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Am keimttcden 6ercl Lorbeer ber LaterstM. Skizze von W a l t e r I e n s e n. Einst glaubte ich, als Sieger in meine Vaterstadt eln- ziehen zu können. Man hatte mich zu einem Gastspiel als Orest in „Elektra" eingeladen. Ein viel berühmterer Gast als ich sollte die Titelrolle spielen. Ich schickte meinen frü heren Klassenlehrer, Professor Musfel, zwei Freikarten, weil er mich wenige Jahre zuvor mit Sehergabe als völlig un brauchbar bezeichnet hatte. Kaum lag das Brieflein an ihn im Kasten, da fiel mir das Tagblatt in die Hand; unter den Traueranzeigen stand zu lesen, daß sich Muffel durch bos haftestes Ableben zu unpassender Zeit der Verpflichtung, mich nachträglich als brauchbar anzuerkeunen, entzogen hatte. Ein böses Vorzeichen! Aber es sollte noch besser kommen. Der Direktor holte mich an der Bahn ab und meldete mir mit verlegener Miene, der einen, der Diva, kurz: der Kanone sei ein k' :r Autounfall zugestoßen, sie käme aber mit dem nächsten . rge. Einstweilen markierte auf der Probe eine eigens zu diesem Zweck mitgebrachte Schauspielerin mit Sem Buch in der'Hand die Elektra. Auch die Generalprobe sand ohne die Primadonna statt. Statt dessen bekam die eigens zu diesem Zweck bestellte Ersatzschauspielerin einen Weinkramps und schrie: „Es geht nicht! Die Zeit ist zu kurz! Ich kann es nicht schaffen!" — Der Direktor schleppte sie in einen Nebenraum, und ich ahnungsloser Engel fragte den Zurückkommenden: „Was heißt denn das? Sie soll doch nur markieren? Wann kommt denn nun die große Kanone?" Er sagte, die Dame sei nur ein wenig überreizt und bilde sich ein, sie müsse vielleicht spielen, wenn der erlauchte Gast aus bliebe. So viel wurde nun auch mir klar, daß meine Part nerin, selbst wenn sie noch zur Vorstellung einträfe, keine Verständigungsprobe mehr mit mir veranstalten könne. Ich zählte an den Knöpfen ab, ob ich unter diesen Umständen nicht absagen sollte. Aber jedesmal, wenn beim Abzählen Absage herausgekommen war, dachte ich an den Honorarverlust und die Verlegenheit, in die ich den Direktor bringen würde, und dann — ich hatte mir doch vorgenvmmen, endlich einmal den Onkeln und Tanten, den Vettern und Basen zu zeigen, was ür ein hervorragendes Familienmitglied ich sei. Also: ich agte nicht ab. Aber der Direktor mochte etwas von den insteren Gedanken ahnen, die in mir tobten: er ließ mich nicht mehr von seiner Seite. Um sieben Uhr schob er mich in die Garderobe und gab vor, zum Bahnhof zu fahren, um die Kanone abzuholen und in das Theater zu verfrachten. (Der Schwindler! Er trug längst ein Telegramm in der Tasche, aus dem ersichtlich war, daß die Kanone überhaupt nicht abgefeuert Wurde!) Ich ließ meinen damals noch schlanken Leib in die Tu nika des Orest stecken, schminkte mich mit verdreifachter Sorg falt, setzte meine auf Seidengaze gearbeitete Orestperücke auf, und so wurde es dreiviertel acht oder — wie man heute sagen würde — dreiviertel zwanzig. Der Direktor (ich erwähnte wohl schon, daß er ein ganz geriebener Schelm war) kam glückstrahlend in meine Garderobe und sagte: „Gott sei Tank!" Ich atmete auf und bat, mich der sehnlichst Erwarteten vor zustellen. Da wurde er nervös und sagte: „Wir haben keine Zeit mehr, uns mit Förmlichkeiten auszuhalten!" Schon war er draußen. Es wurde acht Uhr. Acht Uhr fünf Minuten, der Zu schauerraum hatte sich gefüllt. Ich schaute durch das Guckloch und stellte mit Befriedigung fest, daß meine Sippe vollzählig versammelt war, vom alten Onkel Leo bis zur niedlichen Erika. Acht Uhr zehn Minuten. Was jetzt geschah, werde ich nie ganz genau darstellen können, weil es mir schwarz vor den Augen