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Erntedankfest Was wissen wir vom Erntefeste Und seinem letzten, tiefsten Sinn? Wir bau'n Maschinen und Paläste Gigantisch hoch zum Himmel hin Und dünken uns in unserm Streben, Das doch nur Stückwerk arm und klein, Längst selber Herren über Leben Und Tod und Erdgescheh'n zu sein. In das Geheimnis der Atome Drang unser Geist erschreckend weit, Und an dem ew'gen Sternendome Weiß der Verstand genau Bescheid. Wir suchen, grübeln und enthüllen, Was ewig wirkt und wächst und schafft, Und können dennoch nicht erfüllen Ein Samenkorn mit Lebenskraft! Und wie wir grübeln, forschen, Hetzen Den Menschengeist auch Jahr für Jahr — Des Lebens ewigen Gesetzen Sind fremd wir wie der Ahne war! Nur daß ein großes Weltverstehen Ihm eigen, das uns heut' entgeht: Daß alles Werden und Vergehen In Gottes ew'gen Ratschluß steht. Der Sämann nur, der ernst, gelassen Durchs Feld geht in den Frühlings Sturm, Der weiß noch heute recht zu fassen Der Glocken Erntelied vom Turm. Und wenn wir noch soviel gewönnen An Wissen um den Gang der Welt — Er weiß, daß wir nur atmen können, Wenn es dem Schöpfer so gefällt! Uns ohne Forschen, ohne Fragen Legt er die Saat ins Ackerland, Er weiß es: sie wird Früchte tragen, Kommt Segen aus des Schöpfers Hand. Und hat die Ernte es geborgen Goldreif in seiner Scheuer Statt, Er weiß, daß er nicht Menschensorgen, Daß Gott er drum zu danken hat. Das ist der Sinn der Ernteglocken. Er macht uns gläubig, ernst und still, Weil er mit jauchzendem Frohlocken Des Schöpfers Gnade Preisen will. Er macht mit jubelnden Geläute Demütig uns und menschenklein Und reißt das gleißende Gebäude Der Menschen Ueberhebung ein! Felix Leo Göckeritz. Menschenkenntnis Matth. 13, 13: Mit sehenden Augen sehen sie nicht. Wir saßen in ziemlich erregter Unterhaltung. Es wurde über das unerschöpfliche Thema von der Schlechtig keit der Menschen gesprochen. Angefangen hatte es ganz harmlos. Aber dann fiel die Bemerkung: „Mir kann keiner mehr was vormachen. Ich kenne die Menschen ganz genau. Ich sehe jeden Fehler und dann weiß ich Be scheid." Darauf warf ich ein, daß mir diese Art Menschen kenntnis gar nicht imponierte. Ist denn das eine Kunst, das Schlechte am Menschen zu erkennen? Das Schlechte drängt sich allermeist sehr deutlich auf. Man müßte doch schon ein ziemlich „blinder Hesse" sein, wenn man das nicht sehen würde. Die Frage ist doch die, ob man, wenn man von einem Menschen Schlechtes weiß und seine Der neue Bombenanschlag Mental ans das Lüneburger Regiernngsgebäude. Großer Materialschaden. Die Reihe der Sprengstoffattentatsversuche, mit denen in letzter Zeit die Öffentlichkeit in Deutschland beunruhigt wird, hat sich um ein neues Verbreche« vermehrt. In der Nacht auf Freitag explodierte neben dem Haupteingang des Lüneburger Negierungsgebäudes mit großer Gewalt eine Bombe. An mehreren Stetten der Stadt wurden zwei Schläge, ein starker und ein etwas gedämpfterer, vernommen. Ein Pfeiler des Kellergewvlbes, in das die Bombe ge legt war, wurde herausgerissen, Mauerstücke flogen 25 Meter weit bis an die Wand des gegenüberliegenden Rat hauses und richteten dort Verwüstungen an. Am Rat- Hause sind sämtliche Fenster, am Regierungsgebäude eben falls eine große Anzahl der Fenster, sowie solche an anderen benachbarten Gebäuden zertrümmert und die Fenster rahmen teilweise eingedrückt. Vom Keller aus ging die Wirkung der Bombe nach oben und durchschlug das Ge wölbe. In dem darüberliegenden Bureau des Bezirks ausschusses sieht cs wüst aus. In der entstandenen Öffnung versank ein Schreibtisch und die Aktenregale sind durch- einandergeworfeu. Regierungspräsident Dr. Herbst, der im Gebäude in unmittelbarer Nähe der Explosion schlief, blieb un verletzt. Die Lichtleitung