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Wilsdruffer Tageblatt : 03.12.1927
- Erscheinungsdatum
- 1927-12-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192712039
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19271203
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19271203
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1927
-
Monat
1927-12
- Tag 1927-12-03
-
Monat
1927-12
-
Jahr
1927
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 03.12.1927
- Autor
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au dem Ehepaar Rackow i» Berlin verhaftete Schlosser Urause hat nunmehr nach mffünglichcm Lenanen die Täterschaft in »et-en Fällen eingestanden. Finanzielle Hilfe für die bedrängten Ostgebiete Berlin. Wie der Amtliche Preußische Pressedienst erfährt, hat die preußische Staatsregierung im Ncichsrat den Antrag gestellt, im Haushalt des Reichsministeriums des Innern für das Jahr 1928 bei den einmaligen Ausgaben eine einmalige Beihilfe von 15 Millionen Mark einzustellen, die für die wirt schaftlich und kulturell besonders bedrängten Grenzgebiete des deutschen Ostens bestimmt sein sollen. Wollen und Müssen. Von Thea Hohenstein. Zwei Worte beherrschen unser Leben. Fast jeden neuen Tag verlangen sie von uns neues Sichabfinden mit ihnen, Wollen und M ü ssen heißen sie. Vier Silben sind es nur und doch geht eine Macht von ihnen aus, die ein ganzes Dasein gestalten und umformen kann. Ich muß, du mußt, das ist Peitsche, die zu Boden drückt, i ch will ist Herrenwort. Ich muß, sagt die Hausfrau oder das junge Mädchen, wenn es morgens aufstehen heißt und sie sich eigentlich doch für ihr Leben gern noch eine halbe Stunde länger im Bett dehnen möchten. Ach, ich muß aufstehen, warum muß ich nur? Und dann muß ich an die Arbeit, ach, es ist gräßlich, daß man das alles muß. Ich muß aushalten bei dem Mann, der mir doch gar nicht mehr gefällt, seufzt vielleicht eine andere. Er versteht mich nicht mehr und ich verstehe ihn nicht mehr. Nun muß ich auch noch Mitarbeiten, sagt wieder ein anderer Frauen mund. Immer muß ich sitzen und nähen und die Maschine schnurren lassen und mich herumärgern mit Lieferungen und solchen Sachen, andere Frauen brauchen das nicht, die haben mehr Geld, aber ich Arme, ich muß. Was glaubt man wohl, wie alle diese Frauen ihre Arbeit verrichten und das Leben ansehen? Grau in gran liegt es vor ihnen, jeder Tag ist ein schwerer Tag, eine Last, die die Schultern tiefer und immer tiefer beugt. Unmutig, langsam, ohne Lust und Liebe schaffen sie ihre Werktagsarbeit. Ihre Pflichten gegen den Mann und ihre Kinder stehen häßlich und böse vor ihnen und häß lich und böse sieht es auch in ihrer Seele aus. Wer nicht mit Freuden bei den Dingen ist, der verbittert inwendig. Sein ewiges Murren und Schelten macht ihn unfreundlich und unleidlich auch gegen die anderen. Mann und Kinder und Freunde und Verwandte merken es sehr bald, daß man nur verdrossen und unfreudig tut, was man eben tun muß, und das macht natürlich auch sie nicht gerade freund licher und liebenswürdiger. Ja, aber kann es den» anders sein? höre ich jetzt ver schiedene Stimmen fragen, besonders die von solchen Frauen, die sich selber mit einem bitterbösen, ungemüt lichen, verhaßten Muß herumschlagen. Kann man guter Dinge sein und fröhlich durchs Leben gehen, wenn immer und ewig dieses nichtswürdige „du mußt" darüber steht? Ja, man kann, man kann es sogar sehr gut. Es gehört weiter nichts dazu, als daß man das alte, böse, dumme „du mußt" mit einem ganz energischen Ruck zum Hause hinauswirft und an seine Stelle setzt das ausrichtende „ich will". Ich muß nicht früh aufstehen, ich will, frisch will ichmorgensrüh aus dem Bett springen und an meine Arbeit gehen. Ich will froh sein, selig, dankbar dem Schicksal, daß ich das gesund an Körper und Seele tun kann. Die Nachbarin kann es nicht, die schleppt sich mit ihrem Lungenleiden nur