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Wilsdruffer Tageblatt : 12.08.1929
- Erscheinungsdatum
- 1929-08-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192908128
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19290812
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19290812
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1929
-
Monat
1929-08
- Tag 1929-08-12
-
Monat
1929-08
-
Jahr
1929
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 12.08.1929
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Tag«« sprach Natur fragt nicht, aus was für Rang und Stand, Sie führt in Liebe Jeden an der Hand. Ihr Wunderreich birgt Schätze ohne.Zahl, Hier trinkst du aus den Kelch des Heilgen Gral. Zieschang. Des Bauer» Not ist Deutschlands Not Der bekannte Bauernführer und Dichter Gustav Schröer veröffentlicht im Augustheft des „Türmers" eine erschütternde Darstellung von der Not der deutschen Landwirtschaft. Wir ent nehmen daraus die folgenden Zeilen: Wir haben den Krieg verloren: Das: Wehe den Besiegten! wirkt sich aus. Es ist aber die Frage, ob unsere Not die Höhe erreichen mußte, die sie erreicht hat. Ohne Zweifel war manches zu vermeiden, anderes zu mildern, wären sich die ein zelnen Stände des deutscher Volkes ihrer Schicksalsverbundenheit bewußt gewesen, und hätten wir Männer gehabt, die ihren Weg, den Blick auf das Ganze gerichtet, gingen und nicht um kleiner Teilziele willen das große Ziel aus den Äugen verloren oder aber überhaupt nicht den Mut aufbrachten, sich zu einem solchen zu be kennen. Dies Ziel konnte nur sein: Zusammenfassung und Mobili sierung aller geistigen und wirtschaftlichen Kräfte zur Erhaltung des Vaterlandes einerseits, Steigerung unserer Leistungsfähigkeit andererseits, um die uns aufgebürdeten Lasten erträglicher zu machen. Der Weg, den wir gegangen sind, ist aber ein anderer gewesen. Mehr oder minder Sachverständige haben die Schuld an der heutigen Notlage dem Bauern selber zuzuschieben versucht und ihm die Heilmittel: Standardisierung, Rationalisierung und Tech nisierung empfohlen. Ls sei ohne weiteres zuzugeben, daß die deutsche Landwirtschaft auf allen drei Gebieten erheblich weiter kommen muß und kann, aber im gegenwärtigen Augenblick hier allein die Rettung suchen, das heißt, die Dinge unter falschem Gesichtswinkel sehen. Die Verelendung der deutschen Landwirt schaft hat ihre Grundursache weder in der nicht durchgeführten Standardisierung und Rationalisierung noch in der nicht ge nügenden Technisierung, sondern in der mangelnden Rentabilität aller landwirtschaftlichen Betriebe, die wieder in der Preisbildung der Produkte und deren Gegensatz zu den Preisen der Bedarfs artikel wurzelt. Die Folge davon ist eine Verelendung des Bauerntums, besten Lebenshaltung fast allgemein unter die des Arbeiters herabgedrückt worden ist und für das beispielsweise die heutige überspannte Sozialgesetzgebung eine schwere Belastung bedeutet, ohne ihm auf irgendeinem Gebiete auch nur die mindeste Erleichterung zu gewähren. Solange das Grundübel nicht be seitigt ist, ist es müßig, Heilmittel zweiten Ranges zu empfehlen, zumal deren Anwendung und Durchführung Summen erfordert, die eine mit bereits über 13 Milliarden verschuldete Landwirt schaft nicht aufbringen kann und die der Staat zu finanzieren sich weigert, ganz abgesehen davon, daß er ja auch dazu gar nicht in der Lage ist. Solange die Landwirtschaft gesund war, hat sie der Industrie etwa ihrer Erzeugung abgenommen, während 25—30?L in das Ausland gingen. Heute gehen etwa 10A in das Ausland, und die Landwirtschaft scheidet immer mehr als Käufer aus. Der Zusammenbruch der Landwirtschaft als Produzent be deutet restlose Abhängigkeit unserer Volksernä'hrung vom Aus lande, als Konsument schwere Erschütterung der Industrie, stei gende Arbeitslosigkeit, Erhöhung der Kosten für