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G! Um deimileden nerä i K " - Untervsltungsbeilage rum „rvilrüruNer Lsgebiatt" — Rmtsblstt. j H Blut Skizze von Bertha Witt. Sie liebten sich über alle Maßen, — nicht, wie man es nur so zu sagen Pflegt, sondern wirklich. Sie, die Tochter des reichen Geschäftsmenschen, und er, der freischaffende bekannte Gelehrte. Natürlich hatten die Eltern des Mädchens, kauf männisch und rechnerisch veranlagt, wie sie waren, die üblichen Bedenken gehabt. Aber schließlich waren diese verstummt. Die Verlobung fand also statt, und Papa schenkte den beiden Glücklichen ein funkelnagelneues hübsches modernes Gartenhaus, das allerdings noch erst gebaut werden mußte. Bis es fertig sei, sollten sie sich mit der Hochzeit gedulden. Dann bekämen sie es von oben bis unten herrlich neu, ganz nach ihren Wünschen eingerichtet. Alles war herrlich. Ihr Glück kannte keine Grenzen. Stundenlang steckten sie die Köpfe zusammen über allerhand Bauplänen, dann wanderten sie täglich zu der Baustelle hin aus, um festzustellen, um wie viel der Neubau wieder ge wachsen sei, und um auszurechnen, wie lange es noch dauern .würde, bis er fertig sei. Ihre Gedanken bepflanzten bereits den Garten mit den herrlichsten Blumen, bauten unter schattigem Lindengeäst eine Sommerlaube und legten in dem sonnigsten Winkel eine Sandkiste an — für die Kinder. Endlich war das Haus unter Dach, und man konnte an- fangcn, an die Auswahl der Möbel zu gehen. Es war förm lich ein schwelgerisches Glück, denn Papa zeigte sich freigebig wie immer. In dieser Zeit erkrankte sie, — plötzlich, gefährlich. Es waren schlimme Tage. Er, der Gelehrte, befand sich auf einer Vortragsreise und wußte von nichts; vorsichtig teilte man ihm die Lage mit. Die Braut schwebte zwischen Leben und Tod, die Aerzte sprachen nur von einem Rettungsmittel: einer Blutübertragung. Zwei Personen hatten sich angeboten; die eine war für das Experiment nicht geeignet, die Untersuchung der anderen stand bevor. Da erschien der junge Doktor von seiner rasch beendeten Reise. Sofort begriff er alles, und ohne Bedenken — die Lage duldete keinen Aufschub mehr — bot er sein Blut an. Er hätte sein Leben für die Geliebte gegeben. Die Eltern nahmen etwas betreten seinen bedenkenlosen Entschluß entgegen, die Aerzte fanden die Beschaffenheit seines Blutes außerordentlich gut geeignet, — also im Grunde war ja nichts selbstverständ licher, als daß er sich für sie hingab. Das Experiment wurde vollzogen. Sein Blut floß hin über in die Lebenswege, in das Herz der Geliebten... Eine Kleinigkeit war es nicht, — vielleicht hatte man auch seine Kräfte überschätzt. In tiefer Mattigkeit lag er eine Woche und zwei. Anfangs empfand er nur diese Leere des Hirns, die ihn unfähig machte, irgend etwas klar zu denken. Wie im Traum umschwebte ihn die Gestalt der Geliebten, und ei lächelte... Eines Tages trat sie zu ihm in sein Krankenzimmer, strahlend, frisch, gesund, den Arm voll blutroter Rosen, deren Farbe sich auf ihrem Antlitz zu spiegeln schien. Staunend, Wie aus einem Traum erwacht, starrte er sie an. Ihre Hand strich über sein Haar, glitt über sein Gesicht und fügte sich dann in die seine. Wie warm sie war, diese Hand, warm von seinem Blut. Durch seine ciskalten Finger fühlte er es selt sam rieseln, diese Wärme langsam in sich überfließen... Seine Hand zuckte leise, seine Augen schlossen sich. Die Schwester sprach ein paar Worte mit der Besucherin und ging mit ihr hinaus. Er aber riß die Augen, auf, starrte ihr nach, und immer durchrieselte ihn noch dies seltsame Gefühl. Sein Blut war es, das lebensvoll, in heißer Wärmewelle wie der zu ihm hinüber zu strömen schien. Er genas