wurde. Ungefähr gestaltete es sich fol gendermaßen: Ein letztes Klingelzeichen. Ich frage nach der Elektra. Einer ruft: „Bühne frei!" Ich sehe, wie sich zwei Kollegen rechts und links von mir aufstellen. Ich muß denken: als ob ich verhaftet werden solle. Vor den Vorhang tritt der Direk tor und verkündet, die Diva sei leider nicht erschienen, statt ihrer hätte Fräulein Sowieso die Rolle der Elektra im letzten Augenblick übernommen. Da aber die Vorbereitungszeit zu kurz gewesen sei, müsse Fräulein Sowieso mit dem Buch in der Hand spielen. ... Die durch Krieg und Revolution abge härteten Zuschauer nahmen die Nachricht hin wie andere Hiobsbotschaften auch, nämlich mit einer in meiner Vaterstadt zu ganz besonderer Höhe gezüchteten Sanftmut. Ich selbst konnte noch mit letzter Manneskraft die Worte „Ich spiele nicht!" hervorbringen; dann spürte ich deutlich, wie die Erde sich um ihre Achse drehte und Finsternis sich ausbreitete. Als ich wieder zu mir kam, roch es nach Aether. Der Direktor beugte sich weinend über mich und schrie, er sei ein geschla gener Mann. Draußen auf der Bühne wurde leidenschaft lich deklamiert, und auch der Direktor nahm (obzwar mit leiserer Tongebung) den Deklamationston auf und beschwor mich bei allen Göttern Griechenlands, keinen Theaterskandal herauf zu beschwören. Ich atmete mühsam, hörte irgend woher ein bekanntes Stichwort, halb ward ich geschoben, halb setzten sich meine Beine selbst in Bewegung, genau wie bei einem alten Kavalleriegaul, wenn der Hornist zum Angrifs bläst. Dann fühlte ich mich vom Scheinwerfer lichtvoll um flossen; meine Lippen sprachen Worte; nur konnte ich nicht recht unterscheiden, ob das ich oder ein anderer war. Dann kam eine Art Traumzustand über mich, der so lange anhielt, bis meine Augen zufällig die Waden der Elektra streiften. Erst glaubte ich, es sei eine Sinnestäuschung, aber dann sah ich es mit furchtbarer Deutlichkeit: Elektra trug unter dem griechischen Gewand Spitzenhöschen, die mit jedem Wort, das sie sprach, und mit jedem Schritt, den sie ging, tieser glitten. O diese Frauen! Alles ahmen sie den Männern nach, aber bis zur Verwendung von Hosenträgern dringt ihre Logik nicht vor! Meine verzweifelte Mimik machte die bei einer Kunst pause vom Buch aufschauende Schauspielerin erbeben. Sie fühlte und begriff, daß da etwas geschehen müsse, zumal einige herzhafte Zuschauer bereits ansingen zu kichern. Mit einem Satz, Wie er sonst nur einer Löwin eigen ist, sprang die so unzeitgemäß Bekleidete hinter den schützenden Altar. Ich wandte mich in jähem Mitleid von der entehrten Schwe ster ab. Als ich ihre Stimme wieder vernahm, drehte ich mich zögernd nach ihr um. Hochaufgerichtet stand sie da, je der Zoll aus Tantalus' Geschlecht. Das Buch lag auf dem Altar. Hinter dem Altar aber, dem Publikum abgekehrt, lag, sorg>am zuiammengesauet: oas vtutenwnße SPltzenyoschen, von neckischen Rosabändchen durchzogen. Noch einmal kehrte Agamemnons Tochter zum Altar zurück, von wo ich sie im Eifer des Spiels abgedrängt hatte. Sie hatte ja ihr Buch dort niedergelegt. Diese Elektra aber heischte nicht nur Rache, nein: sie begehrte auch Text. Und als sich mein die Schwester erkennendes Auge in das ihrige bohrte, machte sie dieser vom Dichter besonders liebevoll bedachten Szene ein Ende, lange ehe ich den vorgeschriebenen Blick hatte tun kön nen: Sie ließ mich einfach stehen und rannte an den Altar der Zuflucht, zu ihrem Buch. Es kam der Augenblick der großen Umarmung, sie aber hielt mir drohend das Regie buch vor die Nase. Da übermannte mich der Zorn, ich schlug ihr das scheußliche Buch aus der Hand und riß sie an mich. Dann habe ich Klytämnestra getötet, leider nur