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g- 211 chilblaN ßl NMits Beilage zu Nr. 60. Donnerstag, den 21. Mai 1903. XI. (Fortsetzung.) „ , . Das Gespräch berührte die Vorgänge m Mazedonien: „Ich brauche kaum hervorzuheben", meinte Dr. Danew, „daß gleich uns auch die vernünftigeren Mazedonier auf das Schärfste die Dynamit. Attentate verurthnlen. Sehr groß ist die Zahl der in Bulgarien lebenden Mazedonier, welche in vielen einflußreichen Stellungen zu finden sind und erhebliche Summen für die Bestrebungen ihrer Lands leute übrig haben. Man klagt uns an, daß wir den Grenz- dienst lässig versehen, man soll die Türkei dafür verant- wörtlich machen, nicht uns. Wir thun thatsächlich Alles, was in unseren Kräften steht, aber wir können doch keine chinesische Mauer längs der oft durch unwirthliche Gebirge gehenden Grenze ziehen; dazu kommt der Schmuggel hin- und herüber, diese Leute kennen jeden Schritt und Tritt und dienen den Banden als Führer. Wir haben den Türken gemeinsame Grenzüberwachung vorgeschlagen, dann hätten wir eine weit strengere Kontrolle durchführen können, aber unser Vorschlag wurde abgelehnt. Und wie nachlässig wird seitens des türkischen Militärs der Grenzdienst aus geübt, ist doch bis heutigen Tages noch kein einziger Freischärler beim Ueberschreiten der Grenze verhaftet, noch kein einzige» Gewehr beschlagnahmt worden! Biele Waffen kommen übrigens aus Griechenland nach Mazedonien, andere langen per Schiff in Saloniki an." Die Erklärungen des Ministerpräsidenten fand ich durch andere Unterhaltungen bestätigt, eine davon, mit einem mir von früher her bekannten bulgarischen Staatsmann ge führt, der bei der Wiedergeburt des Fürstenthums und seiner ferneren Entwicklung eine wichtige Rolle gespielt, heute aber als Philosoph und Kosmopolit völlig unparteiisch Dinge und Menschen bcurtheilt, gewährt fesselnde Streif lichter auf die mazedonische» Bestrebungen und Wirrungen wie Verirrungen, und ich folge in nachstehendem meinem in jeder Beziehung zuverlässigen Gewährsmanns. Es giebt in Sofia zwei mazedonische Komitees, welche auf die Befreiung Mazedoniens auf Grund des Berliner Vertrages hinarbeiten, das eine, von ProfessorMichaelowsky geleitete, ist das gemäßigtere und ihm gehören die in Bulgarien lebenden ruhigeren und gebildeten mazedonischen Elemente an, das andere wird von Sarafow beeinflußt, einem heute etwa 28jährigen Manne, der kurze Zeit bul garischer Offizier war und nebst seinen Komiteegenossen für die rücksichtsloseste Propaganda der That eintritt. Von den bulgarischen Mazedoniern — es leben gegenwärtig in Mazedonien etwa 800000 Bulgaren, ebensoviele Türken, 115000 Griechen, 15000 Serben — ist die Befreiung des heutigen Bulgariens von der türkischen Herrschaft aus gegangen, nun weilen jetzt in Bulgarien ca. 150000 bul garische Mazedonier, die allen Ständen angehören, den vornehmsten wie den geringsten; sie sind so straff organistrt wie ein Armeekorps, von ihnen geht die große Bewegung aus. Tausende dieser Mazedonier gehören als Soldaten, an fünfhundert als Offiziere der Armee au. Daß diese, wenn sie an die Grenze kommandirt sind, den in die Türkei eindringenden Freischärlern nichts in den Weg Vermischtes. * Ueber die albanesische Blutrache, die bei der strafrechtlichen Behandlung