endlich. Er ging, erfüllt vom neu erwachenden Leben, in der Sonne des Gartens umher. Aber der Gedanke, — jener seltsame Gedanke verließ ihn nicht. Er schien sich in die blutlose Leere seines Gehirns eingefressen zu haben. Der Arzt hatte ihm noch irgendwo einen Kuraufenthalt angeraten; morgen wollte er reisen. Dann würde er allmäh lich die Welt wieder anders ansehen... Nun kam die Geliebte noch einmal. Wie glücklich, wie strahlend, wie lachend sie ihm wieder erschien! Schöner als je. Sie saß bei ihm, plauderte, etwas befangen noch, wie im leisen, Weichen, schuldbewußten Mitleid, und er fühlte wieder ihre Wärme... Trotz der Entfernung, die sie von einem Garten sessel bis zum anderen trennte, suhlte er diesen Wärmestrom herüber fließen. Es war eigentümlich beklemmend. Wie Finger legte es sich um seine Kehle, so daß er nichts sagen konnte. „Das Haus ist gestern fertig geworden", plauderte sie. „Wäre alles planmäßig verlaufe:', dann hätten wir vielleicht heute — oder morgen — geheiratet. Nun ist daran nicht zu denken; aber sobald Du wieder kommst —" Er nickte — die Finger schnürten ihm enger die Kehle, diese unsichtbaren Finger. Langsam tastete er nach der Mäd chenhand, er wollte sich an diese Wärme gewöhnen, sich zwin gen... Er vermochte es nicht. Wie Feuer brannte es ihn, und vor den Augen rauschte es blutrot. Hastig stand er auf. „Verzeih", murmelte er. „Es ist noch immer — diese Leer heit —" „Armer Junge!" Mitleidig streichelte sie seine Hand. „Es wird sich geben. Ich will jetzt auch gehen. Deine Ner ven vertragen oie Gegenwart von Menschen noch nicht." Sie ging. Er sah sie nicht mehr. Er war auf die Garten bank zurück gesunken, ocn Kopf vornübergebeugt. Wie liebte er sie, ihre warme blühende Schönheit, ihr herrliches Jung sein. Und doch... Immer würde er diese Wärme spüren, wie ein Feuer, das ihn brannte. Es war sein Blut. Es floß lebensvoll durch diese Adern, sein Blut bestimmte ihren Herz schlag, sie lebte allein noch durch diesen fremden Lebenssaft, den er ihr gegeben hatte. Sein Blut würde in ihrem Kuß auf wallen, ihm entgegen rauschen, wenn er sie umarmte, — es würde sich aufbäumen in jeder Berührung, die sich zwischen ihnen herstellte. Fühlte sie denn das nicht? Und dann — hatten sie sich nicht Kmdcr gewünscht? — Vielleicht war es lächerlich, was er dachte; aber es ließ ihn nicht wieder los. Immer würde es wie ein Alp auf ihm liegen müssen, wie ein Grauen, gegen das er sich vergebens auflehnte. Er stand auf, langsam und schwer, aber mit klaren, festen Gedanken. Er war nicht umsonst der exakte Gelehrte, der einen Gedanken folgerichtig zu Ende denken konnte. In dreser Stunde schrieb er einen einfachen, klaren, folgerichtigen Ab schiedsbrief, und früh am Morgen verließ er die Stadt. sie den Neulingen flüsternd vorgestellt, kraftvoller Frauenschönheit, mit ihrem Vor I MM Sie das Wilsdruffer Tageblatt Händen durch die offen stehende Balkontür in die Tiefe hinab. Man hielt es für einen Unglücksfall. Eduard, der Bru der, blieb unbekannt und schwieg. Nur Lucille — mit dem Instinkt des liebenden Weibes — ahnte, daß etwas ge schehen sein mußte, was mit den Schrecken seiner Nächte in aufklärendem Zusammenhang stand, und ihre unveränder liche Liebe zeigte sich darin, daß sie seinem Tode in keiner Weise nachforschte. Der Mann, der ohne Erinnerung war Skizze von Käthe Donny. Die Erfüllung Skizze von Franz Adam Beyerlein. Auf der großen Freitreppe der Klinik blieb er stehen. Der frische Frühlingswind blies ihm den Jodoformdunst, der drinnen die Gänge erfüllt hatte, von der Stirn. Er überlegte: was für ein Bescheid war ihm zuteil geworden? „Ihr Herz ist sehr krank", hatte ihm der berühmte Arzt und Kollege gesagt. „Bei