk aus seiner namentlich wirtschaftlich immer mehr sich zu spitzenden Lage herauszuführen, darf, solange er im Kampf ausharrt, die Hoffnung auf eine solche Entwicklung der Dinge nicht aufgeben. ch Es ist schon oft genug gesagt worden, kann aber nie mals zu eindringlich wiederholt werden, daß wir uns an dem Verhalten des britischen Volkes ein Beispiel nehmen können. Auch in England vollzieht sich, je länger die Arbeiterregierung am Ruder ist, ein deutlicher Szenenwechsel in der nun schon seit nahezu unvordenk lichen Zeiten innegehaltenen Außenpolitik des Reiches. Macdonald und seine Mitarbeiter scheinen drauf und dran' zu sein, nachdem sie schon in Ägypten das Steuer dieser Politik herumgeworfen haben, um dem erwachten Selbstbewußtsein der eingeborenen Bevölkerung ge bührend Rechnung zu tragen, jetzt auch inIndien einen Versuch mit weitherzigen Regierungsmethoden zu machen. Daß sich dort mit großer Herrschgewalt, mit einheimischen Polizisten und britischen Soldaten kein friedliches Staats leben mehr aufrechterhalten läßt, ist nach und nach auch den Trägern der überlieferten Machtpolitik klar geworden, und ebenso scheint die Londoner Regierung in ihrem Mandatsland Palästina mehr Fühlung mit den beiden feindlichen Parteien, den Juden und den Arabern, gewinnen zu wollen, nachdem der äußere Fried-- unter ibnen leidlich wiedcrhergestellt ist. Zu gleicher Zeit ist Macdonald zu den angelsächsischen Vettern jenseits des großen Teiches hinuberpilgert, um auch in Wsshing - t o n durch Aufnahme unmittelbarer Verhandlungen mit den Abrüstungsmännern der Neuen Welt die Bahn für eine vernünftige und — billige Flottenpolitik frei zu machen. In allen diesen Bemühungen wird die Arbeiter partei von ihren innenpolitischen Gegnern wirksam unter- stützt oder doch zum mindesten nicht behindert. Es geht hier um ein großes Spiel, darüber kann gar kein Zweifel bestehen. Wird cs gewonnen, dann wird sich in der Welt, auch außerhalb der britischen Machtsphäre, ein grund legender Wandel der internationalen Politik vollziehen. Wir Deutsche haben allen Anlaß, dem Schauspiel, das uns so geboten wird, mit größter Aufmerksamkeit zu folgen. Dr. Sy. Zwischen zwei Ltebeln. Der Deutsche Industrie- und Handels tag zur Neparationsfrage. Vor dem Hauptausschuß des Deutschen In dustrie- und Handelstages sprach nach einer Trauerkundgebung für Dr. S t r e s e m a n n Dr. Melchior zur Neparationsfrage. Er setzte zunächst die Vor teile und Nachteile des Young-Planes gegenüber dem augenblicklichen Zustande auseinander. Der Berichterstatter warnte davor, den Young-Plan als eine befriedigende Regelung zu betrachten. Von den beiden Übeln (Dawes- oder Young-Plan) sei er aber das kleinere Etwas anderes als zwischen zwei Übeln zu wählen, sei leider nach dem verlorenen Krieg nicht möglich. In der Erörterung wurde der Ernst der Besorgnisse wegen der Durchführbarkeit des Young-Planes hervor gehoben. Trotzdem ging die Auffassung dahin, daß — fo- m « e jetzigen Verhandlungen über die noch offenen Punkte zu einer befriedigenden Lösung führen — der Aoung-Plan gegenüber dem jetzigen Zustande einen » ortschrr 1 t bedeutet. Ar. Mius ftellvntr. AuWinimster Die Versetzung Dr. Stresemanns. Hindenburg hinter dem Sarge. Der nach Berlin zurückgekehrte Reichspräsident von Hindenburg hat nach einer Unterredung mit dem Reichs kanzler auf dessen Vorschlag den Reichswirtschaftsministcr Dr. Curtius mit der einstweiligen Wahrnehmung der Ge schäfte des Neichsantzenministcrs beauftragt, wre amtlich