bloß so hin. Auch Tante Lene kann und kann sich nicht wieder erholen nach der schweren Operation. Wie wären die beiden selig, wenn sie arbeiten könnten wie ich. Wie schrecklich wäre es, wenn es mir ginge wie ihnen. O, wie will ich jetzt flink und lustig an die Arbeit gehen. Bei solchem Wollen fliegt die Arbeit. Man wird viel früher fertig. Man hat schließlich noch Zeit für einen Weg ins Freie, oder ein gutes Buch, oder auch nur für rin Stündchen am Blumenfenster. Ich „muß" auch nicht etwa ins Bureau gehen, oder an die Schreib maschine, oder hinter den Ladentisch. Ich muß nicht bloß Mitarbeiten, um ein paar Pfennige mit zu verdienen. Ich will es tun und will es mit Freuden tun. Kann ich nicht dem Schicksal dankbar sein, daß es mir, gerade mir, eine Stelle, Arbeit und Verdienst zugewendet hat? Könnte nicht auch ich zu denen gehören, die tagelang, wochenlang jeden Tag nach Hause wandern mit dem lähmenden „wieder nichts"? O, wie will ich fröhlich arbeiten, so lange ich Arbeit habe. Wie will ich froh sein, daß ich mit meinem Zuverdienst allerhand Notwendiges, vielleicht auch gar etwas Hübsches anzuschaffen vermag für das Haus, für Mann und Kinder! In, Aampf «in das Weltraumschiff. Von M axBali e r. Man schreibt mcht gern in eigener Sache. Wenn aber häufig ein Stoß von Briefen auf den Tisch fliegt, die immer wieder dieselben ungereimten Fragen enthalten, und, noch schlimmer, ein Paket von Zeitungsausschnitten, die stets auf's neue beweisen, daß diejenigen am liebsten über eine Sache urteilen, die am wenigsten davon verstehen, dann kann einem die Geduld reißen, und man verspürt Lust, seinem Herzen Luft ;n machen. Nur ein paar Stichproben: Da behaupten einige Berichterstatter immer noch, daß ich mich „auf den Mond schießen lassen will". Ich habe diese falsche Meldung stets bekämpft, seit sie zum erstenmalc auftauchte, aber sie ist zählebiger als die berühmte Hydra. Sind denn alle Artikel und Bucher umsonst geschrieben, in denen ich stets ausdrücklich erklärt und nachgewiesen habe, daß ein A b s ch n ß für den Transport von Menschen nie in Frage kommen kann, sondern stets nur eine Abfahrt mit mäßiger, erträglicher Beschleunigung? Ich will mich also keineswegs „schießen lassen", aber auch sonst nicht „auf den Mond fahren", denn das istvorer st u u a u sführb a r. Ich habe mir zunächst nur zum Ziele gesetzt, durch den ersten Start mit einem Ra- lelenflng.eug zu beweisen, daß diese Art von Ausstieg für einen Menschen und eine entsprechend gebaute Maschine mög lich ist. Alles Weitere wird dann ganz von selbst kommen. Andere wieder meinen, der Luftwiderstand sei das Haupt hindernis der Weltraumfahrt. Nachher entrinne das Fahr zeug leicht der Erdenschwere. Das Gegeilteil ist der Fall. Nur das Schwerefeld ist der gigantische Gegner. Der Luftwider stand ist gerade für die Rakete von untergeordneter Bedeu tung, weil sie die dichten Bodenschichten nur mü mäßiger Ge schwindigkeit durchschneidet. Manche Laien behaupten, daß die Rakete im leeren Raume nicht steigen kann, weil sie keinen Widerstand findet, der ihr als Stützpunkt dient. Hat denn der selige Newton um sonst gelebt, und haben alle Physiker nach ihm vergebens ge schrieben? Gerade in diesem Punkt herrscht unter den Wissen schaftlern völlige Klarheit und Einigkeit. Die Rakete muß sich auch im leeren Raume fortbewegen können, denn ihre Triebkraft beruht darauf, daß sie sich von dem selbst erzeugten Feuerschweis abstößt; über den Satz von der Erhaltung des Schwerpunktes besagt Näheres jedes einschlägige Buch. Die Beschleunigung läßt sich bei Abfahrt eines Raketen schiffes auf eine beliebig lauge Strecke und Zeit verteilen. Ohne Rücksicht auf die Erdatmosphäre kann die erforderliche Höchstgeschwindigkeit erst weit draußen im Raume erreicht werden. Der Einwand, daß der Mensch den Start nicht aus- halteu wird, ist daher in dieser allgemeinen Form hinfällig. Sache des Piloten muß es