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Wilsdruffer Tageblatt L.Blatl—Nr. 212—Sonnabend, den 10. Sept 1927 Liebespfliebten. Dem Kinde nicht den süßen Wauben, Die Hoffnung nicht öem Wnglmg rauben, Dem Manne Mut und Tatkraft nähren, Dem Greise stille Rast gewähren: Das sind des Menschen Liebespflichten, Nach ihnen wird -die Gottheit richten. Karl -Zettel. Zumuirmgen. Luk. 12, 48: Wem viel gegeben ist, von dem wird man viel fordern. . September ist da. In seinen ersten Tagen sind ernst die letzten entscheidenden Hammerschläge getan, durch die das einige Deutschland geschmiedet ward. In den ersten Septembertagen dieses Jahres wandern unsere Gedanken nach Genf: dort wird gerungen darum, die Ketten zu zerbrechen, die uns unfrei machen. Viele können den Wechsel von einst und jetzt immer noch nicht fassen. Sie verzagen. Einer saß mir gestern gegenüber. „Gott hat uns verlassen," sagte er. „Umgekehrt," erwiderte ich ihm, „er ist zu uns gekommen. Vergessen Sie nicht, wie schön unsere Vorfahren das Wort geprägt haben: Leid i st H e i m s u ch u n g, d. h. B e s u ch G o tt e s." Er zuckte die Schultern. Da sagte ich zu ihm: „Sie haben eben meine Kinder gesehen. Weil ich sie lisbhabe, erziehe ich sie streng. Ich stelle ihnen Aufgaben. Nach Ihrer Auf fassung und der Rede vieler müßten sie sagen: Unser Vater läßt uns im Stich, weil er hart zu uns ist. Ich denke, ge rade daß ich sie herannehme, beweist, daß ich mich zu ihnen halte. Und sehen Sie: vom Kleinen verlange ich nicht so viel; er ist ein langsames Kerlchen, dem's schwer wird; vom Größeren verlange ich viel mehr, dem kann ich mehr zumuten, weil ich ihm mehr zutraue; die Älteste wieder, die macht ihre Sache so treu von selbst, der brauch' ich keine besonderen Aufgaben zu stellen. Sehen Sie, so macht's Gott: ermutetunsDeutschenvielzu — also traut er uns viel zu, und darüber sollten wir nicht ewig jammern, sondern darum gerade hoffen; und er muß uns schwere Aufgaben stellen, weil wir's selbst nicht ernst genug nehmen — aber daß er sie stellt, beweist, daß er uns auch da was zutraut, uämlich, daß es sich lohnt, die Mühe an uns zu wenden." Der andere schwieg. Er dachte nach. Denk du auch nur ein einziges Mal wirklich darüber nach! L. H. P. Englische und russische Gewerkschaffen. Abbruch der Beziehungen. Der englische Gewerkschaftskongreß hat in Edmburg mit einer Mehrheit von säst zwei Millionen Stimmen den Antrag des Generalrates angenommen, die Beziehungen zu den russischen Gewerkschaften abzubrechen. Für den An trag wurden 2 550 000, gegen den Antrag 620 000 Stimmen abgegeben Die Delegierten der Bergarbcitcrverbände mit rund 1 Million Mitglieder enthielten sich der Abstimmung. Die wichtigste größere Gewerkschaft, die gegen den Bruch mit Rustland stimmte, waren die Eisenbahner. Einzelne Mitglieder des Generalrats erklärten in ihrer Rede, die Russen dächten offenbar daran, die britische Gewerkschaftsbewegung in eine revolutionäre Bewegung umzuwandeln, die von Moskau überwacht werde. Der Generalrat lehne es ab, sich als ein untergeordnetes'Or gan der Kommunistischen Partei behandeln zu lassen. Die englischen Gewerkschaften sind mit ihrem Ent schluß dem Wege gefolgt, den die jetzige britische Regie rung in ihrem Verhältnis zu Rußland eingeschlagen hat. Englische Blätter schreiben, eZ dürfte jetzt das Haupthin dernis für die guten Beziehungen zwischen den englischen und den übrigen europäischen Gewerkschaften der Amster damer Internationale beseitigt sein. Nolmsche GpioKsnsMchi. ErfundeneAnschuldigungen. Mehrfach haben in dieser Woche deutsche Bürger kn Kattowitz unter Belästigungen durch die polnische Polizei zu leiden gehabt. Haussuchungen wurden vorge- nommen, Verhaftungen ohne jeden ersichtlichen Grund be fohlen und was ähnlicher Unzulässigkeiten mehr sind. Jetzt sind die Polen sogar