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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt, — Nr. 133 — Freitag, den 10. Juni 1927 CtUle Lerie. Ich will nicht mehr, wie andere tun, mich an der Welt berauschen, ich will an Gottes Herzen ruhn und seinem Schlage lauschen. Was ist mein Werk ein winzig Ding, daran ich hing mein Leben? Vor dir wird alles so gering, der du das All gegeben. Mich zieht's nach meiner Heimai hell fern hinter Raum und Zeiten, mich dürstet nach dem letzten Quell, mich rufen Ewigkeiten. Was kann der Erde Lust und Not mir Bleibendes bereiten? Ich weiß ein Tor: es heißt der Tod — ich will es leicht durchschreiten. Doch führ' mich in die Stille erst. Daß ich dich mehr erkenne, du Glut, die du mich ganz verzehrst, an der ich ganz verbrenne... , Ich will nicht mehr, wie andere tun, mich an der Welt berauschen, ich will an Gottes Herzen ruhn und seinem Schlage lauschen. Heinrich Eisen. ChamSerlm-Levme fliegen nach München und Wien. Abfahrt Sonntag morgen. In Berlin dauern die festlichen Ehrungen für die amerikanischen Ozeanflieger an. Donnerstag gab Außen minister Dr. Stresemann ein Frühstück, an dem außer Chamberlin und Levine 30 Personen tcilnahmen. Vorausgegangen war am Tage vorher ein Tee beim Reichskanzler Dr. M a r x in der Reichskanzlei. Von dem amerikanischen Botschafter, Herrn Schurman, begleitet, erschienen die beiden Amerikaner in der Reichskanzlei und wurden von dem Reichskanzler aus das herzlichste begrüßt und zu ihrem großen Erfolge beglückwünscht. Abends war Diner in der amerikanischen Botschaft. Weitere Veranstaltungen folgen an jedem Tage bis Sonnabend. Wie jetzt bestimmt ist, soll Sonntag früh der Abflug nach München und weiter nach Wien erfolgen. Chamberlin und Levine haben die Einladung der Stadt Wien zum Besuch angenommen. Chamberlin er klärte dazu nach persönlicher Durchprüfung seinerMaschinc-. „Wir haben alle Schrauben nachgesehen, die Maschine gründlich inspiziert, es ist alles tadellos. Sonntag vor- mitttg geht cs nach Wien, vorher werden wir zwei Stunden in München bleiben. Wir freuen uns schon auf eine gute Mast Münchener Bier. Ob es besser schmecken wird als das Pilsener, können wir noch nicht sagen, wir haben noch lein bayerisches Bier getrunken. Von Wien werden wir wahrscheinlich erst wieder nach Berlin zuriick- kommen, und dann den Europaflug fortsetzen. Wir hoffen auch selbstverständlich Loudon zu besuchen." Bei dem Fluge wird die „Columbia" von einer Reihe deutscher Verkehrsflugzeuge begleitet smu. Die Rückkehr nach Berlin ist für den 17. Juni geplant. Am 16. Juni sollen die auf der Reise nach Europa befindlichen Frauen der Flieger in Berlin eintreffen. * Dank der Amerikaner an Deutschland. Im Auftrage der beiden Amerikaner wird folgendes veröffentlicht: „Die Herren C h a m 1 e r l i n und L e v i n e wünschen auf diesem Wege ihre aufrichtigste Erkenntlichkeit s für die zahlreichen freundlichen Telegramme und sonstigen Gaben, welche sie seit ihrer Ankunft in Deutschland er halten haben, zum Ausdruck zu bringen. Sie bedauern, dast es ihnen unmöglich ist, für die Hunderte von Briesen, die Blumen und anderen Gaben, die ihnen zugegangen sind, ihren Dank einzeln abzustatten, und sie bedienen sich daher dieses Weges, um ihrer von Herzen kommenden Dankbarkeit Ausdruck zu geben." Der Stadt Kottbus gingen Danktelegramme durch den amerikanischen Botschafter und den Bürgermeister Walker von Newyork zu, ferner dankte noch besonders Botschafter Schurman dem Reichsaußenminister in einem herzlichen Schreiben. Massenhaft sind die sich anhäufenden Geschenke aus der Bevölkerung. Man sieht da alle Sorten von Bier, Kisten Tee, anscheinend von Alkoholfeinden, einen silbernen Pokal, goldene Zigarettenetuis, Fliegeranzüge und viele andere Wertgegenstände. * Beschwerde der presse gegen poli'zer'wilssm. Im Preußischen Landtag hat