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Im europäischen Wetterwinkel. Reisebriefe von Paul Lindenberg. (Nachdruck verboten.) XIV. (Schlußbericht.) Ein anderes Bild, wie Argesch, und em anderer Klang, uns Deutschen vertrant, als ob er unserer Sprache entnommen: Sinaia! Hat doch seit langem Carmen Sylva, als Fürstin wie als Dichterin unseren Herzen gleich nahestehend, unsere Phantasie erfüllt mit den Schön- heilen dieser tannenwürzigen, felsumschlossenen Einsamkeit und mit deren Sagen und Geschichten. Und wie ein holder Traum umfängt uns nun die Wirklichkeit, diese wunderbare Wirtlichkeit, die uns das Hasten und Treiben dieser Welt da draußen mit einem Male verschwinden und alles Kleinliche und Sorgenvolle versinken läßt, unsere Seele tief bewegend durch die Großartigkeit der herrlichen Gotteswelt. Mit feierlichem Wehen berührt sie uns in diesem stillen, poesieumhauchteu Erdenwinkel, in welchem, wenn die Dämmerung herniedersinkt und nur noch die höchsten Spitzen des gigantischen Karaiman von dem röth- lichen Scheine des feurigen Gestirns geküßt werden, man einzig das leise Flüstern der Blätter und das melodische Plätschern des Pelesch vernimmt. Ein Fürstenwort, verbunden mit fürstlichem Beispiel, hat auch hier eine gedeihliche Saat ersprießen lassen. Denn dieses heute so blühende Sinaia mit seinen reizenden Park anlagen, seinen vornehmen Hotels, die sich nirgends lässig in den Vordergrund drängen, ist nur durch den König entstanden. Noch vor drei Dezennien lag hier ein jämmer liches Dorf und oberhalb desselben das im Jahr 1695 erbaute Kloster mit seinem Kirchlein. Fürst Carol besuchte den Ort bald nach Antritt seiner Regierung und fühlte sich derart angezogen durch ihn, daß er beschloß, hier seinen Sommeraufenthalt zu nehmen. Aber nirgends war eine Unterkunft zu finden und bei der Unsicherheit der Verhalt- nisse an die Errichtung eines eigenen Heims noch nicht zu denken. So bat der Fürst die Mönche, ihm Unterschlupf zu gewähren, und er bezog einen Nebenbau des Klosters, der nur im Erdgeschoß ein paar Zimmerchen birgt, wahre Liliput-Räume, deren größter Raum acht Meter im Geviert enthält, während die Schlafkammeru durch eine schmale Bettstelle, einen Waschtisch und einen Stuhl völlig aus gefüllt werden. Hier quartierte sich der Fürst ein und hierher führte er nach seiner Vermählung seine Gemahlin, das schöne feinsinnige Fürstenkind vom Rhein, die an der Seite des geliebten Mannes und in dieser zaubervollen Gegend alle Unbequemlichkeiten übersah, welche mit einem solchen Aufenthalt verbunden waren. In den nächsten Jahren entstand an der anderen Seite der Kirche ein Neubau mit etwa sechs immer noch winzigen Zimmerchen, aber sie waren doch etwas behaglicher unv geräumiger, alle auf einen von schmalen Holzfäulen getragenen Altan gehend, von dem die Blicke voll immer neuen Entzückens über dies land schaftliche Paradies schweifen. Ganz zuletzt lag das Arbeits kabinett der Königin, dessen weißgsstrichene Wände bis zur Mannshöhe mit zahlreichen Kohlezeichnungenvon ihrer Hand bedeckt sind, meist in Lebensgröße sicher und gewandt skizzirte Bildnisse von Herren und Damen, in irgend einer lUiI WIMM besonders charakteristischen Auffassung dargestellt, Generale, Diplomaten, schöne Hoffräuleins, auch eine ganze Parade szene mit dem von fremden Offizieren begleiteten König zu Pferde. In diesen bescheidenen Gemächern verlebte das Fürstenpaar erinnerungsvolle Monde, und das Glück war vollkommen, als hier ein liebliches Kind sein zartes Stimmchen erschallen ließ, das herzige Prinzeßchen Maria, die wir im Abbilde, blondgelockt und weißumhüllt, in der neuerdings prächtig ausgeschmückten Klosterkirche sehen, die Hände auf der Brust gefaltet, während die Rechte der in Helle, wallende Gewänder gekleideten königlichen Mutter auf dem Haupte des Töchterchens ruht. Der langgehegte