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Tagesspruch. Der Vogel singt — und fragt nicht, wer ihm lauscht. Die Quelle rinnt — und fragt nicht, wem sie rauscht. Die Blume blüht — uud fragt nicht, wer sie pflückt. O sorge Herz, daß gleiches Tun dir glückt. I. Sturm. l politische Kunchchau j Deutsches Reich. Keine deutsche Antwort an Belgien. Der deutsche Gesandte v. Keller sprach im belgischen Ministerium des Äußeren vor, um mitzuteilen, daß die deutsche Reichsregierung nicht die Absicht habe, aus die letzte Note der belgischen Regierung zu antworten. Die Reichsregierung hatte in ihrem Schlußwort Einspruch er hoben gegen die Aufrechterhaltung der belgischen Be schuldigungen und dagegen, daß Belgien die einwandfreie Widerlegung dieser Anklagen einfach damit abtat, daß es sich auf den „geheimen Charakter" seiner Informa tionsquellen berief. Die Reichsregierung hielt demgegen über ihre bei der belgischen Regierung eingelegte Ver wahrung in vollem Umfange aufrecht. Die deutsch-französischen Handelsvertragsverhandlungen. Aus einer Mitteilung des französischen Handels ministeriums ist ersichtlich, daß in den deutsch-französischen Wirtschaftsverhandlungen bisher keine wesentliche Ände rung eingetreten ist. Die deutschen Vertreter hielten an gewissen Forderungen fest, die die französischen Unter händler als mit den Interessen der französischen Industrie und des französischen Handels unvereinbar betrachten. Man sei jedoch der Ansicht, daß unter allen Umständen in kurzem eine Entscheidung eintreten müsse, und man neige der Auffassung zu, daß die Unterhandlungen zur Unterzeichnung des in Vorbereitung be findlichen Abkommens führen dürften. Größere russische Bestellungen in Deutschland? Moskauer Meldungen besagen, daß der deutsch russische Handelsverkehr in der letzten Zeit einen Aufschwung erfahren habe. Nach dem Abbruch der russisch-englischen Beziehungen werde Deutschland zweifel los an die erste Stelle im russischen Außenhandel rücken. Es bestünden zurzeit größere Pläne für die Aufgabe von Bestellungen an Deutschland, die die Schaffung neuer Industriezweige in Rußland ermöglichen sollen. Eine praktische Durchführung dieser Bestellungen sei jedoch von der Ernte abhängig. Portugal. X Immer noch Revolutionsstimmung. Ministerpräsident General Carmona hat im Verlaufe einer Unterredung erklärt, die Regierung habe davon Kenntnis gehabt, daß Ruhestörer verzweifelte Bemühungen entfalten, um die Lage im Laude zu verwirren. Die Regierung werde jedoch, gestärkt durch das Vertrauen des Heeres und der Marine, derartigen Versuchen entgegentreten. Sie ver füge über die Mittel, ihre Aufgabe durchzuführen. In zwischen sind wegen Beteiligung an der Februarrevolution 18 Offiziere und 68 Unteroffiziere aus dem Dienst ent lassen worden. Aus Zn- und Ausland Berlin. Die Verhandlungen über einen deutsch- litauischen Handelsvertrag, die guten Fortgang nahmen, sind unterbrochen worden, um im Herbst fortgesetzt zu werden. Dublin. Zehn Personen, die wegen einer Verschwörung zur Ermordung des irischen Ministers O'Hig- gins angeklagt waren, sind freigesprochen worden, da für ihre Schuld kein Beweis erbracht werden konnte. Warschau. Der vom Standgericht eingeürachte Antrag auf Umwandlung der gegen den Mörder des Sowjet gesandten Woikow, Boris Kowerda, erkannten lebens länglichen Kerkcrstrase in eine 15jährige Kerkerstrafe wurde mit Rücksicht darauf, das? das Verbrechen an einem Vertreter eine auswärtigen Macht verübt worden ist. abgelchnt. Oslo. Der Rechtspolitiker Michelci, der von 1920 bis 1625 Außenminister war, wurde