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lich gewonnen hätten. Aber ich habe den Schmuck wirklich nicht wieder bekommen." „Nee, doch, das wär' ja auch jar nich' möjlich. Ich habe doch den Schmuck mit. Ich bring' Sie den Schmuck." Die Männer sahen ihn fast erschrocken an. Tessing war blaß geworden. Seine Hände zitterten. „Herr Schuster," sagte er mit bebender Stimme, „ich habe mich gefreut, daß Sie mich besucht haben. Aber solche Scherze dürfen Sie nicht mit mir machen. Sie wissen wohl, daß ich bankerott bin. Das werden Sie wohl gehört haben." „Jawoll, det weeh ich. Damit Se aber nu aufhör'n, mir zu mißtrauen, da will ich Sie den Schmuck jeden." Unter atemloser Spannung Tessings und der beiden Jungen knöpfte er sein Jackett auf und holte aus seiner Vrusttasche ein umfangreiches Etui. „Hier is er." Er sagte das so gleichmütig, als ob es sich um einen Taler handelte, und reichte Tessing den Schmuck. Der alte Tessing war totenblaß. Mit zitternden Händen öffnete er das Etui. Alle waren fast geblendet. Der herrlichste Schmuck, das köstlichste Diadem zeigte sich ihnen. Das Licht des Kron leuchters ließ die Diamanten blitzen und blinken, in tausend Farben ipielen. Tessing starrte geistesabwesend auf das Farbenspiel, dann klappte er das Etui zu und wankte aus dem Zimmer. Der brave Schuster starrte ihm nach. Er begriff ihn nicht, und schüttelte den Kopf. Hanno stand auf und ergriff des kleinen Mannes Hand. „Herr Schuster, verstehen Sie, daß meinen Vater das unerwartete Ereignis so erschüttert hat. Sie hat ein guter Engel zum heutigen Tags hierher geführt. Wir werden Ihnen immer dankbar sein, das verspreche ich Ihnen, so wahr ich Hanno Tessing bin." Schuster nickte glücklich. Hannos Worte gefielen ihm. „Sie sind 'n juter Mensch, junger Herr. Un' ich freue mir janz besonders, daß ich Ihnen kennenjelernt habe. Wissen Sie, Jhr'n Herrn Vater, dem bin ich janz besonders jut. Er is so'n feiner, netter Mann, und damals, als er noch een janz Reicher war, da is er nich' anders jewesen wie heute. Ich habe Jhr'n Herrn Vater reeneweg lieb jewonn' in die paar oerjnügten Stunden." „Ich danke Ihnen für diese Wertschätzung. Man muß meinen Vater lieb haben, ob man will oder nicht." „Jawohl!" stimmte der kleine Mann begeistert zu. „Seh'n Se, Herr Junior, die meisten Menschen, die ha'm mich immer nich' richtig ernst jenomm'. Iott, ich weiß, ich bin nich' 'ne Schönheit, und meine Nase is een bißchen komisch. Das hat Jhr'n Herr Vater nich' eene Sekunde jestört. Un' das oerjeß ich ihm nich ." Er schwieg, denn der alte Tessing trat ein. Seine Züge waren weich, und in seinen Augen leuchtete grenzenlose Dankbarkeit, als er Schusters Hand ergriff. „Wie soll ich Ihnen danken, lieber Freund!" kSsteHLettel An die Zeiiungsgeschafissteüe oder bei unsren Zeitungsausträgern abzugeven. * „Was heißt danken, Herr Tessing! Ich hab' die Wett« jewonn', un' damit is alles jut und erledigt." „Nein!" sagte Tessing. „Damit ist nichts erledigt. Ich will Ihnen einen Vorschlag machen: das Diadem wird ver kauft, und ich überlasse Ihnen die Hälfte." Fast entsetzt wehrte der kleine Mann ab: „Um Iottes willen!" „Auch damit kann ich Ihnen nicht so danken, wie es Ihnen gebührt. Nehmen Sie wenigstens diesen Dank an," fuhr Tessing fort. Karl Schuster schüttelte beharrlich den Kopf. „Nee! Das jommt nich' in Frage. Iestatten Sie mir mal ein Wort, Herr Tessing. Sie ha'm Konkurs jemacht. Ich bedauer' das janz besonders, un' ich weiß auch so unjefähr, was Se für Mallör hatten. Un' nun jestatten Se mir 'ne Frage: Was machen Se mit den Ield, was Se aus dem Schmuck 'raus- hol'n?" „Das, was