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I Wilsdruffer Tageblatt I 2. Blatt. — Nr. 88 — Dienstag. 16 April 1929 Tagesspruch. Hoffe immer, ists vergebens Schwand dir doch für diese Zeit Eine Sorge deines Lebens Hin in die Vergangenheit. G. Zieschang. Preußens Gchulsorgen. tt. Berlin, 15. April. Der Preußische Landtag begann die zweite Beratung des Kultusetats. Der Hauptausschutz fordert in seinen An trägen zu diesem Kapitel u. a., daß der Erlatz über körper liche Züchtigung einer Nachprüfung unterzogen werde, daß ferner die mittlere Reife als vollgültige Befähigung für den Eintritt in die Laufbahn der mittleren Beamten an erkannt werde, daß ein PritvatschuIqesetz für Preußen vorgelegt werde. Für den Hauptausschutz berichtet Abg. Dr. Steffens lD. Vp.). Kultusminister Dr. Becker führt u. a. aus: Im Vorder grund des allgemeinen Interesses stünden heute, wie im Haupt ausschutz bereits deutlich geworden sei, drei Probleme: Di, Sorge um die sittliche Gefährdung unserer Jugend, das Berechti- js gungswescn, das Bcrhältnis zu Reich und Kommunen. Pädagogik soll, so sagt der Minister, nicht Einpauken sein, aber auch nicht Gesührtwerdcn durch die Jugend, sondern Führung der Jugend. Die Schule belaste die Jugend keines wegs stark. Im Zusammenhang damit sei daraus hingewiesen, daß u. a. die Bedeutung der Schülerselbstmorde als Symptom sittlichen Verfalls überschätzt würde. Es sei eine statistische Konstanz der Schttlerselbstmorde bis in die Vorkriegszeit hinein sestzustcllen. Auch bezüglich des Be- rechtigungswesens weist der Minister darauf hin, daß nicht Schule uud Staat, sondern das Leben als Ganzes eine sehr komplizierte Aufgabe gestellt habe. Der Andrang zu den beamteten Stellen sei, wie zu jedem Beruf, dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterworfen. Zum Wissenschafts problem bemerkt der Minister, daß er sich nach wie vor be mühe, Forschung und Lehre der Humboldtschen Idee ent sprechend untrennbar zu lassen. Das Problem Reich—Länder sei auch für die Wissenschaft insoweit ein Problem, als nicht freie Forschung und die Länder lediglich die Wissenschaft au ihren Hochschulen betreuen könnten. Dies« Probleme werden am ehesten lösbar sein, wenn sich zwischen den in Frage kommenden Reichsbchörden, vor allem dem ReichsmtNtsterlum des Innern und seinem Ministerium, eine feste Arbeitsgemeinschaft für die Dauer Herstellen ließe um dle er sich bei dem Reichsinnenminister bemühe. Abg. Meyer-Magdeburg (Dtn.) erklärt, es bestehe die Gefahr eines katastrophalen Lehrermangels und eines revolu tionären Abbaues der Lehrerseminare. Der Versuch mit den Akademien erscheint dem Redner noch nicht als abgeschlossen. Daß der sittliche Zustand unserer Jugend befriedigend sei, könne man nicht behaupten. Die Einheitsschule könne man zwar äußerlich schaffen, aber in geistiger Beziehung sei das nicht gut möglich. Daher sollte der Minister davon absehen, die sogenannte Gemeinschaftsschule zu schaffen. Mit der Revolution sei eine Erschütterung aller sittlichen No-men und Begriffe verbunden gewesen. Mit der Zeit habe*sich aber der ernst gesonnene Teil des Volkes zu diesen sittlichen Werten zurückgefunden und sich wieder der christlichen Grundlage erinnert. Vaterländische Erziehung sei Erziehung zur Liebe des Vaterlandes, des Volkes, zur Gesinnung der Volksgemeinschaft. Es komme da immer wieder die vielleicht unbewußte, vielleicht absichtliche Ver wechslung von Staat und Staatsform zum Vorschein. Abg. Lauscher (Ztr.) erklärt, in den letzten Jahrhunderten habe eine gewisse Degradierung der Religion in der schule stattgefunden. Die Schule dürfe aber nicht unter dem Vorwand, die Einheit zu vertreten, die Freiheit zertreten. Man müsse versuchen, der Religion auch in der Ausbildung oes werdenden Menschen die angemessene Stellung zu geben. Abg. Dr. Ausländer (Komm.) begründet Anträge seiner Fraktion, die der Volksschule neue Wege weisen soll, und er klärt, die