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Weisse Kosen. Nach einer wahren Begebenheit erzählt von M. Schmidt - Car 1 low. 1 ine kleine, einfache Geschichte ist's, die ich erzählen will! Viele mö- gen sie zu einfach, zu alltäglich MDMA finden, sie mögen es nicht verste hen, wie man ihr sein Interesse widmen kann, viele werden die eigenartige Poesie, die tiefe Lebenswahvheit, welche sie enthält, erken nen und gerade ihre schlichte Natürlichkeit wird sie ergreifen! — Sie werden sie zu den vielen, ungelösten Rätseln des Lebens zählen, welche einst alle gelöst und gelichtet werden sollen, in jener „andern" Welt! — Für diese Leser will ich meine kleine Ge schichte schreiben! Der Staub wirbelte auf! .... Ein Wa gen mit zwei muntern Braunen bespannt, rollte durch blühende Ebereschenbäume, durch ein im Wind rauschendes Kornfeld seinen Weg sich bahnend, auf der sandigen Land- straße dahin. Ein alter Herr mit freundlichen, frischen Gesichtszügen, das Reisekäppchen auf dem weißen Haar, eine brennende Zigarre im Mund, blickte mit vergnügtem Schmunzeln auf das Ziel seiner heutigen Fahrt, auf das kleine Gebirgsdorf, das sich in seiner friede- vollen Schönheit im Abendsonnenschein vor seinen Augen ausbreitete. Besonders ein Häuschen, an welchem der Wagen soeben vorüberfuhr, schien seine volle Aufmerksamkeit zu fesseln. Es lag etwas getrennt von den andern Häusern und bildete den Anfang des Dorfes. Der Kutscher mutzte langsam fahren, so sehr gefiel dem Reisenden dies kleine Haus! — Es war nur einstöckig gebaut und weder elegant, noch den Regeln architektonischer Schönheit entsprechend, aber um so größer war der Zauber, welcher von ihm ausging, denn bis zum Giebel hinauf war es von den schönsten, weißblühenden Rosen umrankt! In den Fensterscheiben spiegelte sich mit ihrem Purpurglanz die untergehende Sonne ab und zwischen den Rosenranken tauchte das Gesicht eines liebreizenden Mädchens auf, ein Gesichtchen so voller strahlender Lebenslust, voll reiner Glückseligkeit, daß es dem alten Mann erschien, als habe er seit seiner eignen Jugend nicht mehr etwas so Liebliches ge sehen! — Er zog sein Käppchen vom Haar und grüßte das junge Mädchen, als der Wagen so dicht am Fenster vorübersuhr; er hätte ihn halten lassen mögen und bitten: „O! Erzähle mir etwas von Deiner fröhlichen, gläubig vertrauenden Jugend!" — Das reizende Gesicht errötete über den Gruß des Fremden. Es nickte ihm freundlich zu. Die schönen, dunklen Augen leuchteten wie Diamanten im Sonnenglanz. Sie stachen eigentümlich ab gegen die wei ßen Rosen! ... i „Wer war das?" — fragte der Reisende, als sich die Braunen wieder in Trab zu setzen-begannen und sie außer Hörweite des Häuschens gelangt waren. — „Die Annie Roland, Herr!" erhielt er zur Antwort. — — „Glaub's wohl, daß sie Euch gefällt mit ihrem schmucken Gesichtet'! — — Ihr seid nicht der erste, der mich nach ihr ge fragt!" .... —„ Wer sind ihre Eltern, oder leben sie nicht mehr?" — „Der Vater ist tot! Er war früher Schulmeister im Dorf! — Die Mutter zog hierher und hat viele Jahre für die Stadtherrschaften genäht und gestickt! Sie soll ein hübsches Sümmchen zu sammengestickt haben! — — — Wenn die Annie Hochzeit hält, wird sie wohl ihr eigen Linnen mitbekommen! S' sind immer stille ordentliche Leut' gewesen!" . . . — „So ist das junge Mädchen schon eine Braut?" — — „Ei freilich hat die Annie Roland ih ren Schatz, und noch dazu einen von der „fei nen" Sorte! — — So um's Christfest herum, als wir die Eisenbahn hierher bekommen sollten, da hat sich einer von den vornehmen Herren bis über die Ohren in sie verliebt, und seitdem ist die Annie des Glaubens, daß unser Herrgott schon auf Erden seinen Himmel für sie auf geschlossen hab! — — — ^-ie lacht und singt und zählt die Stunden bis zu ihrem Hochzeitstag, ihr Schatz könnt' es kaum eiliger damit haben!" .... So glücklich war also das junge Geschöpf dort in dem kleinen Rosenhause! — So deutlich hatten seine Gedanken sich in den lieblichen Zügen abgezeichnet! — Der alte Herr konnte diesen Ausdruck strahlender Glückseligkeit gar nicht vergessen! — „Und wann denkt sie Hochzeit zu ma chen?" — fragte er noch einmal seinen red seligen Gefährten, bevor der Wagen vor dem Gasthaus „zur goldenen Traube" hielt, in dem er sein Nachtquartier bestellt hatte. — — — „Weiß' nicht, Herr! .... Die Leute reden vom nächsten Sommer, wenn wieder die Rosen blühen! — Dann soll der Annie ihr Schatz ein „Baumeister" geworden sein und sie sich heiraten können! — — Bis dahin aber