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H FIm heimischen fierö I " Unterkaltungsbeilage rum „lvilsclruNei' csgeblatt" — Mmtsvlstt. st Verdunkelter Erinnerung. Und von Haus zu Haus zog klagendes Lied. Von Haus zu Haus. Aber kein Tor, kein Fenster klang ... Karl Uhlen hatte gerade die nassen Langschäfter von den müden Beinen gezogen. Er lauschte auf. Was klagte doch Schicksal. Von F. Schrönghamer-Heimdal. Das Wort sagt es schon: Schicksal ist eine Schickung für die Seele, damit sie aus einem Notstand durch Not-Wende zur Sal-Sälde-Seligkeit komme. -i- Schicksal ist Zufall — das Wort in seiner tiefsten und eigentlichen Bedeutung. Kein „blindes" Geschick, sondern etwas, das uns „zufällt" als Gabe und Aufgabe der „Not- Wendigkeit". -i- Schicksal ist „Verhängnis". Welt und Leben sind uns wie durch einen undurchdringlichen Vorhang „verhängt". Dumpf lastet das Dunkel auf uns. Wir leiden. Aber Leiden läutert und lichtet die Seelengründe auf. Und aus der Urmutternacht des klaglosen, nncntweihten Leidens findet die suchende Seele den Weg ins Freie, zur Freude, zur Freiheit, zum Frieden. Als die Guarneri rief. Skizze von Emil Rath. Feuerschein. Funkenprasseln in dürrem Strohdach. Laute Schreie. Das Dorf geriet in Aufruhr. „Füer bi Willem Uhlen!" Schwaden beizenden Qualmes schlugen aus den Fenstern der Bodenkammer. Wieder gellende Schreie. Neugierig scharten sich Mädchen, Weiber, notdürftig bekleidet, im Kreise, wichen aufschreiend zurück, wenn eine Funkengarbe nieder- stob. Knarren, Knattern, Rattern. Die Dorfspritze, kümmer liches Gefährt, dahinter von Fackelschein ungewiß umspielte harte Gesichter. Der halb vertrocknete Dorfteich gab nur spärlich Wasser. Der junge Krumnow preßte sich ein nasses Tuch vor das Gesicht, warf sich gegen die verschlossene Tür, — er wußte, in der Kammer zur Rechten der schmalen Stiege schliefen Uhlen und seine Frau. Tastete sich vorwärts. Fühlte schlaffe, warme Körper. Qualm beizte Augen, Nase, Lunge. Er schleppte Lebloses hinaus. Einmal. Noch einmal. Derweilen ächzte die Spritze, als heische sie selber Hilfe. Mine Uhlen mochte die braunen Augen nicht mehr auf... Im Krankenhause der nächsten Stadt genaß mühselig ein gebrochener Mann. Er sprach kaum, irre Bilder zuckten wie in Fieberphantasien an ihm vorüber. Entfernt schimmerte unter einem Schleier zusammenhangloser Gedanken Erinne rung an Feuerschein und schrille Schreie. Auch die grauen Tage nn Krankenhause gingen vorüber. Und eines Tages stand Wilhelm Uhlen, er, der einst straffe Fünfzigjährige, gebeugt vor geschwärzten Mauerresten, vor einem unentwirrbaren Knäuel von Gerümpel. Wie fern laa igte doch draußen vor der "Tur? Er ging zum Fenster, aber ver schnörkelte Eisblumen standen Schildwache. Wieder der klagende Ton — nein, kein Zweifel mehr! Das war der Ton der alten braunen Geige, die oft in des Vaters Hand ge klungen. Ihm war, als setzte sein Herzschlag aus. Sollte — Abschied von Bornholm. Skizze von Walter Gutkelch. Es war in Roenne, in dem terrassenförmigen Park des Hotels, eine Stunde vor Abfahrt des Dampfers. Seit etlicher Zeit schon aß ich das berühmte dänische Abendbrot, das auf zwei Gartentischen um mich herumgebaut war, und immer noch hatte ich nicht bewältigt: die Hühnermayonnaise, den Eiersalat, den kalten Braten, die Leberpastete, das Rettich gemüse, die Käseplatte, die Mokkatörtchen und die Eiscreme. Plötzlich inmitten all der Herrlichkeit, fiel mir ein, daß ich meinen Zimmerschlüssel noch nicht zurückgegeben hatte. Ihn in mein Zimmer, das in einem weitläufigen Seitenflügel des Hotels lag, zurück