ganze Weisheit der Regierungsparteien in Preußen »uf diesem Gebiete habe darin bestanden, eine Revision des Prügelerlasses zu fordern mit dem Ziel, in den Schulen wieder mehr zu prügeln als bisher. Abg. Schwarzhaupt (D. Vp.) bedauert die Kürzung der Zuschüsse an leistungsschwache Schulverbände nm eine Mil- ' I /ton, was sich katastrophal auswirken müsse Um so ver wunderlicher sei die hundertprozentige Erhöhung der Zuschüsse für Privatschulen. Dabei handle es sich nicht um Unterstützung der bestehenden, sondern um Errichtung neuer Privatschulen. Karl Löwe, der Salladenlompomfi. Unter den vielen volkstümlichen Liedern, die in Deutschland gesungen werden, ist eines der volkstüm lichsten „Die Uhr": „Ich trage, wo ich gehe, stets eine Uhr bei mir". Man kann es in Konzerten hören, aber häufiger noch finden sich in Familien, in Vereinen, bei Lesekränzchen mehrere zusammen, die es anstimmen. Wer den sinnvollen Text gedichtet hat, wissen die wenigsten, aber den Namen des Komponisten kennen viele: „Die Uhr von Löwe", sagt man, wenn man auch sonst nicht allzuviel von diesem Löwe weiß. Karl Löwe, der -Komponist der „Uhr", dessen Todestag sich am 20. April zum sechzigstenmal jährt, nimmt unter den deutschen Balladenkomponisten die erste Stelle ein, wie Franz Schubert unter den deutschen Liederkomponisten an erster Stelle steht. Wir wollen nur einige der Balladen, die er- in prachtvoller Weise vertont hat, erwähnen. Da sind „Archibald Douglas" („Ich hab' es getragen sieben Jahr'") und „Tom der Reimer" und „Der Nöck" und das Goethesche Hochzeitslied („Wir singen und sagen vom Grafen so gern") und Freiligraths „Prinz Eugen" („Zelte, Posten, Werdarufer") und viele, viele andere noch. In Konzerten hat man das alles bestimmt schon von irgend einem „Löwesänger" gehört, denn es gibt Sänger, die das Singen Löwescher Balladen zu ihrer Spezialität gemacht haben. Karl Löwe wurde am 30. November 1796 zu Löbejün im Merseburgischen geboren. Nachdem er in Halle die Universität besucht hatte, kam er Ende 1820 nach Stettin, wo er als Kantor und als Musikdirektor am Gymnasium wirkte, 46 Jahre lang. Dann setzte er sich in Kiel zur Ruhe; am 20. April 1869 ist er hier gestorben. Löbejün, Stettin und Kiel haben ihm Denkmäler errichtet. Außer Balladen und Liedern hat Löwe auch Oratorien und Opern komponiert. Originelle Züge boten auch diese Kompositionen, aber an die Balladen reichen sie als Kunstwerke nicht heran. / Grenziandkundgebung des Zentrums. Deutschland und Polen. An dem Ersten Ostdeutschen Parteitag des Zentrums in Breslau nahmen unter anderem auch die Reichsminister Stegerwald und v. Guörard teil; ferner war der Vor sitzende der Deutschen Zentrumspartei, Prälat Kaas, er schienen. Ein Begrüßungsschreiben hatte u. a. gesandt der bisherige österreichische Bundeskanzler, Dr. Seipel. Im Namen des Erzbischofs von Breslau, Kardinals Dr. Ber- tra m, begrüßte Prälat Lange die Erschienenen. Unter den zahlreichen Reden rief Beachtung die Ansprache des Rcichs- tagsabgeordncten Brüning hervor, der daraus hinwies, daß alle die großen Leiden, unter denen der Osten seufze, auch in anderen Grenzgebieten vorhanden seien. Wenn es nicht ge linge, der Landwirtschaft des Ostens durchgreifend zu helfen dann könne für die Industrie, das Gewerbe und die Arbeiter 81. Fortsetzung. Nachdruck verboten. „Er wäre grausam und ungerecht, wenn er es nicht täte, denn du bist als meine Frau keine Sängerm mehr, son dern eine Gräfin Wolfsburg. Aber wie er sich auch dabei verhalten möge, ich bin der letzte Wolfsburg und Majo ratserbe und außerdem majorenn. Ich wähle ein eben bürtiges Weib, wenn das auch in den Familiengesetzen nicht als Bedingung für das Majorat gestellt wird. Seine Einwilligung könnte er also nur in Dem Sinne als dein Vormund versagen. Doch du bist jetzt auch neunzehn Jahre — so warten wir, bis du ebenfalls majorenn bist." „Du wärst also entschlossen, auch ohne feinen Willen" — „Ja und