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Hell n» UHU. ^^>^^Xv2XL^<21XSzXd^)X2lX2l^2^>^)X21XvlX2lXrlX2 chen schneit, und wochenlang die Zeitung das einzige ist, was von draußen in das Haus tommt! Wie anders solch eine Großstadt mit ihren mannigfaltigen Genüssen! Wäre aber Susanne in einer solchen verheiratet, dann verstand es sich von selbst, daß die Mut ter bisweilen nach der Tochter sah, und dabei würde diese Gelegenheit haben, manches zu sehen und zu hören, wonach man sich in einer fiinfundzwanzigjährigen ländlichen Einsam leit — aber das durfte der Gatte beileibe nicht wissen — oft genug schmerzlich gesehnt hatte. Nun, noch war es nicht aller Tage Abend! Sie kannte ihr weichherziges Kind und wußte, daß Suschen sich schließlich doch zu ihrem Glücke bereden lassen würde, wenn sie sah, wie glücklich sie zugleich auch die Mutter machte. Aber wo blieb denn das Mädchen? Da schlug es wahrhaftig schon fünf, und Susanne war doch nur nach der Mühle gegangen, um dem schwerkranken Müller eine Erfrischung zu bringen. Wenn die Frau Pfarrerin gewußt hätte, wem ihre Tochter auf ihrem Wege längs des erlenumsäumten Baches begegnet war! Wohl war es des Mädchens erster Gedanke gewesen, schleunigst umzukehren, als sie erkannt, wer der war, welcher da vorn vow der staubigen sonnigen Chaussee in den schattigen Fußweg abbog, doch schon hatte jener, die Augen vom Boden hebend, auch sie wahrgenommen und zog grüßend den Hut, wobei es wie freudiges Erschrecken über sein Gesicht flog. „Sie gehen einen Samaritergang?" fragte Walter Olzen, auf das Körbchen deutend, welches sie in der Hand hielt. „Und auch ein Stückchen Frühling wollen Sie in ein Haus tragen: Tulpen, Goldlack, Anemonen. Frei lich, morgen ist ja Pfingsten, das Fest der Freude, — nur nicht für einen jeden," setzte er in verändertem Ton hinzu, und ein Schat ten breitete sich über seine eben noch heitern Züge. Susanne meinte, der andre müsse ihr Herz klopfen hören, so heftig schlug es in der jun gen Brust. „Der Müller, furchte ich," ent gegnete sie nicht ohne Anstrengung leise und gepreßt, „wird auch kein frohes' Pfingstfest haben; ich gehe soeben zu ihm." „Ihre Teilnahme wird ihm wohltun." Wie herb das klang! Jetzt erst wagte sie den Blick zu dem Sprecher zu erheben: wie bleich und schmal er geworden war! Wohl drängte sich ihr der aus tiefstem Herzen kom mende Wunsch auf die Lippen: „Könnte ich mit meiner Teilnahme auch einem andern wohltun!" doch sie sprach ihn nicht aus. Ob er ihn aber vielleicht in ihren feucht werden den Augen gelesen? „Daß das Schicksal in einem Augenblick einem Menschen sein ganzes Lebenglück ver schütten kann!" stieß er voll Bitterkeit hervor. „Leben Sie wohl, Fräulein Susanne!" Wie diese in die Mühle gekommen? wie sie Worte des Trostes und der Teilnahme zu finden vermocht — sie wußte es selbst nicht. Erst als von draußen das Geläute der Glo cken durch das geöffnete Fenster in die niedere dumpfige Stube hereindrang, zuerst in ein zelnen schüchternen Schlägen, dann in vollem harmonischem Dreiklang, kehrte ihr das Be wußtsein der Gegenwart zurück. „Horch, horch," hörte sie den Müller stöh nen, indes seine Hände hastig auf der Bett decke hin und her griffen, „jetzt läuten sie draußen das Pfingstfest ein! Wie lange wird's dauern, und