der valtsparteile Abge ordnete Buchhorn eine kleine Anfrage eingebracht, in der festgestellt wird, dast die deutsche Presse ohne Unter schied der Partei sich durch die Art der Behandlung und durch die polizeiliche Behinderung bei Ausübung ihrer Pflicht bei Empfang der Flieger sich aus das schwerste ge kränkt fühlt. Die Anfrage fordert Verantwortung der Schuldigen und Verhinderung solcher Vorkommnisse für die Zukunft. T)Zf Gaaisnstand m Preußen. Anfang Juni 1927. Nach der Statistischen Korrespondenz hat sich infolge der vorwiegend rauhen Maiwitterung der Stand des Winür- getreides sowie der Futterpflanzen und Wiesen in Preußen durchweg gegen den Vormonat verschlechtert, jedoch bei den wichtigsten Getrcidcarten, wie Weizen, Roggen, Gerste nur um je 0,1, bei Gemenge aus Wintergetreide sowie beim Klee um je 0,2 und bei Luzerne und den Wiesen bis zu 0,1 Punkten. Nur der Raps und Rübsen ist eine Besserung um 0,1 zu verzeichnen. Im ganzen genommen ist die Bewertung des Standes dieser Fcldfrüchte mit 2,7 bis 3,0 als mittel bis leidlich gut zu be zeichnen. Gegen das Vorjahr ist Wetzen und Gerste gleich gut, Roggen und Spelz sind sogar um 0,1 besser. Die Wiesen mit 3.3 haben vor allem unter den Nachwirkungen des hohen Wasserstandes zu leiden. Die Sommersrüchte (außer Kar toffeln und Rüben) sind mit 2,7 bis 3,1 als nvch befriedigend anzusehen, an den Stand des Vorjahres mit 2,6 bis 3,0 reichen sie allerdings nicht ganz heran. Für die Kartoffeln und Rüben wurden vielfach noch keine Begutachtungen abgegeben, weil sie noch nicht überall aufgegangen sind. Die Entwicklung der Hackfrüchte ist überhaupt bisher infolge der rauhen Witterung so zögernd und rückständig gewesen, daß die Begutachtungs zisfern hierfür zurzeit nur einen begrenzten Wert haben. Über das Auftreten von pflanzlichen und tierischen Schäd lingen w!d außer über Unkraut im allgemeinen wenig geklagt, für das Hervortreten und Wachsen des Unkrautes war aber die bisherige Witterung sehr günstig. Die Aufhebung kleiner Amtsgerichte in Preußen. Bezirks Notariate und Reiserichter. Gelegentlich einer vom preußischen Justizministerium ver anlaßten Vortragsreihe über Fragen der Justizverwaltungs- reform legte ein Vertreter des preußischen Finanzministeriums das große Interesse des Ministeriums au der Einzieh u n g kleiner Amtsgerichte eingehend dar. Er hat dabei darauf hingewiesen, daß von den 1003 preußischen Amts gerichten 445 nur mit einem Richter besetzt seien und daß bei sehr vielen von diesen der Richter nicht voll beschäftigt werden könne, da die Zahl der Gerichtscingesessenen zu gering sei; diese bleibe bei 154 Amtsgerichten unter 10 000, bei 218 unter 15 000. Andererseits ist es verständlich, daß die betr. Gemeinde verwaltungen sich gegen die Aushebung der kleinen Amts gerichte wenden werden, da sie dadurch eine Beeinträchtigung sowohl der Interessen der Gerichtseingesessenen als auch der lokalen Wirtschaflsinteresten erblicken. Wennaleick nun in einem verarmten Staat sie Allgemeininteressen vorgehen müssen, so wird man doch auf die berechtigten Wünsche der Bevölkerung, besonders in den räumlich ausgedehnten ländlichen Bezirken, Rücksicht nehmen müßen. Als Ausweg aus diesem JntcrcssenkonfliN hat deshalb auch der Vertreter des Finanzministers bereits die Einrichtung von besonderen Stellen — Bezirksnotariaten — angeregt, bei denen die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und die Bagatellsachen erledigt werden könnten. Einen ähnlichen Vorschlag macht Landgcrichtsrat Dr. Martin-Chemnitz in einem Aufsatz: „Kleine Amtsgerichte und Rechtspflege!." Er empfiehlt an Stelle der Aufhebung der kleinen Amtsgerichte die Einrichtung eines Reise- richtcrs, dem die Verwaltung von zwei bis drei Amts gerichten unter Zuhilfenahme moderner Verkehrsmittel zu übertragen ist. Der Rciscrichtcr könnte aus diese Weise vor allem die Sitzuugen