zu bringen, hätte mich mindestens ein halbes Huhn gekostet; und bis zu dem Pförtner des Direktionsgebäu des war es mindestens zwei, wo nicht gar drei Salatschüsseln weit. Verdammt, was einem solch ein Stück Eisen doch auf den Magen fallen kann, wenn man in Bornholm zu Abend ißt! Da kam mir ein Gedanke. Natürlich, das Bedienungs fräulein mit der Tändelschürze und den glasblonden Schnecken mußte helfen. „Ach bitte", sagte ich, als das freundliche Wesen mir wiederum eine Schüssel reichte, „würden Sie Wohl diesen Schlüssel der Direktion abgeben? Ich habe es beim Bezahlen vorhin vergessen." Statt einer Antwort lächelte mich das Mädchen jedoch nur holdselig an und gab mir dann achselzuckend zu verstehen, daß ich noch mehr vergessen hätte — nämlich: dänisch en lernen. Auf eine sehr redselige Weise brachte sie mir diese Unterlassungssünde bei, so daß ich mich um des besseren Ver ständnisses halber schließlich genötigt sah, ihr den Schlüssel an schaulich vor die Augen zu halten. „Dieser Schlüssel hier", erläuterte ich, „gehört nicht mir. Nein, nicht ich. Sie verstehen, nicht wahr? Nicht ich, sehr Wohl, sondern dem Hotel. Hoo-telll, ja! Der Schlüssel dem Hotel, ganz richtig. Jedem das Seine." Und dabei deutete ich auf das Gebäude. „Er muß der Direktion zurückgegeben werden. Schlüssel — Direktion, ja. Dort. Portier. Hinhän gen. Nicht wahr, Sie sind Wohl so gut?" Wie eine Blume hielt ich das Instrument unter das Stupsnäschen meiner jungen Zuhörerin, in der Erwartung, daß sie nunmehr zugreifen würde. Aber nichts dergleichen. Vielmehr sah mich das Mädchen mit sanftem Erröten aus schamhaft unschlüssigen Augen an, biß sich dann mit kaum merklichem Kopsschütteln auf die Kußlippe und versteckte schließlich die Hände auf dem Rücken. Als ich der Schönen daraufhin die Figur des Anhängens vormachte, lächelte sie wiederum nur, so daß ich allmählich an ihrem Verstände zweifelte, nichtsdestoweniger aber in ein paar anderen Sprachen auf sie einredete. Der Schlüssel schien jedoch die Wirkung eines Schießeisens auf sie auszuüben; und ich fürchtete fast, wegen unerlaubten Waffentragens verhaftet zu werden. Vergeblich gab ich ihr mit den Fingern die Zeit an, um die mein Dampfer fuhr. Sie machte nur eineu Flunsch, Während ich mich an den Kopf faßte vor soviel Dummheit oder Ungefälligkeit. Schon wollte ich mich wieder meinen Hühnern zuwenden und den Schlüssel seinem Schicksal über lassen, als mir einfiel, daß ich ja Dänisch konnte. Jawohl, ich konnte Dänisch, wenn auch nur ein einziges Wort! „Forbydes?" fragte ich halb jubelnd, nicht ahnend, daß dieses Wort, das ich an irgend einem Bahnübergang gelesen hatte, soviel wie verbotene Handlung hieß. Der Erfolg war denn auch katastrophal. Das Mädchen warf den Blondkopf ins Genick und schnellte fluchtartig auf den Kiesweg zurück. In diesem Augenblick wurde ich kühn. Ich faßte die Fliehende beim Handgelenk und zückte die Brief- lasche, um ihr zu bedeuten, daß sie mir den Gefallen ja auch nicht umsonst zu tun brauche. Aber ein verächtlicher Schrei machte mich erstarren. Ohne mich noch eines weiteren Blicks zu würdigen, sprang sie wie ein beleidigtes Reh durch die Terrassen fort, während fast gleichzeitig zwei betreßte Männer, offenbar Hotelangestellte, vor mir auftauchten, die mir in ge brochenem, aber energischem Deutsch zu verstehen gaben, daß ich mich in einem anständigen Etablissement befände und der Dampfer bereits einige Male getutet hätte. Also vertauschte ich denn verblüfft die Stätte des himm lischen Abendbrotes mit dem Deck des Dampfers; einige Stun den später verriet