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MdmfferTageblatt Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft/ Da» .Wilsdruffer Tageblatt' erlcheini au allen Werlrlaceu nachmftlago 5Uhi. Bezugsvreis: Bei Abholung in der Geschäftsstelle nnd den Ausgabestelle» 2 RM. im Monat, bei Zustellung durch di« Bolen 2,3U RA!., bei Postbestellung 2 «M. zazilguch Abtr. g- .. . gebühr. Einzelnummern llSRpsg.Allr-Boi-ai,stallen WocheNviStt fük WkiSdrUtt N. ÜMPV-'-NV Postboten und unsercAus- trägerunbGeschäftsstellen — —— nehmen zu jeder Zeil Be- ftellungen entgegen. ImFalle höherer Gemalt, Krieg oder sonstiger Betriebsstörung«/, oestehl kein Anspruch aus Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. — Rücksendung eingesandter Schriftstück« erfolgt nur, wenn Porto bestiegt. für Bürgertum, Beamte/ Angestellte u. Arbeiter. Anzeigenpreis: die «gespaltene Raumzeile 20Rpsg., die tgespaltene Zeile der amtlichen Bekanntmachungen 40 Stichs Pfennig, die «gespaltene Rcklamczeile im textlichen Teile I Reichsmark. Nachmeijungsgcbühr 20 Reichspsennige. Bor. geschriebeneGricheinungs» rss»rr s. -r r-rr- „ tage und Piatzvorfchriften werden nach Möglichkeit s? k kN sv kL ch Sk ! Amt WilSdpUff Nk. 6 bcrücküchtigl. Anzeigen, annahmebis oonm.lOUbr. ———— Für die Richtigkeit der durch Fernruf übermitteltcnAnzi igen übernehmen wir keine Garantie. Jeder Rabatlansprn ch erlischt, wenn dcr Betrag dMtch Klage cingezogcn werden must oderberAuftraggederinKonkursgeräl. Anzeigen nehmen alleDermitUuigsst-llrneatgeoen. Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amts-- gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. Rr 137 — 88 Jahrgang Telegr.-Adr.: „Amtsblatt* Wilsdruff-Dresden Postschcck: Dresden 2640 Sonnabend, den 15 Juni 1929 Das politische Barometer. Von der «Hand in den Mund. — Muttersprache, Mutter- laut. — Verbrüderungsphrasen. Wenn auch das Barometer im allgemeinen auf Schön wetter stand — das politische Barometer zeigte eine andere Kurve. „Unbestimmt", ja „Regen und Sturm" herrschten vor und das finanzpolitische Barometer gar stand unter dem Einfluß einer tiefen Depression. Mehr als unerfreulich war der Ausgang, den die Auflegung der Reichsanleihe genommen hat, und das Märchen von dem Fuchs mit den sauren Trauben kommt in den Sinn, wenn der Reichs finanzminister erklärt, er sei mit dem Resultat zufrieden, weil ihm jetzt wenigstens die Mittel zur Verfügung stünden, die von den Banken der Reichslasse gepumpten Übergangskredite von 120 Millionen zurückzuzahlen. So wird denn vorläufig der Reichssäckelmeister weiter von der Hand in den Mund leben müssen und obendrein noch von der Sorge bedrückt sein, ob die Einnahmen des Reiches im laufenden Jahre wirklich die Ausgaben decken werden. Ob der Reichshaushalt, der im Reichstag jetzt durch beraten wird, wirklich balanciert, so wie es die Spar kommission der Regierungsparteien ausgerechnet hat? Bisher ist auch deren Beschluß mit auffallender, aber eiserner Konsequenz durchgeführt worden, über die im umgeänderten Etat festgelegten Ausgaben hinaus neue nicht zu bewilligen. Die Sünden früherer, allzu großer Be willigungsfreudigleit haben sich bereits bitter gerächt. Und vergeblich klopft man an das Finanzbarometer, ob nicht doch der Zeiger allmählich auf „Schönwetter" empor- klstterl. Auf längere Zeit sind vielmehr diese Wetteraus- stchten überaus trübe und vor kurzem hat einer der maß gebenden politischen Propheten sogar das Herannahen eines „Tiefs", nämlich einer Steuererhöhung, an gekündigt. Auch in Madrid stand nur das wirkliche Barometer auf hellen Sonnenschein, während das politische unverrückt ans „Veränderlich" stand. Und übler Regen, vereint mit der Kälte der Abneigung und dem Sturm schlecht gespielter Entrüstung, allerhand Hoffnungen