Wunsch des Fürsten, hier ein Schloß als Sommcrsitz zu bauen, reifte 1874 seiner Verwirklichung entgegen. Nach den Plänen des Wiener Baumeisters Doderer entstand im zaudervollen Prachowathale, nahe den kühnen Felsabhängen des Butschetschgcbirges, ein wunder voller Königssitz, wie es einen auch nur ähnlichen zum zweiten Male nicht giebt. Jeder Prunk und Pomp sind sorgsam vermieden worden, und doch schaut das Schloß in feinem Schweizerstil und mit seinen altdeutschen Zinnen, mit seinen kecken Thürmchen und von Weinlaub und Epheu dichtverrankten, holzgeschnitzten Altanen so stolz und freund lich drein, es ist ganz dem hoheitsvollen landschaftlichen Rahmen angepaßt, daß man sich eines ohne das andere kaum noch denken kann. Auch im Innern stößt man auf keinen überflüssigen Prunk; ein geläuterter Geschmack schmückte diese Gemächer und verlieh ihnen das Behagliche, das Wohnliche, den Eindruck, daß diese Räume auch thatsächlich zum Aufent halt benutzt werden, und daß jene, welchen sie als Heim dienen, sich auch wohl darin fühlen. Und wie selten ist dies sonst in fürstlichen Schlössern! Vorzügliche Gemälde alter Meister bedecken die Wände, vorsichtig gewählte Kunst werke anderer Art ziehen überall die Augen auf sich; eine kleine, alle Wissenschaften umfassende Bibliothek ent hält das Arbeitsgcmach des Königs, in jenem der Königin deuten Flügel, Harfe, Harmonium, Schreibpult und Staffelei die künstlerischen wie literarischen Neigungen der Bewohnerin an, farbige Szenen aus ihren Werken zieren oberhalb der dunklen Holztäfeleien den Musiksaal. Von den Balkons und Galerien, von den Erkern und aus den Fenstern schweifen die Blicke theils hinunter in die fernen, quelldurchzogenen Thaler mit ihren frucht bringenden Auen, theils tauchen sie hinein in die Waldes einsamkeit mit hochragenden Tannen und breitkronigen Laubbäumen, über deren Gipfel hinweg die starren Fels zacken des Petra-Arsa ragen, von dem der Pelesch herunter braust in schäumendem Gefäll und sich nahe dem Schlosse über Gestein und hochwedelige Farrenkräuter fort mit lustigem Plätschern ins Thal ergießt. Verschwiegene Wege ziehen "sich durch den Hochwald, dem man völlig seine majestätische Ursprünglichkeit gelassen, bergan geht's in dem erhabenen Waldesschweigcn, und nun ein Ausruf des Erstaunens: hoch über dem Erdboden, dicht unter den Wipfeln riesiger Föhren, auf und zwischen den Stämmen ruhend, hängt eine von schmaler Veranda umgebene Baumhütte, zu der man nur Zugang erlangt von einem nebenan errichteten hölzernen Thurm, von welchem eine Zugbrücke hiuübergelassen werden kann. Knarrend fällt sie langsam herab, wir überschreiten sie. drüben, in der bei stärkerem Winde fühlbaren Schwankungen ausgesetzten Hütte, betreten wir zunächst eine nach hol ländischem Muster eingerichtete Miniatur-Küche und von ihr aus ein kleines holzgetäfeltes Vorzimmer, darauf den winzigen Salon mit weißlackirten Wänden und Holz möbeln Prinzessin Marie, der schönen Gemahlin des Thronfolgers Prinzen Ferdinand, gehört dies reizende, in seiner Art einzige Tuskulum, mit welchem sie der König vor Kurzem überraschte. Auch von hier herrliche Blicke in das in schmalem Ausschnitt fern nnter uns ruhende Prahowa-Thal mit seinen gewaltigen Schneebergen dahinter und mitten hin ein in den geheimnißvoll rauschenden, von tiefer Weihe umfangenen Wald, den Carmen Sylva's Klänge mit poetischen Mären und phantastischen Gestalten bevölkert. Sein Flüstern und Wehen hat manch' Leid in ihrer empfind samen Seele sanft ausgelöst und seine erhabene Sprache ihr edles, fremde Sorgen und Schmerzen innig mit empfindendes Herz oft erleichtert und getröstet, wie sie einem ihrer Vertrauten unter ein Bild geschrieben, welches sie in der Waldeinsamkeit darstellt: „Dem Wald gehört mein Lied, Mein Malen und mein Dichten, Und was von Traumgeschichten Mir durch die Seele