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«eil «m »Ila. vrutrchr kolrrcvnNrlcunrt. Schon seit alten Zeiten ist auf dem Ge biete der plastischen Kunst im Süden und Nor den unseres Kontinents in betreff des zur Ver wendung gelangenden Materials eine strenge Scheidung offen zu tage getreten. Während der Süden, auch zu der Zeit, als er noch nicht in dem Matze wie heute entforstet war, stets den Stein demHolz vorgezogen hat und diesen mi neralischen Schatz der Ber ge, der durch seine Haltbar- tcit, den Reich- tum seiner Struktur, die Sauberkeit und Glätte der po- lierten Ober fläche sich em pfahl, auch für das Inventar derKirchen und Häuser reichlich beansprucht hat, neigte un ser deutscher Norden von je mehr dem Holz zu, wie es der deutsche Wald in unerschöpf- licherFülleund Mannigfaltig keit aubot. Die Kunst der Holz schnitzerei ins besondere ist ein spezifisch nordi sches Geheim nis gewesen. Wir können im weiten deut- schenReichetau- sende von Be lägen für diese Behauptung anführen,grotze Schätze für die Geduld hei- schenke, ein sicheres Augc und sichere Hand bean spruchende Kunst, bewun dernswerte Werke, die wir iin sonnigen Italien vergeb lich suchen würden. Das Holz gibt zweifellos eine außerordentlich 'eiche Abwechs lung in der Behandlung her. Hier hat nicht eine ursprüngliche organische Bruchform, wie beim Stein, stehen zu bleiben, sondern die Hülle darf ohne Scheu wegge schnitzt werden und jede Grenze wird durch angeleimte Stücke überwunden. Eine wahre Fundgrube für den Bewunderer künstlerischer Schnitzereien sind dieK'rchen des frühen Mittel ¬ alters, die oft eine grotze Menge dieser Klein- s odien auf verhältnismähig kleinem Raum ver- einigen. Zum großen Teile waren hier die ausübenden Künstler Mönche, die man von allen Pflichten entbunden hatte, damit sie in Bürgermcisterstuhl in der Marienkirche zu Lübeck. völliger Ruhe Jahre und Jahrzehnte sich am Holz betätigen konnten und mit Frömmigkeit und unendlicher Geduld stille Gedanken in zierer Form aus den Stücken herauszauberten. Wie mancher klösterliche Buchmaler sich an den Miniaturen eines dicken Codex tot gepinselt hat, so gab es auch schnitzelnde Einsiedler, denen erst der Herrgott das Messer aus der Hand nahm, das er in beschaulicher Freude so lange geführt. Die Chorstühle boten die passendste Gelegenheit zur Anwendung reichster Schnitzereien, und eine wahrhaft prunkvolle Entfaltung präsentiert sich heute demAuge des bewun dernden Be schauers. Im Jahre 1248 legte Konrad von Hochstaden den Grund zum Kölner Donn es ist die letzte monumentale Leistung des mittelalter. lichen Episko- palismus. Genau hundert Jahre später, 1848, wurde die Marien kirche in Lübeck gebaut, von deren wunder barer Aus stattung die vorstehendeAb- bildung einen ungefähren Be- griff gibt. Ihr Schöpfer war nicht ein Bi schof, sondern die Bürger der Freien Stadt. Dementspre chend wurden die Chorstühle nicht mehr für das geistliche Kapitel, wie ehedem stets, sondern für Zunftmeister und Gildeher ren, für Bür germeister und Stadlräte ge richtet. Der Holzschnitzer trug nicht mehr die Kutte, son dernden kurzen Bürgerrock. Reiche Stiftun gen sorgten hier für den nötigen Prunk, denn es ist Ehrensache der Patrizier, gut zu „sitzen". Freilich fehlt dieser bürger lichen, soviel prunkvolleren Holzschnitzerei die stille Poesie; feste Aufträge und bestimmte Wünsche der Auftraggeber führten zum Schema und zur Monotonie. Trotz alledem bleibt die Aus stattung der Lübecker Marienkirche ein be- Wundernswertes Denkmal deutscher Holz schnitzkunst, das wir heut auf keinen Fall missen möchten.