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Wilsdruffer Tageblatt : 06.08.1927
- Erscheinungsdatum
- 1927-08-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192708068
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19270806
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19270806
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1927
-
Monat
1927-08
- Tag 1927-08-06
-
Monat
1927-08
-
Jahr
1927
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 06.08.1927
- Autor
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die Geige?" kann mir eine derartige einen Haufen Geld." „Wären Sie vielleicht Käufer für „Ich? Ach, du lieber Himmel, ich Kostbarkeit nicht leisten." Wendehals wurde sehr hellhörig. Ich habe keine Zeit, lange herumzulaufen. Hier ist noch :in Ring. Zwar nicht wertvoll, aber echt." „Schön, ich gebe Ihnen die fünf Mark." Einige Tage später gewahrte Herr Wendehals einen gut- zekleideten älteren Herrn vor dem Schaufenster, der die Auslage musterte. Er betrat den Laden, fragte nach dem Preis einer Dose und war schnell gefesselt von den Raritäten, die der Laden enthielt. Er kaufte eine Kleinigkeit und suchte nach Art der Altertumsliebhaber überall umher. Da sah er die Geige. Es gab ihm einen sichtbaren Ruck — er sah näher zu — nahm sie zur Hand, eilte, um besser sehen, zu können, zur Ladentür und cief: „Menschenskind, wie kommen Sie zu der Amati!" „Was glauben Sie denn, was die Geige wert ist?" Der alte Herr sah sie zärtlich und verliebt an und fuhr sachte mit der Hand über die Saiten: „Das läßt sich schwer sagen. In ihrem jetzigen Zustand etwa vier bis fünf Mille. Wollen Sie sie denn so, wie sie jetzt aussieht, verkaufen?" „Wenn sich ein Käufer findet, ja!" „Ich hätte einen. Eine sehr wohlhabende Schülerin von mir. Die nimmt die Geige sofort — zahlt jeden Preis. Ich spreche die Dame morgen um zehn Uhr. Es kann sein, daß wir sofort kommen. Sonst im Laufe des Tages. Sie wird entzückt sein von der seltenen Gelegenheit. Bedingung ist, daß Sie die Geige inzwischen nirgends anbieten. Hier ist meine Karte." „Und was kann ich von der Dame fordern?" „Seien Sie nicht zu unbescheiden, dann kommt das Geschäft im so sicherer zustande. Mir können Sie als Vermittlungs- zebühr jene Dose im Schaufenster verehren," fügte er lachend )inzu. „Wird gemacht, Herr Professor, wird gemacht." Zur Sicherheit suchte Wendehals im Adreßbuch den Namen »es Professors. Die Adresse stimmte. Wendehals rieb sich vergnügt die Hände. Das versprach ein zanz hervorragendes Geschäft zu werden. Nun hieß es, die Neige zu bekommen. Nach der auf dem Pfandschein angegebenen Adresse fand :r die Wohnung des blassen jungen Menschen ohne Schwierig reiten. Er schien fast noch gedrückter als beim Versatz der Geige. „Sagen Sie mal, mein Herr, wollen Sie das alte Ding, die Neige, die Sie kürzlich brachten, nicht verkaufen? Ich hätte ünen Käufer." „Meine Geige verkaufen?" war die erschrockene Gegen- rage. „Nein. Sie ist ein Erbstück. Mein Großvater brachte sie nit aus Italien." „Aha," dachte Wendehals. Laut sagte er: „Seien Sie nicht entimental, junger Mann. Sie brauchen notwendig Geld, und nein Käufer, der verdrehte Zwickel, will gut zahlen. Wieviel vollen Sie denn haben?" Eine Weile war alles still. Dann sagte der Blasse, und es silierten Tränen in seiner Stimme: „Ich könnte mich nur dann wn meiner Geige trennen, wenn mir der Verkauf wirklich -elfen würde. Ich will in ein überseeisches Land, wo meine Rutter todkrank darniederliegt." „Und