Erwerbslosen fürsorge, steuerliche Mehrbelastung des arbeitenden Teils, Ge fährdung des Staatshaushaltes. Was das heißt, wird deutlicher, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß wir unseres National vermögens verloren, durchschnittlich jährlich eine pafsibe Handels bilanz von 1 Milliarden Reichsmark haben, 2 Milliarden Reichs mark als Dawes-Belastung aufbringen müssen, die Kosten der Verwaltung in Reich, Ländern und Gemeinden gegen 5^ Mil liarden Mark im Frieden, heute 19^ Milliarden Reichsmark, nach anderen sogar 23 Milliarden Reichsmark betragen und wir, alles in allem, uns seit Jahren überhaupt nur durch iKredite er halten haben. So ist das: Landwirts Not — Deutschlands Tod! in der Tat mehr als ein Schlagwort. Der Wert unserer Industrie soll nicht im mindesten herabgesetzt werden, aber daran ist nicht zu rütteln: Stirbt der deutsche Bauernstand, stirbt Deutschland. Und er steht im Zusammenbruch. Ich hade 36 006 Thüringer Bauern vor mir gesehen, ich sah sie die Schwurhand heben, als ihr Führer sie dazu aufforderte, sah sie im langen Zuge, in dem schwarze Fahnen wehten, ernsten Ängesichts vorübermarschieren. Tiefe seelische Not stand auf allen Gesichtern geschrieben. Man hat den Bauern um der Vorkommniste in Äernkastel, Kyritz, Beidenfleth willen zum Revolutionär stempeln wollen. Wenn das nicht bewußt bösen Willen beweist, so beweist es mindestens die Unfähigkeit, bäuerliche Wesensart zu verstehen. Die Asphaltpresse steht dem Ringen der Landwirtschaft entweder ablehnend oder hilflos gegenüber. Ihr fehlt die Urteilsfähigkeit, und sie versucht das zu verdecken durch Schlagworte, die sie aus ganz anderen Lebensverhältnisten und Lebensbedingungen herleitet. , Was den Bauern auf die Straße getrieben hat, das war in weit höherem Maße seelische Not als materielle. Daß die wirtschaftliche Not zum guten Teil Ursache der seelischen ist, ist selbstverständlich. Wie liegt die Sache? Der Bauer wird aus sich selbst hinausgeschleudert. Er hängt aber nicht nur fest an seinem Besitz, er hängt ebenso fest an seiner Wesensart. Der Stand, der sich nie ganz ausgab, hat heute weder seelische noch materielle Reserven. Der nie poli tisch war, mußte zum Politiker werden. Der sich immer auf sich selbst verließ, muß im Massengedanken denken lernen. Der stets den Staat bejaht hat, ist hineingeworfen worden in innere Kon flikte, die ihn zur Trennung zwischen Staat und Regierungs system zwingen, eine Unterscheidung, die dem einfachen Menschen wahrlich nicht leicht fällt. Das System verneint er, muß er ver neinen. Wie lange will man ihm zumuten, den Staat zu bejahen, der auf diesem System aufgebaut ist? Wen beunruhigt es, daß der Gesundheitszustand des Landvolkes von Jahr zu Jahr schlechter wird, daß die Tuberkulose zunimmt, der Tierarzt eher geholt wird als der Menschenarzt? Wen stört es, daß der Friede auf unseren Dörfern infolge des Eindringens einander widerstreiten- parteipoliticher Ansichten, deren Eindringen eben durch die wirt schaftliche Not begünstigt wird, aufs schwerste gefährdet ist. Was deutet es für unseren Beamtennachwuchs, daß nur selten noch ein Bauer seinen Sohn auf eine höhere Schule schicken kann? Im° der mehr stößt das Land seine Menschen aus und wirft sie hinab in das Großstadtproletariat. Was das Volkstum vom Bauernstände zu verlangen hat, wissen wir genau. Es gibt auch keinen einzigen Führer, der sich dessen nicht bewußt wäre. Wir wissen ebenso, daß jeder gangbare Weg der Selbsthilfe gegangen werden muß, und er wird gegan gen. Kebermenschliches wird aus starkem Pflichtbewußtsein gelei stet. Scheinbar interessiert sich jetzt alles für den Bauern. Es ist so weit, daß wir zuweilen aufstöhnen: Gott bewahre uns vor unse ren Freunden. Die arme Landwirtschaft hat merkwürdigerweise nie so viel Freunde gehabt. Der eine schalmeit: Amerikanisierung, der andere Industriealisierung. Der