sein, so abzufähren, daß Maschine und Insassen wohlbehalten bleiben. Oftmals melden sich bei mir Leute, die an der ersten Fahrt in den Weltrauur teilnehmeu wollen Meist sind es junge Männer, Mechaniker u. a., die ost in rührender Weise ihren eigenen Mut bewundern und auf das große Opfer Hin weisen, das sie der Sache bringen wollen. All' diesen Be geisterten habe ich stets geantwortet, daß es leider noch nicht so weit ist, an Passagierfahrten zn Senken. Ich wäre froh, wenn ich zunächst einmal die Mittel zusammen hätte, um per sönlich den ersten Start mit einem Raketenflugzeug unter nehmen zu können. Andererseits enthalten manche Briefe wohlgemeinte War- nnngen. Die Geister, meint eine Spiritistin, werden den kühnen Raumfahrer, der es wagt, in ihre Reiche vorzudriugen, ver- Rchlea. Die Bibel, so schreiben andere, verbiete die Welt- ranmfahrr, denn es stehe nur geschrieben: „Wachset nnd mehret euch und Erfüllet die Erde", es heiße aber nicht: „Myrer aus oen Mono uns erobert die andere» Planeten". Das Unterfangen der Raumfahrt sei ein gotteslästerliches und teuflisches Unternehmen. Ein Herr aus Wien aber las gerade das Gegenteil aus der Heiligen Schrift. Dadurch, daß Gott Noah Auftrag gab, die Arche zu bauen, um die Seinigen und das erwählte Getier vor der Sintflut zu retten, habe er grundsätzlich ein technisches Werk gebilligt und damit auch das Bestreben, Weltraumschiffe zu bauen, die unsere Nachkommen vielleicht dereinst auf einen anderen Himmelskörper hinüber zuretten vermögen, wenn unser alter Erdplanet untergeht. Unter einem neuen Himmel würden dann die Menschen eine zweite Erde finden, die ihrer Fortentwicklung neue Möglich keiten böte. Darauf konnte ich nur antworten, daß sich die ersten Raketenschiffe lediglich im Luftkreis der Erde bewegen würden und wir vorerst genug mit den technischen Schwierig keiten zu tun hätten, alles übrige aber unsern Nachfolgern überlassen wollten. Biel Verdruß bereiten auch die täglich einlaufenden Presseänßerungen zum Problem der Weltraumfahrt. So haben vor Monatsfrist viele deutsche Blätter die Meldung verbreitet, daß die französischen Ingenieure Mas und Drouet eine Art Waggon aus einem ringförmigen Rohrposttunnel auf den Mond loslassen wollen. Leider haben manche Blätter diese an geblichen französischen Pläne mit »reinen wirklichen Absichten, das spätere Weltraumschiff aus dem heutigen Flugzeug über viele Zwischenstufen heraus zu entwickeln, auf eine Stufe ge stellt. Hat denn niemand gemerkt, daß der Rohrposttunnel von Mas und Drouet ein Aprilscherz war, den sich s. Zt. das verbreitete Magazin „Je sais tout" geleistet hat? Aber auch ernst gemeinte Arbeiten anerkannter Autori täten können durch unsachgemäße Berichterstattung leicht in ihr Gegenteil verdreht werden. So hat der bekannte Ballistl- ker Prof. vc. Lorenz von der Technischen Hochschule Danzig- Langfuhr in der Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure einen Artikel veröffentlicht, in welchem er die Treibkraft unse rer stärksten heute bekannten Explosivstoffe untersucht und zu dem Ergebnis kommt, daß ein Kanonenschuß auf den Mond überhaupt unmöglich sei, weil wir kein hinreichend starkes Treibmittel besäßen, daß aber auch für Raketenschiffe, bei welchen der Fall günstiger läge, nur ein so kleiner Bruchteil der Startmasse auf dem Monde eintreffen würde, daß der Bau solcher Maschinen aussichtslos erscheine. Ganz abgesehen da von, daß die von Prof. Lorenz seinen Berechnungen zugrunde gelegte Startweise überaus ungünstig ist und bei einer ande ren wesentlich vorteilhaftere Massenverhältnisse herauskom men, hat Prof. Lorenz ausdrücklich nur die Erreichbarkeit des Mondes mit heutigen Treibmitteln als praktisch unmöglich hingestellt, die Befahrung höchster Luftschichten mit Raketen schiffen im Schlußabsatz seines Artikels aber ausdrücklich aus genommen. Jedenfalls war cs unzulässig, wenn zahlreiche Pressemeldungen auf