beim Hantieren mit einem Jagdgewehr durch ein Schuß getötet. Rom. Im Palazzo Chigi wurden die Verträge über die Erleichterungen unterzeichnet, die Italien Ungarn im Hafen von Fiume gewährt. Bukarest. Kammer und Senat hielten eine feierliche Trauersitzung für König Ferdinand ab. Vertreter aller Parteien feierten die Verdienste des Toten und sprachen dem König Michael ihr Vertrauen und ihre unbedingte Achtung aus. Ein Schachspiel mit lebenden Figuren wurde in dem Schachdors Ströbeck vorgeführt, und zwar aus Anlaß des Besuches der Teilnehmer des Jubiläums kongresses des Deutschen Schachbundes in Magdeburg. Vierzehn internationale Schachmeister nahmen an dem Ausflug nach Ströbeck teil. Unser Bild zeigt, wie sich dis lebenden Schachfiguren der einen Partei zum Spielplatz begeben. Eine Diebesbande aus Schuljungen. Diebesbande in Umkleideräumen. Die Umkleideräume in Badeanstalten und auf Sport plätzen sind ein beliebtes Feld für Taschendiebe. Beson dere Raffinesse auf die sem Gebiete erlangte eine Bande von 12jährigen Knaben in Beuth en, die Fußball- begeisterung vortäuschte und Kampfmannschaften erst beim Umziehen zusah, sie dann auf den Platz begleitete, nach kurzer Zeit aber wieder in den Umkleideräumen ihr Un wesen trieb. Ein Fenster wurde nach Möglichkeit vorher entriegelt, damit die jungen Diebe auch dann in die Um kleideräume gelangen konnten, wenn deren Türen ver schlossen waren. Außerdem suchten sie systematisch Ge schäfte heim. Sie traten nach Verteilung der Rollen ge wöhnlich da auf, wo in den Läden eine zahlreiche Kund schaft zu bedienen war oder wo sich vor den Schaufenstern Schaulustige drängten. Hatte einer einen Gegenstand ge stohlen, so schob er diesen seinem Helfer zu, der damit so fort verschwand. Dadurch konnten Ermittlungen an Ort und Stelle zu keinem Ergebnis führen. Die Beute, die aus Taschenuhren und ähnlichen Gegenständen bestand, verkauften sie und vernaschten dann das Geld. Jetzt sind sie bei einem solchen Verkauf ertappt und verhaftet worden. i Neues sus sNer Well In fünf Meter Höhe erhängt. In der Nähe von Buch bei Berlin wurde ein Mann an einem Ast einer großen Kiefer in fünf Meter Höhe erhängt aufgefunden. Der Mann hat den Strick an dem hohen Ast befestigt, ist dann auf einen darunter befindlichen Ast geklettert, hat sich dort die Schlinge um den Hals gelegt und die Hände so gefesselt, daß die Schlingen beim Herunterspringen sich von selbst zusammenziehen mußten. Mit dem Schrubber erschlagen. In Stettin störte der Händler Paul Arndt nachts in angetrunkenem Zustand die Familie des Landwirts Böse. Der 17jährige Sohn des Landwirts forderte Arndt auf, sich zu entfernen, und schlug schließlich mit einem Schrubber auf den Be trunkenen ein. Arndt wurde schwerverletzt ins Kranken haus geschasst, wo er bald nach seiner Einlieferung ver starb. Als der Vater des Täters Von dem Vorfall hörte, erlitt er einen Herzschlag. Der blinde Passagier in der Badehose. Ein junger Kaufmann Emil Hayne aus Dresden ließ sich, nur mit einer Badehose bekleidet, in eine Kiste verpacken und nach Dresden verfrachten. Im Packwagen stahl er aus den dort lagernden Kosfern allerlei Wertsachen, wurde aber in Dresden von Vahnbeamten gehört, als er sich in seiner Kiste einmal nicht ganz ruhig verhielt. Er kam ins Ge fängnis, beschuldigte aber seine Ergreifer ebenfalls des ' Diebstahls, denn sie hätten ihm aus der Badehose seine Barschaft in Höhe von 30 Mark geraubt. Man wandte dagegen jedoch ein, daß er die Frachtkosten noch zu be zahlen hätte, und er bekam den Betrag nicht zurück. Heldentat einer