Klytäm- nestra. Ich hätte die ganze Menschheit ausrotten mögen — au jenem Abend. Das Recht au! Luxus. Von P. Wild- Krefeld. Zeitlose Lebenskunst ist es, unsere innere Sehnsucht nach Anmut und Schönheit in einer uns umgebenden Außenwelt zu verwirklichen. Aus einem den Menschen mehr oder weniger angebore nen Streben nach Anmut und Schönheit erwächst alle Zier- und Schmuckkunst. Ihr Dasein entwickelt sich also von innen heraus. Im neuen Zeitalter ist gerade uns Deutschen das Wort „Luxus" ein Streitwort geworden, mit dem wir uns untereinander bekämpfen. In allen Verfallzeiten, so auch heute, ist Ueberhöhung materieller Werte symbolischer Zeit ausdruck. Gibt es in Perioden ungeheuerster Not überhaupt ein Recht auf Luxus? Eiferer verdammen in dämonischer Blind heit alles, was über die gemeine Notdurft des Tages hinaus geht. In finsterem Haß möchten sie das Wort als solches aus dem deutschen Sprachschatz austilgen. Teilen wir solche Gesinnung? Besonders abwegig und engstirnig ist es, den Begriff Luxus als Schuld, nur mit engstem Materialismus zu ver quicken. Soll der Mensch, auch in harter Zeit, nicht jenes Selbst, im Rahmen seiner gegebenen Möglichkeiten, befriedi gen, das zum Höheren, Schöneren strebt? Ein viel größeres und wichtigeres Problem beschattet den Begriff Luxus: das Sparen! Wer sachlich dies noch mehr verkannte Wort sinngemäß betrachtet, erkennt, daß uns auch hier vielfach ein Zerrbild vorschwebt. Es wird vielfach be grifflich falsch ausgelegt. Notzeit ist Sparzeit! Aber auch hier heißt es aufmerken. Sparen darf kein mechanisches Ab töten unserer Lebensfreude sein. Wir müssen das Leben bejahen, um es zu ertragen. Feld und Wiesenblume bedeuten ebenso Freude und Luxus für den einen, wie eine exotische Kostbarkeit für den anderen. Die Scheidegrenze für die Auffassung des Luxusbegrifss ergibt sich von selbst, sie wird von innen heraus gezogen. Veredelter Luxus ist Hochzucht reifster Seelenschönheit, ist selbstwertig, nicht geldwertig! Auf solchen Luxus haben wir alle ein Anrecht. Er verstärkt unsere geistige und körper liche Spannkraft, macht uns leistungsfähiger, jünger. Er wirkt Werte schaffend, denn unser größter Volkswert ist unsere Kraft. In diesem Sinne finden wir Luxus als Notwendig keit heim- und lebenverschönend ebensowohl im Arbeiterheim wie im Herrschaftshaus. Menschen, die den Luxus aus „sozialen Gründen" grund sätzlich bekämpfen, werden damit unsozial. Auch ein wenig Luxus gehört zu unserem Aufbau. „Wir sind, um zu werden". Dieses Werden bedingt nicht nur nackte Notwendigkeit, son dern Licht im Alltag, wie es auch der bescheidenste Luxus ist. Sinnlos und verächtlich erscheint jener Luxus, dessen hohler Glanz rein äußerlich wirkt. Er verweichlicht, weckt Begehrlichkeit und Unzufriedenheit. Er bedeutet Ueberschät- zung wertloser „Werte", er ist nichts wie ein trüber Schatten. Solcher Luxus ist nicht nur verwerflich für den Einzelnen, sondern zugleich beschämend für ein ganzes Volk. Luxus, der allein durch geldliche Wertung getrieben wird, führt zur Ueberhöhung selbstsüchtiger Lebensauffassung. Jchvergötterung, unter Verneinung von Moral und Sittlichkeit ist kein wirklicher Luxus, sondern eine bösartige Abart: Verschwendung! Aus solchen Luxus haben wir kein Recht! „Auch der Mutigste hat nur selten den Mut zu dem, was er wirklich weiß." (Nietzsche.) Wir müssen den Mut haben zum Erkennen und zum Handeln. Sonst schreitet unsere Sittenauflockerung, die zum Teil auf falschem Luxusbegriff mitruht, bedenklich fort und stürzt uns in einen Abgrund. Wer gegen jeden Luxus spricht, bedenke, daß er eine un tragbare Verantwortung auf sich nimmt. Wir haben in Deutschland eine stark