dazu übergegangen, einen Reichs angehörigen, den Baumeister Gudermund, durch ein gefälschtes Telegramm aus Gleiwitz nach Polen herüberzulocken, um ihn dort zu verhaften. Ferner ist verhaftet der Verlagsdirektor Lober aus Kattowitz, ein weiterer Bedrohter, der Syndikus D. Bredek aus Katto- witz, konnte entfliehen. Die Polen geben als Anlaß für ihr unerhörtes Vorgehen an, es handele sich um Spio nage für Deutschland. Dre Reichsregierung wird sich bald mit diesen mehr lächerlichen Vorwänden für die Deutschenverfolgung beschäftigen müssen. * Sprengung des Kattowitzer Stadtparlaments. In der Kattowitzer Stadtverordnetenversammlung wurde über die Schließung der drei unteren Klassen der städtischen Mittelschule durch den Magistrat verhandelt, die von den Deut schen als starke Benachteiligung angesehen wird. Die Katto witzer Polen konnten die aus dem Vorgehen des Magistrats erwachsenden Nachteile durch Gründung einer polnischen Privatschule ausgleichen, während für die deutschen Kinder eine Ausbildungsmöglichkeit nicht besteht. Die deutsche Frak tion der Stadtverordnetenversammlung lehnte die Magistrats verordnung ab und verlangte namentliche Austimmung. Da raufhin verließen die polnischen Parteien geschlossen den Sitzungssaal und ließen durch ihren Vertreter erklären, daß sie von nun an keiner Sitzung des Stadlparlaments mehr beiwohnen und sich in keiner Weise an den städtischen Arbeiten mehr beteiligen würden. Die Polen fordern die Auflösung der Kattowitzer Stadtverwaltung. Die deutschen Ozeanflüge abgesagt. 26 Flieger verschollen. Angesichts der Mißerfolge der letzten Ozeanflüge haben die deutschen Piloten, die schon ihre Vorbereitungen für einen Ozeanflug getroffen hatten, den Beschluß gefaßt, in diesem Jahre von der Überquerung des Ozeans im Flugzeug abzusehen. Sowohl die Junkersfliegcr Loose und Köhl als auch Könnecke, der von Köln aus, wo er sich längere Zeit aufgehalten hat, in der Reichshauptstadt ein- getrosfen ist, sind der Ansicht, daß die Wetterlage über dem Atlantik in diesem Jahre nicht mehr so günstig sein wird, daß der Versuch der Ozeanüberquerung mit gutem Ge wissen gemacht werden kann. Auch der Aeroklub und der Deutsche Luftfahrerverband scheinen diesen Erwimmmen ^sbsn Lis Z ie btÄucksn das Alles nickl-. bei kenulrung eines üiwkonkos. Du bist mein! Roman von H. v. Erlin. Copyright by Greiner L Coinp., Berlin W 30. Nachdruck Verbote» 4. Fortsetzung. Oswald war heut von noch bestrickenderer, sprühen derer Liebenswürdigkeit als sonst. Es war, als flösse Feuer durch feine Adern. Er lachte und trank und steckte alle an mit seinem Frohsinn, selbst Angelika. Des Gutsherrn Blicke, die prüfend zwischen ihr und seinem Lieblingssohne hin- und hergingen, sahen, wie sie lebhafter wurde und er rötete, wenn Oswalds Augen sie suchten — diese sieghaften, Hellen, sonnigen Augen. Wahrlich ein schönes Paar, die Beiden! Wir für einander geschaffen! Und bas oermag Wohl Neid und Haß zu trennen und zu stürzen, wenn zwei wirklich füreinander geschaffen sind und in Liebe sich finden müssen? Seine Hand legte sich um die des Sohnes, die andere hob das Glas gegen ihn mit stummem Segenswunsche. „Zum Wohl, Vater!" Oswald leerte das seine, füllte es dann von neuem und begann, das Glas hoch owpor- schwingend, in überschäumender Augenblicksstimmung laut hinauszusingen: „Was die Welt morgen bringt. Ob sie mir Sorgen bringt, Leid ode Freud — Komme was kommen mag, Sonnenschein, Wetterschlag — Morgen ist auch ein Tag, Heute ist heut!" Und im Nachhall dieses daseinsseligen Liedes waren sie allein miteinander geblieben — Oswald und Angelika. Der Gutsbesitzer hatte sich, in der Absicht, die Bowle zu verlängern, ms Haus hineinbegeben, Frau Reichmann machte ihren abendlichen Wirtschaftsrundgang. Angelika, obwohl eine heimliche Angst sie drängte, sich gleichfalls unter