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Well Im «Ilü. Juchezer an die Brust drückte, der als lang gezogenes Echo in den Bergen wiederhallte. Indessen Wilhelmina von den Segens wünschen zärtlicher Eltern geleitet den Reise wagen bestieg, der die Neuvermählten einem längern Aufenthalt in den sonnigen Gefilden Italiens entgegenführte, feierte Veferl eine gar lustige Hochzeit in der Post zu Lermoos, Frau Major von Hartwig sah viel junges, frisches Glück um sich erblühen, sie sonnte sich in dem Glück ihrer Kinder, doch alljährlich, wenn in den Bergen junges Leben erwacht, wenn die Matten grünen und Senn und Sennerin mit lustigem Jodeln und Jauchzen zur Höhe ziehen, findet sich eine zahlreiche Familie zusammen im Waldhof, der, um alle seine Gäste aufzunehmen, längst einen neuen Anbau erhalten hat. Höhe und Tiefe hat Lust und Leid und die Liebe webt ein umfassendes Band um „Berg- und Tal blumen". (^tiri8tML8 18 eomiliA. Eine nähre Geschichte im Märchenton von M Weqener. eine Villa im blühen- den Garten, im lachenden, süd- lichen Sonnenlicht. Der Unglück- liche auf der Vetanda zwischen den gelben Röschen, die mit ihrem Duft die hitzeschwangere Luft erfüllen, fühlt nichts von all der Schönheit. Kein verlorener Blick schweift hinaus über des Gartens Grenze zu den lichtblauen Wogen des Genfer sees, in dem sich des Tagesgestirns funkelnde Pfeile spiegeln wie leuchtendes Gold. Ob der heulende Sturm die bleischweren farb losen Fluten peitscht und die weißen Schaum köpfe, Perlenketten gleich, Hüpfen und tanzen, ob der tiefblaue Himmel und die schneebe deckten Berghöhn sich in ihm in stillem Frie den malen wie heut, nichts weckt den ein samen Träumer, seinen umnachteten Geist vom Schlummer. Schon Wochen weilt der Kranke hier. Als rüstiger, gesunder Offizier zog er aus, in Indiens Gluthitze dem Vaterlande zu dienen, die schwere, feuchte Luft Englands mit asiatischer Tropenglut vertauschend. Ein elender, kranker Mann brachte man ihn heim, nicht zur Heimat, sondern zum wär meren Süden, wo der körperlich Genesene geistig gesunden sollte. Bis jetzt ist wenig Hoffnung. Trübsinnig starrt er vor sich hin, Tag für Tag. Was sinnt er, was träumt er? — Hohl und glanzlos, von tiefen Schatten umgeben, ist das mattblaue Auge, das niemanden und nichts ansehen kann und mag. Die Welt ist für ihn tot, wie er es für die Welt sein und bleiben wird — bald — bald — vielleicht auf ewig. „Es muß Hilfe geschafft werden," betont der Arzt. „Weckt ihn aus der Apathie, damit sein Geist nicht ganz entschlummert. Schafft Musik, Unterhaltung; laßt ihn reisen, — nur An regung, Anregung!" Die Villa ist ein Fremdenpensionat. Wie in einem Taubenschlag kommen und gehen die Reisenden. Er sieht alle, und hört doch keinen, nicht die schöne Polin, die mit ener gischer Beredsamkeit ihn zu interessieren sucht, nicht die Musik von Miß Liddy, die ihre lustigsten Liedchen trillert, um einen Strahl des Aufleuchtens, ein leichtes Auf flammen in seinem erloschenen Auge zu be wirken. Alles vergebens. Die Unterhaltung aller Nationen schwirrt bei Tisch durchein ander. Witzworte, wie ein Ärillantfeuer, fliegen hinüber und herüber. Er sieht nicht und hört nicht. Man gewöhnt sich an den stillen, ungemütlichen Gast, auf den man stets Rücksicht nehmen muß, der beim lecker sten Mahl den Kopf auf die