auf eine dem wirklichen Geist, der Völkerbundratssitzung entsprechende Regelung der Minderheitenrechte rasch erfrieren ließen. Es sind in Madrid ein paar große Schritte auf dem Wege gemacht worden, die mit dem Blut der Abstammung, mit der „Muttersprache, Mutterlaut" gegebenen natürlichen Rechte nationaler Minderheiten dem übertrieben nationalen Staatswillen zur Aufsaugung dieser Andersstämmigen zu opfern. Der deutsche Außenminister hat nicht einmal er reichen können, daß. bei der künftigen Behandlung von Fragen und Klagen der Minderheiten vor dem Völkerbund jener Staat — also hauptsächlich Deutschland — Mit wirken darf, dessen Volksgenossen jenseits der Grenzen sich wegen der ihnen zugefügten Behandlung an den Völker bund wenden. „Diese ekelhafte Flotte" hat man vor ein paar Jahrzehnten einmal in bestimmten deutschen Kreisen gesagt, als die Schaffung einer Wehrmacht auch zur See energisch propagiert wurde; entsprechend fühlt und — handelt man beim Völkerbund hinsichtlich der Minder heiten, und das „berühmte" Selbstbestimmungsrecht der Völker, das z. B. für anderthalb Millionen Litauer einen eigenen Staat schuf, gilt für die uns entrissenen acht Mil lionen deutscher Volksgenossen weniger denn je. * . Nur an manchen Stellen stand das politische Baro meter auf „Schönes" oder vielmehr „Festliches Wetter". Zum erstenmal ist mit König Fuad das Haupt eines Landes, das im Weltkriege zur Front unserer Gegner gehörte, nach Deutschland gekommen, und das ist in Berlin natürlich auch ganz gehörig gefeiert worden. Nicht mit dem Pomp, mit dem vor einem Jahre auf seiner Europareise der jetzige König a. D. Aman Ullah umgeben wurde und sich selbst umgab. Dem hat es wenig genutzt, daß er auch in London aufs prunkvollste gefeiert wurde; das hat ihm sowenig geholfen, daß dieselben Eng länder dabei mithalfen, ihn vom Thron der Väter hin- nnterzustotzen. Machtinteressen entschieden auch hier wie überall trotz tönender Völkerbundstatuten und noch lauterer Verbrüderungsphrasen, die von den stechenden Sonnenstrahlen der Wirklichkeit rasch versengt zu werden pflegen. * Und da gibt es immer noch deutsche Dichter, die er klären: „Der Mensch ist gut!" Die Sensationsprozesse des Tages deuten eher auf das Gegenteil hin, gleichgültig, ob es sich dabei um dis sogenannte Liebe, um das noch liebere Geld oder um den Milieuausschnitt mit dem Knaben mord im Hintergründe handelt. Und wenn es in die Politik hineingeht, dann sprechen überhaupt nur nackte, rücksichtslos sich durchsetzende Interessen der Völker und der Menschen. Und seit Kain den Abel erschlug, sind die Menschen höchstens anders, aber wirklich nicht besser geworden. Dr. Pr. Ser „Gelbe Bogel" io RordMie» gelandet. Paris, 14. Juni. Havas meldet aus Santander: Das Flugzeug „Gelber Vogel" ist bei Comillas unweit von Santander gelendet. Das ursprüngliche Ziel, Paris, wurde wegen Gasolin- mangets nicht erreicht. Vertrag Wischen Pechen md dm Vatiim Zer preußische MchsWMW. Was von Braun und Pacelli unterzeichnet wurde. Der Staatsvertrag zwischen dem Freistaat Preußen und der römischen Kurie ist vom preußischen Ministerpräsi denten Dr. Braun und dem päpstlichen Nuntius Pacelli unterzeichnet worden. Der Ministerpräsident dankte nach der Unterzeichnung des Vertrages dem apostolischen Nuntius und seinen Mitarbeitern für die große Mühe waltung, die sie dem Vertragswert gewidmet haben, und sprach auch den Herren aus der preußischen Seite seinen Dank aus. Er sprach die Hoffnung aus, daß das Parla ment den Vertrag genehmigen werde und baß damit der Grundstein zu dauernden friedlichen Beziehungen zwischen dem Preußischen Staat und der Kirche gelegt fei. Der apostolische Nuntius dankte dem Ministerpräsidenten und erklärte, daß das Parlament, wenn cs diesen Vertrag genehmige, eine