ein Glucksen unterhalb der Reling, daß wenig stens die nächtliche Ostsee den Schlüssel nicht verweigert hatte. doch jene entsetzliche Nacht, fern gerückt durch getrübtes Er innern. Spielerisch, zitternd wühlten seine Hände in dem wüsten Hausen. Nachbarn hatten zusammengetragen, was geblieben. Da fiel ihm seine alte Geige in die Hand. Nie war er ein Meister des schlichten Instruments gewesen, aber Leid und Freude hatten ihm oft den Bogen in die Hand gezwungen, und er konnte sich manches Trübe vom Herzen spielen. Sinnend betrachtete er das dunkelbraune Holz. Eine Hand legte sich leicht auf seine Schulte. „'n Dag, Willem." Langsam drehte Uhlen den Kops. Sann qualvoll — ach ja, Heinrich Krumnow war das! „'n Dag vor." „Hefte Mine all besäukt?" Erstaunt starrte Uhlen Krumnow an. „Wo is se denn?" Beklommen hielt Krumnow inne, dann wies sein Daumen rückwärts nach dem alten Dorffriedhof, dessen Tor weg weithin ein blühender Maulbeerbaum überschattete. Da begriff Wilhelm Uhlen, was geschehen ... Ohne ein Wort erhob er sich mühsam, die Hände um die alte Geige gekrampft, setzte Fuß vor Fuß, schritt durch das niedrige Holztor, das zum Kirchhof führte. Er wußte, wo man die frischen Gräber grub. Auf dem Felde aber lauschten die Menschen, hoben die Ohren einem klagenden Ton entgegen, der sich weit über die Fluren schwang. Willem Uhlen spielte seiner Frau ein letztes Lied. Und nie wieder sah man ihn im Dorfe. Die weite Welt hatte ihn verschlungen, nicht einmal sein Sohn Karl im Nachbardorfe erhielt Kunde von ihm. Jahre schlichen dahin. Sechs, sieben, acht lange Jahre. Korn reifte, Korn ward gemäht, Felder dampften, Felder wurden gepflügt. Blüten fielen, reife Beeren, welke Blätter — und nun weiße Flocken! Auf zerwühlten Wegen schritt ein gekrümmter Mann, zerlumpt, verwittert. Der Hunger hatte die hagere Gestalt zusammengezogen, durch die zerlöcherte Jacke drang eisige Kälte. Lose hing, in ein schwarzes Tuch gehüllt, die alte Geige im Arm; schwerfällig stapften vertretene Schuhe durch den hohen Schnee. Endlich erspähten die schwachen Augen ein Dorf. Vielleicht, daß sich dort Einer fand, der offenes Herz, offene Ohren, offene Hand hatte? Hoffnung schien die müden Fuße zu beleben. Aber klein nur waren dre Schritte, unheim lich rasch siel die Winterdämmerung, ehe noch der Mann die ersten Häuser erreichte. Hell klapperten die Zähne des Frostdurchschüttelten, zit ternd Packten die Hände die braune Geige aus, letzter Schatz Jeden Vormittag fuhr Ser gelbe Wagen, kaum hörbar, in die Umgebung. Dann lenkte die Fremde ihn auf die Höhen, wo sie bisweilen am Waldrand eine Stunde sitzen blieb, in ein Buch vertieft, oder hinunter an den Deich, wo sie sich an der grenzenlosen Weite des Meeres oder, wenn der Wind olies, an der Musik der Wellen erfreute. Sie wollte nichts, als allein ausruhen — und ahnte nicht, was sie in dem Ort, den sie ganz willkürlich gewählt hatte, inzwischen anrichtete. Denn es ließ sich kaum noch verbergen, daß die Männer eifersüchtig aufeinander waren. Nicht, daß sie Grund hatten, aber sie trafen sich zu oft unvermutet und ungewollt vor der Pension der Fremden, und die Meinungen der schon Ent täuschten vnd der noch Hoffenden prallten mitunter recht scharf aufeinander. Als sie aber eingesehen hatten, daß jede Hoff nung, den schönen Gast näher kennen zu lernen, vergeblich war, besannen sie sich auf ihre Würde, auf ihre Eintracht und die Friedlichkeit ihrer bisherigen Tage. Und aus dem ein wenig nach Abenteuerlust schmeckenden Interesse für die Fremde wurde moralische Entrüstung, Abwehr, Spott. „Gäste sind