wieviel würden Sie dazu brauchen?" „Lassen Sie, es hat keinen Zweck." „Na, eine Summe können Sie doch nennen." „Ich brauche mindestens SOO Mark." Wieder eine Weile Schweigen. Ganz so hoch hatte Herr Wendehals allerdings nicht gehen wollen. Er wand sich noch iine Weile, feilschte, drückte" Umsonst. Dann zählte er fünf Scheine auf den Tisch und ließ sich vorsichtigerweise eine Quit- ung ausstellen. Jetzt fing er an, sich des guten Geschäftes zu freuen. Er wnnte in dieser Nacht kaum schlafen. Als aber der Professor am nächsten Tage nicht kam und mch am darauf folgenden nicht, sank seine Freude immer mehr Msammen. Er nahm ein Auto und fuhr mit der kostbaren Neige zu dem Professor. Es war sehr schwer, dort vorgelassen zu werden, und dann, >ls es ihm endlich gelang — stand er einem Herrn gegenüber, >en er nie gesehen hatte. Der wollte ihn sehr kurz ab'fertigen. stein, er war nie in jener Gegend gewesen. Aber kaum hatte er zehört, daß es sich um eine Amati handele, da konnte er es richt erwarten, sie zu sehen. Doch als er sie betrachtete, lachte :r unbändig. „Das eine Amati? Dieses Iammerholz hat neu höchstens leben Mark gekostet. Wenn Sie dafür noch drei Mark be- rommen, dann haben Sie Glück." Herr WendehalsMilte sofort zu dem Blassen, um vielleicht loch etwas zu retten. Aber der war längst über alle Berge. Das gute EesHiiit. Skizze von A. Kling spar-Steglitz. ' Hoch im Norden von Berlin befindet sich in einer Seiten straße eine kleine Antiquitätenhandlung, deren Inhaber, wie draußen zu lesen ist, auch Pfandleihgeschäste macht. Herr Wende hals, dem dieser Laden gehört, beobachtete eines Abends einen blassen jungen Menschen, der mit einem verhüllten Gegenstand im Arm unschlüssig vor dem Laden hin und her lief. Wendehals kannte diese Art Leute. Der Fremde trat schüchtern in den Laden und fragte, indem er eine alte unansehnliche Geige aus packte, ob ihm darauf fünf Mark geliehen werden könnten. Herr Wendehals betrachtete die Geige. Sie schien ihm kaum so viel wert. „Drei," gestand er zu, „mehr nicht." „Ich brauche fünf Mark," sagte der Fremde bedrückt, „die Beige soll wertvoll sein. Könnten Sie mir nicht fünf Mark geben?" „Offen gestanden, ich verstehe von Musikinstrumenten wenig," erwiderte Wendehals. „Ich beleihe sie nur höchst unaern. Vielleicht versucken Sie es anderwärts." „Amati! Wieso? Soll das alte Ding etwa eine Amati sein?" „Ja, wissen Sie denn das gar nicht? Na, das ist gut! Hier steht ja das Zeichen," damit deutete er in das Innere der Geige. „Ich irre mich nicht, bin Fachmann, Professor Melchers von der Staatlichen Hochschule für Musik," stellte er sich mit leichter Verbeugung vor. „Uebrigens", fuhr er fort, „dieses Exemplar ist völlig verwahrlost: aber lassen Sie es erst mal ausgebessert sein. Erstklassig. Freilich kostet das Jnstandsetzen erst noch Roms Abkehr vom Zazz. Rom will sich vom Jazz und allem damit zusammenhängen den modernen musikalischen „Getue" lossagen. Im ehemaligen Amphitheater des Domitian haben dis ersten Tanzchöre nach alter Musik sich wieder zum Klassischen bekannt. Nicht etwa, daß man den tragischen Tanz der Griechen sich zum Vorbild gewählt hätte, nein, man suchte aus italienischen Ueberlieferun- gen aus dem 16. Jahrhundert passende Chöre aus. Die Sänger, rund 300 an der Zahl, wurden von Camillo Sabattini dirigiert, während die Tanzgruppe von Jia Ruskaia geleitet wurde. Der erste Eindruck von den Darbietungen ist der, daß alle Ueber- treibungen streng vermieden werden; wenn man diese