ausgedehnte, alle Wirtschaftszweige umfassende Luxusindustrie. Statistisches Material, das sich im gedrängten Raum hier erübrigt, erzählt von den auf Ge deih und Verderb mit ihr verbundenen Arbeitskräften. Der Abdrang vom Weltmarkt als Nachkriegsfolge, ge schickte Auslandpropaganda, Unterbietung normaler Preise, Verkehrshemmnisse und der Wahnsinn der Steuerhochflut haben gemeinsam unser Absatzgebiet noch mehr verengt. Unsere Industrie ist mehr als je auf unsern Jnnenmarkt an gewiesen. Die erschütternd hohen Zahlen der Erwerbslosen, sonderlich in der Luxusindustrie, zeigen uns, daß ein bestimm ter Luxus für ein Volk notwendig ist. Wer geldlich unabhängig genug ist, spart in Wirklich keit nicht durch Verzicht auf jeden Luxus, Aufhäufung toten Kapitals, sondern er muß es im lebendigen Rhythmus, als gesunden Blutkreis in die Adern der Wirtschaft leiten. So dient er seinem Volk. Besitz verpflichtet! Austausch von Geld und Kraft! Das ist lebensfähige und erhaltende volkswirtschaftliche Gesinnung. So bedeutet jedes Kleid z. B. Arbeit einer Arbeitskette von der Minderet, Weberei, Färberei, Appretur, Hilfsfabrikation bis Großhandel, ja bis zur Schneiderin. — Luxus ist, recht be trieben, umgewertetes Brot! Wir Deutschen nörgeln gern. Aber auch hier heißt es Maßhalten. Verdammen allein schafft keine Arbeit, hebt keine Wirtschaft, aber es verblendet die denkfaule Masse, wird Schlagwort. So wirkt es in bestem Wollen zerstörend, denn wir alle sind auf Gedeih und Verderb miteinander verbun den und müssen versuchen, die Gemeinschaft über unser Ich zu stellen. Dann wird uns auch ein Zusammenhang zwischen Luxus und sozialer Frage ohne weiteres erklärlich. „Nur Luxus", nur materiellen Luxus lehnen wir als unproduktiv, verderblich ab, aber wir bejahen das Recht auf Luxus, der uns zu wahrer innerlicher Lebensfreude verhilft. Wir ver neinen Verschwendung in jeder Form, aber wir bejahen „das Recht auf Luxus" im Werte schaffenden Sinne. Eine kleine Erholung. Von Rudolf Presber. Es gibt Zeiten, in denen einem alle Menschen zu viel sind. Und mit sich selber kommt man auch nicht zum besten aus. In einer solchen Zeit telegraphierte ich an das Hotel „Römischer Kaiser" in Dinglingen — ich hatte mal einen Prospekt davon in der Eisenbahn gefunden — ob ich für vier Wochen ein freundliches Zimmer mit voller Pension haben könne. Das konnte ich haben; denn es schien, daß nicht allzu viel Leute den Prospekt vom „Römischen Kaiser" in Ding lingen in der Eisenbahn fanden. Oder sie lasen ihn nicht. Oder sie mißtrauten ihm. Ich aber fuhr nach Dinglingen; denn ich kannte dort niemanden. Ich wollte allein sein, von niemandem gekannt, § befragt, beobachtet, bemuttert. Als ich im „Römischen Kaiser" in Dinglingen ankam, rieb sich der Wirt die Hände — alle Wirte in kleinen Städten reiben sich beim Empfang der Gäste die Hände — und der Piccolo, der sehr unternehmend neben ihm stand, schwenkte eine blütenweiße Serviette. Am nächsten Morgen — es war ein wunderschöner Spät- . fommermorgen, und die ganze Welt schien in flüssig Silber getaucht — stand ich früh auf. Der „Römische Kaiser" schlief noch. Ich stieg, da das Häuschen fest verschlossen War, durch ein Fenster ins Freie und beschloß, auf meinem Morgengang über den Marktplatz nach dem Fluß zu wandern. Auf der Straße war es still. Nur ein Milchmädchen, drall und frisch gewaschen, klapperte mit vollen Blechkannen über die hokrigen Steine. Das Milchmädchen beschattete, als es mich kommen sah, die Augen mit der Hand, dann verklärte sich sein Gesicht, und sie unternahm mitten auf dem Bürgersteig etwas, was sich wie ein verunglückter Knicks ansah. Ich zog . dankend den Hut. Das ist ein guter