bekanntgegeben wurde. Dr. Curtius bat an der Knnke- Dr. Turnus. rcnz im Haag persönlich tcilgenommeu und wird deshalb vorzüglich in der Lage sein, die demnächst kommenden Endverhandluugen im Geiste Stresemanns zu führen. Zunächst war die Rede davon, daß Reichskanzler Müllerdie provisorische Leitung der auswärtigen An gelegenheiten übernehmen werde. L^edocb leidet der Dr. Stresemann aus dem Totenbett. Reichskanzler noch ziemlich unter den Nachw'ehen der eben überstandenen Krankheit, so daß die Übertragung auf den Wirtschaftsminister Dr. Curtius begreiflich erscheint. Nach der erfolgten Beisetzung Dr. Stresemanns und viel leicht auch der überwundenen Endauseinandersetzung zum Young-Plan dürfte die definitive Neubesetzung des Reichs außenministeriums nicht mehr lange auf sich warten lassen. Oie Trauerfeierlichkeiten am nächsten Sonntag sind jetzt auch in lhrcn Einzelheiten festgesetzt. Reichspräsident von Hindenburg wird persönlich dem Sarge auf den» Wege vom Reichs- tagsgebäudc bis zum Neichsprüstdcntenpalais zu Fust folgen. Ihm reihen sich die Reichsminister in ge schlossenem Zuge an. Der Reichspräsident wird der vor- hergehenden Feier im Reichstage, die etwa 45 -50 Minu ten dauern soll, in der Präsidentcnlogc des Plenarsaales beiwohnen. In dieser Loge nehmen auch die nächsten Familienangehörigen des Verstorbenen teil. Dem Reichspräsidenten gingen zum Ableben des Reichsaußenministers zahlreiche Trauerbekundungen von ausländischen Staatsoberhäuptern zu. Freitag mittag er schien Reichskanzler Hermann Müller, begleitet von Staatssekretär Pünder, persönlich im Trauerhause, an dem offenen Sarge, in dem der Verstorbene, umringt von Kränzen und Blumengewinden, ruht. Tie Trauerrede im Reichstag wird der Reichskanzler halten. Besonderen Eindruck in Berlin haben die Nachrich ten gemacht, nach denen aus den Gebäuden der franzö sischen Besatzungsbchörden in Ludwigshafen und in Düren, wahrscheinlich auch noch an anderen Stellen, zum Zeichen der Trauer die Trikoloren auf halbmast ge setzt sind. Or. Gchurmans Nachruf. Der Berliner amerikanische Botschafter, Dr. Schurman, widmet dem verstorbenen Reichsautzenminister einen besonders bemerkenswerten Nachruf, in dem er hervorhebt, nach dem erhabenen Präsidenten der Deutschen Republik repräsentierte als zweiter Dr. Stresemann Deutschland in der übrigen Welt. Schurman betont weiter, Stresemann habe sich gegen über mächtige Kräfte einen ersten Platz unter den Staatsmännern Europas, Asiens und Amerikas errungen. Seine Politik habe den Geist des Friedens und der internationalen Verständigung zepflegt. Hinter dieser Politik hätten sowohl eine starke Per sönlichkeit als auch der Entschluß und das Zielstrcben des aeutschen Volkes gestanden. Der hervorragendste Wesenszug Stresemann, sagt Schurman, war seine Menschlichkeit. Alles Menschliche fand sein Interesse und alle Klassen hatten das Gefühl, daß er zu ihnen gehörte. Diese umfassende Menschlich leit befähigte ihn, andere Völker zu verstehen und deren ab weichende Ansichten zu würdigen. Deutschland und die Welt haben durch den Tod dieses überlegenen Führers einen der bedeutendsten und klügsten Staatsmänner unserer Zeit ver loren. Im übrigen wurde in der Versammlung einmütig betont, daß die Voraussetzung sür Annahme und Durch führung des Young-Planes eine tiefgreifende Reform der Finanz- und Wirtschaftspolitik ist. 20. Deutscher Turntag. Zusammenarbeit von Turn- und Sportverbänden. In Anwesenheit vieler hoher Ehrengäste wurde in Berlin der 20. Deutsche