ein fachen Tanzdarbietungen sieht, möchte man fast glauben, eine altgriechische Tänzerschar sei vom ernsten tragischen Tanz zur heiteren Muse nach den Klängen lyrischer Musik übergegangen. Der Talisman Les Alen von Mcmbe. In Boscombe wurde kürzlich der neue Hafendamm ein geweiht. Vor dem Kriege waren sämtliche Bemühungen um diesen Hafen erfolglos geblieben. Nach dem Kriege trat jedoch plötzlich eine glückliche Wendung ein, die sich wie folgt ereignet haben soll: Während des Krieges war eine kranke ägyptische Prinzessin nach Boscombe gekommen. Nach ihrer Abreise hörte man dort lange Zeit nichts von ihr, bis eines Tages einer ihrer Diener erschien und um die Erlaubnis bat, einige Schmucksachen in das Meere zu werfen, weil die Prinzessin davon ihre Ge nesung erhoffte. Das wurde mit großem Bedauern genehmigt, da die Schmucksachen alt und sehr wertvoll waren. Man hat nie erfahren, ob die Prinzessin genesen war, aber von diesem Tage ab hat das Geschick oop Boscombe eine glückliche Wendung genommen. ! G^m heimischen s k UM«r»bsUungsbettsge rum ..LNIsaruNer cageblstt" — Nnttsblstt. i Lie ötutzuhr Skizze von Walther Mittasch- Königsberg.' In Gassenmitte stand das Haus „Zur silbernen Rose". Davor ging Richard Reißner auf und ab, sich im Schatten aus» haltend. Da oben war ein Fenster hell. Ein roter Vorhang schimmerte sonderbar geheimnisvoll. Hin und wieder schickt« der einsame Mensch einen scheuen Blick gegen das stille, licht» Fenster. Dann lauerte er wieder auf den nächsten Glockenschlag. Einmal flog vom fernen Bahnhof her das klagende Singen einer Lokomotive. Da blieb Richard wie gebannt stehen, dicht an den steinernen Stufen zur schmalen Haustür. Wartete darauf, daß der braune Torflügel sich drehen und daß nun Isolde Ragnit kommen und über diese Stufen Herabhuschen werde. — Richard dachte blitzschnell an jenes kleine Abenteuer im Waldpark, über dem der Frühling gestanden hatte. Er sah den groben Wächter wieder, der das zierliche Mädchen beschuldigte, es habe einen rotblauen Fliederstrauß, den es trug, im Park gestohlen. Aber das war eine Lüge. Gekauft waren die Blu men. Gut war es, daß Richard sich einmischte, den Grobian zu beruhigen. Dann hatte alles übrige sich wie das Elieder- werk einer feinen Goldkette gefügt. Blick, Händedruck und Kuß weckten brennende Wünsche. Aber Hemmnisse ragten vor ihnen. Iugendtorheit lies Sturm dagegen. Doch was soll die Verknüpfung zweier arm seliger, aussichtsloser Leben viel bringen? So spielten sie bald mit dem Gedanken gemeinsamen Todes, als sie einmal am Kanal entlang gingen, über dessen graugelbes Wasser die Kastanien rotes BlUtenspielwerk trieben. Fiebernd wandten sie sich dann doch einem anderen Plan zu. Flucht! Gemeinsame Flucht nach Wien! Die Riesenstadt bietet Schlupfwinkel — Lebensmöglichkeiten — Wege. Viel leicht erblüht aus diesem Entschlusse ein scheues,, glühendes Glück: möglich auch, daß eine Kühle, drosselnde Hand aus dem Dunkel des Geheimnisvollen zuckt und allem Wähnen ein jähes Ende macht... „Wir wollen es trotzdem wagen —", sagte Richard halblaut und lauschte gegen die Tür, die sich noch immer nicht regte. Abermals pfiff vom fernen Bahnhof herüber die Lokomotive — mit einem seltsamen, drohenden Klagen. Richard lief vom Hause weg über die Gasse und heftete nun wieder den unruhigen Blick auf das im trüben Rot glühende Fenster. Ein Bild schob sich vor feine Seele: Die jäh gealterte Frau, die im Ohrenstuhle saß, gelähmt und vor Mühsal zusammen geduckt. Isolde hatte ihm