an den ihm unterstellten Amtsgerichten wahrnehmen und die wichtigeren Geschäfte erledigen. Für die laufenden Arbeiten würde cin jedem Gericht ein Rechtspslcger zur Verfügung stehen, der aus Grund der Kleinen Justizreform zur selbständigen Erledigung einer großen Reihe von Richter geschäften in Grundbuch-, Vormundschafls-, Zivil-, Straf sachen, Handels-, Vereins- und Genosscnschaftsregistcrsachen ermächtigt ist und dem die Ausnahme der Rechtsanträge und die damit verbundene kostenlose Rechtsauskunft obliegt. Landgerichtsrat Dr. Martin weist darauf hin, daß eine Ausdehnung dieses Aufgabenbereichs des Rechtspslegers im Zuge der sich vorbereitenden Reform unserer Gerichts- organisation liege und mit Sicherheit zu erwarten sei, und daß der Rcchtspflegcr aus diese Weise geradezu zum Bundes genossen und Noth elfer der um die Erhaltung ihres Amtsgerichts kämpfenden Städte und Gemeinden werden könnte. Justizinspektor O. Meyer, Essen. Schwere Bluttat eines Gutsbefitzersohnes überfall auf eine Rittergutsbesitzerfamilie. Bei Köthen wurden der Rittergutsbesitzer Klepp unk sein Sohn Theo in einem Kutschwagen erschossen. An scheinend handelt es sich um einen Racheakt. In Ergänzung dieser Meldung wird noch berichtet: Bei dem ermordeten Rittergutsbesitzer, Rittmeister m D. Klepp, handelt es sich um eine der führenden Per sönlichkeiten in der anhaltischen Landwirtschaft. Klepp fuhr mit seinen beiden Söhnen gegen 10 Uhr von seinem Gute Klein-Paschleben nach seiner Domäne Wohlsdorf. Unterwegs tauchte plötzlich ein Radfahrer auf, der zunächst ein Pferd niederschoß, um den Wagen zum Stehen zu bringen. Dann schoß er auf die Insassen. Klepp wurde sofort durch einen Herzschuß getötet. Sein Sohn Theo erlitt einen lebensgefährlichen Untcrleibs- schuß. Der zweite Sohn blieb unverletzt. Auf dem Felde arbeitende Landleute nahmen den Täter fest. Es ist d e r Bruder des Klepp benachbarten Guts besitzers Schröter. Der Beweggrund zur Tat ist unbekannt. Fest steht, daß Schröter den Hauptteil seines Vermögens in der Inflationszeit verloren hat. Brandherd in Moskau. Irgendwo in der Welt muh es wohl Kmner glimmen und schwelen — auf dem Balkan, im fern*« Osten, drüben in Mexiko und nun wieder im Land« der biAel und des Sterns. Wohl versuchen die Sowjetmachthader mit der ihnen so geläufigen Geste der Unschuld sich leibst als dis Verfolgten hinzustellen und leugnen immer wieder feier lich ab, nie auch nur daran gedacht zu haben. Len Friede» der Welt stören zu wollen. Nur die böse« Briten hab«v diesen allzu leicht zu einer neuen Weltkataftrophe führen den Streit gewissermaßen „vom Zaune gebrochen", weil sie ihre Stellung in China — wiederum natürlich durch aus „unberechtigt" — durch den in der chinesischen Kuomintang-Bewegung sich geltend machenden Einfluß der Sowjets bedroht glauben. Für die Sowjets ist der Bruch zwischen dem britischen Weltimperium und ihrem Lande nicht nur eine wirtschaftliche Schlappe von evtl, schwersten Folgeerscheinungen, sondern vor allem der Ver lust eines politischen Kredits, der den Moskauer Herren sehr ungelegen kommen dürfte. In der russischen Ausfuhr stand Enaland bisher an erster Stelle. Nach Abbruch krlLcirlck Au.z8bu.r9A? -An ^»«jek'irjsnizcjien öQmsn von VolstgMcz stlsnl<en <29. Fonlekung.i ^Nachdruck verbalen.! Anneliejs tanzte mit dem Leutnant. Im wiegenden Neigen ward ihre Seele leichter. Marlene aber stand an der Säule und sah auf die Tan zenden- Um die feinen Lippen spielte ein schmerzlicher Zug. Wenn ihr wüßtet, wie ich leide. Wie mich die Sehnsucht verzehrt. Und doch muß ich abseits stehen. Als sie dann in das große Gastzimmer zurücktrat, blieb sie scheu an der Türe stehen. Der König, der dem Weine wacker zugesprochen hatte, saß im Kreise seiner Offiziere. Derbe Scherzworte flogen von einem zum andern. Alle waren sie angeheitert Nur einer war anscheinend völlig