einem ähnlichen kleinen Schwin delanfall, wie Sie ihn jüngst erlebt haben, kann es Sie Plötzlich einmal ganz und gar im Stiche lassen. Aber vor sichtig behandelt, verrichtet es noch lange seinen Dienst. Am besten bereiten Sie sich allmählich auf den Ruhestand vor. Leben Sie dann hübsch gleichmäßig, etwa hier im Flachland oder auch am Hang des Harzes oder des Thüringer Waldes, so mögen Sie steinalt werden. Tue Höhen aber sind Gift für Sie; je höher, desto gefährlicher!" Er nickte vor sich hin. Dann hob er langsam das Haupt zur Sonne empor. Von diesem Augenblick an spürte er eine unbezwingliche Höhensehnsucht. Zweiundfünfzig Jahre hin durch hatte er sein Leben emporgebaut. Was so lange einem Gipfel zugestrebt hatte, schien ihm nicht geschaffen, am Ende in einer Ebene zu verlaufen, am wenigsten in einer abwärts i geneigten Ebene. Mochte es wieder in steilem Sturze ab- > brechen! Er war Herr seines Schicksals, er allein. Weder Weib noch Kind hatten Forderungen an ihn. Er war — wer fragte danach, ob freiwillig oder aus bitterem Zwange? — einsam geblieben. Seinen Studenten aber würde nach der Regel des Kommens und Gehens ein neuer Lehrer und Führer erstehen. Dicht zu Füßen der Oetztaler Alpen liegt das kleine Dorf. Inmitten seiner grünen Blatten wird es bereits vom Atem der Gletscher angeweht. Böses Wetter begräbt es auch im Hochsommer unter Schnee; aber wenn die Sonne wieder triumphiert, wölbt sich der Himmel so heiß und blau wie über Syrakus und dem Aetna. Dorthin begab er sich mit dem Beginn der akademischen Ferien. Der Fleck Erde hatte es ihm von je angetan. Kein eigentlicher Bergsteiger, geschweige denn ein Kletterer, war er gern zu den geringen Gipfeln und zu den Paßhöhen, die ein rüstiger Wanderer auch ohne Führer erobern mag, emporgeklommen. Diese Gewohnheit nahm er wieder auf. Aber während ihm zuvor ein Weggenosse stets willkommen gewesen War, ging er jetzt mit Bedacht allein. Der schöne rasche Tod irgendwo dort oben in der seligen Einsamkeit eines besonnten Grates sollte niemand erschrecken. Anfangs lauschte er dabei auf die Stimme seines Her zens. Es geschah nicht ängstlich, sondern kühl und beob achtend. Sie dünkte ihn erstaunlich klar und kräftig. Aber er mißtraute ihr. Allgemach jedoch fiel der Zweifel von ihm ab, und schließlich fühlte er sich mit jedem neuen Tage hennzukehren. Niemand sah ihn lebend wieder. Nach Monaten fanden Skiläufer seinen Körper auf dem gebietenden Scheitel der Scharte, von wo sich der Saumweg nach beiden Seiten tal wärts senkte, langhingestreckt auf einer Steinplatte, das Ant litz den Weißen Gipfeln zugewandt. Man fand ihn als letzten bei dem zertrümmerten Wag gon. Er mußte weit hinaus geschleudert worden sein, denn er lag an der Böschung der Bahn zwischen Mohnblumen und Kamillen. Dem Anschein nach war er tot, und man trug ihn wie die anderen Toten in das nahe Fabrikgebäude. Das Unglück geschah in der Nähe der Grenze, unweit der Grenzstation und in nächster Nähe einer Kunstseide fabrik. Es war ein merkwürdiges Unglück. Der Zugführer berichtete, daß jemand gegen Mitternacht bie Notbremse ge zogen hatte und kurz darauf, noch ehe die Zuggeschwindigkeit vermindert werden konnte, ein Knall erfolgte, der jene fürch terliche Explosion begleitete. Die Ursache der Explosion ließ sich nicht mehr feststellen, denn der ganze betroffene Schlaf wagen war ein Trümmerhaufen, und der einzige überlebende Insasse, der scheinbar Tote von der Bahnböschung, wußte nichts zu sagen. Er lag vierzehn Tage ohne Bewußtsein in der Wohnung des Fabrikdirektors, und als er das erste Mal klar und normal seiner Umgebung antwortete, stellte es sich heraus, daß er sein Gedächtnis völlig verloren hatte. Er