Volltext Seite (XML)
Weit Im LI Ick, ves ^rmen keicvtum. Von A. Wahlenberg. 2 Au- dem Schwedischen von E. Vilmar. ie hatten alles, was ein Menschen- Herz zu beglücken vermag. Ein entzückendes, schloßartiges Heim, tzas, auf dem Hügel am See ge legen, mit seinen weißen Mauern, seinen blitzenden Spiegelscheiben und spitzen Tür men durch das durchsichtige Laubwerk der Birken schimmerte. Sie hatten Geld und Gut, Kinder, die sie lieben, Untergebene, die sie schützen konnten. Sie besaßen Jugend und Gesundheit und — sie besaßen einander. Doch über all diesen Reichtum war ein Schatten gefallen, der ihnen den blauen Sep temberhimmel, die leuchtende Farbenpracht des herrlichen Spätsommers und dessen köst liche Mondscheinabende verdunkelt hatte. Dieser mächtige Schatten rührte indes von einem ganz unansehnlichen menschlichen Wesen her — einem kleinen Mann mit plat ter Brust und ein wenig hervortretendem Rücken, mit langen Armen, buschigem, schwar zem Haar, nervös zuckendem Mund und einem Paar kleinen, unschönen, stechenden Augen unter einer knotigen Stirn. Aus purem Wohlwollen hatte man ihn gegen Ende des Sommers eingeladen. Man bedauerte den armen kleinen Mann, der das ganze Jahr über in seinem Kontor einge schlossen saß. Er brauchte etwas frische Luft, Ruhe und Erholung. Doch das Unglück wollte, daß Vetter Ed win seine eigne Auffassung des Begriffs „Er holung" hatte. Er zählte zu denen, welchen seelische Nahrung nicht minder Lebensbedürf nis ist, als leibliche Kost, und jene suchte er vornehmlich im Umgang mit begabten Men schen. Hier draußen auf dem Land war diese Gattung jedoch sehr spärlich vertreten und auf dem Gut lediglich durch seinen Vetter und dessen Frau, denen er sich daher eng atta- chierte. Er folgte ihnen auf Schritt und Tritt. Machten sie einen Spaziergang, so war er an ihrer Seite. Zogen sie sich nach Tisch in ir gend ein entlegenes Gemach zurück, so hatte er sie sehr bald aufgefunden. Seinen Vetter begleitete er treulich auf Felder und Wiesen, zwang ihn, seine langen Schritte seinen kur zen anzubeguemen und saß stundenlana in seinem Kontor, wo er Zeuge all seiner Ver handlungen mit Großknechten und Pächtern War. Und ebensowenig verfehlte er, der Frau seines Vetters seine Aufwartung zu machen, gleichviel wo sie sich befand, im Salon oder Küche, Kinderzimmer oder Speisekammer. Aber das Schlimmste war seine Vorliebe für geistige, bildende Unterhaltung. Er konnte sich stundenlang in wissenschaftlichen Vorträgen ergehen und noch einmal so lange deklamieren, ohne je zu ermüden. Allabend lich brachte er aus der Bibliothek Byron, Scott, Goethe, Dickens oder sonst irgend et was Klassisches anqeschleppt um seinen Wir ten daraus vorzulesen, gleichviel ob sie wollten oder nicht, sodaß seine knarrende Stimme ih nen oft eine Marter war und sie bis in ihre Träume hinein verfolgte. Ihm anders als durch direkte Unhöflich keit zu entschlüpfen, war eine Sache der Un möglichkeit, und sowohl der Hausherr, als seine Frau waren zu wohlerzogen, um sich die ses Hilfsmittels zu bedienen. Sie versuchten es statt dessen mit zarten Winken und Anspie lungen; sie fragten, ob fein geschäftlicher Ver treter auch absolut zuverlässig sei und beton ten wiederholt, wie herbstlich es bereits ge worden und wieviel angenehmer man um diese Jahreszeit in der Stadt als auf dem Lande lebe. Allein es half nichts. Dem klei nen Schatten gefiel es hier draußen ganz aus gezeichnet, und es fiel ihm gar nicht ein, diese Winke auf sich zu beziehen. Nun weilte er bereits vier Wochen bei seinen Verwandten, die, sobald es ihnen einmal gelang, sich einen Moment des Alleinseins zu erobern, einander aufzufordern pflegten, der Sache ein Ende zu machen und dem Störenfried auf möglichst schonende Weise zu verstehen zu geben, daß seine Anwesenheit hier nicht länger er wünscht sei. Als man an einem warmen, sonnigen Nachmittag auf dem Balkon saß, begann Vetter Edwin sentimental zu werden und eine Molltonart anzuschlagen. Ach, er wisse wohl, sagte er^ daß dieses äoloo kur nisnks nicht ewig währen könne. Ihm wäre bereits, als vernehme er ferne Stimmen, die ihn riefen und ihm keine Ruhe gönnen wollten. „Na endlich," flüsterte Gustav, der Haus herr, seiner Frau ins Ohr, während er sie vor Freude sanft in den Arm kniff. „Vielleicht habe ich Eure Gastfreundschaft schon allzu lange in Anspruch genommen," fuhr der Vetter fort. „O! . . ." protestierte Frau Elvira aus Höflichkeit. Es war der gelindeste Protest, der ihr zur Verfügung stand. „Ja, ja," sagt der Vetter kopfschüttelnd, „man darf niemals so selbstüberzeugt sein und sich für so liebenswürdig halten, daß man annimmt, die Leute könnten unsrer Gesell schaft nicht überdrüssig werden." Darin hatte er ja vollkommen recht; doch