Grund des Prof. Lorenz'schen Artikels einfach erklärten: „Die böse deutsche Gründlichkeit — Es ist nichts mehr mit der Weltraumfahrt". Sie vergeffen ganz, daß die Erreichung des Mondes eine ideale Maschinenleistung von 16 000 m/see erfordert, während der Aufstieg auf einige hun dert Kilometer Höhe in den leeren Raum schon bei einer idealen Antriebsleistung von nur 3500—4000 m/8ec möglich ist. Eine solche liegt aber auch nach den kritischen Betrachtun gen von Prof. Lorenz durchaus im Bereiche der energietheore tischen Möglichkeit. Jedenfalls sind meine Pläne zur Entwicklung des Rake tenflugzeugs bis heute unwiderlegt geblieben. Sind sie erst ausgeführt, dann wird das eigentliche Weltraumschiff schon Von selber kommen, sobald die Zeit technisch reis dafür ge worden ist. Ich gmuve bestimmt, auch für die Frauen und Mäd chen, die so sprechen, sieht das Leben mit einem Schlage anders aus. „Ich will", ist ein Zauberwort. Es räumt die schwierigsten Hindernisse ans dem Weg und hilft über alle Schranken fort. Die Frau, die da meint, daß ihre Ehe kaum uoch er träglich fei, das junge Mädchen, das sich allerhand Locken des vorspiegelt, Tanz und Spiel, Vergnügen, Freund schaft. Liebe, die empfinden Wohl das „du darfst nicht", das a s ihrer Seele klingt, aber sie setzen ihm gegenüber ein Wort, das mit dem Muffen ost Hand in Hand geht und auch eiu etwas kläglicher Geselle ist. Es heißt „ich kann nicht". Ach, was können sie alles nicht! Sich selber überwinden, sich beherrschen, eigenes Glück hintanstellen im Dienst der Pflicht, das „können" sie alles nicht. Eia altes Sprichwort sagt: „Kann nicht liegt auf dem Kirch hof und will nicht liegt gleich daneben." Hat das Wort nickst recht? Wenn man etwas ernsthaft will, mit einem festen, yemg ernsten Wouen, dann rann man es aucy, dann ist dem Wollen noch immer ein Vollbringen ge- ungcn. „Ich will" ist ein starker Stab und eine gute Stütze. Mit dem Leitspruch „Ich will" kann man die Welt überwinden und das Leben sich zu Füßen zwingen Hypnsiismus und Suggestion. Randbemerkungen zum Sensationsprozeß Erichsen. Der Fall Erichsen hat wieder einmal die allgemein» Aufmerksamkeit auf das viel umstrittene und auch bis zur« heutigen Tage noch nicht klar und fest umschriebene Ge biet der Hypnose und der Suggestion gelenkt. Auf di» Einzelheiten des Falles und seine gerichtliche Erledigung braucht nicht näher eingegangen zu werden. Zu fragen ist nur: Was ist Hypnofe, und ist es mög lich, den Eigenwillen eines anderen „durch Austarrcn' 74. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Aber nur ein dumpfer Schmerzenslaut entrang sich ihrer Brust. Ihr wurde so seltsam zu Mute, so starr und kalt, wie einer Toten; ein prickelndes Gefühl raun durch ihre Glieder — die Sinue fingen an zu schwinden, und tastend griff sie nach einer Stütze. Aber sie biß die Zähne auf die Lippen, daß sie bluteten, sie krampfte die Hände ineinander daß sie schmerzten. Nur nicht dem Ohnmachts gefühl nachgeben, nur nicht schwach werden. — Und ihre starke Natur siegte. Langsam aber sicher ging sie dem Schlosse zu. Am nächsten Morgen, früh um acht Uhr, stand der elegante Landauer vor dem Schloßportal. Der Wagen mit dem Gepäck war schon vorausgefahren. Bald trat denn auch die Gräfin, von den Kindern, Ilse und einigen Dienern gefolgt, heraus. Die Gräfin nahm mit Gerda den Vordersitz ein, während Lotti und Ilse rückwärts saßen. Ein leiser Pfiff des Kutschers, die Pferde zogen an, ' und fort rollte der Wagen. Einen langen, ernsten Blick warf Ilse auf das Schloß, das sie nicht mehr Wiedersehen wollte. Es barg das Teuerste, was sie besaß, den Geliebten, von dem sie ohne Abschied und für immer schied. Etwas Heißes, Nasses stieg in ihren Augen auf, aber sie zwang den Schmerz nieder. Was sollte die Gräfin, die mit so ernstem, unbe wegtem Gesicht ihr gegenüber saß, denken, und was die Kinder? Nur Loiti würde sie wohl verstanden haben, wenn