war zeitweise unterbrochen. Sämtliche Landjägerei- und Polizeistationen der Um gebung wurden sofort benachrichtigt. Aus Harburg traf Polizeipräsident Wendtker ein und nahm die Ermitt lungen mit seinen Beamten auf. Von den Tätern hat man einstweilen keine Spur. Das preußische Innen ministerium entsandte zwei Berliner Kriminalbeamte nach Lünebura. Der Schauplatz des Attentats. Das Rathaus von Lüneburg mit dem benachbarten Regie rungsgebäude (durch einen Pfeil gekennzeichnet). Fehler steht, den Menschen nun wirklich „kennt". Jeder von uns empfindet es als ein Unrecht, wenn man uns nur nach unsern Fehlern und nach dem Schlechten in uns be urteilt. Dankbar dagegen empfinden wir es, wenn wir erfahren, daß jemand trotz der Fehler an uns dasGute sucht und an das Gute glaubt. Da fängt doch auch erst die wahre Menschenkenntnis an: hinter dem Schlechten das Gute zu sehen. Diese Kunst ist viel größer als die andere. Denn das Gute hält sich bescheiden zurück und drängt sich nicht vor. „Willst du die anderen ver steh'«, blicke in dein eigenes Herz." Das gilt auch in dieser Frage. Wie haben die „Gerechten", die „Klugen" einst die Zöllner oder die große Sünderin „gekannt" — und verworfen. Und haben viele dadurch erst schlecht ge macht. Jesus hat sie wirklich gekannt, hat hinter allen ihren Fehlern das verschüttete Gute gesehen, hat sie da nach gewertet, hat an dies Gute in ihnen geglaubt — und hat sie emporgehoben, daß sie ihre Fehler überwanden. Und so waren sie selbst der Beweis, daß er der wahre Menschenkenner war. Wo lag der Fehler bei den anderen? Es war wirklich ein „Fehler" — die Liebe „fehlte" ihnen. Du „kennst" die Menschen? Wie denn: mit oder ohne Liebe? k- H- P- Dieser neue Anschlag ist das elfte Unternehmen ähnlicher Art im letzten halben Jahr, die sich wie folgt verzeichnen lassen: 27. November 1928 Attentat auf das Amtsvorsteherhaus in Hollenstedt (Kreis Schleswig), 28. November Anschlag aüf das Auto des Amtsvorstehers in Lunden (Kreis Norderdithmarschen), am gleichen Tage Bombenfund in Beidenfleth vor dem Amtshause, 6. April 1929 Handgranatenanschlag in Wesselburen, 23. Mai Explosion im Landratsamt von Itzehoe, 30. Mai Explosion im Schulratshause zu Hohenwestedt, 9. Juni Attentat auf das Landratshaus in Niebüll (Schleswig), 1. August Attentat in Lüneburg auf das Haus des Rechts anwalts Dr. Strauß, 29. August Anschlag auf das Wohn haus des Negierungsvizepräsidenten Grimpe in Schles wig, 1. September Bombenattentat auf den Reichstag in Berlin. Oer Sprengversuch beim Reichstag. In Frankfurt a. M. hat sich ein Mann bei der Polizei gemeldet mit der Angabe, er habe das Unter nehmen gegen den Reichstag gemeinschaftlich mit einem anderen verübt. Der Selbstbezichtiger ist ein Kaufmann namens Joseph Hett, 39 Jahre alt und in Frankfurt am Main gebürtig. Er wurde festgenommen, um ihn zur Verfügung der Berliner Polizei zu stellen, die die Richtig keit seiner Angaben nachprüfen soll. Man nimmt aber an, daß der mehrfach vorbestrafte Hett vielleicht nur Flunke reien gemacht habe, denen mit Vorsicht zu begegnen ist. Im Berliner Tiergarten hat man inzwischen Bestandteile entdeckt, die zur Herstellung von Weckeruhren dienen. Sie stimmen überein mit den Resten der Weckeruhr, die bei der Bombe am Reichstag gefunden wurden, und sollen ebenfalls denen gleich sein, die bei verschiedenen anderen Anschlägen verwendet worden sind. Die Polizei be schäftigt sich mit den Funden unter der Annahme, daß es sich eventuell um Reserveteile handelt, welche die Atten täter mit sich führten. Ein Dummerjungenstreich? Bei Prüfung des Schaltervorraums und seiner Zu gänge fand Freitag früh ein Beamter des Postamts O 27 in der Magazin stratze am Alexander- Platz in Berlin in einem Korridor eine Blechbüchse, die 23 Patronen