wußte weder seinen Namen noch seine Staatszugehörigkeit, weder Beruf und Alter. Er hatte keinerlei Papiere bei sich. Unter seinem Schlafanzug fand sich nur ein wildlederner Brustbeutel mit englischen und amerikanischen Banknoten, die ein Vermögen darstellten. Er mochte Ende der Zwan ziger sein, hatte ein kluges, scharfes Gesicht und sehr schmale Hände, die außerordentlich gepflegt waren. Er sprach fran zösisch genau so fließend wie deutsch. Behördliche Aufrufe und Nachforschungen blieben ohne Erfolg. Weder Angehörige noch Freunde der Opfer erkann ten in ihm einen der Verlorenen. Niemand fragte nach ihm, niemand vermißte ihn. Er verfolgte aufmerksam, ja mit einer gewissen Unruhe die Bemühungen, seine bürgerliche Daseinsberechtigung festzustellen, schließlich fand er sich in die Rolle eines Menschen, der bis zu dreißig Jahren Nie mand war und zu diesem Zeitpunkt erst Jemand wird. Die Haltung des Fabrikdirektors und nicht zuletzt das sichtliche Interesse seiner einzigen Tochter erleichterten dem Namen losen den Wiedereintritt in die bürgerliche Welt. Er war entschieden kaufmännisch begabt und besaß eine spekulative Phantasie, die besonders den Direktor fesselte. Die beiden Männer erörterten in langen Unterhaltungen Ausbau und Entwicklungsmöglichkeiten der Fabrik mit dem Ergebnis, daß Gaston, wie er sich nun nannte, in das Unternehmen eintrat und sein gerettetes Kapital darin arbeiten ließ. Die Fabrik nahm unter seiner Tätigkeit einen erheb lichen Aufschwung. Seine Energie erwies sich als unbeug sam, seine Phantasie schuf Gewebe und Farbenreize unerhör ter Art, die sich als kostbare Spezialitäten in der ganzen Welt durchsetzten. In einem Jahre erhielt die bis dahin unbeachtete Fabrik internationale Berühmtheit. Lucille, die zarte, blonde Tochter des Direktors, hatte den Unbekannten zuerst geliebt, jetzt bewunderte sie ihn. Sie bewunderte die Sicherheit seines geschäftlichen Spürsinns, die Großzügigkeit seiner Pläne und die unfehlbare Mathe matik seines Denkens. Er war in ihren Augen ein Genie. Der Vater widersprach ihr nicht, auch dann nicht, als Gaston um die Hand von Lucille bat. Er zögerte nur mit der Zu sage mit einem vorsichtigen Hinweis auf Gastons ungeklärte Vergangenheit. Wie, wenn er in irgend einem Lande an eine andere Frau gebunden wäre? Da widersprach jedoch Lucille. Die Frau eines solchen Mannes hätte nicht geruht, bis sie ihn gefunden hätte. Dies sah der Vater ein. Gastons Glück aber war nicht bedingungslos. Er litt an Träumen. Ost erwachte er mitten in der Nacht, von surchtbaren Bildern gefoltert. Da war zum Beispiel ein älterer Mann, grau, mit etwas schief stehender Hakennase und stechenden Augen, die ihm immer näher kamen, größer wurden, saft aus ihren Höhlen quollen, während sich der Mund wie ein dunkles Loch öffnete. Was wollte dieser Mann von ihm? Gaston saß schweißbedeckt und starrte in die Nacht, die dunkel vor ihm stand wie seine Vergangenheit. Wer war er? Wie hatte er einst gelebt? „Quäl Dich nicht", sagte Lucille eines Nachts, als sie ihn stöhnen hörte und — das Licht einschaltend — sein ver störtes Gesicht sah, „es ist jetzt alles gut." Ja, es war alles gut, wenn er in sein großes, Helles Arbeitszimmer kam und die Fäden des weltumspannenden Unternehmens in seinen Händen fühlte, wenn er in seinem schlanken, schnellen Wagen durch das Land jagte und alle Türen vor ihm aufflogen, wenn die zarte blonde Lucille an seinem Herzen ruhte. Er befestigte jetzt persönlich die Beziehungen zu deut schen Geschäftsfreunden und reffte. Die Konferenz verlief zu seiner Zufriedenheit. Es war weit nach Mitternacht, als er sein Zimmer betrat. Er hatte kaum die Doppeltür hinter sich zugezogen und noch nicht