sie läuten hinter mir her! Und das Leben — ist doch so schön, wenn's auch zumeist — nur Sorg' und Arbeit ist! Aber das Sterben," er schüttelte sich, „das Sterben ist halt — so schwer! Herrgott im Himmel, das Geläut', das Geläut'! Hörst Du's, Tine," wendete er sich angstvoll zu seiner verstohlen vor sich hin weinenden Frau, „wie die Glocken herein rufen: „Sag's! Sag's!" Ob ich's wohl sag?" setzte er, wie zu sich sel ber redend, flüsternd hinzu. „So treibt er's alleweile," klagte die Müllerin, „der Doktor spricht, es kommt von der Schwäche. Aber wart', Heinrich, ich hol' Dir einen Schluck Wein von dem guten, da geht's vorbei." Während die Frau hinaus ging, schaute Susanne in einem Gemisch von Mitleid und Grauen auf das angstentstellte Antlitz des Kranken. „Soll ich Ihnen vielleicht den Va ter herschicken?" fragte sie, von einem plötz lichen Gedanken erfaßt. Jener nickte. „Ja, ja, — den Herrn Pfarrer, — aber gleich, — damit ich mich — nicht anders besinn'. Herrgott im Himmel, da fängt's schon wieder an, — das Geläut' — das Geläut'." — Eine Viertelstunde später saß Pfarrer Hiller an des Müllers Bett. „Hören Sie nicht drauf, Hochehrwürden, wenn mein Alter dummes Zeug schwatzt," sagte die Hausfrau, „am Abend steigt allemal das Fieber. Gelt', Heinrich," wendete sie sich besorgt zu dem Genannten, „Dein Gefasel kommt nur von der Schwäche?" „Ich darf Sie wohl bitten, Frau Berin ger, mich mit dem Kranken jetzt allein zu lassen," ersuchte Hiller, „sollte es nötig sein, werde ich Sie rufen."' „Und nun, mein lieber Beringer," wen dete sich jener zu dem Patienten, „sprechen Sie zu mir, wie zu einem alten Freund, der ich ja in Wahrheit auch bin; und was es auch sei, das — wie meine Tochter mir sagte — Sie mir anvertrauen möchten, so glauben Sie, nicht zu richten und zu verdammen ist unseres Amtes, sondern zu trösten und zu versöhnen." Wie die milden Worte dem Manne sicht lich Wohltaten, der sich jetzt mit Hilfe des da neben Sitzenden in den Kissen aufrichtete! „Sie kennen die Chaussee von Langen dorf, Herr Pfarrer," begann er zuerst noch zaghaft, „auf der man eine Stunde gehen kann, ehe einem ein Mensch begegnet. Dort, wo die Hohle ansteigt, ist der Weg so schmal, daß ein Geschirr knapp an dem andern vorbei kann. Wie ich damals — 's war der elfte November — von draußen hereinLekommen bin, hatten gerade die Steinklopfer an der einen Wegseite auch noch Haufen aufgeschütt'." Hiller horchte auf. „Da war ich denn nicht schlecht er schrocken," fuhr jener fort, „als von so einem Steinhaufen mit einem Male einer aufspringt und mir gerade vor die Pferde, denn ich hatte ein paar hundert Mark Geld bei mir. Bevor ich aber dem Menschen eins mit der Peitsche drauf hauen konnte, waren die erschreckten Tiere auch schon fortgesaust. Ich dreh' mich also um, ob der hinter mir wohl nachkommen wird." — Als ob bei der Erinnerung ein Schauder ihn schüttle, brach der Mann ab, doch schon legte ihm mit einem zwingenden „Weiter!" der Pfarrer die Hand auf die unruhig zucken den Finger. „Es kam keiner," fuhr jener in ühsam fort, „aber — auf dem Weg — lag einer. Da hab' ich die Braunen zum Stehen gebracht, — bin abgesprungen und das Stück retour gelaufen 's war der Weber Frieder, der dort lag, — aber keinen Schnau fer hat er mehr getan, — denn das