Hand stützt und wie ein Forscher tiefsinnig in seine Speise starrt. Man redet ihn an, ohne Antwort zu erhalten, bedauert ihn und gibt ihn verloren. Wieder ein' Sonnentag, fleckenloser, als all' die andern. Die Tochter des Hauses kehrt heim. Drüben in England hat sie sich ihr Brot verdient, eine arme Gesellschafterin in vornehmem Hause. Es geht ihr gut; sie hat es nie fühlen müssen, daß sie zu den Die nenden gehört. Sie ist jung und hoffnungs freudig, glücklich und schön. Schön vor allem. Wie groß und staunend ihr braunes, mandelförmiges Auge mit den langen, me lancholischen Wimpern in die Welt Hinaus blicken kann, in diese Welt, in der ihr noch der erste Schmerz erspart blieb, der an keinem spurlos vorllbergeht. Wie zart das liebliche Gesicht und wie blendend die Zahnreihe, die der kleine Mund sehen läßt, wenn ein Lachen ihre Züge erhellt! Und wie gern lacht sie, gerade jetzt, daheim für so lange. Flink wie ein Reh . gleitet das zierliche, weißgeklei dete Figürchen durch den dunklen Taxus des Gartens, lustig zwitschert ihr silbernes Stimmchen durch die hohen Säle, bald be zaubert sie alles durch ihre hausmütterliche Fürsorge am Teetisch. Eine große Freude, die keinen unberührt läßt, ist mit ihr einge- ! zogen, und man überläßt sich ihr; denn man will fröhlich sein, hier, wo die Natur allüber- all zum Lebensgenuß auffordert, wo die Sonne selbst die Schatten kürzt und ver- löscht. Auch an dem Unglücklichen zwitschert , das Singvögelchen vorüber. Er hört's und sieht's nicht. Er grüßt nicht einmal, wenn sie leichtfüßig an ihm vorbeieilt. Kein Zei chen des Erkennens, keine Antwort auf die freundlichste Frage. Tote sind nicht zu Wecken. Wieder ein Mittagstisch. — Launige, lebhafte Unterhaltung. Mademoiselle Tarin scherzt und lacht und reißt alles fort. Der einsame Träumer starrt ins Blaue. „Umnon sst ornon," schallt eine Helle Stimme über den Tisch. „Wie heißen Sie, Mademoiselle?" „Noöl," lautet fröhlich die Antwort. Da gleitet der erste Strahl der Erkenntnis, ein leises Dämmern über des Kranke Züge, j „Noöl," wiederholt er leise „olaristinas is ! ooininK." Und er sieht sie an, lange, lange, ! — zuerst, als sähe er sie nur in weiter Ferne, als müsse ihm das holde Bild, das er zum erstenmal mit Bewußtsein schaut, entschwin- den, — dann saßt er es fester und fester in die Augen, wie einer, der den rettenden Hafen erblickt, an den er nicht mehr glaubte, wie ein Verschmachteter, der alle Bäche und Gewässer für ausgetrocknet hielt, und nun doch noch klares, trinkbares Wasser findet. Oliristrnas is aoininA. Und aller Blicke ruhen erstaunt auf ihm, der wie erlöst scheint durch diese Wundermär, die ihm ent gegentönte aus dem Mädchennamen, jetzt, in seiner stillen Verzweiflung. Es bleibt im Moment bei der einen schwachen Gedanken äußerung, aber sein scheues Wesen verändert sich. Noöl ist sein Weihnachtsengel geworden. Wo sie ist, erscheint er. Er redet wenig, es genügt ihm, sie anzusehen mit seinen ver träumten, immer noch glanzlosen Augen. Sie erzählt glücklich lächelnd von Englands grü nen Wiesen, dem alten Herrensitz, ihrem Le ben, ihren Zöglingen. Sie singt mit fran zösischem Accent die englischen Weisen, und er lauscht, wie jemand, der lernt, um dem andern Freude zu machen. Noch schlägt zu weilen der Umnaöbtung Geist die Flügel um sein Haupt, doch des Weihnachtsengels Stimme bannt der Finsternis Macht. Lang sam, langsam geht solch ein Erwachen aus Todesschlummer; aber Tag für Tag zieht mehr Leben in ihn, Heller glänzt das Auge, verständnisvoller wird der Blick, aufmerk samer sein Wesen. Und Noöl sieht es und freut sich und genießt das Glück, den Toten zu rufen und vielleicht, vielleicht dem Leben zurückzugewinnen. Sie lacht für ihn, — plaudert für ihn, singt für ihn Weihnachts lieder mitten im Sommer. 