uns natürlich immer willkommen", sagte der Bürgermeister, „aber ich bitte Sie, meine Herren, eine alleinstehende Dame, sehr elegant, sehr modern, eigenes Auto... Ich will gar nicht mehr sagen, aber das paßt nicht zu uns. Wir sind fried liche, anständige Bürger. Jeder soll in dem Kreise bleiben, in den er gehört. Wir sind doch, dem Himmel sei Dank, kein mondänes Weltbad." Die anderen gaben ihm recht. Was hatte diese Frau mit ihnen zu schaffen? Unruhe hatte sie gebracht, vielleicht machte es ihr sogar Freude, die etwas eingetrockneten Gemüter zu verwirren — aber da hatte sie falsch gerechnet. Das Ergebnis dieser abendlichen Verschwörung war der Boykott. Vom Briefträger, der die Post zu spät brachte, bis zum Kaufmann, der nie das Nötige vorrätig hatte, und her unter zum Schuljungen, der sonst immer mr kleine Hilfe leistungen bereit war — alle schienen durch ihr Benehmen der Frau deutlich erklären zu wollen, daß man sich aus ihrer Ge genwart herzlich wenig mache. Dann schlug jäh das Wetter um. Sturm war über dem Meer. Regenschauer strichen über das Land. Niemand, der es nicht unbedingt nötig hatte, ließ sich auf der Straße sehen. Die Abende im Gasthof waren still; ernste Besorgnis stand in den Gesichtern der Männer. Und an einem Vormittag kam die zweite Sensation für die kleine Stadt. Es war wohl bekannt, daß die fremde Frau abreisen wollte, aber niemand ließ sich auf der Straße sehen. Es gab wichtigere Dinge als eine alleinreiseude elegante Dame. Und. so hatte auch niemand den gelben Wagen fortfahren sehen. Aber plötzlich kam er aus der Niederung die Landstraße heraufgekeucht, mit Schmutz bedeckt, die Fremde im Regen mantel am Steuer, neben und hinter ihr verängstigte Gesichter: die Leute vom Vorwerk unten am Deich. Der Wagen hielt kaum vor dem Hause des Bürger meisters, als auch schon die bekannte Helle Stimme rief: „Decken — etwas Warmes für die Leute — das Vorwerk steht unter Wasser." Langsam nur begriffen die Menschen, die den Wagen um standen. Verwirrt und bleich kam der Ortsvorstehcr die Stufen herab. Er hatte schon den ganzen Vormittag Verbin dung mit der Kreisstadt gesucht. Aber die Telephonleitung war vom Sturm zerrissen; niemand meldete sich. Kaum hörte die Fremde dies, als sie den Wagen wieder anfahren ließ und in rasender Fahrt zum anderen Ende des Ortes hinaus jagte. Und die Geretteten, die inzwischen aus gestiegen waren, erzählten auf die jetzt einstürmendeu Fragen mit Tränen in den Augen, was keiner geahnt hatte: Der Deich bröckelte, das Wasser kam herüber, ste selbst hatten die Hoffnung aufgegeben — da war der Wagen gekommen, sie kannten ihn schon lange, und sie brauchten nicht zu rufen und zu Winken, die Frau am Steuer hatte nicht lange überlegt... Einige Stunden später rasselten Lastwagen über das Pflaster: Pioniere, Arbeiter, Landrat, Arzt, Polizei. Der Landrat drückte dem Bürgermeister schnell die Hand: „Kom men Sie mit! Wir schaffen es noch. Ich habe schon weiter gemeldet — Donnerwetter, wenn Sie diese famose Frau nicht hier gehabt hätten!" Rund und starr wurden viele Augen. Manche Hände falte ten sich ineinander. — Ueber die Berge fuhr der gelbe Wagen, Verhalten, leicht zitternd, die junge Dame am Steuer, ganz allein — ruhige, ernste Augen, schmale, feste Hände — em Herz unterm wind- zerzausten Kleid — Glockenläuten hinter ihr. der alte — Vater? Die Knie wankten ihm — wo waren doch die Holzschuhe? Dort — er holperte die Treppe hinunter, schob den schweren Riegel zurück — lauschte hinaus — kein Klang, verstummt im Winterleid — das weite Dorf. Spuren im Schnee? Ach, ihrer waren