Turntag eröffnet. Professor Dr. Berger ge dachte einleitend des verstorbenen Reichsaußenministers Dr. Stresemann, im Anschluß daran sprach Dr. Luther über Deutschtum und Turnerschaft. Zur Frage des Verhältnisses der Deutschen Turnerschaft zu anderen Verbänden wurde folgender sehr bedeutsamer Beschluß gefaßt: „Unter dem Gedanken der deutschen Volksgemeinschaft ist engste Zvsammenarbeit der Turn- und Sporwerbände so bald wie möglich zu erstreben. Das Endziel der Verhandlungen zwischen der Deutschen Turnerschafl und den anderen Ver bünden, insbesondere der Deutschen Sportbehörde für Leicht athletik, mutz daher der Zusammenschluß dieser Verbände scinl Bis zur Verwirklichung dieses Zieles ist anzubahnen: Die Regelung des Wettlampfvcrkehrs von Verband zu Verband, die Veranstaltung gemeinsamer Meisterschaften in den volks tümlichen Übungen sLcichtathletik) und in einzelnen Spiel arten, die gemeinsame Vertretung Deutschlands in den inter nationalen Sportverbänden. Die Deutsche Turnerschafl ist zu Verhandlungen auf dieser Grundlage bereit." Aus die Frage des Vorsitzenden, wer das Wort dazu nehmen wolle, meldete sich niemand, und als Dr. Berger uw die Zustimmung bat, daß ans Grund dieser Entschließung bei , Vorstand und der Hauptausschuß der D. T. die notwendigen ! Verhandlungen einleiten können, hoben sich sämtliche Hände zur Zustimmung, ein schönes Bekenntnis des Willens zur Einigkeit. Dr. Berger dankte sür das Vertrauen und sprach die Hoffnung aus, daß die Verhandlungen nun auch zum guten Erfolg führen mögen Damit war dieser Punkt der Tagesordnung, der wichtigste des 20. Deutschen Turntages, erledigt. Aeuer Vorsitzender der Deutschen Turnerschafl. Berlin. Der 20. Deutsche Tnrntng wählte am Frei tag an Stelle des nach zehnjähriger Tätigkeit zurücktretendcn Professors Dr. Berger den Staatsminister a. D. Doktor Dominikus-Berlin mit 231 Stimmen zum neuen Vor sitzenden der Deutschen Turnerschaft. Dr. Thiemer-Dresden, der Kreisvertreter von Sachsen, der 118 Stimmen erhalten hatte, wurde in einem weiteren Wahlgange an Stelle von Dr. Dominikus zum dritten Vorsitzenden gewählt. Beide nahmen die Wahl an. MdenMrhliMllMN der MMener Negitms mit SowjttrutzllNld. Kowno, 5. Oktober. Wie aus Moskau gemeldet wird, verbreitet die amtliche Telegraphenagentur der Sowejetunion Gerüchte aus Mukden, daß die Mukdener Regierung unter Füh rung Marschall Tschangshueliangs beschlossen habe, zur Beile gung des russisch-chinesischen Streitfalles einen Sonderfrieden mit der Sowjetunion abzuschlietzen. Mr Kommissar sür auslän dische Angelegenheiten der chinesischen Regierung in Charbin, Gosu, sei nach Mukden abgefahren, um Marschall Tschangshue- liang über die Möglichkeit einer Verhandlung mit Moskau zu unterrichten. Man erwartet, daß Tschangchueliang Gosu bevoll mächtigen wird, Verhandlungen mit Moskau über die Beilegung des russisch-chinesischen Streitsalles einzuleiten. Zuwendungen der Sklareks an städtische Beamte in Berlin Berlin, 4. Oktober. Im Verlaus der Sklarekuntersuchung ist es den untersuchenden Polizeibeamten gelungen, in einem Ge schäftsbuch festzustellen, daß zwischen den drei Brüdern und Mit gliedern des Magistrats sowie Beamten der städtischen Verwal tung rege geschäftliche Beziehungen bestanden haben. Eine nicht unerhebliche Zahl städtischer Beamter hat mit den Sklareks in enger finanzieller Verbindung gestanden, denn aus den Konten geht hervor, daß Zahlungen erfolgt sind, von denen einige Be träge von 10 OVO Mark erheblich überschreiten.