6lrristmaz i- aoininx, sein Weihnachten, die Wiedergeburt seiner schlummernden Seele. Und die zwei Menschenkinder sind unzertrennlich; seine Heilung ist ihr Gedanke Tag und Nacht; ihr Auge, ihr Lächeln ist ihm der zum Leben weckende Sonnenstrahl. Sie leben der Gegenwart und denken nicht, daß es anders werden könnte, daß die Zeit flieht, daß es eine Trennung auf Erden gibt. Morgen sind Noöls Ferien zu Ende. Sie wird zurückkehren zur Alltagsarbeit, und er wird allein bleiben, bis seine Gesundheit die Heimreise erlaubt. Heut hat sie ihm von der Trennung gesprochen, und ein düstrer Schein, wie er vor dieser Friedenszeit auf seinem Antlitz ruhte, ist darüber geflogen, als wollte der Geist der Schwermut von ihm Besitz er greifen. Mit der schwachen Energie, deren er noch fähig ist, hat er sich gefragt: „Jst's denn wirklich nötig? Gibt's kein Da gegen, kein Aufbäumen? Wenn sie nicht in die Knechtschaft zurückkehrte, wenn sie bliebe, mein würde? Dann könnte ich immer Trost aus ihrem Auge trinken, dann wäre ich ge rettet." Und als am Abend die Nachtigall ehr Lieblingslied erklingen ließ, haben sich im Mondschein zwei die Hände gereicht zu ewigem Bunde. — Lady Milton ist Aristokratin vom Schei tel bis zur Sohle. Ihr Haar ist bleich ge worden in Sorgen um den unglücklichen Sohn, der nun im Süden Rettung sucht. Freudentränen weinte sie, -als ihr der Arzt von jener wunderbaren Heilung berichtete, von jenem Mädchen, das mit seinem Namen und Augen mehr vermocht, als alle Aerzte der Welt. Wie dankbar sie dieser kleinen Fremden war! Sie schrieb es wieder und wiede^. Ein Königreich hätte sie gegeben für diesen einzigen Sohn. Selbst sehen wollte sie die Gottbegnadete, die das vermocht. So kam sie — jubelnd begrüßt — freudig em pfangen. Wie schön Noöl war! Zum ersten mal dämmerte ihr der Gedanke auf, daß vielleicht eine neue Krankheit die erste ver trieben, daß ihr Sohn ihr zum zweitenmal verloren fein könnte. Dann kam sein Ge ständnis: „Laß sie mir, Mutter, sie, die ich liebe, die mich gefund machte. Soll ich alter Vorurteile willen undankbar werben? Bin ich nicht reich genug, mein Leben zu gestalten wie ich will?" Nicht lange währte der Kampf. Zum Streiten für sein Glück war er zu schwach. Dieselbe alte Energielosigkeit, die ihn früher beherrscht, ließ ihn nachgeben. Geld und Gut hätte Lady Milton gegeben; ein ivenig ihres Stolzes konnte sie nicht opfern. Vor urteile töteten Dankbarkeit und Liebe. Am andern Morgen sah Noöl mit Trä nen im Auge auf den blauen Wogen des Sees einen Dampfer, hörte klopfenden Her zens das Abschiedssignal, das ihr seine Ab reise verkündete. Nicht einmal Lebewohl hatte er gesagt. In Obatsau ä'cw aber lebt schon seit einigen Jahren ein einsamer Mann, der nichts sieht und hört von all' der gewal tigen Schönheit der Bergriefen um ihn, für den die Welt gestorben, wie er für üe. —