jeder ehrliche Mensch tun muß: die Nestschulden bezahlen. Ich möchte die vom Halse haben, dann bin ich zufrieden." Der Kleine nickte bedächtig zu den Worten des ehemaligen Fabrikanten. Er schien zu überlegen. Dann sagte er in seiner ruhigen Art: „Eijentlich is das ja 'ne Dummheit. Nichts für ungut, Herr Tessing. Aber ich ... ich bin auch so'n verrückter Kerl ... ich würd's nich' anders tun. Ich zieh' den Hut vor Ihn', Herr Tessing." Ordentlich warm war er geworden und sah geradezu an betend aus den weißhaarigen Tessing. „Nu' Herr Tessing, noch een Wort. Wieviel ha'm Se nach zu bezahl'»?" „Bald dreimalhunderttausend Mark," kam es zögernd von Tessings Lippen. „So! Hm, das hab' ich mir bald auch ausjerechnet. Also, Herr Tessing, ich mach' Sie 'nen Vorschlag. Sie oder Ihr verehrter Herr Sohn verkloppen das Ding, und damit bezahlen Sie de Schulden, daß Se als 'n freier Mann da- steh'n. Und was übrig bleibt, das teilen wir uns. Sin' Se einverstanden?" Tessing zögerte. „Sie benachteiligen sich, Herr Schuster." „Was heißt benachteiligen! Nee, nee, das tu' ich nich'. Herr Tessing, ich bin'n Mann von fufzig Jahren Ich hab' noch ein paar hübsche Tausender auf der Seite. Mir jeht's gut, un' Kinder habe ich nich'. Na, sagen Sie nur ja!" Da schlug Tessing stumm ein. Das Erlebnis dieses Abends konnte er nie vergessen. Der alte Diener Burkhard staunte nicht schlecht, als er wieder ms Zimmer kam. Alle Mienen waren freudig. „Lieber Freund," fragte der Fabrikant, „wieviel Flaschen Wein sind noch im Keller?" „Zweiundzwanzig, Herr Tessing." „Wann kommt der neue Herr der Villa?" „Uebermorgen müssen wir räumen, Herr Tessing." „Gut, dann können wir morgen hier noch einmal gründ lich ausschlafen So wollen wir heute Abschied feiern. Freund Burkhard, alle zweiundzwanzig herauf, und dann sorgen Sie noch für etwas Eßbares. Hier haben Sie meinen letzten Hunderter. Holen Sie was Gutes " Und sie feierten Abschied. Der Fabrikant Robert Tessing schloß ab mit der Vergangenheit, der Fabrikant Tessing war tot, aber der Mensch Robert Tessing, ungebeugi und trotz seines weißen Haares voll kraftvollen Willens, lebte. Lange scheute sich Tessing zu fragen, wie Schuster wohl zu dem Diadem gekommen. Und als er es endlich doch tat, war er verlegen. Schuster kratzte sich hinter dem linken Ohr und sah den, Fabrikanten durchdringend an. „Wenn Sie es verlangen, Herr Tessing, dann will ich's sagen, aber lieb wäre es mir, wenn Sie damit zufrieden sind: Ich habe es dem Dieb abgenommen. Wer der ist, das möchte ich aber gern für mich behalten." Er sprach diesmal vollkommen hochdeutsch, obwohl si« bereits bei der siebenten Flasche angelangt waren. Fortsetzung enthält Hejt 1 des 17. Jahr gangs von „Meisters Buch-Roman", Der 17. Jahrgang von Kleisters Roman beginnt mit Im Wasgenwald erwirbt Hanno Teising ein verfallenes Schloß, das er zu einem Fremdenheim ausbaut. Während der Umwandlung enthüllt uns dieses alte Gemäuer seine jahrhundertealten Geheimnisse, in dis der Autor die Geschehnisse seiner handelnden Personen meisterhaft und spannend einzuslechte weiß. — Der Autor: Wolfgang Marken, ist eine besonders enreutichs Erscheinung unter den lebenden Erzählern Er kann wirklich er-äüsnl Was er erzählt, zeichnet sich aus durch packendes Geschehen, ist von Temperament ersültt und von Humor übsrsonnt. Seine Menschen sind keine Schemen und in der Phantasie konstruierte Wesen - sie leben mit uns und sind ein Teil von uns. Gerade deshalb lie! man einen Markenschen Raman auch nicht nur einmal, sondern st'mf- und zehnmal und immer wieder! --S»S> srrs Der Gast ZelrZvtz UorLF Der grüne, rassige