Altfang, dacht' ich. Ich bin gern in einer Stadt, wo höfliche Leute wohnen. Sieh da, auch der Bäckerjunge hörte auf zu pfeifen — das war gut, denn er pfiff sehr falsch — und grüßte mich. Das freute mich wirklich. Es war ein gutes Zeichen. Gerade Burschen in diesem Alter neigen sonst zur Unmanier. Hübsche kleine Häuschen mit grünen Läden. So was hab' ich gern. Gerade stieß eine ältliche Dame so einen grünen Laden auf, daß er mir beinahe an die Nase flog. Die Dame hatte die Locken noch gewickelt, und sie trug eine geblümte Nacht jacke. Sehr sauber, aber nicht eigentlich anmutig war sie anzu- j sehen. Aber sic nickte mir sehr freundlich zu: „Ei, guten Mor gen" — dann aber schien sie sich aus die gewickelten Locken und die geblümte Nachtjacke zu besinnen, und mit einem „Hu" des verschämten Erschreckens verschwand sie. Ein paar Jungen gingen zur Schule. Ob sie mich auch —? Nein. Aber sie stießen sich an und sahen mir nach. Hatte ich etwas an mir, das — oder fiel ihnen der Fremde auf? Im Bäckerladen wurden frische Semmel ausgelegt. Sie rochen zu fein. Ich trat ein. „Große Ehre", sagte das Fräu lein — oder cS war nicht gerade ein Fräulein, sie ging in Holzpantofseln und hatte rote dicke Hände — „Große Ehre", j Sie packte mir die Semmeln in Weißes Papier und dann in Zeitungspapier, und dazu strahlte sie mich an. „Schönes Wetter", äußerte ich mit einem Drang der ! Leutseligkeit. „Gleich dreiviertel acht", sagte sie. Vielleicht verstand sie meinen Dialekt nicht. Oder sie hörte schwer. Aber sie war außerordentlich freundlich, und ich konnte sie nur mit Mühe abhalten, die Semmeln auch noch einmal in Packpapier cinzuwickeln. Am Fluß angelte ein einsamer Mann. Er schien sich selbst nicht viel vom Fang zu versprechen; denn er hatte die Augen geschlossen und ließ die Angelschnur im Wasser schleifen. Als meine Schritte näher kamen, wachte er auf, lüftete die Schirmmütze und wünschte mir einen „Guten Morgen". Die Aussicht am Fluß erwies sich als bescheidener, als ich mir gedacht. Das Wasser selbst war trübe und roch nicht schön. Von der im Prospekt des „Römischen Kaisers" ge rühmten herrlichen Umgebung konnte man wenig ahnen. Aber so liebe, freundliche Bewohner, dacht' ich, die ersetzen viel; obschon — das viele Grüßen — schon wieder hatten mich zwei Herren gegrüßt, die gerade aus dem Bäckerladen traten, und der Stadtsergeant, oder Magistratsbote oder was er in seiner altväterlichen Uniform vorstellte, stand gar stramm und nahm die Hand nicht von der Mütze, bis ich um die Straßen ecke beim „Römischen Kaiser" gebogen war. An der rot und weiß gewürfelten Kaffeedecke im Gast zimmer wartete sich's sehr behaglich auf das Frühstück. Es dauerte zwar etwas lange, aber die Fliegen waren zahlreich und unterhaltsam. Auch kam der Wirt und setzte sich zu mir. Er begann, aufgeräumt und behaglich, ein Gespräch und nahm sich, um meine Antworten besser hören zu können, die Watte aus den Ohren. — Ich rühmte die Freundlichkeit der Bürger. Er meinte, das lasse sich ertragen. Ich erklärte ihm, daß ich zwar von Berlin nicht ver wöhnt sei, daß ich aber glaube, auch ein Verwöhnter könne zufrieden sein, wenn er, wie ich, auf seinem Morgengang von Milchmädchen und Bäcker, Von Angler und Barbier und so gar vom Stadtsergeanten so einen freundlichen Guten Mor gen geboten bekomme. „Sie? Das will ich glauben." Der Wirt schlüg sich aus die Schenkel, daß die Senftöpfe auf allen Tischen wackelten „Sie!" „Wieso — gerade ich? Ich denke, das gilt dsnr Fremden — dem —" „I wo!" Die Senftöpfe wackelten abermals. „Ich hab's gestern schon zu meiner Frau gesagt. — Sc was, hab' ich gesagt, sollt man nicht für möglich halten! Vc> sonders die Nale —."