des Albanesen Ibrahim, des Mörders des russischen Konsuls Schtscherbina in Mitro- witza in Mazedonien, eine große Rolle spielte, macht der in Uesküb weilende Berichterstatter der Wiener Neuen Freien Presse lehrreiche Angaben: Der Albanese als unum- europäischen Wetterwinkel Reisebriefe von Paul Lindenberg. (Nachdruck verboten.) Man hatte über dem eifrigen Gespräche die Zeit der Ankunft vergessen. Die bange Unruhe ungeübter Reisender ergriff die ganze Familie. Der Amtmann ließ das Fenster herunter und blickte tn die Nacht hinaus. Leuchtende Punkte tauchten überall auf, zuerst zerstreut, dann immer mehr sich sauuuelnd, nach einem Centrum drängend. Dann war es plötzlich, als ob der Morgen heraufzöge am Horizont, solch intensives, rosiges Licht wallte empor in unabsehbarer Weite. Doch bald verdichtete es sich zu dnrchglühtem Dampf, der sich nach oben zu einer Wolke zusammenballte- Ein elektrisches Zucken belebte sie- Endlose verworrene Lichtketten glommen am gegen die Mitte zu, ihre Strahlen zu einem einzigen Feuer streif vereinend, in der Ferne sich allmählich auflösend, und jetzt, urplötzlich trat eine gewaltig zum Himmel strebende Masse ans dem Hintergründe — der Dom! Während den Bau selbst der durchglühte Nebel umwallte, verloren sich die Kuppeln im Dunkel der Nacht. Ningelmann packte der Anblick. Etwas Drohendes lag für ihn darin. — Das war also seine künftige Heimath. — Die Sonne! — Das Schieneunetz hatte jetzt eine riesige Ausdehnung. Zwischen den blauen und rochen Flämmchen der Wechsel sauste Zug um Zug aus den verschiedensten Richtungen in verwirrender Durchschneidung, und all die feurigen, mit Windeseile dahinsausenden Punkte schienen in der Sonne zu erlöschen, aufgesogen zu werden von ihr. Er mußte unwillkürlich an den Doktor denken in Lang felden mit seiner Astronomie. Auch Johanna drückte die Stirn an das kalte Fenster und blickte hjnMS. - Ihre Empfindung war jxdoH völlig Sie sonne. 11 Roman von Anton Freiherr von Perfall. legen, ist selbstverständlich, und' ebenso, daß all diese Be strebungen der Lostrennung Mazedoniens auf sympathischen Wiederhall bei der Bevölkerung Bulgariens stoßen. „Ja, und wie stellen Sie sich nun das zukünftige Mazedonien vor, etwa als ein Stück des gefürchteten Groß-Bulgarien?" fragte ich meinen Auskunstgeber. „Keineswegs, fondern als autonome Provinz mit einem Gouverneur an der Spitze, der einem nicht direkt am Balkan interessirten Staate angehört, und der von den Großmächten unterstützt wird. Am besten wäre eine vor läufige Okkupation seitens einer kraftvollen Macht, Rußland und Oesterreich sind dabei ausgeschlossen. In einigen Jahren kann man mazedonische Milizen heranbilden, die dann den militärischen und Sicherheitsdienst leisten könnten. Die Loslösung Mazedoniens vom türkischen Staate soll nur aus Humanitären Gründen, nicht aus politischen ge schehen!" — Diese vorstehend wiedergegebenen Ansichten nun er halten eine wichtige Ergänzung in den Meinungen hervor ragender Mazedonier, die mit von Vertrauenswerthester Seite mitgetheilt wurden und die sich auf dieser Tage ge führte Aussprachen beziehen. Danach nun wollen die bul garischen Mazedonier garnicht soviel von ihren Stammes- genofsen im Fürstenthum wissen, auch nicht, daß ihnen Bulgarien bei der Befreiung Mazedoniens