aus seinem Mund wirkte diese Bemerkung ein wenig verblüffend. Dieses unerwartete Einsehen mußte aber durch Freundlichkeit be lohnt werden, zumal es sich für Leute von Bildung und Takt von selbst versteht, dem, der seinen eignen Wert herabsetzt, zu wider sprechen. Die junge Frau sah ihren Mann an, da dieser jedoch keine Anstalten dazu machte, so hielt sie es für ihre Schuldigkeit, zu ant worten. „Aber, lieber Edwin," sagte sie, „wir ha ben uns ja so gut miteinander gestanden." „Danke, danke. Ja, es freut mich, daß ich hier und da etwas zu Eurer Unterhaltung beitragen konnte." Der kleine Schattenwerfer wußte ja selbst am besten, wie er sich abends für sie heiser gelesen, wie treu er ihnen Gesellschaft gelei stet und wie er stundenlang über alle mög lichen interessanten Thematas konversiert hatte, obwohl die beiden andern mitunter ein wenig geistige Trägheit an den Tag gelegt hatten. „Aber," fuhr er fort, „Ihr habt nun doch wohl genug von mir und würdet es höchst wahrscheinlich gern sehen, wenn ich schon mor gen mein Ränzel schnürte?" „Bewahre, wie kannst Du nur glau ben... Elvira verstummte; denn Gustav hatte sie abermals in den Arm gekniffen, aber dies mal nicht vor Freude, das fühlte sie deutlich. Ihre Worte hatten indes genügt, den Vet ter zufrieden zu stellen, und er erging sich aufs Neue in Lobeshymnen des herrlichen ckolcw kar nisnto, das ihm hier zu genießen ver gönnt war. Dabei fiel ihm unwillkürlich Snoilsky's also betiteltes Gedicht ein. Er wollte es sogleich vorlesen; es paßte ja vor trefflich hinein in diese warme, sonnige Nach mittagsstille. Er erhob sich, um das Buch aus der Bibliothek zu holen, öffnete die Balkontür und trat in den Salon. Sobald er außer Hörweite war, machte Gustav seiner unterdrückten Erbitterung Luft. „Du ermutigst ihn also noch, Elvira?" rief er erregt. „Das hätte ich denn doch nicht geglaubt." „Tue ich das?" „Ja, gewiß tust Du es. Du hast ihn ja geradezu gebeten zu bleiben. Ich bin doch nicht taub." „Aber Gustav, ich konnte doch nicht . . . ." „Nein, ich weiß wohl, Du konntest es nicht unterlassen. Aber ich sage Dir, ich ertrage es nicht länger. Und wenn Du glaubst, ich werde mich darein finden, ganz bescheiden dazusitzen und zuzuhören, wie er uns seine verwünschten Poesieen vorwimmert, so irrst Du. Dein Geschmack ist nicht der meine." „Aber schrei' doch nicht so!" „Jawohl, ich schreie, wenn es mir beliebt; denn es ist mein Haus, obwohl es niemand einzuleuchten scheint. Es ist mein Haus! Es ist mein Haus!" Er sprang auf, stieß seinen Stuhl heftig fort und ging zum Salon. Doch auf der Schwelle desselben fuhr er unwillkürlich zurück. An einem kleinen Tisch in der Nähe der Balkontür stand der Mnr Vetter mit der Probenummer einer neuen Zeitschrift in der Hand, Wer welche sein Blick hinweg ins Leere starrte. Auf dem Weg zur Bibliothek war ihm die interessante Neuheit zufällig ins Auge gefallen, er war stehen ge blieben, um einen Blick darauf zu werfen und dabei Ohrenzeuge des kurzen Wortwechsels der Gatten geworden. „Du stehst hier?" begann Gustav, nachdem er sich von der ersten Ueberraschung ein wenig erholt hatte. „Ja, zufällig." Elvira, die ihrem Mann gefolgt war, stand blaß und betreten auf der Schwelle. „Nun, da Du meine Aeußerung gehört zu haben scheinst, ist nichts dabei zu machen," sagte Gustav. „Ich kann meine Worte pickst zurücknehmen. Elvira und ich sintMwei junge Menschen, die einander noch nich^ber- drllssig geworden sind, und brauchen Mhel! keinen dritten, der uns vom Morgen bis zumf Abend Gesellschaft leistet." Und ebenso ärgerlich über sich selbst, wie über die andern entzog er sich der unbehag lichen Situation, indem er mit langen Schrit^ ten das Zimmer verließ. Elvira wäre ihm nur zu gern gefolgt, doch abgesehen davon, daß es zu lächerlich ausgesehen hätte, wenn sie alle beide davon gerannt wären, hielt sie auch der Wunsch zu rück, das Verletzende in den Worten ihres Gatten tunlichst zu mildern. „Ach, Edwin, wie tut mir das leid!" stieß sie beklommen hervor. Er hatte während der letzten Minute un beweglich dagestanden, die Augen starr auf das Blatt in seiner Hand gerichtet, nun aber hob er den Blick zu ihr, mit einem eigentüm lichen Ausdruck, den sie nicht zu enträtsel» vermochte. „Ich wußte nicht, daß er s o ist," sagte el mit nachdrücklicher Betonung des vorletzte» Wortes. Die Bemerkung war etwas dunkel, dock; nicht sein Mienenspiel und der begleitende Blick, der fragend, forschend, voll neuerwach' ten Empfindens auf ihr ruhte. „Wäre es möglich, daß er glaube» könnte....?" dachte sie betretend Wann» maß er Gustav die ganze Schuld bei, ohne die Möglichkeit ins Auge zu fassen, daß sie des Gatten Meinung teilen könnte? Und wann» war der bezeichnende Blick, der dem Davon"