zieht." Man kann von Rumänien nicht Abschied nehmen, ohne, wenn auch nur in flüchtigsten Umrissen, einer Einrichtung zu gedenken, die von außerordentlicher Bedeutung für das Land und seine Bevölkerung geworden ist, ihr redlich Theil beitragend zu dem Emporblühen des jungen Staates: der Kroudomänen. Auf Vorschlag des um Rumänien hoch verdienten Jean Bratiano ward 1884 ein Kronbesitz ge schaffen, aus zwölf in den verschiedensten Gebieten des Landes liegenden Gütern bestehend, die über 132000 Hektar umfassen. Durch diesen Besitz sollen der Krone die Mittel gewährt werden, eine zweckentsprechende Re präsentation auszuüben und um eine enge Verbindung helzustellen zwischen ihr und dem Laude, zumal der bäuer- Uchen Bevölkerung desselben, „der König muß der erste Besitzer rumänischen Bodens sein", meinte Bratiano, mit dem stillen Wunsche, daß diese Krongüter vorbildlich würden für den gesammten Staat, ein Beispiel gebend zur regen Nacheiferung. Diese Erwartung hat sich erfüllt, dank der steten Sorgfalt des Königs, der seine ersprießliche Aufmerksam keit nicht nur der rumänischen Landwirthschaft, sondern auch allen mit ihr in nähere wie weitere Verbindung zu bringenden Betrieben widmete. Er fand zudem einen emsigen und verständnißvollen Verfechter wie Ausführer seiner Pläne in dem Domänenminister Dr. Jean Kalin- d<Ko, welcher, mit klarem Blick und vollster Thatkraft aus gestattet, unermüdlich hingehend und schaffensfroh die Ideen des von ihm treu verehrten Herrschers verwirklichte, diese Aufgabe als sein vollstes und würdigstes Lebenswerk be trachtend. So wurden Musteranstalten geschaffen, in erster Linie in landwirthschaftlicher Beziehung, zur möglichst rationellen Ausnützung des Bodens, dann aber auch in industrieller Hinsicht, indem Fabriken und sonstige Unter nehmungen entstanden, um die besonderen Erzeugnisse be stimmter Güler vortheilhaft für die Bevölkerung zu ver- vir Zonne. 28 Noman von Anton Freiherr von Perfall. Marius war unverbesserlich, er haite nicht mehr die Kraft, sich zu Heden, rem Vorwärtsstreben, er wird versauern in Langfelden. Das war für Johanna der beste Beweis, daß von einer Neigung zu ihr keine Rede sein konnte; denn das batte sie wiederholt gelesen, daß die Liebe der schärfste Sporn sei für jeden Mann, alle seine Energie wecke. Vetter Egon war jetzt ihr Lehrmeister und oberster Natgeber. Er weihte sie allmählich ein in die Kunst, eine Weltdame zu werden, in die schwierige Wissenschaft des Chic, deren eifrigster Adept er war Er wußte überall Bescheid, in Toilettesragen, den schwierigsten Anstands- und Etikette-Angelegenheiten, im ganzen Gewirre gesellschaftlicher Lügen, in Sport, Kunst und Theater. Er gab von allem nur die schillernde Oberfläche, aber m der günstigsten, effektvollsten Beleuchtung. Er nahm selbst allem die tiefe Bedeutung, das ganze Weltgeiriebe war ihm, ein Hunter Scherz, den man so gewandt und „stilvoll", wie er sich ausdrückte, als möglich milnehmen müsse, alles Schwindel. Dem weiblichen Geschlechte siel darin, in seiven Augen, keine andere Nolle zu, als den Scherz noch toller, noch amüsanter zu machen und es vor dem frühen Tode der Langeweile, dem es unerbittlich ohne solche Würze verfallen müßte, zu retten. Den völligen Mangel jedes Ideals, welcher dieser Welt-An schauung zu Grunde lag, den Bankrott des Herzens verbarg die jugendliche Frische, diese gewiße, bestechende Gutmüthig- keit, die oberflächlichen Menschen so häufig eigen ist. Daß er cs mit sittlichen Begriffen, soweit sie nicht nach dem willkürlichen Ehrcnkodex seines Lebenskreises für ihn fest stunden, ebensowenig ernst nahm, war bei dieser Anschauung selbstverständlich. Johanna freute sich im Stillen über dieses Lächerlichmachen und Herabsetzen alles dessen, was ihr vor Kurzem noch Respekt einflößte. Sie verlor damit die Angst, der Gesellschaft mit ihren hohen