Mutter. In Stralsund entstand auf dem Grundstück des Händlers Naujoks Feuer durch Über heizung und Explosion eines Kohlenplätteisens. Die Frau des Händlers ließ in letzter Minute ihr sechsjähriges Kind an einem zusammengeknoteten Bettlaken aus dem brennenden Dachgeschoß herab, sprang selbst nach und wurde lebensgefährlich verletzt. Neuer Eiscnbahnunfall in Schwaben. Nach dem Zug zusammenstoß bei Mössingen entgleiste in Ebersbach an der Fils ein Güterzug bei der Einfahrt mit der Lokomotive und dem Gepäckwagen. Fünf nachfolgende Güterwagen, darunter vier Viehwagen, wurden ineinandergeschoben und stark beschädigt. Dabei ist ein Schaffneraushelft, aus Stuttgart getötet und ein Reservezugführer leicht ver letzt worden. Die Ursache des Unglücks liegt vermutlich in der Beschädigung einer Weiche an der Wurzel. 75 Jahre auf der Kanzel. Der älteste Priester Europas, vielleicht sogar der älteste Pfarrer der Welt, WIIMMMNriW Auf Irrwegen Roman von M. Schall. (Fortsetzung.) s32 Rita taumelte mit schwachem Weheschrei zurück, wie vom Blitz getroffen; unwillkürlich streckte sie wie flehend die Hände aus, und ihre Augen hingen wie erloschen an dem erbarmungslosen Angesicht der Majorin, die mit wahrer Wollust gesättigter Rache auf ihr wehrloses Opfer nieder- i sah und schwieg. „Nein, nein, es ist nicht wahr!" stöhnte Rita angstvoll. „Barmherziger Gott, stehe mir bei, es kann — nicht — wahr — sein!" Herta nickte triumphierend. „Wohl ist es wahr, und noch mehr als das. Es tut weh, das zu hören, nicht? Ja, ja," rief sie wild und schüttelte mit trotziger Geberde die rotgoldene Lockenflut aus der Stirn, „aber wie habe ich gelitten, als er mir ent rissen wurde; denn ich liebte ihn über alles Denken, liebte ihn so maßlos, so begehrend, wie noch nie ein Weib ge liebt hat; — und dennoch mußte ich ihm entsagen, weil er sich in unseliger Stunde um schnöden Mammon ver kaufte!" Unbeschreiblich verletzender Hohn klang aus den letzten Worten, und Rita senkte wie unter einem tödlichen Streich das Haupt und krampfte die Hände zusammen in unsäg licher Qual. Was hätte sie darum gegeben, wenn sie mit freudigem Stolz das Gegenteil hätte versichern können. „Ah, Sie schweigen," hohnlachte die Majorin. „Sie wissen es ebenfo gut wie ich, daß ein anderes Motiv da mitsprach, daß Sie eben nichts weiter als das Objekt wa ren, welches Ulrich kaufen mußte, um sich aus dringender Verlegenheit zu retten, und daß er hinterher zu stolz war, um sein ihm abgerungenes Wort zu brechen, und da sich, — und mich opferte!" Rita starrte die schöne Frau wie entgeistert an. „Ich verstehe Sie nicht," stammelte sie tonlos. „Wenn Sie solche unerhört schmachvolle Beschuldigungen gegen meinen Gatten und gegen mich aussprechen, meinen teuren «Vater dadurch noch im Grabe beschimpfen, dann werden Sie auch hoffentlich Ihre Worte beweisen können, andern falls ich Sie für eine ganz niedrige, ge . . . ." „Halt! halt! Kleine," spöttelte Herta in gutmütigem Tone, „jetzt fangen Sie an, ungemütlich zu werden. Selbst verständlich habe ich Beweise, echte, vollgültige sogar; aber bevor ich sie Ihnen zeige, will ich Ihnen noch zum besse ren Verständnis eine gänz allerliebste Geschichte erzählen." Sie zog vertraulich den zitternden Arm der jungen Frau durch den ihrigen und führte sie weg aus dem Park bis zu der Bank am See, wo Rita nachmittags in Träu men seligsten Liebesglückes geschwelgt. Mondbeglänzt und klar wie ein großer Kristall lag die stille Wasserfläche da; geheimnisvoll rauschte das Schilf im Abendwinde, und von ferne her tönte das eintönige Zirpen eines frühen