tausendmal ja, das soll das kleinste Hindernis sein, wenn du mir nur deine Liebe schenkst." Ein leises, aber schmerzliches Stöhnen kam aus ihrer Brust, doch sie überließ ihm willig, fast unbewußt ihre Hand, die er wieder und wieder küßte. Plötzlich durchfuhr es sie mit jähem Schreck; sie entzog ihm hastig die Hand. „Geh jetzt, Hans Joachim, ich bitte dich — nein, hier bitte, durch diese Tür." Ehe sich Hans Joachim noch ihre plötzlich befremdende Aufregung und Angst erklären konnte, wurde die Tür un- stüm geöffnet, und herein trat oder vielmehr stürmte ein junger Mann, dessen Stimme draußen Senta vorhin so er schreckt hatte. Es war Robert Kenzinger. Einen Augenblick maßen sich die beiden Männer stumm, aber wie zwei haßerfüllte Gegner. Senta hatte ihren Schreck überwunden. Sie bot Robert freundlich die Hand, obgleich sie ihm zürnte, daß er so wild und unangemeldet bei ihr eingedrungen war. Was sollte Hans Joachim davon denken? Doch ein Instinkt riet ihr, den Löwen nicht zu reizen. „Hans Joachim, gestatte, daß ich dir meinen Vetter Robert Kenzinger, Königlichen Opernsänger, vorstelle — hier, Robert, ist Graf Hans Joachim von Wolfsburg — ebenfalls mein Vetter." Die beiden Männer verneigten sich steif; man sah es ihnen an, daß sie nur der allernotwendigsten Höflichkeit Genüge leisten wollten. Senta hatte geglaubt, die Situation zu retten, aber sie hatte dabei nicht mit Roberts wild-leidenschaftlichem Tem perament gerechnet. Robert argwöhnte in dem Fremden, den Senta als ihren Vetter vorgestellt hatte, sofort seinen Rivalen, um dessentwillen sie ihm einen Korb gegeben hatte, und die Möglichkeit, daß er soeben ein Rendezvous gestört haben könnte, raubte ihm vollständig die Besinnung und Beherrschung. „Was hat dieser Herr bei dir zu suchen, Senta?" fragte er drohend. „Robert," rief sie verweisend und hochaufgerichtet in ihrer stolzen Würde, „Lu vergißt dich." Ehe sie noch ein weiteres Wort hinzufügen konnte, stand Hans Joachim plötzlich an ihrer Seite. Er war leichenblaß, er hatte den Lohengrin von gestern abend, aus den er so eifersüchtig gewesen war, erkannt, und die Art, wie dieser Mann zu Senta zu sprechen wagte, brachte auch ihn um die Fassung. „Mein Herr, wer gibt Ihnen das Recht, so zu meiner Kusine zu sprechen? Noch ein Aehnliches und —" „Halt, Hans Joachim!" Senta stand plötzlich zwischen den Männern, die sich be drohlich nahe gerückt waren, und streckte die Hände aus. „Kein Wort weiter hier in meinem Zimmer!" Hans Joachim zuckte zusammen: „Vergib mir, Senta, ich war unsinnig." Sie stand noch immer stolz aufgerichtet und bebend vor Zorn da. „Geh jetzt, Hans Joachim," befahl sie kurz. „Ich tue, wie du befiehlst," antwortete er zerknirscht, „doch eine Frage beantworte mir zuvor: Hat — hat dieser Herr irgend welche — Anrechte an dich?" „Nein!" schäft nichts mit Erfolg geschehen. Die Verschuldung der Landwirtschaft müsse ein Ende nehmen und bei Landwirtschaft ein erträglicher Zinssatz zur Verfügung gestellt Werden. Der Zentrumsvorsitzendc, Prälat Kaas, führte aus, es sei an der Zeit, daß das deutsche Volk un beschadet aller parteipolitischen Grenzen und Unterschiede sich auf die Pflicht besinne, die es den schwcrleidendcn Not gebieten der Grenzlande schulde. Entweder finden die Staats männer der Welt den Mut und die Größe, ihren Völkern zu sagen, datz hier eine Wunde blutet, die nach Heilung verlangt, oder sie haben es sich selbst zuzusthreiben. wenn an Stelle der Heilung nur Verschärfung der Gegensätze tritt Eine Wolke schwebe über den Beziehungen zwischen Deutschland und Polen, die Frage der Minderheitenpolitik. Diese Frage müsse gelöst werden, sonst sei an friedliche Verständ- gting nicht zu denken. Nach zahlreichen weiteren Reden sprach Abgeordneter Prälat Ulitzka im Schlußwort die Hoffnung aus, daß die Stimme des Ostens auch in Berlin gehört werde. — Das Deutschlandlied bildete den Abschluß des Parteitages. Eine Grcnzlandfcier tm Saal des „Schießwerder" schloß sich an, zu der Tausende erschienen waren. Neben anderen Rednern sprach noch ein mal Prälat Kaas. An den Reichspräsidenten v. Hinden burg wurde ein Begrüßungstelegramm gesandt. Die Ver sammlung stimmte mehreren Entschließungen zu, die Abhilfe für die Not im Osten fordern. Tragödien der Liebe. Liebesdrama in einer Irrenanstalt. In der Irrenanstalt Irsee bei Kaufbeuren (Schwaben) hat sich ein blutiges Liebesdrama abgespielt. Die 33- jährige ledige Wirtschastsführerin Maria Schegg schoß den 36jährigen ledigen Arzt Dr. Wilhelm Kutter durch einen Schuß ins Herz nieder. Der Arzt war ver tretungsweise seit Jahren in der Anstalt tätig und die beiden kannten sich schon seit längerer Zeit. Die Schegg schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben, den Arzt heiraten zu wollen. Nach einer mehrstündigen Unterredung mit ihm ereignete sich die Tat. Hcrbeigecilte Anstaltsbeamte ergriffen die Mörderin sofort und nahmen ihr die Waffe ab. Durch Polizeibcamte wurde sie sodann ins Gefängnis nach Kaufbeuren gebracht. Der ermordete Arzt stammt ans Memmingen. Selbstmord zweier Jugendlicher. Auf der Rhcintalbahn zwischen Hockenheim nnd Oftersheim wurden die Leichen eines jungen Mannes und eines Mädchens aufgcfundcn. Die beiden jungen Menschen waren von einem Schnellzuge überfahren worden. Es handelt sich um die fünfzehnjährige Maria Scheuermann aus Hockenheim und den siebzehnjährigen Arnold Mühleisen aus dem Pfaffengrund. Man fand bei ihnen einen Zettel, aus dem hervorgeht, datz sie Selbst mord verübten. Mordversuch und Selbstmord eines Arztes. Der in Karlsruhe-Beiertheim wohnende Arzt Dr. Fritz Gehring, der mit seiner Frau in Scheidung lebt, versuchte seine Haushälterin zu erschießen. Darauf brachte er sich selbst einen Schuß in den Kopf bei, der seinen sofortigen Tod zur Folge hatte. Die Hausdame wurde in lebens gefährlichem Zustande in das Krankenhaus gebracht. Ein Gala-Auiomobil für den Papst, vas von den Mailänver Auioklubs geschenkt wurde. Es ist ein 8-Zylinder-Jsotta-Fraschini, rot lackiert, innen mit Damast ausgeschlagen, Beschläge massiv Silber oder vergoldet. Links oben das aus dem Kühler angebrachte päpstliche Wappen. Dieses „Nein" klang hart und abweisend; es traf so wohl Hans Joachim wie Robert, der mit zusammengebis senen Zähnen und vor Haß und Eifersucht funkelnden Augen stumm und trotzig auf seinem Platz verharrte. „Und — es bleibt — bei unserer Verabredung?" fragte Hans Joachim noch einmal. ..2a" „Lebewohl, Senta." „Lebewohl." Kaum war die Tür hinter ihm zugcsallen, da richtete sich Robert auf. Senta aber,schritt, ohne ihn zu beachten, der entgegengesetzten Tür zu „Senta!" Er stürzte ihr nach. — „Senta, du zürnst mir " „Ja." Sie wandte sich langsam um. „Laß mich jetzt gehen." „Treibe mich nicht zur Verzweiflung. Senta, höre mich an, ehe du mich verurteilst. Versetze dich in meine Lage — ich treffe jenen Vetter, den" — „Du hattest kein Recht, unangemeldet bei mir einzu dringen," unterbrach sie ihn kalt „Recht? Fragt die Liebe nach Recht? Ich hörte drau ßen, ein Herr sei bei dir, ein Verwandter von der Wolfs burg; es trieb mich, ihn zu sehen — ich klopfte an die Tür — ihr vernahmt es nicht — da trat ich ein und" — „Und benahmst dich wie ein Unsinniger." „Tat ich das, so rechne es meiner heißen Liebe zugute." „Oder deiner törichten Eifersucht " „Töricht? So sage mir, daß ich nichts zu fürchten habe." „Du host nur dich selbst zu fürchten. Robert. Glaubst du, ich könnte einem Manne meine Liebe geben, der mich wie ein Othello mit seiner Eifersucht verfolgt? Ich würde nur vor ihm — zittern " „Senta," rief er erschreckt und griff nach ihrer Hand, „soll das heißen, daß du — daß du" — er stockte, und sein Gesicht war blaß wie der Tod. Da kam ein heißes Mitleid über Senta; der Zorn war verflogen. Sie reichte ihm die Hand. „Frage nicht länger, Robert, martere mich nicht. Nach drei Tagen werde ich dir antworten." (Fortsetzung wlgt.)