zugeraunt, wie alles gekommen wsr: Jenes unselige Kampfspiel, bei dem der junge, hoffnungsvolle Bruder sein Leben eingebüßt hatte. — Damals, als man den Toten ins Haus trug und alles Glück jäh zerriß, wie ein faden scheiniger Mantel im Sturme, damals rührte die Knochenhand des düsteren Geheimnisvollen die Mutter an, machte sie über Nacht alt und lahm. Dann kam die Flucht in die Verborgen heit, in die Mönchsgasse. Und jenes kümmerliche Hinleben mit Resten eines guten Hausrates. — Eine recht schöne Meißner Stutzuhr, die der Tote so sehr geliebt hatte, tickte nun in das ermattende Leben einer Frau, deren Sinnen und Trachten nur noch dem einzigen Kinde galt, dieser selben Isolde, die nun heimlich die Schleier und Gespinste ihres trübseligen Daseins zerreißen wollte... Im Lehnstuhl lag die Frau, starrte auf die langsam tickende Uhr. An jedem zweiten Tage mußte diese Uhr auf gezogen werden. Seit Jahren hatte Isolde diese kleine Arbeit mit peinlicher Sorgfalt getan. Heute aber hatte sie mit einer seltsam klirrenden Stimme gesagt: „Die Uhr? — Ach so... Na' ja. Später —." Um diese Worte bewegte sich das Denken und Sinnen der einsamen Frau. Nichts sonst, — kein Anhalt — keine An spielung. Und dennoch hatte sie das Gefühl: Es geschieht aber mals etwas Gräßliches. Aus drohendem Dunkel langt wieder um die Knochenhand des Gespenstigen. Und ich? Was kann ich tun? Gefesselt bin ich, machtlos. Die Minuten rinnen vorüber... und ich ... und ich... Im lastenden Schweigen träumt das Haus, wie ein großer Sarg, um den die Menschen mit sonderbar verschlossenen, harten Gesichtern stehen. Der Wind raschelt, als wühle er in verdorrten Kränzen. Die Frau ruckte sich zusammen und krampfte die Hände, — beugte lauschend sich vor. Wenn die Uhr doch still stehen wollte. So laut wie Hammerhiebe erschienen ihre Schläge! — Nun —? Da —? Nichts...? Nein. — Aber wer hilft mir hoch?! Gelähmt bin ich — machtlos. Aber ich spüre ganz deutlich, daß ein Gespenst hinter mir steht. Zwei kalte, harte Pranken fassen mich an und rütteln mich... Was hat das Kind im Sinne? Weshalb ver gaß es die Uhr? Weshalb Weshalb! — — — Inzwischen glitt Isolde Ragnit die Treppe hinab. Der Schatten des Mädchens wanderte an der Wand mit, als wäre er ein Gespenst, das die Fliehende scheuchte. „Nun muß ich nur noch diese wenigen Schritte tun", dachte Isolde. „Nur noch an jener Tür muß ich vorbei. Ich kann mir nicht helfen. Und wenn es in Tod und Elend gehen soll. Was bedeutet das? — Richard wartet auf mich... und die Lokomo tive hat so laut gerufen..." Sie war jetzt nur noch wenige Schritte von der kleinen, vergilbten Tür, die so fest und sicher im Schloß lag. Tief atemholend blieb Isolde stehen, — aber jäh erblassend und einen Schrei erstickend. Denn siehe — dieTüröffnet« sich — und auf der Schwelle stand — Frau Renate Ragnit... „Mein Kind", sagte sie leise und wehmütig, „Du hast ver gessen — die Uhr aufzuziehen..." Da stürzte Isolde Ragnit in die Kniee, glitt zu der Mutter Füßen, stammelte sinnlose Worte, und konnte das Wunder nicht begreifen, das geschehen war. Denn: von dieser Stunde an ver mochte Frau Renate wieder zu gehen. — Richard Reißner aber ist allein nach Wien gefahren unt dort verschollen. Erlebnis. Skizze von Wally Eichhorn-Nelsen. Ich hatte die Thüringer Berge einen Frühling lang durch streift. Da fand ich ein paar Häuslein zwischen Wiesen und Aeckern liegen, umrauscht von weiten dunklen Fichtenwäldern. Das Dörfchen lag so weltfern und versunken in glücklicher Ein samkeit, daß