läuft noch viel Wasser die Berg' herunter!" .... — „Wie meint Ihr das?" — — Der Wagen hielt und ein weißer Spitz fuhr kläffend den Pferden zwischen die Füße. Ein Hausdiener stürzte aus „der golde nen Traube", den Gast zu empfangen. — „Von wegen der Treu' hab' ich's ge meint!" — sagte kopfschüttelnd der biedere Rosselenker, der sich durch nichts beirren ließ. — — „Die soll ein gar zerbrechlich' Ding da hinter unseren Bergen sein! ! — Hab's sagen hören, Herr! .... Grütz Gott!" Dann knallte er mit seiner Peitsche lustig in der Luft und die Braunen sehnten sich wiehernd nach der gefüllten Krippe. Der Reisende sehnte sich auch nach der wohlverdienten Ruhe; — er wickelte seine Geschäfte ab und suchte dann das Giebelstüb chen auf, das man ihm angewiesen! Äom Fenster aus hatte er einen herrlichen Blick über das Tal, über die Wiesen und Felder, die vom Mondlicht golden überstrahlt waren! Tief unten, wo der Gebirgsbach die Müh lenräder trieb, schimmerte ein silberheller Punkt aus all' dem goldenen Glanz hervor, — — das kleine Haus mit den weihen Rosen! — Ob wohl die Annie Roland wirklich Hoch zeit feiern würde, wenn über's Jahr wieder die Rosen blühten? — — Der alte Herr stand noch lange am Fen ster und sah in die Mondnacht hinaus! — — Gerade ein Jahr war seitdem verstri chen! — Die Bahn war fertig gebaut und der Ver kehr zwischen Stadt und Land um ein Be deutendes erleichtert worden. — Unser alter Freund, dessen Geschäfte ihn auf's neue an diese Gegend fesselten, hatte dieses Mal kaum ein halbes Stündchen vom Bahnsteig bis zur „goldenen Traube' zu fahren! Es war wie damals um die Abendzeit, als er an dem Rosenhau^e vorüberfuhr. —- — Wie damals zitterte das Sonnenlicht über den weihen Blumen, und dennoch schien ihm etwas verändert zu sein! — Annie Roland, an die er gedacht, saß heut nicht am Fenster, aber sie war noch da heim. Sie mußte noch nicht Hochzeit gehalten haben! Sie lehnte an dem Staketenzaun ih res Gärtchens und starrte unverwandt in die Sonne Ihre Finger zerpflückten eine kleine Ro senknospe, ihr liebliches Gesicht war lo durch sichtig, so weiß, wie die Blätter, welche in den Sand zu ihren Füßen fielen. Es lag etwas Müdes, etwas Teilnahm- loses in ihrem Blick; sie,achtete nicht auf den vorüberrollenden Wagen, sie dachte nicht an die arme, zerpflückte Blume, der sie so grau sam das kurze Leben abgeschnitten, sie mußte nicht einmal Schmerz empfinden, wie sie so unverwandt in den funkelnden Sonnenball schaute, oder doch? .... Denn plötzlich blickte sie auf die Rosenblätter, mit denen der Abend wind zu spielen begann und über ihr blasses Gesichtchen liefen die Tränen ..... der alte Herr konnte es deutlich sehen! — Es ist etwas merkwürdiges um das Menschenherz! — Des Lebens höchstes Glück, sein tiefstes Leid, es kann beides in sich bergen und beide Male wird das Auge dem Leben wieder da von sprechen! — Ein kurzes Jahr, und jenes leuchtende Mädchenauge, das damals seinen Himmel schon auf Erden wähnte, konnte heut über eine entblätterte Rose weinen? — „Was mit der Annie Roland passiert ist?" . . ... meinte die Wirtin „zur goldenen Traube" in ihrer gutmütigen Weise zu dem Fremden: — — »Ja, gnäd'ger Herr, s'ist halt ein närrisch' Ding um's Lieben, und unser Herr gott hätt' gar viel zu tun, wenn der ans alle Schwär' hier drunten horchen wollt', die oft genug gesprochen und gebrochen werden! .... Mit der Annie ist's nun so gekommen, wie unsereins sich das gedacht! — Das junge Blut will ja stets klüger sein, als die Alten, die schon das Leben kennen! — Aber 's bleibt doch ewig schad' um das liebe Ding und verdient hätt's wahrlich ein besser Los! Wenn's so geblieben wär', wie sie gehofft, hätt' sie heut Hochzeit feiern können! Nun soll's eine andre geworden sein, mit der ihr vornehmer Schatz vor den Altar tritt, und die Annie weint sich derweil die Augen rot!" — — „Und weshalb ist's eine andre ge worden?" — — — „Weil sie ein armes Mädel ist, das ihm zur Kurzweil gut genug gewesen, — nur eine Frau Baumeisterin bürst' sie nicht werden! — Da hätten ihn die vornehmen Leut' ja über die Achsel angucken können, — das hätt' den jungen Herrn mehr bedrückt, als wenn sie ihr nicht die schuldige Ehr' erwiesen!" Einen Moment hielt die gute Alte inne, dann mochte eine weichere Regung durch ihre Seele ziehen. — — „Die Annie glaubt's nicht, daß er's bös gemeint!" — fuhr sie nach einer Weile fort mit Plaudern. — — — „Sie sagt den Nachbarsleuten, daß sie's nicht vergessen könnt', wie glücklich sie in seiner Lieb' ge- > wesen! —