Benton-Wagen fuhr im zwanzig Kilometer-Tempo durch eine sächsische Mittelstadt. Grau mar der Tag. Hanno Tessing saß unbeweglich am Steuer. Die schmutzigen Straßen, der strömende Regen und der heulende Sturm bedrückten ihn. Hsi- matssehnsucht hatte ihn nach jahrelangen Reisen nach Hause getrieben. Und jetzt fiel alle Sehnsucht wie mit einem Schlage zu sammen. „Das ist also deine Heimatstadt, lieber Hanno?" fragte der Mann, der an Hannos Seite saß. „Leider, lieber Ian! Sie zeigt sich heute von einer recht unfreundlichen Seite." „Sie scheint aber auch sonst nicht allzu freundlich zu sein." „Wohl wahr, Ian. Sie ist keine schöne Wolfgang Marken „Ja, Freund Ian." „Weiß dein Vater von deinem Kommen?" „Nein. Ich pflichtvergessener Sohn habe seit einem halben Jahr nicht geschrieben, und jetzt überfalle ich ihn." Er lächelte bei dem Gedanken, wie über rascht wohl sein Vater sein werde. * -ft -i- Aber die größte Ueberraschung sollte doch bei ihm sein. Als der Wagen vor der Villa Tessing hielt, sah Hanno zu seinem Erstaunen, daß alle Fenster verhängt waren. Die Villa machte den Eindruck, als ob seine Insassen verreist wären. Hanno schüttelte den Kopf. „Komisch, das sieht ja aus, als ob hier nie mand zu Hause wäre. Das wäre un Stadt, und wenn ich ehrlich sein will, so muh ich gestehen, daß ich sie nie geliebt habe. Alle Heimat- sehnsucht, die ich empfand, galt wohl doch nur meinem Vater." Jan nickte. „Gtaub's wohl, lieber Hanno. Du hast mir noch nie Näheres von deinem Vater erzählt, aber ich habe das Gefühl, daß er dir viel bedeutet." „Ja! Ich habe nur drei Menschen von Herzen lieb, meinen Vater, der gottlob noch lebt, meine Mutter, dis vor zwölf Jahren starb, und Aimeö, die nun auch schon drei Jahre tot ist." Es ging in eine Straßenkreuzung. Der Wagen erforderte Hannos ganze Aufmerksamkeit. Jan Peter Hollem, so hieß der Geführte, schwieg und störte ihn nicht. Als der Wagen freie Strecke und ruhige Fahrt hatte, begann Ian wieder: „Ich glaube, du hast einen Menschen, den du liebst, vergeßen, Hanno." Hanno richtete seine Braunaugen auf den Freund, erst erstaunt und fragend, dann verstand er, und er streckte Ian die schmale, in den Tropen gebräunte Rechte entgegen. „Verzeih' mir, Ian, daß ich dich vergaß," bat er herzlich. „Du bist mir lieb und wert. Du weißt es, Ian." Jan Peter Hollem nahm die Hand und drückte sie herzlich. Fast zärtlich sah er den Freund an. „Wir sind Freunde, lieber Hanno, und ich weiß, daß wir es bleiben werden, mag kommen was will." angenehm." Er drückte die Klinke herunter. Das Tor war verschlossen. Hanno klingelte und wartete. Die wenigen Sekunden wurden ihm unerträglich lang. Endlich knarrte die Tür der Villa, und ein alter Mann kam den Gang entlang. Hanno erkannte ihn, es war der alte Burkhard, seines Vaters Diener. Als Burkhard den Sohn seines Herrn erkannte, wurde er fahl und schwankte. Seine Hände zitterten, als er das Tor öffnete. „Guten Abend, gnädiger Herr," brachte er dann mühsam hervor. ^-anno ergrifs des Dieners Rechte mit beiden Händen und schüttelte sie herzlich. „Alter, lieber Burkhard, Sie staunen, daß ich bei Nacht und Nebel so hereingeschneit komme. Wie geht es Ihnen? Jan Peter, das ist der alte Getreue meines Vaters, der nun über vierzig Jahre zum Hause Tessing gehört. Ist mein Vater daheim?" Der Alte nickte. Hätte Hanno schärfer hingesehen, dann wäre ihm der Schreck auf des Alten Zügen ausgefallen. „Lassen Sie mich.vorangehen, Burkhard. Ich will meinen alten Herrn überraschen." Uebermütig wie ein Junge eilte Hanno die Stufen hin auf, die in die Villa führten. Nichts als Freude war in ihm. „Vater!" *