linke Borderrad — war ihm — just über den Kopf gegangen." Erschöpft die Augen schließend, sank der Sprecher bei dem letzten Wort in die Kissen zurück. Hatte der Kranke im Fieber, in der Schwäche geredet? Eine Minute lang blieb es still im Zimmer; nur die Amsel, welche draußen vor dem Fenster im Birnbaum saß, hörte man ihr Abendlied singen. „Beringer," begann jetzt der Pfarrer mit erzwungener Ruhe, „Sie sind krank, deshalb schreiben Sie sich zu, was bekanntlich ein and rer verschuldet: hat doch der Schieferbruch besitzer selber angezeigt, daß er den Friedrich Heßler überfahren hat." „Daß er's statt meiner getan hält'!" stöhnte jener gequält. „Ueberfahren freilich mußt er ihn, als er eine halbe Stunde nach mir in der Dunkelheit durch die Hohle kam, lag doch'— der Frieder quer über den Weg, nur daß es — kein Lebendiger, — sondern — ein Toter war." „Und da hätten Sie es über sich gebracht, zu schweigen, als ein andrer der fahrlässigen Tötung sich anklagte und die Fürsorgen für die Weberfamilie übernahm?" fragte Hiller vor wurfsvoll. „Heut tüt' ich's nicht, heut nicht," klagte der Daliegende, „aber damals im Schreck und in der Angst. — Die Aussagen bei den Ge richten, — das arme Volk, das ich auf die Tasche kriegte. — Der Schieferhofer hatte mehr Zeit, — mehr Geld — als ich." Ein tiefer schmerzlicher Seufzer hob des Hörers Brust. „Müller Beringer," sagte er, „wie sträflich unrecht Sie gehandelt, das sagt Ihnen jetzt Ihr eignes Gewissen. Nicht aber, daß der Weber durch eignes Verschulden un ter den Rädern Ihres Wagens den Tod fand, ist es, was Sie anklagt, sondern daß Sie einen Schuldlosen mit einer Selbstanklage sich bebürden ließen, daran er möglicherweise zu grunde gegangen wäre. Jch^ehe zur Stunde zu ihm, seinem Herzen und'Gewissen Ruhe und Frieden zurückzugeben, Ihnen aber kann ich hoffentlich morgen schon seine Verzeihung bringen. Und nun," schloß er, sich erhebend, „will ich Ihnen Ihre Frau senden; ich hoffe, daß diese, nachdem das Verschweigen Ihres Unrechts Sie nicht mehr drückt, heut nacht einen ruhigeren Patienten haben wird. Gott aber ist barmherzig und verstößt keinen Reu igen." Der Kranke haschte nach der sich ihm dar bietenden Hand. „Und wenn ich — sterben sollte?" „Leben wir, so leben wir dem Herrn, ster ben wir, so sterben wir dem Herrn," rezitierte der Pfarrer feierlich, „darum, wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn!" „So sind wir des Herrn!" wiederholte leise der Müller, während sich hinter jenem die Tür schloß. ...... Auf dem Schieferhof sanden in dieser Nacht zwei Menschen keinen Schlaf: die gelähmte Frau, welche nicht müde wurde, Gott zu danken, der von dem geliebten einzigen Sohne die Bürde genommen, daran er so schwer getragen. Am weit geöffneten Fenster aber stand ein junger Mann und meinte, daß der volle Mond dort oben noch nie so hell ge strahlt, der Flieder drunten im Garten noch nie so berauschend geduftet habe. Frei und leicht war ihm das Gewissen, doch voll und heiß das Herz. Und in die Richtung, wo das Pfarrhaus liegt, schweift sein Blick: dort unter dem lindenbeschatteten Dache schläft zur Stunde sein Glück. Morgen aber im Licht der Pfingstsonne wird er wissen, ob Pfingst wonne, welche die ganze Schöpfung atmet, auch in den stillen Schieferhof einziehen wird.