historische Tat vollziehe, mit der dauernd der kirchliche Friede gesichert sei. Der Vertrag besteht aus 14 Artikeln und einem Schlußprotokoll. Art. 1 besagt, daß der Preußische Staat der Freiheit des Bekenntnisses und der Ausübung der katholischen Religion den gesetzlichen Schutz gewährt. Auf Grund des neuen Vertrages erhält Preußen drei Erz bistümer, während bisher nur eines bestand. Zu dem bestehenden Erzbistum in Köln wird das Fürstbistum Breslau in ein Erzbistum verwandelt und darüber hinaus wird das neue Erzbistum Paderborn geschaffen. Was die Dotationen betrifft, die Preußen der katholischen Kirche zu leisten hat, so sind sie gegenüber früher um eine Million Mark erhöht worden. Die neue Dotation beträgt 2,8 Millionen Mark. Die evangelische Kirche erhält 5,3 Millionen Mark jährlich an Dotationen. Darüber hinaus zahl der Preußische Staat anPfarrer- besold ungen für die katholische Kirche 21 Millionen Mark jährlich und an solche für die evangelische Kirche 50,3 Millionen Mark jährlich. Die Pfarrerbesoldung ist jedoch im Konkordat nicht enthalten, unterliegt also der Gesetzes- regelung durch Preußen, ebenso ist auch die Frage der Orden sowie die der Minderheiten in das Konkordat nicht hineingenommen worden. Schließlich wird auch Berlin ein Bistum erhalten, weil hier gegenwärtig ungefähr eine halbe Million Katho liken wohnt. Weiter sind in dem Vertrag Vorschriften über die Vorbildung der Geistlichen niedergelegt. Eine wichtige Bestimmung des neuen Vertrages betrifft auch die Bischosswahl. Die bisher übliche Wahl durch das Kapitel und nachfolgende Ernennung durch den Heiligen Stuhl ist ein altes deutsches Partikularkirchenrecht, während in der übrigen Wett der Heilige Stuhl allein die Ernennung vollzieht. Auch die Reichsverfassung bestimmt, daß die Geistlichen durch die kirchlichen Behörden selbst eingesetzt werden. Die diesbezügliche Neuregelung für Preußen ist ein Kompromiß, dahingehend, daß 1. das Kapitel, 2. die Bischöfe je eine Liste aufstellen und 3. der Heilige Stuhl unter Würdigung dieser Listen eine Dreierliste ausstellt, aus der das Kapitel die Wahl vornimmt. Eine politische Klausel verlangt jedoch die Rückversicherung, daß Sie Wahl der Staatsregierung auch genehm ist. An zuständiger preußischer Stelle legt man Wert auf die Feststellung, daß der unterzeichnete Vertrag mit der Nuntius Pacelli Ministerpräsident Braun Kurte kein „Konkordat", sondern ein Vertrag ist, da in den Begriff des Konkordats sämtliche möglichen Fragen zwischen Staat und Kirche gehören, ferner aber auch der Vertrag als solcher den Abmachungen viel näher zu kommen geeignet ist, die im Kirchengesetz vom 15. Oktober 1924 für die protestantische Kirche niedergelegt sind bzw. die etwa noch zu treffen wären. In dem Vertrag mit der katholischen Kirche, der mit dem Papst als dem Oberhaupt der Kirche (nicht mit dem Souverän des neugeschaffenen Kirchenstaates) geschlossen ist, sind nicht enthalten Ab machungen über die Schule, über die Pfarrerbesoldung, über die Orden und über die Minderheiten. Der Vertrag bedarf noch der Annahme durch die par lamentarischen Körperschaften in Preußen und durch die Kurie in Rom. Außerordentliche Generalsynode in Sicht. Der Beschluß des Kirchensenats, sofort die Generalsynodc einzuberufen, falls die preußische Staatsregierung dem Land tag einseitig einen Staatsvertrag nur mii der katholischen Kirche vorlegen sollte, scheint schneller, als man vermutet hatte, verwirklicht zu werden. Die Mitglieder der General synode haben von amtlicher Stelle eine Mitteilung erhalten, m der sie gebeten werden, sich für eine außerordentliche Tagung der Generalsynode bereit zu halten. Als Termin ist vorläufig der 22. Juni in Aussicht genommen. Von kirch licher Seite wird hierzu bemerkt: Diese