nüchtern. Der Rittmeister. Er saß neben dem König und schien jeden Scherz leicht zu parieren. Marlene bemerkte, wie ihn der König mit fast zärtlichen Blicken ansah. Ihr ward immer weher um's Herz. Alle sind ihm zugetan. Alle! Und er müht sich nicht darum. Warum mußte Gott in meine Seele die Liebe zu dem Manne legen, der mir unerreichbar ist? — Da sah der König das schöne Mädchen, und ein gut- L"chBn ging übe<. Antlitz. Marlene zuckte unter den Blicken der zechenden Schar zusammen und wollte sich rasch entfernen. Doch des Königs Wort HM sie. „Halt! Tret' Sie näher! Will Sie Ihrem König Bescheid tun." Marlene wurde über und über rot, als sie zum Könige trat. Wohlgefällig betrachtete Friedrich Wilhelm das Mädchen. „Ei, ei, Sie ist ein hübsches Frauenzimmer geworden. Wie alt ist Sie denn, Jungfer?" „Sechsundzwanzig, Majestät," sagte sie bebend und blickte zu Boden. „Sechsundzwanzig! Da wird's Zeit, daß Sie sich besinnt z und einen braven Mann nimmt. He! Ist das Herz noch frei? Soll sich einen aussuchen unter meinen Offizieren. Sie muß eine Offiziersfrau werden. Such' Sie sich den Schönsten aus." Marlene hätte in den Erdboden sinken mögen, aber sie wagte kein Wort der Entgegnung. „Trink Sie. Hier! Tu' Sie mir Bescheid." Ein Glas wurde ihr in die Hand gedrückt. Und sie trank dem Könige stumm zu. » Friedrich Wilhelm lachte hell auf. „Brav! So ist's brav! Uebers Jahr muß sie feiraten. Solche patente Frauenzimmerchen sind geschaffen, einen Mann glücklich zu machen. Tu Sie es! Hör' Sie, es ist mein königlicher Wille!" Da setzte Marlene Pas Glas hart auf und sprach zum König. „Majestät, ich will nur den Mann heiraten, den ich liebe." Da runzelte der König die Stirn. „Und wenn ich es ihr befehle?" „Majestät, die Liebe läßt sich nicht befehlen." „Alle, die eben noch erstaunt auf das Mädchen, das mit purpurnen Wangen vor dem König stand, blickten, wandten sich dem Sprecher dieser Worte zu. Es war der Rittmeister. „Will Er mir Vorschriften machen?" schrie ihn der König an. „Ich nicht, Majestät, das tut das menschliche Herz." Doch der König blieb aufgeregt, das Blut stieg ihm zu Kopfe. „Was Herz! Ich bin der König! Ich kann Ihm befehlen, wie dem Frauenzimmerchen. Hör' Er! Kreuz donnerwetter! Werd' Ihm befehlen, er heiratet das Frauen zimmerchen. Hör' Er! Ich befehle es Ihm!" Alles schien in dem Augenblick still zu stehen. Entsetzt sah alles auf den wütenden König und den Rittmeister, der finster in seinem Stuhle saß Er sprach kein Wort und sah den König an. „Hör Er, Rittmeister, ich befehle es Ihm!" Da stand Augsburger langsam auf und trat vor den König. Mit zwei langsamen, abgewogenen Schritten. Man sah cs ihm an, wie jeder Nerv gespannt war. „Majestät!" sagte er dann mit starker Stimme, daß sie alle zusammensuhren. „Hier ist mein Degen. Ich leg' chn in Euer Majestät Hand zurück. Der Rittmeister von 'Augs burger läßt sich nicht zum Heiraten befehlen." Ehrlicher Zorn sprach aus des Rittmeisters Augen, und wie er so dastand in seiner Iugendschönheit, riß er alle mit. Der König war ernüchtert. Mehrmals setzte er zum Sprechen an, aber er fand nicht das rechte Wort. Ec stützte den Kopf und atmete schwer. Aller Zorn war verflogen. In seine Augen kam eine grenzenlose Müdigkeit. Eine Handbewegung veranlaßte die Offiziere und anderen Gäste sich zurückzuziehen. Es wurde ganz einsam und still im Raume. Friedrich stand noch immer vor dem König, der ihn traurig ansah. In dem Augenblick sah er sehr alt aus. „Warum tut Er mir das an, Augsburger?" fragte der König den Rittmeister. „Weil ich Ew. Majestät liebe und achte! Ich will mich vor meinen Herrgott nicht schämen." Der König sah stumm zu Boden, dann stand er mühsam auf. „Augsburger!" „Ja, Majestät!" „Geb' Er Ordre, daß mein Wagen vorfährt." „Er wartet unten, Majestät." Friedrich Wilhelm nickte. „Ist gut. Begleit Er mich zum Wagen." (Fortsetzung folgt.)