so viele. Da — von weitem wieder der Klang! Er stürzte ihm nach, diesem fernen, Weichen Ton. Von überallher schien er zu quellen. Dann war er verstummt, und des Suchens müde kehrte Karl zurück. — — Weit draußen vor dem Dorfe saß Wilhelm Uhlen im Schnee. Die starren Finger krallten sich verzweifelt um den dünnen Hals der Geige, um den Bogen. Wie von weither schien eine milde Kälte sein Herz zu umklammern, immer dichter, unbarmherzig. Es rann wie Lächeln um den alten, zerfressenen Mund. Keine ofsene Tür, kein offenes Herz, keine offene Hand — und über ihm der nachtgesättigte Himmel. Wilhelm Uhlen tastete um sich. Die kalten Finger blieben an der Rinde eines Vereisten Baumes kleben. Aus der Berührung schoß es wie ein Strahl heißesten Hasses, — eine zornige Bewegung — die Geige zerschellte in der Dunkelheit. — So zerstört ein eigenwilliges Kind kunstvolle Gefäße. Es war just der Landarzt, der am grauen Morgen hier vorüber kam und mit seinem Kutscher den leblosen Körper des Greises in den Schlitten hob, auch sorgsam die Trümmer der Geige sammelte und bei deren Betrachtung Plötzlich leise durch die Zähne pfiff: „Sieh da! Eine echte Guarneri! Guarnerius fec. 1796 heißt das hier." Und mehr zu sich selbst als zum Kutscher, der schweigsam dastand, meinte Doktor Köchl: „Verhungert und erfroren! Und doch hatte der Alte einen Schatz, der ihm ein sorgloses Leben bieten konnte — wenn er Kraft gehabt hätte, darauf zu verzichten. Denn dieses Instrument war Tausende wert!" Die Schellen klirrten dem Dorfe zu. Da ward es offen bar, wer dort im Schnee erfroren. Karl Uhlen schaute wieder und wieder in das friedvolle Antlitz des toten Vaters. Sah die Trümmer, die braunen, die niemand mehr flicken konnte. Der Ruf der Guarneri war zu spät gekommen. Die Fremde. Skizze von Paulrichard Hensel. Mitten hinein in das Verdämmern einsamer Wintcrtag, kam für das kleine Städtchen die Sensation. An einem Nach mittag fuhr ein Auto elastisch federnd über die Rillen der aus gefahrenen Straße, ein gelber, staubbedeckter Wagen; und am Steuer saß eine Frau, ganz allein, eine Mütze über dem blon den Haar, klare Augen im Winterfrischen Gesicht — hielt vor einer Gruppe staunend stehen gebliebener Kinder, und eine Helle Stimme fragte durch das Fenster: „Wo ist die Pension von Lerch?" „Da — da —" Der Wagen zog wieder an, hielt wieder, die Dame stieg aus, trat in das medrige Haus und sagte höf lich und freundlich: „Ich hatte ein Zimmer bei Ihnen bestellt." Am Abend war die Kunde von der Ankunft des seltenen und seltsamen Wintergastes schon im ganzen Orte verbreitet. Am anderen Morgen machte mancher einen kleinen Umweg an Lerchs Pension vorbei, und wer an dem Gitter stehen blwb und in den Hof spähte, konnte sehen, wie die junge Dame eifrig ihren Wagen selbst putzte und allerlei geheimnisvolle Handgriffe unter der Motorhaube vornahm. Im übrigen be kam aber niemand sie am Tage zu sehen. Wie auf stille Ver abredung waren abends die Stammtischgäste schon eine Stunde früher als üblich versammelt; man sprach eine Weile geflissent lich die belanglosesten Dinge, bis es dann mit einem Male tast von allen Seiten zugleich losbrach: „Haben Sie sic schon ge- ehen? Eine schöne Fran, nicht wahr? Interessant — ja, ehr merkwürdig — Sie wissen also auch nichts Näheres" Ind jeder, der Apotheker, der Postvorsteher, der Zahnarzt und wer sonst noch ein wenig von sich eingenommen sein konnte, machte sich im Stillen Gedanken darüber, wie schön und ab- wcchslungsvoll es doch war — und sein konnte —, saß die interessante Fremde gerade diesen Ort Lusaesucbt batte.