den Lichtschalter gefaßt, als er sich dem blendenden Strahl einer Taschenlampe und einer Revolvermündung gegenüber sah. Aber der Revolver fiel zu Boden, und eine Männerstimme rief: „Tobi, Du?" Durch Gastons Körper ging ein Schlag. „Tobi", wer rief das? Er lehnte zitternd an der Wand, während der andere das Licht andrehte und vor ihm stehen blieb. „Tobi, Tobias, kennst Du mich nicht? Ich bin's, Dein Bruder Eduard, der kleine Ed, — und Du lebst, Tobi, Du bist da mals nicht verunglückt? Du hast auch heute wieder etwas vor, und ich bin zufällig bei dem gleichen — Geschäft. Machen wir Halbpart, Tobi, wie ehedem. Dieser kunstseidene Franzose hat Schmuck und Wertpapiere. Aber warum sprichst Du nicht. Bin ich Dir vielleicht nicht mehr gut ge nug zum — Kompagnon?" Gaston war in einen Sessel gesunken. „Tobi", — also das war er. Dieb, Einbrecher und — Mörder. Er streckte abwehrend die Hände aus, aber sie war da, die Vergangen heit, Plötzlich aufgerissen durch ein einziges Wort: „Tobi". — Und da war auch der alte Mann, dem er die Kehle um spannte — oh, wie dem die Augen aus dem Kopfe quollen — und der Mund, ein schwarzes Loch — und die vielen, vielen Scheine, die er sich in den Brustbeutel stopfte, ehe er die Sprengpatrone entzündete, ehe er aus dem Fenster sprang. Er schrie aus und stürzte sich mit hock erhobenen jünger und gesünder. Um soviel tausendmal besser! So hatte sich die medizinische Berühmtheit daheim Wohl geirrt. Der „Adler", das einzige Wirtshaus des Dorfes, faßte nur wenige Gäste. Leichte und angenehme Beziehungen er gaben sich daraus. Ein paar ranke und schlanke Mädels boten bunte Augenweide und aufblitzende Unterhaltung. Vor allem aber war Frau Blanda da. „Die Witwe des großen Anglisten, der vor drei Jahren an der Grippe starb", wurde r:. c... "1." " "h wenn sie, ein Bild kraftvoller Frauenschönheit, mit ihrem beschwingten, behen den Schritt in den Saal trat und nach allen Seiten mit steter Herzlichkeit grüßend, sich niederließ. Er war ihr zu Lebzeiten des Gatten begegnet und näherte sich ihr wieder, wie es die Höflichkeit der Welt nicht anders heischte. Aber es währte nicht lange, so suchte er ihre Gesellschaft. Auch die Gefährtin seiner Wan derungen wurde sie zuletzt. Bei den Gängen in der köstlichen Reinheit der Frühe, beim Rasten in der mittäglich stillen Glut und bei der Heimkehr in der milden Sanftheit des Abends, erstarkte gegenseitiges Wohlgefallen zu einer Liebe, die den fünfzig und vierzig Jahren zum Trotz so heiß und rot wie nur eine war. Klatschte aber der Regen Wider die Scheiben, so riet die behagliche Vernunft der Enge ein dringlich zu einer späten und nun desto wärmeren Herd gemeinschaft. Eine Zeitlang zögerte er das Bekenntnis hinaus. Wiederum horchte er in seine Brust hinein auf den Schlag des Herzens, diesmal gespannt und voll banger Er wartung — aber immer Heller und klarer klang es ihm zu rück. Da schalt er den Arzt jubelnd einen Schwarzseher; und oben auf einer Paßhöhe, wo das trunkene Auge die ganze Weite ringsum und nahbei noch die Gebiete der zwei Täler königlich beherrschte, tauschte er das Gelöbnis des Angehörenwollens mit der Geliebten. Blanda kehrte vor ihm in die Heimat zurück. Weihnachten noch sollte die Brautschaft kundgemacht, vor Ostern noch die Ehe geschlossen werden. Er verweilte im Gebirge bis zum Ende der Ferien. Schließlich sandte er sein Gepäck voraus und brach mit leichter Bürde in endgültigem Abjchied auf. Es war ein Oktobertag, so voll von schwerer Süße wie eine reife Traube aus den Weingärten von Meran. Zu jener Paßhöhe, auf der er die Geliebte zum ersten Male geküßt hatte, klomm er empor, um in das Nachbartal herniederzusteigen und in ihm abwärts wandernd