Bauer braucht andere Freunde, solche, die das mit machen, was Italien und Frankreich taten, als Amerika, das Land des Hochschutzzolls, seine Getreidezölle abermals erhöhte, Zoli sch u tz ; solche die so viel Pflichtbewußtsein aufbringen, daß sie auf ausländisches Obst, Fleisch, Gemüse, auf fremdländische Milch und Milchprodukte, auf Brötchen aus zu 40^ ausgemahle nem argentinischen Weizen verzichten; solche die nicht jede uner freuliche Einzelerscheinung — wo gäbe es die nicht? verall gemeinern und den Nährstand in Bausch und Bogen verdammen, sondern ihm die Hand entgegenstrecken. Werde man sich doch klar darüber, daß die Notschreie des Bauerntums nicht erlogen sind, ja, daß die Not noch viel größer ist, als sie vor Augen liegt. Sei man sich aber auch klar darüber, daß der Bauer nie und nim mer allein stürzt, sondern daß sein Fall alle Stände ohne Aus nahme mitreibt. Das braucht nicht von heute zu morgen ge schehen, braucht auch nicht nach Art eines Wolkenbruchs aufzu treten, aber was will man machen, wenn wir eines Tages statt einer intensiven die extensive Landwirtschaft haben, wenn die heute überwundene Brachwirtschaft einen nie gekannten Umfang annimmt, wenn Hektar um Hektar, der Hunderte von Jahren un ter dem Pluge lag, aufgeforstet wird. Je größer unsere Abhängig keit vom Auslande, um so leichter dann das Preisdiktat, das das internationale Kapital ausübt. Bauernschicksal ist Volksschicksal, materiell und auch geistig. Bei gegenseitigem Verständnis und gutem Willen sind eine Unzahl Fragen, bei denen es sich um das Zusammengehen von Stadt und Land, Landwirtschaft und Industrie, Bauer und Arbeiter handelt, ohne weiteres so zu lösen, daß praktische Ergebnisse für das Volks ganze herauskommen. Theorien und Programme nutzen uns nichts mehr. Parteipolitik auf Kosten des Vaterlandes ist ein Verbre chen. Deutschland muß leben, die Parteien mö gen sterben. Nicht umgekehrt. Deutschland kann aber nur leben mit seinem Bauernstand, nicht ohne ihn. Sie große Schau der Werbekunst. Wirb und wirke! Die Reklame ist derjenige Wirtschaftszweig, der sich an die Gesamtheit aller Konsumenten wendet. 90 Pro zent aller Menschen richten ihre Kleidung, ihre Nah rung und ihre Vergnügungen nach den Leitsätzen ein, die ihnen die Reklame durch die Presse, insbe sondere durch dasInserat, durch Plakate, durch werbe kräftige Schaufensterdekorationen usw. vermittelt. Unum gänglich nötig ist es, daß ein Wirtschaftszweig, der die gesamte materielle Seite unseres Daseins umfaßt, von einem starken Verantwortungsgefühl gegenüber der Ge samtheit getragen werden muß. Die Ansichten über den Wert der Reklame, die einstmals absprechend lauteten, haben sich im Lause der Zeiten sehr gewandelt. Die Überzeugung vom wirt schaftlichen Wert der propagandistischen Tätigkeit ha! sich immer mehr sowohl in den Kreisen der Produzenten und des Handels als auch besonders in denen der Kon sumenten durchgesetzt. Ein anschauliches Bild von dem Werden und Wirken der Reklame von ihren ältesten Anfängen an bis zu der hohen Entwicklung, die sie im modernen Wirtschaftsleben erreicht hat, zeigt die jetzt mit einer Ansprache des Reichsjustizministers, Dr. Guörard, eröffnete große Ausstellung. „Die Ncklameschau" in Berlin. Sie bietet gewissermaßen die Illustration zu den zahlreichen Vorträgen und Besprechungen, die der gleichzeitig in Berlin tagende „Weltkongreß der N e k l a m c f a ch l c u 1 c" veranstaltet. Sie soll aber nicht nur dem Fachmann Anregung und Belehrung bieten, sondern vor allem auch dem großen Publikum zeigen, in welcher Weise man in immer steigenderem Maße es unter nimmt, um seine Gunst als Kunde zu werben. Ein Nundgang durch die Ausstellung zeigt, daß diese Aufgabe, die sich die Ausstellung gesetzt hat, glänzend gelöst worden ist. In einem Ehrenhof, den man zuerst betritt, ist eine alte Stadt