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Wilsdruffer Tageblatt : 09.02.1927
- Erscheinungsdatum
- 1927-02-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192702092
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19270209
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19270209
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1927
-
Monat
1927-02
- Tag 1927-02-09
-
Monat
1927-02
-
Jahr
1927
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 09.02.1927
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uver dteLagetnOporto werden widersprechende Nachrichten verbreitet. Während die portugiesische Re gierung berichtet, daß sie im Besitze der Stadt sei, melden .Telegramme aus London, daß sich die Lage in Oporto verschlechtert habe Beschleunigte Ltntersuchung gegen den Reichsinnenminifler. HerrvonKeudellundderKüstrinerPutsch. Die Untersuchung gegen den Neichsinnenminister von Keudell, die Reichskanzler Dr. Marx selbst führt, wird bereits in den nächsten Tagen zum Abschluß kommen. Man nimmt an, daß Reichskanzler Dr. Marx spätestens bis Ende der Woche im Reichstage das Ergebnis seines Aktenstudiums bekauntgeben wird. In parlamentarischen Kreisen verlautet bereits, daß damit zu rechnen ist, daß die Untersuchung für Herrn von Keudell durchaus günstig verläuft und daß der Reichskanzler auf Grund der Durchsicht der Akten zu der Überzeugung kom men wird, daß keine Veranlassung für den jetzigen Reichs- innenminister besteht, wegen der Mitteilungen über sein Verhalten während der Kapp-Tage sein Amt nieder- zulegen. Von offiziöser Seite wird bereits jetzt zu einigen in der Öffentlichkeit über Neichsinnenminister v. Keudell auf getauchten Nachrichten Stellung genommen. So wird der Behauptung widersprochen, daß der Reichsinnenminister im Jahre 1923 unmittelbar nach dem Küstriner Putsch sich beim Obersten Gudovius für den Major Buchrucker ver wendet haben soll. Herr v. Keudell hat lediglich dem Obersten Gudovius seinen Dank ausgesprochen, daß er durch seine Haltung schwere Unruhen im Kreise Königs berg (Neumark) abgeweudet habe. Es wird hierbei noch betont, daß Herr v. Keudell den Küstriner Putsch stets aufs schärfste verurteilt habe. Weiter wird darauf hiugewiesen, daß Reichsminister v. Keudell nach dem Kapp-Putsch zwar zum 1. Juni 1920 zur Dispo sition gestellt worden sei, aber bereits im Juli des folgen den Jahres von einem Vertreter des preußischen Innen ministers vorübergehend der Regierung in Stettin zur Leitung eines Ausschusses zur Feststellung von Kriegs schäden überwiesen und aufgesordert worden ist, seinen neuen amtlichen Wirkungskreis in Stettin sofort zu über nehmen. Totenfeier für Kaiser WshihLis. Schwere Unfälle beim Leichenbegängnis des Mikados. Die Leiche des im Dezember verstorbenen japanischen Kaisers Boshihito ist in feierlichem Zuge vom Palast nach den vier Meilen entfernten Shinjuku-Gärten übergeführt worden. Trotz der bitteren Kälte hatten sich viele Hnndcrttausende von Einwohnern aus dem ganzen Lande angefammelt. Der Weg war mit weißem Sand bestreut, um böse Geister zu vertreiben. Truppen und Polizei bildeten beiderseits Spalier. Fackelträger, Beamte in altertümlicher Tracht, Trommel- und Gong schläger, Bannerträger und Priester schritten dem Zuge voran. Dein Katafalk, der von vier schwarz und weiß gescheckten Ochsen gezogen wurde, schritten hohe Offiziere und Beamte mit Fackelträgern zur Seite. Es folgten hohe Hof- und Negiernngsbeamte, dann Prinz Tschitschibu als Vertreter des