und etwa ein halbes Pfund Holzkohle mit Papierstückchen bedeckt enthielt. Aus dem Ganzen ragte eine Spiralfeder heraus. Die Patronen hätten explodieren können, wenn das Papier in Brand gesteckt worden wäre; das ist aber nicht versucht worden. Der Täter wurde anscheinend gestört. Nach Angabe von Sachverständigen, die den Inhalt der Büchse untersucht haben, hat der Täter vermutlich die Absicht gehabt, nur Unruhe zu stiften. An verschiedene Postämter Berlins sind in der letzten Zeit Drohbriefe gelangt. Die Erregung in Lüneburg. Verdächtiger Motorradfahrer. Die Erregung über den auf das Regierungsgebäude verübten Bombenanschlag ist in Lüneburg besonders groß, da man nicht vermutet hatte, daß ein neuer Anschlag gerade in Lüneburg ausgeführt werden würde, wo die Fäden der Ermittlungen nach den letzten Attentaten zu- fammcnlausen. Regierungspräsident Dr. Herbst er klärte auf die Frage, ob man angesichts der Aufregung in der Bevölkerung daran denke, den für Sonnabend und Sonntag angesetzten Stahlhelmlag zu verbieten, daß die Behörde dazu bisher keinen Anlaß sehe. — Es scheint nicht ausgeschlossen zu sein, daß der Anschlag diesmal gegen den der Sozialdemokratie angehören den Regierungs präsidenten selbst gerichtet war. Die Täter haben offen bar gewußt, daß sich Dr. Herbst gewöhnlich lange in seinem Arbeitszimmer aufhält. Er hatte sich am Donners tag ausnahmsweise um 11 Uhr zur Ruhe begeben. Aus Hamburg sind Polizeipräsident Dr Campe und die Polizeiobersten Danner und Friedrichs in Lüneburg ein getroffen. Die Untersuchung liegt in den Händen des Kriminalrats Bongartz, eines Berliner Spezialisten. Der Anschlag ist allem Anschein nach von den gleichen Personen begangen worden, denen die früheren Attentate zur Last zu legen sind. Die bisherigen Feststellungen lenken den Verdacht auf einen Motorradfahrer, der sich in der Attentatsnacht (vom 5. zum 6. September) um etwa 3^» Uhr bei Artlenburg hat über die Elbe setzen lassen, um — nach seinen Angaben — die Fahrt nach Soltau und Berlin fortzusetzen. Der Fahrer benutzte ein Motor- M w «i» dem Wle «Werg ' Roman von Anny von Panhuys L7. Fortsetzung Nachdruck verboten Da vergaß Margarete ihr eigenes Leid, Mutterangst verjagte jeden anderen Gedanken. Der Arzt aus dem Dorfe kam. Ein Blick auf den sich in seinem Bettchen unruhig hin und her werfenden Kleinen genügte ihm. Diphtheritis! stellte er mit der Sicherheit fest, die er sich au so vielen Krankenbetten im Laufe eines halben Jahr hunderts erworben. Drei Tage und drei Nächte kamen Margarete und Fräu- .Keller nicht aus den Kleidern, sie unterstützten pflege und der alte Arzt tat, was nur in stand, aber die drei Menschen vermochten es ^eben des Kindes zu halten. Als die Mltternachtsswnde des vierten Tages nahte, verlöschte das blutjunge Leben gleich einem niedergebrannten Kerzenlicht. Fräulein von Keller war vor Uebermüdung in einem Lehnstuhl eingeschlafen, der Arzt sagte leise, was er wohl schon an so vielen Kindersterbelagern gesagt: „Nun hat der Himmel einen lieben Engel mehr!" und Margarete sank vor dem Bettchen in die Knie, zu verstört, um weinen zu können. Sie starrte nur wie aus etwas ganz Unfaßbares auf den kleinen Toten, der wie schlummernd dalag mit einem ver klärten Zug auf dem weichen Gesichtchen. Der Arzt nahm Margaretes Hand. „Durchlaucht, das Kind ist allem irdischen Leid entrückt, seien Sie stark, unser Herrgott wird wissen, warum er sich den kleinen Schelm geholt." . „Aber ich weiß es nicht!" brach es wie bittere Anklage über die Lippen der vor Jammer tränenlosen Mutter. „Durchlaucht, ich bin kein Frömmler, aber es ist noch immer das Beste, wenn man sich dem Worte fügt: Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt!" War es die milde Stimme des alten Arztes, die Marga retes