ernsthaften Vor bereitungen für den Zusammentritt der obersten gesetzgeben den Körperschaft zeigen deutlicher als alle Kundgebungen, für Wie ernst man aus protestantischer Seite die Lage hält. NN Die BerjMlWes Sier Sie Reform der Weitsloseu-Ver- UerW gescheitert Berlin, 14. Juni. Die interfraktionellen Verhandlungen über die Reform der Arbeitslosenversicherung sind heute endgültig gescheitert. Die Sozialdemokraten haben bekanntlich bereits gestern abend beschlossen, an der Forderung einer Beitragserhöhung un bedingt festzuhalten und die Fraktion der Deutschen Volkspartei hat heute mittag eine Sitzung abgehakten, in der die Fraktion auf ihrem bekannten Standpunkt beharrt, im Zusammenhang mit dem Sofvrt-Programm eine Beitragserhöhung nicht zu bewilligen. Die Standpunkte der Fraktionen wurden dann dem Vor sitzenden des interfraktionellen Ausschusses, dem Abgeordneten Esser, mitgeteilt, der sich daraufhin entschloß, eine neue Sitzung des Interfraktionellen Ausschusses nicht mehr einzuberufen, die eigentlich für heute nachmittag in Aussicht genommen war. Auch die Demokraten neigen jetzt mehr der Anschauung zu, daß eine Beitragserhöhung im Rahmen des Sofort-Proaramms nicht an gängig erscheint. Nunmehr wird der Reichsarbeitsminister Wissell sein von früher her bekanntes sogenanntes Sofort-Programm, das also un ter Ausschaltung der Beitragserhöhung und der Frage der Sai sonarbeiter sich auf Abstellung einiger Mißstände beschränkt, dem Reichstage vorlegen, und die Entscheidung darüber wird nun, da eine Verständigung der Regierungsparteien nicht zustande kam, im Sozialpolitischen Ausschuß des Reichstages fallen. Man rech net jedoch damit, daß vor der Sommerpause nur noch dieses So- fort-Pregramm erledigt wird, während der Hauptteil der Re form der Arbeitslosenversicherung auf den Herbst verschoben wer den muß. Die deuLschnationake Fraktion hat zur Frage der Reform der Arbeitslosenversicherung einen ausführlichen Anttag eingebracht, der eine Reihe von Systemänderungen vorsieht. Professor Dr. Kahl. Am 17. Juni vollendet Prof. Dr. Kahl sein 80. Lebensjahr. Eine der markantesten Figuren im Reichstag ist dieser Mann, auf dessen unter Mittelmaß bleibendem Körper das riesige, hochstirnige, lang bebartete Haupt ruht. Ohne Mühe trägt der jetzt Achtzigjährige die Lasten schwerster wissenschaftlicher und parlamentarischer Arbeit. Und er hat — bei anderen wäre es kein Lob — im Parla ment keinen Feind, kaum Gegner, seit der Siebzigjährige, von Deutschlands furchtbarster Not getrieben, seine Per sönlichkeit'als Mitglied der Nationalversammlung in den Dienst am Volke stellte. Er hat vielleicht Gegner seiner Ansichten und Anschauungen und nicht ungern kreuzt er die Klinge im Rededuell auch mit einem zwar nicht eben bürtigen, aber selbständig denkenden, alle Schlagworte der Tagespolitik vermeidenden Gegner. Denn geistig jung geblieben ist der Achtzigjährige, der sich auch durchaus nicht einmal scheut, zu gestehen, daß er über dies oder jenes anders denke als früher. Keine Feinde — warum? Weil auch der politische Gegner sich nie der ethischen Wucht dieser Persönlichkeit entziehen kann. Ob Strafrecht, ob Kirchenpolitik, ob etwa die vor bald zehn Jahren gefallene Entscheidung über Annahme oder Ablehnung des Versailler „Friedens"- diktats — immer ist sein Ja oder Nein diktiert nicht von Parteibeschlüssen oder vergänglicher Tagesmeinung, son dern dieser Mann spricht, handelt und entscheidet nur so, wie ihm das Gewissen es diktisrt. Man, alle Wett weiß, daß ihm 1919 zuerst die Überzeugung von der tiefen Un moralität, von der unerhörten Ungerechtigkeit und der Lüge des Versailler Diktates das fünfmal wiederholte „Wir lehnen ab!", das wie Orgelklang über die National- veriammlnna dahin tönte, Untergrund der Rede war.