einem Vorwand zu entfernen, war dennoch geblieben, unbewußt, gezwungen von einem anderen Willen, der stärker war als sie. Und ohne sich zu rühren, vernahm sie, was jetzt mit leidenschaftlichem Flüstern zu ihr drang: „Angela, heute nur, heute glücklich sein! Angela, Engel, Angebetete!" Sein Arm hatte sie umschlungen. Sie erzitterte in Kraft- und Wehrlosigkeit. „Angela," forderte er ungestümer — „nur ein Wort! Einzig Geliebte du!" Seine heißen Lippen hatten sich auf die ihren gepreßt. Nun drängte sie ihn von sich, sprang empor und wich vor ihm zurück. „Nein, nein — lassen Sie mich!" Er hörte nicht die erschreckte Abwehr, nur die Aengst- lichkeit in ihrer Stimme, bog sich ihr von neuem zu mit lockendem Schmeicheln. — , „Fürchte. Sie sich vor der Liebe, Angela?" „Nein, aber vor dem Hasse!" Ueber ihre Lippen war es geflohen, kaum daß sie wußte, was sie gesprochen, indessen ihre Augen groß und starr hinüberblickten zu einem der dunklen Fenster des Hauses, von dem es ihr war, als lehnte dahinter in tiefster Finsternis eine Gestalt. Oswalds Blick war der Richtung des ihren gefolgt, ein unheimliches Zucken ging über sein Gesicht und völlig ver änderten Tones stieß er hervor: „Der da oben — hätte er's gewagt, auch Sie schon unter den Bann der Furcht zu zwingen?" — Seine Augen ruhten mit heißem Leuchten wieder auf Angelika; wie hinweggewischt war die jähe Veränderung in seinen Zügen. „Sie sind's, dis alle zwingt — Herzbezwingerin!" Sie achtete nicht der leidenschaftlich zärtlichen Worte; in ihr zitterte noch jein drohend raunender Ton, sie schauerte noch vor dem unheimlichen Aufblitzen des Hasses, den sie eben auch auf seinem Antlitz gesehen — auch aus dem seinen! — Er aber eilte mit fröhlichem Wort dem Vater ent gegen, der mit der frisch angesetzten Bowle zurückkam, füllte von neuem die Gläser und hielt mit flammendem Blick Angelika das seine entgegen. — „Komme, was kommen mag —- Heute ist heut!" Rechnung zu tragen, da sie die Zeit für den Großen Preis, der für eine überfliegung des Atlantiks ausgesetzt war, verlängern wollen. Wie recht die deutschen Flieger mit ihrem Beschluß haben, zeigt die Tatsache, daß drei während der letzten Woche aufgestiegene Flugzeuge, nämlich die „St. Raphael", „Old Glory" und „Sir John Carling", aller Wahrscheinlichkeit nach dem Ozean mit neun Men schenleben zum Opser gefallen sind. Alle Versuche, ein Lebenszeichen von den Insassen der Flug zeuge zu erlangen, sind bisher ergebnislos gewesen, so daß man tatsächlich damit rechnen muß, daß sie nicht mehr am Leben sind. Nach einer Statistik französischer Blätter sind in den letzten zwei Monaten nicht weniger als 26 Flieger verschollen. Angesichts dieser Tatsachen werden in der Öffentlichkeit sowohl Englands als auch Frank reichs wie auch in Amerika Stimmen laut, das über stiegen des Ozeans für dieses Jahr streng zu verbieten. Raubübersall im Zuge bei Eisenach. Auf die Schienen geworfen. Ein verwegener Raubüberfall wurde in der Nacht von Donnerstag ans Freitag früh gegen 2 Uhr in dem Personenzug Meiningen—Eisenach zwischen den Stationen Immelborn und Salzungen verübt. In ein halbdunkles Abteil drang ein Bandit, der den dort allein anwesenden Passagier unter Vorhaltung eines Revolvers zur Herausgabe seines Geldes ausforderte. Dabei ent spann sich ein Kamps, bei dem der überfallene versuchte, die Notbremse zu ziehen. Dem Räuber gelang es, den Passagier an die Tür zu drängen und aus dem fah renden Zuge Hinauszuwersen. Der über fallene erlitt schwere Verletzungen an Kops und Händen, vermochte sich jedoch bis zur nächsten Station zu schleppen und Personal zu rufen. Die Polizei fahndet nach dem zunächst entkommenen Räuber. Hilfe für die Milchwirtschaft. Neue Richtlinien des Reichsernährungsministers. Auf seiner Besichtigungsreise durch Süddeutschland traf Reichsernährungsminister