Kaisers, der auf Rat der Arzte nicht an dem Zuge teilnahm, die Prinzen, die Staatsminister und Abordnungen des Heeres und der Marine. An dem in den Shinjuku-Gärten errichteten provisorischen Pavillon wurde die Totenfeier abgehalten, an der auch die Ver treter der auswärtigen Mächte mit ihren Damen teil nahmen. Um Mitternacht wurde der Sarg nach dem neuerrichteten Mausoleum bei Higashi-Asawaka über geführt. Während des Leichenbegängnisses wurden an einer Stelle im dichten Gedränge ungefähr 100 Per sonen verwundet, davon fünf schwer, eine Person wurde getötet. An einer anderen Stelle des Weges wur den 20 Personen in einen Graben gestoßen lind erlitten Verletzungen. Deutscher Reichstag. (266. Sitzung.) 68. Berlin, 8. Februar. Tic erste Lesung des Gesetzentwurfes über die Arbeits losenversicherung wurde fortgesetzt. Abg. Frau Teusch (Ztr.) erinnerte daran, daß schon vor einem Vierteljahrhundert der Altmeister der deutschen Sozial politik, der Zentrumsabgeordnete Dr. Hitze, in einer Reso lution im Reichstage die Einführung einer Arbeitslosenver sicherung gefordert habe. Die Erfüllung dieser Forderung erst nach 25 Jahren sei kennzeichnend für die zu überwindenden großen Schwierigkeiten. Endlich scheinen jetzt die Schwierig keiten überwunden zu sein. Die jetzige Vorlage biete eine Lösung, weiin auch noch einzelne Bedenken beständen. Die Rednerin sprach sich gegen die beschränkte Bedürftigkcits- prnsuug aus, die in der Vorlage noch enthalten sei. Eine solche Prüfung müsse aber aus alle Fälle fortfallen. Besonders müsse für die kinderreichen Familien gesorgt werden. Abg. Thiel (D. Vp.) stimmte der Vorrednerin vielfach zu, erklärte aber die vorgeschlagene staatliche Erwsrbslosenversiche- rung für einen höchst unvollkommenen Lösungsversuch. In dem Aufbau der Versicherung müßte eine größere Einheitlich keit Platz greisen, indem die Organisation sich nicht nach den Landesgrenzen, sondern nach Wirtschaftsgebieten gliedert. Der Redner begrüßte den Gedanken der Lohnklassen für als an sich gut, es müsse aber mehr auf die Eigentümlichkeit des Berufes der Privatangestellten an der betreffenden Stelle Rücksicht ge nommen werden. Am besten wäre cs, das Gesetz auf die Be dürfnisse der Arbeiter zuzuschneiden, und den Angestellten das Recht einzuränmcn, ihre Versicherung in den als Erfatzkassen zuznlassendcn Einrichtungen ihrer Berussverbände zu nehmen. Abg. Schneider-Berlin (Dem.) hält dis vorgesehene Or ganisation für viel zu kompliziert. Man brauche z. B. die Länder nicht an der Verwaltung zu beteiligen. Der Redner verlangt dann eine straffere und einfachere Organisation der Arbeitsvermittlung, außerdem müßte für die Arbeitslosenver sicherung im ganzen Reiche ein Einheitsbetrag gelten. Der Redner tadelte cs, daß nach dem Entwurf die Kurzarbciter- srage ungelöst bleibe, und meint, daß in der Klasfensürsorgc das englische Gesetz viel großrügiger sei. Abg. Schirmer (Bayer. Vp.l gab zu erwäge», ob man die in der Vorlage vorgesehene Monopolstellung der Arbeits nachweise aufrechterhalten oder ob mau nicht auch die Arbeits nachweise der Berufsorganisationen zuiassen solle. Die Bayerische Volkspartei sei gegen eine Änderung der Bestim mungen über den Kreis der Versicherungspslichiigen. Die Vorlage wurde daraus dem Sozialpolitischen Aus schuß überwiesen, und das Haus vertagte sich ans Mittwoch. s Letzte Meldungen l Vermischte Drahtnachrichten vom 8. Februar Die produltive Grwerbslosensürsorge. Berlin. Im Haushaltsausschuß des Reichstages entspann sich eine