Heimchens. Willenlos war ihr die junge Frau gefolgt, jetzt drückte Herta dieselbe mit zwingender Gewalt auf die Bank nieder und setzte sich neben sie. Rita ließ alles mit sich gesche hen, sie war wie der Vogel gelähmt unter dem Blicke der schillernden, glänzenden Schlange. Und nun hören Sie aufmerksam zu, welch ein präch tiges wahres Histörchen ich Ihnen aufrichten werde! Es war einmal ein schöner vornehmer Baron, der das Leben genoß und viele Schulden machte. Er hatte zum Glück einen Vormund, einen sehr, sehr klugen Mann. — Hören Sie auch zu, Liebste?" Herta neigte sich tief zu der Regungslosen, ein grau sames Lächeln zuckte um ihre Lippen. Fast mechanisch senkte Rita bejahend das Haupt. „Es kam ein Tag, an dem die Schuldenlast des flotten Barons so groß war, daß er keinen Ausweg mehr wußte, und daher beschloß, dem schönen Erdenleben Valet zu sagen." Rita sprang empor, sie schien sich gewaltsam aus ihrer Lethargie aufraffen zu wollen. Die Majorin zog sie wieder zu sich nieder und um klammerte fest ihre kleine bebende Hand. „Aber Kind, jetzt kommt ja eben das Pikante," meinte sie in so gutmütig harmlosen Tone, als sei sie im Begriff, irgend etwas sehr angenehmes zu erzählen. Sie machte eine spannende Kunstpause und fuhr dann fort: „Der Vormund hatte ein einziges Töchterlein — klug und ehrgeizig, wie er war, beschloß er, jetzt zu handeln. Er bot dem lebensmüden, verschuldeten Baron eine Geld summe, welche genügte, ihn von allen Vervstichtunaen frei zu machen, und verlangte als Gegenleistung, daß der be sagte Herr — sein Töchterlein zur Frau Baronin mache." Sie hielt inne und weidete sich einen Augenblick an Ritas Qualen, ihre Augen flimmerten in tückischer Bosheit. „Was blieb dem leichtlebigen Manne übrig? Das Messer saß ihm eben an der Kehle, er ging den — Handel ein, und — der Kauf wurde perfekt; der weise Vormund hatte sehr richtig spekuliert." „Lüge, nichtswürdige Lüge!" schrie Rita wild; ihr Blick irrte wie hilfesuchend zum schweigenden Abendhimmel empor. Ein teuflisches Lächeln huschte momentan über Hertas Antlitz. Sie beachtete den Aufschrei nicht und fuhr ruhig fort: „Einige Jahre gingen dahin. Da lernte der besagte Kavalier eine andere kennen, welche er bald mit verzehren der Glut liebte und — ebenso wieder geliebt wurde. Mitten in ihre Seligkeit traf wie ein Donnerschlag des Vormundes kategorische Weisung, daß der Zeitpunkt jetzt gekommen sei, um das Wort einzulöfen. — Der Held meiner Geschichte reiste ab, von der Geliebten mit Geld ausgerüstet, um den Handel rückgängig und sich frei zu machen; er kam zu spät, der Vormund war gestorben, und er fühlte sich nun in falscher Ehrenhaftigkeit dazu verpflichtet, das verkaufte Wort zu halten — und so wurde denn des Vormunds Töchter lein die Frau Baronin. Hier schwieg Herta. Erbarmungslos blickte sie auf die zusammengesunkene Gestalt der unglücklichen Frau, welche, völlig niedergeschmettert unter der Wucht der Enthüllungen, keines Wortes fähig war. „Und nun der Beweis," sagte Herta langsam, jedes Wort schwer betonend, „hier ist er." Sie zog aus der Tasche ihres Kleides eine zierliche Brieftasche, der sie einen zusammengefalteten Brief entnahm. Sie reichte ihm Rita. Mit zitternden Händen nahm sie diesen. Doll siel das volle Licht auf die unglückseligen Worte, welche Ulrich jenen Abend in seiner Verzweiflung als Abschieds gruß an die Majorin geschrieben, wie er das Totenbett seines Vormundes verließ. Die Buchstaben tanzten und flimmerten vor Nitas Augen, sie mußte die wenigen Worte zweimal lesen, ehe sie den Sinn erfaßte. (Fortsetzung folgt.)