ich mich zu bleiben entschloß, und wenn ich hätte Am Heu schlafen müssen. Doch ich hatte Glück, sie behielten mich 'in einem kleinen Haus, das dem Wald am nächsten lag und wie ein Schwalbennest am Berghang klebte. Da war ein altes Bett frei mit vergilbten Rosenkränzen und frischem Strohsack und ein winziges Giebelstübchen. Eine mächtige Linde blühte herein, und manchmal kamen auch ihre Bewohner vertraulich näher: Finken und Stare und Blaumeisen. Die weckten mich chm Morgen, und nachts rauschte mich der Wald in den Schlaf. ! Alles war so unglaubhaft idyllisch und friedlich, und auch das «Leben der paar Menschen ging ruhig und ohne Zank dahin, und jsie fügten sich gut in das trauliche Bild und schienen verwachsen mit diesem Fleckchen Erde. In der niederen Bauernstube mit den ästigen, weißgescheu- ,erten Tannendielen saß die alte Großmutter und spann. Das ^Kind, ein zwölfjähriges Mädchen, ging verträumt umher, den ^kleinen Kopf voll von den Märchen und Weisheiten der Groß. ! mutter. Dann das Ehepaar. Sie, eine schmale dunkle Frau mit wunderschönen Augen, war sehr still, und ich sah sie nie im Zorn, aber auch nie lachend. Es lag immer etwas Herbes, Ab. weisendes um sie. Vielleicht hatte darum auch der Mann ein ! so stilles und gedrücktes Wesen angenommen, er, der blond und stark, eigentlich eine Helle Siegfriedgestalt war, wenn nicht ein chwerer Ernst, fast eine Trauer, sein Gesicht beschattet hätte. Nach und nach fiel mir auf, daß die Ehegatten nur das Not- j wendigste miteinander sprachen, und ich ahnte, daß hier etwas Schweres still getragen wurde. Und einmal, als ich im Abend- « dämmer allein bei der Großmutter saß, erfuhr ich davon. Die alte Frau, die wohl sonst niemand hatte, mit dem sie über das ! was ihr schwer am Herzen lag, reden konnte, sprach sich einmal ' alles von der Seele. Der Mann war vor Jahren oft ins Kirchdorf hinunter ge- j gangen — zu einer Anderen. Als die Frau davon erfuhr, machte j sie kein Geschrei. Aber sie räumte ihr Bett in die Kammer der i Mutter und ging an dem Manne vorbei wie an einem Fremden, j Und als der begriff, daß er sie verloren hatte, begann er wieder um sie zu dienen. Nie mehr ging er in das andere Dors. Er sah keine andere mehr, als diese Eine, diese seine Frau. Aber sie war nun wie erstarrt; eine Mauer stand zwischen ihr und ihm. r Das ging nun schon bald drei Jahre so. „Weiß Gott, er hat genug gebüßt," sagte die alte Frau. „Man muß auch ein, mal vergessen können. Und früher lebte sie doch für nichts aus der Welt als für ihren Richard. Nun weiß ich nicht: ist noch etwas davon übrig oder ist sie wirklich fertig mit ihm? Ich bin doch ihre Mutter. Aber sie vergräbt alles in sich, — und wenn ich einmal davon anfange, geht sie hinaus." Sie seufzte. „Abet ,ste war schon immer so eine Eigene, meine Helma." Die alt« : Frau versank in trübe Gedanken. Als dann die Tochter herein kam, ging ich still hinaus und , sann noch lange über das Geschick der beiden Menschen nach, i die gewiß im Tiefsten zueinander gehörten und die doch nun, I jeder für sich, ihren einsamen bitteren Weg gingen. Nachher sah j ich den Mann einmal am Stamm der Linde lehnen, und sein Blick ging unsagbar müde und verloren irgend wohin ins Weite. Vielleicht dachte er, wie sinnlos dies Leben sei — und fand doch nicht die Kraft, fortzugehen und ein neues anzufangen ... Dann kam eine Zeit, in der ich ihn kaum noch sah. Er ging immer, wenn er auf dem Felde fertig war, in den Schieferbruch, , wo er arbeitete, wie alle