naturgetreu aufgebaut; sie zeigt an den Wahrzeichen und Auslagen der alten Handwerksstuben die primitiven Anfänge einer Reklame, wie sie sich z. B. in den Messingbeckcn der Bar biere, den bekannten Sternen der Wirtshäuser und ähn lichem äußert. Weiter wird dann der Weg gezeigt, den die Reklame genommen hat vom Werbeplakat der Antike, um zum Besuch der Gladiatorenkämpfe anzu reizen, bis zur heutigen Vollendung in künstlerisch und werbekräftig höchst gestalteter Ausführung Eine Litcratur- sammlung von 600 Bänden gibt eine Übersicht über die Bücherei der Reklame. Eine gesonderte Schau bildet die „Eigen- reklame der Länder und Städte". Ganz Deutschland ist hier in Wort und Bild vertreten. Das Ausland hat ebenfalls reiches Material beigesteuert. Einen großen Raum in der Ausstellung nimmt die Leistungsschau des graphischen Gewerbes ein, die in zahllosen Zeitungen und Zeitschriften zeigt, was auf dem Gebiet des Druckgewerbes für die Reklame geleistet wird. Durch ein Lichttor betritt man dann das Innere einer weiteren Halle, in der vor allem die Lichtreklame der „Reuen Stadt" in vollendeten Darbietungen gezeigt wird. Ebenso werden in der „Ladenstraße" moderne Schaufenstsrbauten und De korationskunst dem Beschauer vorgeführt. Die Teilnehmer des Weltreklamekongr.'sses hatte der Deutsche Neklameverband zu einem Festbankett ein geladen. N c i ch s m i n i st er D r. Dietrich ergriff hier das Wort und ging besonders auf die Frage „Landwirtschaft und Reklame" ein. Die Landwirtschaft, die bisher der öffentlichen An preisung ziemlich ablehnend gegenübergestanden habe, sehe jetzt mehr und mehr ein, daß sie jetzt auch von diesem Mittel der llmsatzförderung Gebrauch machen müsse. Das zeige sich bereits vor allem bei einem Teilgebiet der Land wirtschaft, der Milchwirtschaft. Die Gemüse zucht befinde sich auf dem gleichen Wege und besonders würde in eine große Reklame für das deutsche F r i s ch e i eingctretcn, um die inländische Standardware gut umzn- sctzen. So werde auch die Reklame für die Landwirt schaft und damit für die ganze Bevölkerung zu einem Segen. Ich warte auf Dich Roman vön Fr. Lehne. 66. Fortsetzung Nachdruck verboten „Es war eine böse Zeit, wir haben viel durchgemacht. Die Frau Baronin ist lange krank gewesen und darnach ihre Menschenscheu — wir hatten große Sorge —" „Ich weiß es jetzt, Martha!" sagte Sylvia leise. „Frau Gräfin Raumhoff hat mir alles erzählt; bis dahin aber bin ich ganz ahnungslos gewesen! Niemand hat mir davon ge schrieben." Martha hörte einen Vorwurf aus Sylvias Worten. „Wir durften nicht! Es war uns streng verboten!" ent schuldigte sie sich. „Angedeutet hatte es die Mamsell — aber —" „Ich kann mir denken," bemerkte Sylvia traurig. Sie blickte um sich. Ihr trautes Mädchenstübchen mit den zier lichen weißen Möbeln erschien ihr wie ein unwahrscheinlicher schöner Traum. Von behaglicher Wärme war es erfüllt und blühende Topfgewächse und grüne Blattpflanzen machten es noch traulicher. Martha war es gewesen, die in Aufmerk samkeit ihr diese hingestellt. „Der Kleine schläft schon! Wenn ihn die Frau Baronin so sehen würde — alles würde sie doch vergessen!" wagte Martha zu bemerken, indem sie beinahe verliebt auf das bildhübsche schlafende Kind blickte. Sylvia seufzte. „Papa vielleicht — aber Mama —" „Ob der Herr Baron sich Bubi einmal ansehen würde?" Sylvia griff den Vorschlag der Jungfer sofort auf. Sie huschte hinunter. Die Eltern saßen mit erregten Gesichtern im Wohnzimmer am Kamin: ihr schien, als habe ihr Ein tritt beide in einem ernsten Gespräch unterbrochen. Schüch tern brachte sie ihren Wunsch vor. Der Baron konnte dem bittenden Blick ihrer Rehaugen nicht widerstehen; er stand „Alexandra!" Eine Mahnung und Bitte zugleich lag in vem einen Wort, während er seine Frau ansah, die nach an fänglicher Ablehnung sich nun doch eines anderen besann und sich