Anforderunaen, all der Fülle des Geistes, welche die Großstadt bietet, nicht gerecht werden zu können. Nach Egons Bericht war es damit nicht so gefährlich, da konnte sie schon mitthum Unter dieser schillernden Ober fläche, die lediglich verlangt wurde, konnte sie dann unbe kümmert Johanna bleiben — Herrn Marius zu Liebe. Sic durcheilte mit der Mutter und Egon als Führer im Sturm schritt alle „Sensationen" der Hauptstadt. Und Egon geizte mit der Zeit, war ungemein scharssinnig in der Wahl. Es handelte sich ja für die Damen nur durum, möglichst rasch den eigentlichen Zeitgeist zu begreifen, in den neuen Schuhen gehen zu lernen. Das Alte, Gediegene, Abgedroschene kannte man ja schon, wenn nicht durch eigene Anschauung, so doch aus Büchern, abgesehen davon, daß in der Gesellschaft selten das Gespräch darauf kam; es handelte sich also lediglich um die großen „Tagesnnmmern", die modernsten, eben Aussehen erregenden Theaterstücke, die Ateliers der extravagantesten Künstler, deren Tollheiten das kunstmüde Publikum immer von neuem aufstachelten, bis herab zu den vielbesprochensten Spezialitäten in den vornehmen, auch den Damen zugäng lichen Varietes. Das Kunterbund all der Eindrücke wirkte verwirrend nnd vervenerregend zugleich auf Johanna. Sie befand sich nicht wohl dabei. Mit der Kunst, deren Wesen sie durch Herrn Marius kennen gelernt, hatte das alles sicherlich nichts zu thun, das war ihn, klar. Sie begriff jetzt schon besser seine Furcht vor der Stadt. Aber was für ihn recht nützlich, war es nicht für sie. Sie mußte ja nun einmal leben in dieser verrückten Wett, deren von Egon entworfene Schilderung jetzt nach diesen Wanderungen ihr völlig berechtigt erschien. — Der Spott darüber stand ihr ja srei; es glaubte ja niemand an ihre Echtheit von allen diesen gläubigen scheinbaren Bewunderern und Verehrern, man huldigt eben der Mode, und niemand sieht sich berufen, das Hohngelächter seines Innern über diese offenkundige Narrheit laut werden zu kaffen; am wenigster kam das ihr zu, einem unerfahrenen jungen Mädchen. S« war ja schon stolz daraus, daß sie das alles durchschaute mit ihren: natürlichen, noch uiiverdorhenen Sinne. Gewiß ward wenigen ihrer Alters- und GeschlechtSgeuossinnen diese Ein- sicht zu theil. Ningelmann konnte gegen diese Orientierungsreisen sein« Damen keine Einwendung machen; einmal mußte das ja ge schehen. Er hatte die Ausgabe dafür bereits in seinen Etat ausgenommen. Im übrigen rechnete er auf Johanna, daß sie von selbst dieses Zeug bald satt haben und in die stille Häuslichkeit zurückkehren würde. Er selbst hatte unterdessen mit Hilfe des Majors Veit, einen Hausgenoffen, einen ihn: sehr sympathischen Kreis von Gesinnungsgenossen gefunden und fühlte sich allabendlich in den gemächlichen Räumen des „goldenen Bären" als Mitglied der größtentheils aus pensio nierten Beamten nnd Offizieren sich rekrutierenden Gesellschaft der „Antiquare" im höchsten Grade heimisch. Dort hörte er dieselben Klagen, die auch ihn bewegten, über das theure Leben in der Stadt, die übertriebenen Ansprüche, die Opfer, die inan seinen Kindern bringen müsse. Es ging ihm also nicht besser und nicht schlechter als unzähligen anderen Leidens genossen. Das stimmte ihn nachsichtiger. Seine liebsten Stunden aber, welche an wohligem Behagen an die au: Küchentische des Adlerwirthes und der Veroni heranreisten, waren die, welche er im Tapeinerschen Comtoirzimmer neben dem Laden verbrachte. Der kleine bewegliche Kaufherr, in dem er bald einen Mann, treu und ehrlich wie Gold, erkannte, von: echten alten Schlage, war ihm bald unentbehrlich, und auch dieser fand, abgesehen von der Ehre, ein ausrichtiges Gefallen an dem Amtmann. Höchst interessante Cigarrenproben wurden ge haltem appetitliche Liqueurflaschen entkorkt, über den modernen Schwindel in allen Formen lo-gezogen, die gute alte Zeit gelobt. .