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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt — Nr. 300 — Dienstag, den 27. Dez. 1927 Abendfriede. Nun spreitet die Dämmerung die Flügel, Deckt leis die müde Erde Ku, Und unter ihren Emden Händen Geht olles Leden still zur Ruh. So schwarz und düster stehn die Wälder, Kein Laut dringt durch die Einsamkeit. Aus feuchten Wiesen steigt der Nebel, Verhüllend letzte Herrlichkeit. Nur fern in heiligen Himmelsweiten Der Sterne GoldgefuNkel steht, And in den Wipfeln rauscht es leise Wie daNkerWlltes Nachtgodet . . . Das Wohnungsbauproblem. Das Wohnungsbauproblem steht nach wie vor im Vordergrund des allgemeinen Interesses. Hundert- und aber Hunderttausende Deutsche haben mit ihren Familien auch heute, fast zehn Jahre nach Friedensschluß, nicht die Möglichkeit, ein festes Unterkommen zu beziehen, und trotz der zum Teil recht verwickelten Baupolitik der Städte sind wir im Laufe der letzten drei Jahre so gut wie gar nicht vorwärts gekommen. Dazu wird immer wieder am Mieterschutzgesetz gerüttelt. Den Vermietern sollen weitere einschneidende Rechte eingeräumt werden, und in weiten Kreisen der Mieterschaft sieht man dem Augenblick bang entgegen, wo eine weitere Lockerung des Mieter schutzes die wirtschaftliche Katastrophe in Gestalt unerhörter Mietpreiserhöhungen in Aussicht stellt. Einzelne Sied lungsgesellschaften, von denen aber auck leider wieder die meisten entweder unter der wirtschaftlichen Depression zu leiden haben oder wegen Unkenntnis oder einer gewissen Leichtfertigkeit ihre Anhänger oft in schwere Verlegenheit gebracht haben, können das Problem der allgemeinen Woh nungsnot nach wie vor nicht lösen. In jeder Kommunal verwaltung bildet daher die Statistik über die Bautätigkeit einen besonderen Stein des Anstoßes, der leider nur allzu häufig zu politischen Zwecken benutzt wird, ohne daß für die allein in Frage kommenden Reflektanten etwas Er freuliches dabei herauskommt. Eine Uebersicht über die Bautätigkeit im ersten Quartal 1927 ergibt ein recht be zeichnendes Bild über die Entwicklung des Vauproblems in den verschiedenen deutschen Großstädten. Hier erfahren wir, daß vom 1. Januar bis 1. April des laufenden Jahres in Berlin 27 öffentliche Gebäude, 189 der Wirtschaft und dem Gewerbe dienende Bauwerke und 718 Wohnhäuser ge baut wurden, was keineswegs in einem für die Allgemein heit günstigen Verhältnis steht, wenn man dazu bedenkt, daß unter diesen Wohnhäusern auch sehr viele Eigenheime s und Siedlungskomplexe, die nur bestimmten Geselljchafts- angehörigen oder Angestellten von Aemteru zur Ver fügung stehen, eingeschlossen sind. In 45 Städten des Reiches wurden zusammen 92 öffentliche Gebäude, 1209 wirtschaftlichen Zwecken dienende und 4684 Wohnhäuser erbaut. Diese Statistik gibt erneut zu denken, vor allem da letzten Endes nicht nur in den Großstädten und mitt leren Städten die Wohnungsnot herrscht, sondern auch die kleineren Städte unter ihrem Druck schwer zu leiden haben, i Von berufener oder wenigstens sich berufen fühlender i Stelle in den oberen Behörden wird immer wieder darauf hingewiesen, daß das Vauproblem auf diese oder jene Weise gelöst werden muß, ohne daß wir bisher einen Schritt weiter gekommen sind. Vielleicht bringt uns das bevor stehende Jahr hier eine Besserung. Mr-erMeM s Z^O Z (2S. Fortsetzung.) „Woraus schließen Sie das?" „Daraus, daß nie eine Antwort kommt. Aber ich las kürzlich mal einen Artikel in der „Landwirtschaftlichen Presse" über „Superphosphat auf schweren Böden", der war mit S—r gezeichnet. Ich hatte sofort die Empfindung, daß er von Ihnen sei. Stimmt es?" „Ja." „Und wieviel ben?" haben Sie sich bis jetzt zusammengeschrie- „Jn unsere Sprache übersetzt: vierzig Zentner Weizen oder ein mittelstarkes Arbeitspferd oder einen Morgen Land." „Meine Hochachtung, wenn Ihnen daran gelegen ist. Be- stimmt wissen Sie, wie man es machen muß, wenn man vorwärts will." ich- noch weiter möchte, lassen Sie mich im Stlch. Gerade in Ihnen glaubte ich eine Stütze und Hilfe zu finden. „In mir? Das ist ganz neu. Ich wüßte nicht, daß Sie bis jetzt davon auch nur einen Ton gesagt hätten!" „Sollte ich wirklich nicht? Dann hole ich's hiermit nach. Bleiben Sie bei mir, Fraulem Kerst. Ein Vierteljahr we nigstens oder ein halbes Sie wissen nicht, wie Sie mich da durch zu Dank verpflichten.' Fräulein Kerst war schweigsam geworden und blickte nachdenkend ins Weite. Hierbleiben — auf Finkenschlag — bei ihm, o ja, das mochte sie gern. Im näher kommen, ganz nahe vielleicht, ihm etwas werden und sein! Wie schön wäre das — aber ging es denn auch? Was würde geredet werden über sie und den unverheirateten Mann, die da zu sammen arbeiteten und unter einem Dache schliefen?- Man greift ja so gierig nach dem Nichtalltäglichen, um es in schmutzigen Händen um- und umzudrehen, bis es — und sei es auch noch so blank und sauber — selbst schmutzig ge worden, zum mindestens aber abgegriffen ist. Sie wußte, °aß man auch an ihrem reinen Wollen herumdeuteln würde und daß sie aus diesem Grunde schon ein Opfer brachte, enn sie blieb. Aber — er rang und kämpfte, er wollte sich Deutsches Dieich Ausbau des deutsch-französischen Handelsvertrages. Dem Vorsitzenden des Zollausschusses der Französi schen Kammer wurde vom Landwirtschafts- und vom Handelsminister mitgeleilt, daß der in Vorbereitung be findliche Zusatz zum deutsch-französischen Handelsvertrag, der die landwirtschaftlichen und gewisse industrielle Er zeugnisse betrifft, in der Kammer sogleich nach Wiederzu sammentritt im Januar eingebracht werden würde. Deutsch-schwedisches Abkommen über Handelsvertreter. Das durch Notenaustausch zwischen dem deutschen Auswärtigen Amt und der schwedischen Gesandtschaft in Berlin am 31. Dezember 1925 auf ein Jahr abgeschlossene und durch Notenwechsel vom 20. Dezember 1926 auf ein weiteres Jahr verlängerte Abkommen über die Ver meidung der Doppelbesteuerung von Handelsvertretern deutscher bzw. schwedischer Firmen ist bis zum 31. Dezem ber 1928 verlängert worden. Rcichsetat 1928 im Reichstag. Der vor einiger Zeit bekanntgewordene Haushalts plan des Reiches für 1928 ist dem Reichstag zugegangen. Die zunächst veröffentlichte Übersicht ist inzwischen in einzelnen Punkten überholt. Sobald die Überarbeitung fertiggestellt ist, wird das Material dem Haushaltsaus schuß des Reichstages übergeben. Der Haushaltsausschnß wird am 10. Januar erneut zusammentreten und sich dann sofort mit dem neuen Etat befassen. Staatsausgabenverminderung in Thüringen. Zwischen Vertretern des Neichsfinanzministeriums, des thüringischen Landesfinanzamtes, des Städtever bandes und des Finanzministeriums fanden Verhandlun gen zwecks Übernahme der Landessteuerverwaltuna auf durchsetzen, er brauchte sie und bat um ihre Hilfe! Da durfte es kein Bedenken geben und sie hielt ihm die Hand hin: „Ich gebe in diesen Tagen Bescheid, Herr Sohr. Meinen Bater, der auch allein steht und mich nur ungern gehen ließ, möchte ich doch erst fragen. Wie ich ihn aber kenne, wird er ja sagen. Er hat Verständnis für anständige Ge sinnung und ernstes Wollen." Sohr küßte der Mamsell wortlos die Hand. „Ich gehe jetzt den Brief zu schreiben. Wenn Sie wollen, können Sie ihn noch zur Bahn bringen." Sohr nickte und Fräulein Kerst ging. Diese Unterredung hatte am Freitag stattgesunden. Heute war Sonntag. Sohr brannte auf Antwort. Keine kam. Also warten. Steinpöhl lag in Westpreußen und West- preußen immer noch in