Erregung zum Ueberströmen brachte, oder kam ihr, was geschehen, erst jetzt mit voller Kraft zum Bewußtsein? Sie sann nicht darüber nach, aber sie begann laut zu schreien, riß dadurch die alte, im Sessel ruhende Dame empor, wie gellen der Feuerlärm den ruhigen Schläfer. Fräulein von Keller begriff sofort, was geschehen. Sie taumelte aus dem Sessel hoch und ihre kargen Altfrauen tränen fielen langsam und heiß auf die weißen Kissen nie der, darin ein Kinderkörperchen ausruhte von allzu kurzer Lebensbahn, indes die kleine Seele längst durch das Fen ster, das der Doktor geöffnet hatte, hinausgeflooen war, den ewigen Sternen entgegen. * In die Familiengruft von Wulffenberg trug man den kleinen Prinzen Rödnitz hinab. Es waren nicht viele Men schen, die ihm das Geleite gaben. Außer Margarete, die neben dem jungen Dorfpfarrer, der sie getraut, wie ein starres Marmorbild herschritt, folgten dem kleinen Sarge nur noch Fräulein von Keller, die vor Tränen kaum noch gucken konnte, Sabine und der alte Werkmeister. » Im letzten Augenblick sand sich noch Marie Westfal ein, die erst zufällig von dem Todesfall im Schlosse gehört. Der junge Pfarrer hielt nur eine kurze Rede, die damit schloß: „Wen der Herrgott im Himmel besonders lieb hat und wer ihm zu schade ist für rauhes Erdenleid und trübe Erdennot, den ruft er schon jung zu sich in sein leuchtendes Reich. Wir sollen uns freuen über so ein auserwähltes Menschenkind und nicht klagen, weil ein Irdischer allzufrüh einziehen durfte in die Gefilde der Seligen." Er hob die Hände segnend über den kleinen Sarg, der später in einen steinernen Sarkophag gestellt werden sollte, vorläufig aber neben der Ruhestätte seiner Urgroßmutter, der Fürstin Alexandra, niedergesetzt worden war. Blumen fielen auf den kleinen Eichensarg nieder, köst liche Rosen, wie sie im Park so üppig wucherten, verhauch ten ihren süßen Duft und das Schluchzen der Frauen war dazu wie die Begleitung einer melancholischen Musik. Nur eine Frau weinte nicht, nur eine stand schmal und aufrecht wie versteinert vor Weh. Margarete konnte nicht weinen und doch sehnte sie sich danach, denn ungeweinte Tränen brennen das Herz ent zwei. Der junge Pfarrer reichte ihr die Hand, seine Augen suchten mitfühlend ihren Blick. Ihre Starrheit wirkte be ängstigend. Fräulein von Keller wurde von der dicken Sabine und Werkmeister die Treppe aus der Gruft zum Dorffriedhof mehr getragen als geführt, sie war völlig am Ende ihrer Kraft. Alles, was es an Liebe in ihrem alten verknöcherten Herzen gegeben, das hatte sie zusammengesucht und dem klei nen Alexander dargeboten. Nie war sie glücklicher gewesen als in der kindlichen Unterhaltung, in dem kindlichen Spiel mit dem Prinzen. Sein Lachen, seine strahlenden Augen hatten alle Bitternis, die das Leben darauf aufgehäuft, von ihren: Herzen genommen. Und nun waren die frohen, harmlosen Stunden vorbei, nicht eine einzige davon würde wiederkehren. Für immer war der kleine liebe Schelm davongelaufen, über Grenzen fo weit und fern, daß sie ihm nicht zu folgen vermochte. Marie Westfal legte ihren Arm um Margaretes Schulter, doch sagte sie nichts. Sie wußte, kein Wort war jetzt stark genug, dieser armen, schmerzensreichen Mutter zu helfen. Margarete schien die sanfte Berührung gar nicht zu fühlen, sie blickte auf den unter Blumen fast verborgenen kleinen Sarg und ihr war zumute, als erfülle sie eine grau same Eiseskälte, die sie lähmte, zu empfinden und zu denken. Der junge Pfarrer gab Marie Westfal ein leises Zeichen, sie möge gehen. Vielleicht war es am besten, er redete noch allein ein paar tröstende Worte zu der Aermsten. Still entfernte sich Marie Westfal. Nun blieben nur der junge Pfarrer und Margarete hier unten zurück in der Gruft von Wulffenberg. (Fortsetzung folgt.)