Schiele in Stuttgart ein, wo er im Wirtschaftsministerium mit den maßgebenden Persönlichkeiten der württembergischen Landwirtschaft, insbesondere der Milchwirtschaft, eine Besprechung hatte. In seiner Begrüßungsrede hob Staatspräsident Dr. Bazille hervor, daß sich kein anderer Berufsstand in Deutschland in ähnlich harter Bedrängnis befinde wie die Landwirtschaft. Die Kapitalvernichtung durch die Inflation habe die deutsche Milchwirtschaft in ihrer Be triebsführung gegenüber dem Auslande in Nachteil gebracht. Reichsernährungsminister Schiele sagte zu, daß die Länder sich mit der Reichsregierung alsbald über die Durchführung einer Kreditbewilligung und Zinsverbilli gung für die Milchwirtschaft beraten würden. Der Minister versprach, in Berlin sofort die Richtlinien auszuarbeiten, unter welchen Voraussetzungen die Gelder gegeben werden könnten. Sein Bestreben gehe dahin, langfristige Kredite, zunächst auf fünf Jahre, zu geben und den Zinssatz durch Zuschüsse des Reiches auf 4 bis 4)4 Prozent zu ermäßigen. Gaaienftand im Deutschen Reich. Anfang September. Die ungewöhnlich lange Regenperiode im August setzte in vielen Gegenden des Reiches — besonders in den Küsten gebieten — ausgedehnte Flächen der Felder und Wiesen unter Wasser, so daß die vorher begonnenen Erntearbeiten eine er hebliche Unterbrechung erfuhren. Von den Halmfrüchten standen Ende August noch Teile von Roggen, in bedeutendem Umfange noch Weizen und Hafer — teils geschnitten, teils ungeschnitten — auf dem Felde. Infolge der schlechten Witterung ist durch lange Lagerung, Ährenauswuchs und Körnerausfall vielfach ein recht beträcht licher Schaden entstanden, der um so beklagenswerter ist, als vor der Regenzeit noch allgemein befriedigende Ernteerträge in Aussicht standen. Druschergebnisse sollen hinsichtlich der Menae nnd Beickaiienbeit stark enttäuschen. 2. Kapitel. Etliche Tage später. Bleifarbener Himmel und in schwüler, schwerer Luft ein lautloses Warten. Auf was? Auf die Wohltat erfrischenden Regens, auf Ungewitter und Sturm? Ein Warten und Bangen! Daß sie es gewußt hätte, , was in ihrer Serie schwer und schwül war wie in der Luft, ' d:s sie atmete, was einem Ungewitter entgegenbungte, was sie unruhvoll umht trieb und die Farbe ihrer Wangen löschte. War es Liebe, oft mit undeutbarer Rätselschrift im Buche ihres Lebens schrieb; war es Furcht, die dem Hasse ins Angesicht gesehen? Und so oft ihr Auge auch nach innen schaute, nichts tat sich vor ihr auf, das einen Weg gezeigt hätte, beiden, oer Liebe und den Hasse za ent ¬ fliehen. Kein Wissen, nur ein dumpfes, ziellos Ahnen, baß sie> fliehen muffe. Aber wie für ihr Gehen den Borwand finden? Sie scheute davor zurück, sich jemanden zu offen baren, ging fast geflissentlich Frau Reichmann aus dem Wege, seit sie zu fühlen begonnen, wie deren Blicke oft voll heimlichen Beobachtens auf ihr ruhten. Da war ihr plötzlich die Idee gekommen: wenn sie auf Höllenstein Madeleines Besuch erwiderte und wenn man sie dort zu Gaste bäte — Ohne auf Ulmenhof ein Wort von ihrer Absicht zu sagen, machte sie sich auf den Weg, obwohl die Strecke eine anderthalbstündige Wanderung bedeutete. Rasch schritt sie zunächst voran, als eile sie einer Hoffnung entgegen. Doch bald begann ihr Gang langfamer und langsamer zu werden, bis sie in müder Unschlüfsigkeit stehen blieb und um sich blickte. Wie weit noch ihr Ziel! Und wie drückend Heitz die Luft! Und wie matt und schlaff ihre Glieder! Was sollte sie tun? Umkehren? Weiter gehen? Sie hätte wei nen mögen, daß sie erlahmte, statt ihr Wollen in Kraft auszusühren. In Rak- und Hilflosigkeit ließ sie die Augen umher- schweifen. Der Pfad zwischen dem hohen Korn war sthmal und heimlich; wo das Getreide bereits abgetragen war, verbreiterte er sich, und dort tauchte jetzt ein Mann auf — Hartmut , , (Fortsetzung folgt.)