längere Debatte zum Etatstitel über die produktive Erwerbslosenfürsorge. Für diese Zwecke sind im Etat 50 Mil lionen Mark angesetzt. Reichsarbeitsminister Dr. Brauns führte ans, daß bei der produktiven Erwerbslosenfürsorge scharf unterschieden Werden müsse zwischen den Not standsarbeiten und dem Arbeitsbeschassnngsprogramm. Durch das Arbeitsbeschaffungsprogramm wurden allein im letzten Halbjahr Hunderte von Millionen in Arbeit umgesetzt. Als ein Gebiet, auf dem sich umfangreiche Arbeitsgelegenheiten erschließen lassen, kam der Bau von Wasserstraßen in Frage. Die Retchsregierung hat beschlossen, vorgrisfsweise neue Kanalbauten in Angriff zu nehmen. Leider sind bei Anforderung von Mitteln im Reichstag dis Meinungen im Widerstreit gewesen, so daß hier Streichungen erfolgten. Im Rahmen des Arbeitsbeschaffungsprogramms kann die Reichsregierung lediglich zusätzliche Arbeitsgelegen heit schaffen, weitere Einwirkung aus die Betriebe, an die die Arbeilsaufträge von der Reichsbahn oder den anderen öffent lichen Körperschaften vergeben worden sind, ist im allgemeinen dem Reichsarbeitsministerium nicht möglich Die Frage der Shescheldungsreform. Berlin. Der Rechtsausschuß des Reichstages beschäftigte sich unter dem Vorsitz des Abg. v. Dr. Kahl (D. Vp.) mit kommunistischen, sozialdemokratischen und demokratischen An trägen, die eine Reform der Ehescheidung dahin wünschen, daß Ehen auch bei Zerrüttungen und ohne das von den bis herigen Gesetzbestimmungen verlangte Verschulden mindestens eines Eheteils geschieden werden können, ferner wünschen diese Anträge in mehr oder weniger schärferer Form die Ermög lichung einer Ehelösung beim Vorliegcn von Geisteskrankheit leichterer Art, z. B. schwerer Hysterie usw. Vor Eintritt in die Tagesordnung ergriff der neue Reichsjustizmintster Dr. Hergt das Wort. Nach einem Hinweis auf die schon in der Negurungsernarung nwuyuteu grogen Ausgaben der Kustiz- reform äußerte der Minister die Hoffnung aus ein enges Zu sammenarbeiten mit dem Rechtsausschuß. Reichsjustizministcr Hergt verwies im Verlaus der Sitzung aus die Erklärungen, die Staatssekretär Joel im Auftrage des früheren RcichslustiZ- ministers Dr. Bell abgegeben habe, wonach der Justizminister es ab lehne, in der Frage der Ehescheidungsresorm, die sehr umstritten sei, einen gesetzgeberischen Vorschlag ZU machen. Mord infolge Plötzlicher Geistesgestörtheit. Offenbnrg. In dem Orte Ebersweier besuchte der 26 Jähre alte ledige Heinrich Männle, der seit einiger Zeit an Kopf grippe litt, seinen Bekannten, den Wagncrmcister Lc» Gumtt. Gumtt wollte ihn auf andere Gedanken bringen und führte ihn in feine Werkstatt. Während Gumtt au einem Motor arbeitete, erhob Männle eine Axt und zertrümmerte Gumtt die Gehirnschale. Männle hat offenbar in einer plötz lichen Geistesstörung, die als Folge der Grippe auftrat, die Tat begangen. Gumtt ist 45 Jahre alt und hinterläßt eins Frau und vier Kinder. f * Sächsischer LsnMag * j Dit grobe Wrede -es Simir- mWers Weder. Dresden, 8. Februar. Die Tagesordnung der heutigen Land tagssitzung wies Äs einzigen Punkt d.e große Etatrede -des Fff nanMimsters Weder auf. Zwei Stunden -lang las Fmcmzmini- srrr Weder in raschem Tempo das sehr umfangreiche Schrift stück ab. Baid zeigten sich im Hause Zeichen der Ermüdung, ein Abgeordneter nach bei» anderen verschwand aus dem Hause und nur die engeren Parteifreunde des Ministers hiÄten tapfer aus, sowie die sich mit Zurufen vergnügenden Kommunisten. Der FmaMmniftrr wies eingangs feiner