Deutschland. Die Antwort hätte da sein können, wenn der alte Herr postwendend geschrieben hätte. „Vielleicht fuhrwerkte er heute seine Epistel zusam men," dachte Sohr, „dann muß Dienstag der entscheidende Tag sein. Schön — also bis Dienstag. Aber wenn dann nicht — „rücke ich ihm stehenden Fußes auf die Bude"," ließ er seine Gedanken laut werden, drehte sich um, schritt durch das Tor, ging die Straße hinunter, über die Felder, um — Aehren zu lesen. Das war auch etwas, worüber die Finkenschlager den Kops geschüttelt hatten. So ein mühseliges Stück Brot aßen sie schon lange nicht, und wenn es ihnen noch so dreckig er gangen wäre. Sie zählten ja zu den Genügsamen. Für acht — höchstens aber neun Stunden Arbeitszeit etwa hat ten sie Verständnis, was aber darüber war, war vom Uebel. Was der Verband für sie herauswirtschaftete, mar jedenfalls angenehmer verdient, als das, was sie sich über Feierabend mit ihren Händen verdienen mußten. Gegen elf Uhr hatte Sohr ein Bündel Haferähren zusam mengelesen. Die waren für seinen Gaul „Finkenschlag", der auch im Winter nicht hungern wollte. Auf die Hoffnung hin, Gutspächter zu werden, vermochte Sohr die Hände nicht in den Schoß zu legen. Was man hat, hat man; was man bekommen könnte, hat man noch nicht. Er rechnete nur noch mit Tatsachen. Zufall und Hoffnungen fehlten in seinen Berechnungen schon seit langem gänzlich. Das macht wohl Leben und Schaffen schwerer, dafür aber weniger unsicher. Bestimmt bewahrte es vor Enttäuschungen. Als Sohr vom Feldweg in die Chaussee einbog, saß da im Grase ein Mann — er mochte bald au die sechzig sein — der sein Frühstück verzehrte. „Guten Appetit," sagte Sohr. Der Alte nickte freundlich und srug: „Wo gehen Sie denn hin? „Nach Finkenschlag." das Reich statt. Ma» will auf diesem Wege den Berüxl- tungsapparat in Thüringen wesentlich vereinfache» und damit die Staatsausgaben vermindern. Man kam jedsch zu keiner Einigung und will nunmehr erst die Stellung nahme des Reichsfinanzministers abwarten; die Verhand lungen sollen zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt werden. Frankreich. Poincare verlangt 132 Milliarden von Deutschland. Bei einer Aussprache in der Französischen Kammer über den Bericht des Reparationsagenten Parker Gilbert nahm auch Poincarö das Wort und behauptete, die Höhe der deutschen Verpflichtungen, sei von der Neparationskom mission endgültig festgesetzt worden. Die Kommission selbst hat jetzt nicht mehr das Recht, diese Ziffer zu ändern. Poincard stützte sich dabei auf eine Angabe des Abg. Dubois, der früher als Vorsitzender der Reparationskom mission angehörte. Dieser hatte behauptet, die deutschen Verpflichtungen seien am 21. April 1921 endgültig auf 132 Milliarden festgesetzt worden. Der Dawes-Plan habe diese Entscheidung in keiner Weise aufgehoben. — Die > Behauptung ist natürlich in stärkster Weise anfechtbar. / Aber für Poincarö genügt alles, wenn es nur irgendwie für Deutschland abträglich erscheint. Nordamerika. Keine Erschwerung deutscher Einfuhr. Aus Washing ton wird eine Erklärung des Staatssekretärs Mellon ge meldet, daß die amerikanischen Maßnahmen gegen die deutsche Stahleinfuhr, wie eine eingehende Untersuchung ergeben habe, nicht gerechtfertigt seien. Unter diesen Um ständen komme vorläufig eine Anwendung des Anti- dumpinggesetzes (gegen Preisunterbietungen) nicht in Frage. Aus Zn- und Ausland. Berlin. RegierungspräsieM Dr. Büdding, Marienwerder, Hal den Spezialaustrag von der Regierung erhalten, als Reichs- und Staatskommissar im Haag den oberschlesi schen S ch u l k o n s l i k 1 zum Austrag zu bringen. Berlin. Der Reichsarbeiisminister hat in den Vorstand der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosen versicherung an Stelle der ausgeschiedenen Herren Ministerial direktor Dr. Frick (Preußen) und Staatsrat Dr. Rohmer (Bayern) die Herren Ministerialrat Geh. Reg.