die kleinen Bergbauern. Den ganzen Tag war er nicht daheim. Hellwiede, das Kind, trug ihm jeden Mittag das Essen hinaus. Und in dieser Zeit, da der Mann fern war, schien mir. die i Frau weicher und trauriger, als ließe sie sich einmal gehen und j müßte nicht immer über sich wachen und auf Abwehr bedacht I sein. Ich hätte ihr sagen mögen: „Laß dich doch gehn. Sei die Frau, die du bist! Sei nicht so ängstlich, daß du zuviel Liebe - geben könntest — man kann nicht genug Liebe geben. Eines Tages weint man bitter um Versäumtes." Es war ein Heller Frühsommertag. Ich saß mit der Groß. : mutter und Frau Helma in der Stube beim Kaffee und sagte ! eben, daß ich noch bis zum Abend in den Wald wollte. Da ! Klang es dumpf und schütternd aus der Ferne wie gewaltiger ! Donner. Wir blickten erstaunt nach dem Himmel, der blau und ! wolkenlos strahlte. Ein Gewitter konnte es nicht sein — auch ! blieb es nun ruhig. Doch die Großmutter lauschte immer noch, ! und ihr Blick war abwesend. „Wenn das im Bruch war ...", : sagte sie einmal langsam und mehr zu sich selbst. Frau Helma wurde plötzlich unruhig. Sie ging wieder und ' wieder ans Fenster und horchte hinaus. Auf einmal kam eine - schreiende Knabenstimme vom Walde her. „Der Berg! Der Berg - hat sie erschlagen!" Und im Vorüberlaufen. „Eurer ist auch ' dabei!" Frau Helma wurde grau — bewegte die Lippen, aber kein i Ton kam aus ihrer Kehle. Sie taumelte zur Tür, lehnte halt- j los am Pfosten, die schwarzen Augen weit aufgerissen, entsetzt und fassungslos. Doch die Großmutter schrie mit hoher, zornig gellender Stimme: „So geh doch hin! Sieh, was mit ihm ist!" Nun schrak sie auf und lies ohne ein Wort hinaus und den Weg zum Wald hinauf, daß ich ihr kaum folgen konnte. Sie schien auch gar nicht zu wissen, daß ich neben ihr ging, daß es : überhaupt noch etwas gab, außer dem Mann in Not. Ihr . zartes, sanftes Gesicht war fremd und hart, voll schmerzhafter Spannung, der Blick krampfhaft geweitet. Einmal stolperte sie und knickte zusammen. Ich half ihr auf. Da starrten mich ihre dunklen Augen an, voll irrer Angst und Verzweiflung. „Wenn er tot ist ...," murmelte sie mit blassen Lippen. Wir hasteten weiter, immer bergan mit pfeifendem Atem . und hämmerndem Puls, ruhten nicht, bis wir den Bruch er- : reichten. Der wimmelte von schreienden Menschen, die zwischen den Trümmern herumirrten. Ueberhängendes Gestein war in die Tiefe gestürzt und hatte lockere Erdmassen mitgerissem Tote gab es zwar nicht, aber viele Verletzte. Richard, ihr Mann, lag abseits im Moos, notdürftig verbunden; an Wangen und Hals klebte noch geronnenes Blut. Sein Gesicht war erschöpft und schmerzlich verzogen, und er hielt die Augen geschlossen. Als die Frau ihn sah, schrie sie jäh und schrill: „Richard!" Er schlug die Augen auf. erkannte seine Frau — staunend — in Angst um sich, und — die Freude war wohl zu stark nach Blut verlust und Schrecken — er wurde fahl und verlor das Bewußt sein. Da nahm sie sich zusammen, rief einem zu, daß er Wasser bringe, kniete neben dem Mann und schob sacht ihre Hand unter seinen Kopf. Sie wollte ruhig und besonnen sein, aber es schüttelte sie ein wildes Schluchzen, und die Tränen liefen ihr über die Wangen und netzten das Gesicht des Ohnmächtigen. Er kam bald wieder zu sich, sah in das schmerzzerrissene Gesicht seiner Frau, hob mit Mühe einen Arm und zog sie zu sich herab, daß Wange an Wange lag. So verharrten sie lange stumm und inbrünstig.
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