Nebe .darauf hin, daß er aus die Ausstellung des sächsischen Haushaltplanes seinen Einfluß gehabt, habe und eine sachliche Nachprüfung seinerseits zur Aus rollung des gesamten Etats geführt hätte, der dann nicht recht zeitig verabschiedet werden konnte. Von dem Optimismus del setzten Etatreden werde man in seinen Ausführungen vergeblich etwas suchen. Er habe aber die sichere Zuversicht, -daß unsere Wirschaft den Tiefstand der Krisis überwunden habe und lang sam einer Gesundung zuslrcbe. Der Minister ging aus die wirt schaftliche Lage Sachsens ein, wies aus die Not der Industrie, der Erwerbslosen, des Handwerkes und Kleingewerbes sowie der Landwirtschaft hin und betonte, daß eine umfassende Fürsorge für die .gesamte Wirtschaft die besten Maßnahmen zu einer, Ge sundung der Fmanzwirtschaft des Staates und der Gemeinden sei. Den hinter ihm stehenden politischen und wirtschaftlichen Kres sen vermochte er einen umfassenden Steuerabbau nicht zu ver sprechen, sprach aber die KeLer-eugung aus, baß die genügend staaisp^itische Einsicht besahen, um seiner Zurückhaltung in dieser Beziehung vollstes Verständnis entgegenzubringen. Der Minister versprach, bestrebt zu fein, hinsichtlich der.Steuern etwa sich für Gewerbe, Handel, Landwirtschaft und Hausdesitz ergebende nicht erträgliche Hätten zu beseitigen. Sein besonderes Augenmerk werde er darauf richten, daß eine Rentabilität .des Grundbesitzes durch die Steuerforderungen nicht vernichtet weihe. Weiter stellte er eine Aufhebung der Schlachtsteuer in Aussicht, und wies darauf hin, daß der Ernst der Finanzlage die Negierung Mr äußersten Einschränkung aller sächlichen und persönlichen Ausgaben der Staatsr-MvÄi-ung zwinge. Er wandte sich sodann den einzelnen Kapiteln des Staatshaushaltes zu, ging u. a. ausführlich auf die Sächsischen Werke ein und stellte die Forderung aus, daß ihre Beteiligung an andere» Unternehmungen entschieden auf den Kreis zugeführt werde» müsse, der im unmittelbaren Interesse der Energieversorgung und der Dcrkehrsförderung liege. Am Schluffe seiner Rebe gab er Ausdruck, daß mit aller Kraft dahin gestrebt weiden müsse, den ordentlichen Haushalt durch Anleihen zu beschaffen. Es werde der Einsicht und der Zusammenfassung aller Kräfte bedürfen, um unser Volk aus den Notzeiten mit ge ordneten Finanzen hinüber zu führen in lichtere .Zeiten, wo Ver säumtes nachgehvlt werden könne und müsse. Die Aussprache über den Etat und die Etatrede wird im Laufe der nächsten Woche erfolgen. Die nächste Sitzung am Dienstag -den 15. Februar wird sich mit Anträgen zu beschäftigen haben. Zwillinge. Von Carl Ludwig Herbst-Bielefeld. Ihr kennt es doch, das Ralf Peacock'sche Bild mit dem pausbackigen Bübchen, das gerad vor einer Minute nach einer sausenden Fahrt durch die Unendlichkeit aus dem buckligen Riesenbail gelandet ist, den wir Menschen Erde und den die kleinen Mondkälber vielleicht „Dadabuh" nennen, weil dieser Riesenbali so gespenstisch groß am Mondfirmament steht „Vom Himmel gefallen", so heißt das Bild. Und das paus- backige Bübchen, das da überrascht und verwundert in einer- halb heroische», halb idyllische» Landschaft sitzt, blick! sehn süchtig nach oben. Lb da nicht jemand ist. der es zurückholt. Uns Menschen ist ja das ganze Leber, hindurch so. als müßte uns irgendwer zurückruscn in ein buntes Trauinland Es gab einmal Zeiten, die wußten nichts von Spiralnebeln und Glazialtheorien. Die Menschen glaubten, der nächtliche Himmel sei ein Buch, in das hinein die Götter mit demontfun- Kelnder