-Rat Dr. Kügler (Preußen) und Ministerialrat Dr. Ziegler (Bayern) berufen. Berlin. Reichskanzler Dr. Marx hat an den Oberbefehls haber des Gruppenkommandos II, General der Infanterie Reinhardt (Kassel), znm bevorstehenden Ausscheiden aus dem aktiven Dienst im Reichshcer ein Dankschreiben im Namen der Reichsregierung gerichtet. Hamburg. Der dritte Asa-Gewerks chastskougreß wird iu den Tagen vom 1. bis 4. Oktober nächsten Jahres in Hamburg stattsindeu. Hamburg. Die B i s m a r ck j u g e n d der Deutschnatio nalen Volkspartei veranstaltet vom 28. bis 30. Juli 1928 ihr Reichstressen in Hamburg. Bern. Der Bankrat beschloß die Beteiligung der Schwei- zerischen Nationalbank an dem internationalen Stabilisic - rungskredit zugunsten der Bank von Italien. Paris. Die angeblichen Absichten Frankreichs, Anfang 1928 zum Goldstandard zurückznkehren, werden von zu ständiger Stelle als unbegründet erklärt. j Neues aus aliei' Welt z Vom niedersallenden Aufzug getötet. Am Material aufzug einer Firma in Wassenberg lösten sich plötzlich die Schrauben, an denen das Drahtseil des Anfzngcs befestigt war. Ein Angestellter, der die Beladung des Aufzuges beaufsichtigte, wurde von dem niederfallcndeu Aufzug ein geklemmt und konnte erst nach geraumer Zeit aus seiner qualvollen Lage befreit werden. Er starb bereits auf dem Transport ins Krankenhaus. Die Schweriner Flcischvergiftungsaffärc. Die amt liche Untersuchuna in der Schweriner Fleischvcrgiftungs- „Ist das weit?" „Nein — ein Viertelstündchen." „Ich muß auch dahin, da können wir zusammengehen." „Wenn Sie Schritt halten können, schon!" „Kann ich! Ich bin noch ganz gut auf den Beinen." Und die beiden wanderten miteinander die Straße ent lang. Der Alte hielt tapfer mit. „Man findet das selten," begann er nach längerem Schweigen, „daß Männer Aehren lesen und gar Hafer! Lei uns liest man Korn und Weizen." „Man liest, was man braucht." „Sie haben wohl Kaninchen?" „Nein — ein Fohlen." Da blieb der Alte vor Staunen stehen. „Ein Fohlen? „Kommen Sie nur, ich muß weiter." und der Alte setzt» sich wieder in Bewegung. „Das hab' ich auch noch nicht erlebt und bin zweiundsechzig Jahre alt geworden, daß einer, der ein Fohlen hat, Aehren liest und noch dazu am Sonntag." „Da sehen Sie, mein Lieber, man kann hundert Jahre alt und älter werden und erlebt doch immer noch Neues." „Ist denn die Ernte hier so schlecht gewesen, daß Sie das müssen?" „Im Gegenteil — gut war sie. Aber ich habe nichts zu ernten. Ich bin wie der arme Lazarus, der konnte sich auch nur von den Brocken nähren, die von der reichen Herren Tische fielen. Ich bin Knecht, mein Herr, das erklärt alles." „Ah" — machte der Alte und blieb wieder stehen. „Da sind Sie wohl der Sohr?" Jetzt blieb auch Sohr stehen und zwar mit einem Ruck. „Der Sohr?! — Woher wissen Sie, daß es in Finkenschlag einen Sohr gibt?" „Das spricht sich 'rum. Ich bin aus Niederneidberg, drei Stunden von Großsteinau. Das ist doch nicht weit von hier!" „So, es spricht sich 'rum? — Und zu wem wollen Sie denn in Finkenschlag?" Da schmunzelte der Alte und sagte: „Wir haben den gleichen Weg. Ich gehe auch mit nach dem Kadenschen Gute" „Was wollen Sie dort, wenn man fragen darf?" Der Alte kratzte sich Hinterm Ohr. „Das ist so'ne Sache," begann er, „ich hab' da mit einem Weibsbild zu verhandeln. Sie könnten mir'n bißchen behilflich sein. Ich finde mich ab." „Für anständige Geschäfte bin ich immer zu haben Also wo drückt der Schuh?" „Da ist die Mamsell auf Finkenschlag, die geht doch am dreißigsten September fort. Die möcht' ich engagieren." (ForUekuna folat.)