in direkter Weise hilft, denn sie fürchten, daß in einem Großbulgarien Maze donien aufgeht. Letzteres wünschen auch sie als selbständige Provinz mit einem Gouverneur, der völlig unabhängig von Konstantinopel ist. Selbst an den bulgarischen Frei schärlern liegt den Mazedoniern nicht viel, jene sind Hitz köpfe, die auf eigene Faust handeln — wie es die jetzt nach Bulgarien zurückgekehrten, verwundeten Offiziere unv Soldaten gethan — und sich nicht der Organisation fügen. Diese muß großartig gefügt und verzweigt sein, in dem Bandenwesen sowohl wie in den Dynamit-Attentaten liegt ein sorgsam vorbereitetes System, was schon daraus hervor geht, daß die Mazedonier in Sofia von den Ereignissen in Saloniki wußten, als einem der Komiteeführer in Sofia kürzlich mitgetheilt ward, daß in Saloniki Schlimmes passirt sei, da sagte er sofort unterbrechend: „Nicht wahr, es find viele Häuser in die Luft gegangen? O, es werden noch mehr hochfliegen." Nach gewissen Andeutungen von der selben Seite scheint Konstantinopel weniger, desto mehr dafür Saloniki, Ueskueb und Monastir bedroht zu sein, auch gegen russische Konsulate und deren Vertreter in den mazedonischen Gebieten sollen verschiedene Anschläge vor bereitet werden. „Wir besitzen mindestens bis zum Herbst Munition und Dynamit", äußerte sich derselbe Mazedonier, „Europa würde sich wundern, wenn es erführe, von wein wir es haben, mag es glauben, es kommt aus Bulgarien. Wir werden nicht rasten und ruhen, bis unser Ziel er reicht ist, und oft genug wird noch der Schrecken sprechen!" — verschieden von der des Vaters. Der prickelnde Reiz der Veränderung durchkreiste sie, und die schnell entflammte jugend liche Phantasie wob eilig ihre Lustschlösser. Zum erstenmal in ihrem Leben regte sich in ihr der Wunsch, ein Mann zu sein, auch mitzukämpsen, auch einen Sieg zu erringen auf diesem riesigen Schlachtfelde, dessen Tosen zu ihr drang, dessen blutrother Abglanz den Horizont färbte. Sie dachte an Marin?. Wie war es nur möglich, daß er diesen Drang nicht fühlte? Dieser herrliche Mann, dem der Sieg gewiß war! Nnd dieser Dichter, ein Kind gegen ihn, stürzte sich tollkühn mitten hinein! Eine Novelle, vie ihni geglückt, die Anerkennung gesunden, b sinn den Muth, die Zuversicht. — Er stand allein, hatte keine Freunde, die mit ihm den gleichen Weg gingen, keine Freundin! Umnuth gegen Marius stieg in ihr auf, und die un zähligen feurigen Punkte liefen alle durcheinander und stachen ans sie los mit ihren spitzen Strahlen. Mania hatte am Ende wirklich recht mit der Provinz, ihre eintönige Ruhe erschlafft Geist und Herz. „Sehen Sie nur. Sehen Sie nur! Wie das funkelt und sprüht! Das ist Leben! O, ich dürste danach!" Treuberg sprach diese Worte in jugendlicher Begeisterung. Johanna fühlte sie mit. Sie wandte sich unwillkürlich uin und sah auf den jungen Diann. Er beugte sich vor, sein sprechendes Auge ruhte mit sonderbarem Glanze auf dem Schauspiel. Der Zug fuhr in die taghell erleuchtete Halle, Johanna war mit einem elastischen Sprunge auf dem Bahnsteig. Nings um sie ber fluthete die Menge unter dem betäubenden Gerassel der Post karren, dem Zuruf der Gasthofdiener. Sie blickte mit gewisser Neberlegenheit darüber hinweg und half dem etwas schwerfälligen Vater aus dem Wagen. Als aber Herr