Schrift ihrs hohe Gedanken schrieben. Und in den schimmernden Sternlein erblickte man die suchenden Seele» un geborener Menschenkinder. Wenn so ein Sternlein vom Him mel zur Erde fiel, ward ein Mensch geboren. — „Vom Himmel gefallen Die Sache Hai ihre panische Nichtigkeit. Manchmal aber fällt nicht ein einzeln Stecniein. es fallen ihrer gleich zwei. Zwei Bübchen oder zwei Madelchen. oder gar ein Bübchen und ein Madelchen. Dann werden im Standesamlsregister Zwillinge eingetragen. Und der Herr Papa, der zunächst genau so verdutzt guckte wie das pausbackige Büb chen aus dem Bild, quittiert dann mit schwungvollem Sloiz in dem überlebensgroßen Urkundenbuch die vom Himmel gesallene Doppelsendung. Zwillinge sind Sternlein, die einander suchten in ihrer oor- erdlichen Existenz. Seltsame Ahnungen von dem Alleinsein, das vic'er Menschen Herzen mit schneidender Kälte durchschauert, trieben sie zueinander, bevor sie sich aus die Erde verirrten. Deshalb stehen Zwillinge fast immer in unzertrennlicher Liebe zueinander. Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte des Bruderzwists. Von Zwillingshatz aber wissen auch die dun kelsten Familienchroniken nichts zu berichten. Der Sternenhimmel liefert an die Erde recht verschiedene Ausgaben von Zwillingen. Eine ganze Weile machte er sich ein Vergnügen aus dem Versand solcher Zwillinge, die einander glichen wie ein Ei dem anderen. Zeitlebens mutzte der eine ein blaues und der andere ein rotes Armbündchen tragen. Nie mand konnte sie voneinander unterscheiden, nicht einmal die Eltern. Wenn das Zwillings-Peterchen den Birnbaum des Nach barn — aus hochtourislischen Gründen natürlich — erstiegen hatte, kriegte das Zwillingsfritzchen nachher die Haue dafür. Und wenn Zwillingsfritzchen dafür gelobt wurde, daß er es unterließ; Onkel Gustav während, des Mittagsschlass unter den Mtzsoyien zu imzem, >o war es sicherlich das Zwillings-Peter chen gewesen, das diese brave Tat des Unterlassens getyn hatte. Im Laufe der Jahre aber glichen sich Plus und Minus in der Lebenseechnung der Zwillinge aus. Das waren Zwillinge, für die Kastor und Pollux in Josef Pontens „Babylonischem Turm" ein Musterbeispiel sind. Es kriegte nicht nur einer für den anderen die Haue oder die Belobigung,- es konnte auch eins nur durch das andere denken. In neuester Zeit aber, da Zwillinge — wahrscheinlich zum Ausgleich der Lücken, die der männermordende Krieg riß — außerordentlich häufig sind, kommen anders geartete Zwillings sternlein zum Versand nach der Erde. Aehnlichkeitszwillinge wurden durch Gegensatzzwillinge abgelöst, die als Ganzes eine merkwürdige Synthese ergeben. Es entspricht durchaus dem Geist der Zeit. individuell Verschiedenartiges in einer über- individuellen Form zu verschmeizen. Das, was wir Zeitgeist nennen, ist möglicherweise auch nur ein Exportartikel aus uner forschten Sternensphören. Ein typisches Beispiel für Gegensatzzwillinge sind Dölfchen und Wölfchen, denen ich nicht nur literarisch, sondern auch ver wandtschaftlich nahe stehe. Wölfchen und Dölfchen werden nie zu verwechseln sein. Weder äußerlich, noch in ihren Lebens äußerungen Wölfchen ist blauäugig und blondlockig, Dölfchen hat braune Augen, eine dunkel getönte Haut und vorerst noch eine Glatze. Während Wölfchen die Tendenz hat. sich strampelnd vom Zwang auch der weichsten Daunendecken zu befreien, ist oon Dölfchen stets nur die Nasenspitze, eine kleine sidele Nasen spitze, sichtbar, wenn er in seinem Körbchen liegt. Mölschen ist in jeder