sie ihren Kummer gekannt hätte. Denselben Weg, den sie einst schweren Herzens allein zu Fuß gewandert war, fuhr jetzt der Wagen, aber in ent gegengesetzter Richtung. Wenn sie damals geahnt hätte, was ihrer in den Mauern Tworraus wartete, sie wäre nock» ans nalbem Weae wieder umaekekrt. Bis Breslau fuhr Ilse in Gesellschaft der Gräfin und der Kinder, und das lenkte sie von ihren trüben Gedan ken ab. Als aber der Zug in Breslau einfubr, als sie zum letztenmal Lottis Hand in der ihren hielt, da mußte sie alle Selbstbeherrschung aufbieten, um vor Weh nicht laut aufzuschluchzen. Lotti war nicht besonders traurig, sie ahnte ja nicht, daß sie die geliebte Erzieherin nicht mehr Wiedersehen sollte. Wie durch einen Schleier sah Ilse, daß die Gräfin von einer eleganten Dame, die von einem herrschaftlichen Diener begleitet war, empfangen wurde, dann setzte sich der Zug in Bewegung, und damit verschwand das letzte, was sie noch mit Tworrau verband. 15. Kapitel. Sechs Wochen war Ilse wieder daheim, nn alten, lieben Berlin, in den alten, lieben Räumen der Villa, bei Mutter und Großmutter, und sie gedachte, es niemals mehr zu verlassen. Viele Aufregungen, viel Schmerz hatte diese Zeit für sie gebracht, aber nun war das Schwerste überwun den. Aus dem harten Kampfe war eins neue, oder vielmehr die alte, Willensstärke Ilse wieder erstanden. Sie hatte alles von sich abgeschüttelt, was ihrer Ruhe und ihrem Seelenfrieden hinderlich war, sie hatte mit allen Erinnerungen an die heißen Kämpfe in ihrem In nern aufgeräumt und stand nun blühend und gesund da wie einst und neuen Zielen zustrebend. Es war ihr gelungen, eine Stellung als Bibliothekarin bei der Geo graphischen Gesellschaft zu erlangen. Seit dem ersten No- vember bekleidete sie dieses Amt und es erfüllte sie mit wahrer innerer Befriedigung; konnte sie doch aus den mannigfachen Büchern neue Weisheit schöpfen, ihr Wissen und Können bereichern. Nur wenn sie auf archäologische Bücher stieß, legte sie sie beiseite, sie wollte durch nichts mehr an den Kampf „Hie Welf —hie Waibling" erinnert .werden. An die Gräfin hatte sie bald zu Anfang rhres Auf enthaltes in Bertin geschrieben und sie gebeten, sie ihres Kontraktes m entbinden. Gewisse Umstände und Ver- Mögensregulierungen zwängen sie, in Berlin zu diei ben. Sie dankte ihr für alle erwiesene Güte, sie bat, ihr zu verzeihen, und ließ die Kinder herzlich grüßen. Besonders für Lotti hatte sie noch einige siebe Warte hinzugefügt. Schon wenige Tags daraus kam eins Antwort von Lotti, in der diese schmerzlich ihren Entschluß beklagte. „Kommen Sie wieder, Fräulein Römer, ich mag nicht mehr nach Tworrau zurück, wenn Sie nick! da sind; ich habe Sie so schrecklich lieb und kann odne Sie nicht leben." Die Klage rührte Ilie bis zu Tränen, und sie schrieb auf Lottis brennenden Wunsch noch einmal au sie, zum letztenmal, denn bald sollte etwas eintreten, was einen Briefwechsel für die Folge unmöglich machte. Doch ehe dieses bestimmte Etwas in Frage kam, hatte Ilse Aufregungen von viel schlimmerer Art durch zumachen. > Sie batte mit ibrem stolzen Herzen geglaubt, allein mit ihrer Liebe und ihren Sorgen fertig werden zu können; sie wollte nicht der Mutter Kummer und Gram verursachen, obgleich es sie mit allen Fasern zu einer Aussprache drängte. Diese Aussprache wurde dennoch bald herbeigeführt, und zwar durch ihre auffallende Kundgebung, nicht mehr nach Tworrau zurückkehren zu wollen. Das mußte die Mutter befremden, da Ilse stets geschrieben hatte, daß sie sich dort glücklich fühle. Auf eine darauf bezügliche Frage setzte Ilse der Mutter alles auseinander. Sie, sprach von ihrem Kämpfen und Ringen und schloß mit dem schweren Geständnis ihrer Liebe zum Grafen Kon rad Limar. Frau Römer war über dieses Geständnis jo entsetzt und erregt, daß Ilse schon bereute, rs ihr gemacht zu haben. (Fortsetzung folgt.)
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