ebenfalls erhob. Der Eintritt der Großeltern störte Fritz Andreas nicht in seinem gesunden Kinderschlaf. In den stolzen strengen Zügen der Baronin veränderte sich kein Zug beim Anblick des reizenden Kindes, während es in des Barons jovialem Gesicht vor Rührung zuckte. „Papa!" Sylvia suchte seine Hand und er erwiderte herzlich ihren zaghaften Druck. „Sylvia, wie glücklich würden wir sein, wenn wir dich von nun an mit deinem süßen Kinde bei uns haben könn ten!" sagte da plötzlich die Baronin und zog Sylvia an sich, sie auf die Wangen küssend. „Mama, ach, Mama, was verlangst du!" rief Sylvia er schüttert aus; die ungewohnte Weichheit und Zärtlichkeit der Mutter überwältigten sie; von ihren Empfindungen hin und her gerissen, brach sie in ein krampfhaftes Schluchzen aus. In dieser Nacht tat Sylvia kein Auge zu. Wie die Heimat sie mit ihrem Zauber im Banne hielt! Mit tausend Armen streckte es sich ihr aus allen Winkeln entgegen, raunte ihr zu — bleibe hier! Geborgen bist du vor den Widrigkeiten deines jetzigen Lebens — hier kann dir nichts Unschönes, Lästiges zu nahe treten! Denn mit Schau dern dachte sie an die Anforderungen ihres Haushaltes, dachte sie an den Aerger mit ihren ungeschulten, unerfah renen Dienstmädchen, der ihr täglich blühte, dachte an die Engigkeit und Armseligkeit ihrer Umgebung, an die Sor gen um die Wäsche, um den täglichen Tisch, um das billigste und vorteilhafteste Einkäufen! Die unmögliche, neugierige und boshafte Frau Oberlehrer Tilscher nebst ihren Freun dinnen standen drohend vor ihr! Ach, in den drei Jahren ihrer Ehe hatte sie genügend durchgemacht und erfahren, daß sie das, was sie in verblen deter Verliebtheit aufgegeben, wohl schätzen gelernt hatte! Zwischen ihre aufrührerischen Gedanken trat das Bild ihres Gatten. Merkwürdig verwischt erschienen ihr seine Züge. Beinahe schien es, als könne sie sich kaum noch darauf besinnen, wie er aussah, obwohl sie nur erst ganz kurze Zeit von ihm getrennt war. , Fast mit Gewalt suchte sie sich unanaenehmer Szenen zu erinnern, wie um eine gewisse Rechtfertigung vor sich selbst zu haben — doch das Bewußtsein seiner Güte und seiner Liebe verdrängten das alles, und in Scham über sich selbst drückte sie das Gesicht in die Kissen. Aber ihre Leidenschaft für ihn, ihre Sehnsucht waren eingeschlafen — und ihr war wirklich, als seien mit dem Eintritt in das Elternhaus die Jahre ihrer Ehe ausgelöscht. Und dann mußte sie an Graf Lüdorff denken. Seine herrischen, grauen Augen machten sie unruhig, befangen; in seiner Nähe fühlte sie sich gedrückt, klein, gedemütigt, sie, die sich ihm früher so überlegen gefühlt und die ihm das Bitterste angetan, was ein Weib einem stolzen Manne zufügen konnte — sie hatte ihn verschmäht — und dennoch hatte er ihr einen großen Dienst erwiesen, indem er die Versöhnung mit ihren Eltern angebahnt. Wie sehr war sie da in seiner Schuld! Arme Sylvia! In ihrer weichen, unentschlossenen, ' schwankenden Seele tobte ein Kampf, dem sie nicht gewach sen war; sie fand keinen Ausweg; willenlos hätte sie sich jetzt schon den Bestimmungen eines Stärkeren überlassen. Die Baronin hatte die Tochter richtig beurteilt. Sie hatte sich schließlich auch gesagt, daß aus Gründen der Klugheit - in diesem Falle Güte doch klüger und angebrachter sei als ' abweisende Strenge. Man muß das Eisen schmieden, so lange es warm ist. Denn sie wollte durchaus die Tochter aus den Fesseln dieser unwürdigen Ehe befreit wissen — eher hatte sie keine Ruhe. Der Regen klopfte gegen die Scheiben und der Novem bersturm heulte um das Haus, als Sylvia spät am Nach mittag nach einem kurzen, unruhigen Schlummer, der sie in den frühen Morgenstunden überwältigt hatte, erwachte. Sie fand Bubis Bett leer. Erschreckt richtete sie sich auf und klingelte. Die Zofe trat ein. (Fortsetzung folgt.)
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