Geste herrisches Fordern, Dölfchen dagegen beglücktes Danken Wölfchen liebt den Betrieb und jauchzt laut auf, wenn sich sämtliche Kinder der Nachbarschaft um ihn versam meln, um zehnstimmige Lieder zu singen, die das elfjährige Lies chen in einer in Europa sonst unbekannten Tonart aus dem Klavier begleitet, Dölfchen dagegen liebt die Stille. Er lächelt glücklich, wenn man ihm mit leiser Stimme Gedichte Rainer Maria Rilkes vorliest, oon denen er natürlich kein Wort ver steht, obgleich er doch bald ein Jahr alt wird. Aber es gibt eben nichts, was man leiser sprechen könnte, als Rilke-Verse. Wölfchen scheint Anwartschaft auf Sitz und Stimme in einem Magistrat oder gar in einem Aufsichtsrat zu haben. Dölschen aber wird einen Rückfall in jene Zeitläufte erleiden, da Denken und Dichten nur in kümmerlichen Dachkämmerlein gediehen .. Die Tage der Zwillingsähnlichkeiten scheinen endgültig da hin. Bald wird von ihnen vielleicht nur noch im Märchen die Rede sein. Vielleicht hängt das auch mit der zeitgemäßen For derung nach individuellen Erziehungsmethoden zusammen. Ab soluten Zwillingsähnlichkeiten aber müßte diese pädagogische Leidenschaft in tödlicher Verlegenheit gegenüberstehen... Der Leierkasten. In blauen Schatten ruhen noch die Gassen, Doch golden schimmert jedes stumpfe Dach — Und müde Menschen steigen aus den blassen. Verstaubten Mauern still der Sonne nach. Hinaus zu jenes Hügels lichten Höhen, Wo winterlich noch träumt der kahle Hain — Doch plötzlich bleiben sie versunken stehen: Was singt und klingt dort aus der Häuser Reih'»? Ein Ton aus fernen, längst vergess'nen Zeiten, Ein Liebeslied, so wehmutsvoll und süß. Und stumm und feierlich sie weiter schreiten — Verklärt von der Erinn'rung Paradies. Doch unten in der Stadt, der dumpfen, engen. In kalten Gassen, ohne Licht und Glanz, - Dreht sich die Jugend bei denselben Klängen Um einen Leierkasten flott im Tanz. Mathilde Donata oon Beulwitz. Eine dunkle WistenlAst. Der Professor der Archäologie an der Universität Moskau Tschijewski hielt kürzlich einen Aufsehen eregenden Vor» trag, in dessen Verlauf er die Meinung verfocht, es bestünde zweifellos eine nahe Verbindung zwischen der Menschheits geschichte und dem Auftreten von Sonnenslecken. So wies er u. a. darauf hin, daß stets in solchen Fällen, da man die Er scheinung von Sonnenflecken mit bloßem Auge habe wahrneh« men können, große Umwälzungen und Erschütterungen aus der Erde die Folge gewesen seien. Der menschliche Wille ist naä Ansicht Professor Tschijewskis einer Art elektrischer WirkustS der Sonnenstrahlen unterworfen. Als Belege führte er deU Untergang des Maurenreiches in Spanien, die Entdeckung Amerikas, die französische Revolution, den Weltkrieg und de» „Siegeszug" des Bolschewismus an, die sämtlich im voran? astronomisch angekündigt worden seien. Es ist verständlich, daß okkulte und spiritistische Gedanken' gange nur zu willig Eingang finden in einem Lande, dessen politische und kulturelle Machthaber kein Mittel unversucht lassen haben, dem Volke jedwede religiöse Gläubigkeit gewaltig zu entreißen. Erst vor einiger Zeit wurde von Moskau nU eine Bestimmung erlassen, der zufolge sämtliche ausländisch? Geistlichen und Vertreter religiöser Sekten unverzüglich den rm ischen Boden zu räumen hatten. So nimmt es nicht wunder- n einem solchen Lande Aberglaube und allerlei geheime WO!?!' chaften so üppig ins Kraut schießen konnten, wie es heute Rußland der Fall ist. —°
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