Treuberg, sein Köfferchen in der Hand, sich bei den Damen rasch empfahl, da hatte sie ein unan genehmes Gefühl. Wie garstig war es doch auf der Welt; da trifft mar: sich, spricht über die heiligsten Angelegenheiten schränkter Herr der Natur kann es z. B. nicht begreifen, warum er oder fein Hund oder seine Kuh einem Eisen bahnzuge ausweichen soll. Er geht zwischen den Gleisen gegen den Zug, hört die Signalpfeife und wendet einige Schritte vor der Lokomotive den Kopf seitwärts, weil er weiß, daß der Zug seinetwegen stehen bleibt, denn wehe dem Lokomotivführer, durch dessen Unachtsamkeit ein Mensch oder ein Thier überfahren wird. Vorigen Monat wurde einem Albanesenweibe durch die Lokomotive ein Fuß ab geschnitten. Sie wollte in einem Tunnel knapp vor dem Zuge das Gleis überschreiten. Der Lokomotivführer wurde sofort auf eine andere Linie versetzt, um nicht das Opfer der Blutrache zu werden. Ein nachträglich viel belachter Fall passirte dem Lokomotivführer Herrn Flury. Seine Lokomotive war so unaufmerksam, einen Hund zu über fahren, der knapp vor ihr, nachdem er sie erfolglos an gebellt hatte, über das Gleis springen wollte. Der Zug blieb hierauf auf der Strecke zwischen Orhanie und Haeanik stehen, um Steine zu laden; der Lokomotivführer las nichts ahnend eine Zeitung. Plötzlich stand neben der Lokomotive ein Albanese mit schußbereitem Gewehr — der Eigenthümer des getödteten Hundes. Zeit gewonnen, Alles gewonnen, dachte Herr Flury und versuchte eine Unterhandlung ein- zuleiten mit der Absicht, mittlerweile die Maschine durch den Heizer abkuppeln zu lassen und davonzufahren. Einem Vorarbeiter, der den Dolmetsch machte, gelang es, den Albanesen zu überzeugen, daß bares Geld für einen Hund doch werlhvoller sei als ein Menschenleben, und bewog ihn, eine Forderung zu stellen. Schätzte der Albanese den Hund so hoch oder das Leben des Lokomotivführers so niedrig -- er verlangte fünf türkische Pfund, ließ aber bis auf ein Pfund handeln, mit der Bedingung, daß dies sofort erlegt werde. Damit hatte es nun seine Schwierig keit, da Flury das Goldstück nicht bei sich fand und der schlaue Albanese sich weigerte, auf der Lokomotive in die nächste Station zu fahren. E» wurde nun vereinbart, daß ein Vorarbeiter, Precep, die Garantie für den Lokomotiv- führer unter Schwur auf Baffa (Blutrache) übernahm, während dieser in die Station fuhr und nach telegraphischer Verhandlung mit der Inspektion Saloniki das Pfund erhielt, mit welchem dann Precep seinen Eid einlöste. Das Sonder barste bei diesem Vorfälle ist, daß der Verhandlung zwischen dem Albanesen und dem Lokomotivführer etwa fünfzig Bahuarbeiter mit Gewehren und Revolvern beiwohnten, von denen kein einziger den Muth hatte, auch nur das Gewehr des Attentäters auf die Seite zu reißen, um Flury die Ausführung des Fluchtplanes zu ermöglichen. Nach dieser Heldenthat wurde der Albanese von seinem Vater aufmerksam gemacht, daß er nun von den Gendarmen verfolgt werden würde, daher ins Gebirge flüchten müsse. Dies kam ihm gerade unbequem, weshalb er nächsten Tages das Goldstück dem Precep zurückgab, glaubend, daß damit nun Alles wieder gut gemacht sei. Es dauerte nicht lange, erschien er abermals unv nahm das Goldstück wieder in Empfang, da mau ihm gesagt hatte, daß dennoch nach ihm gefahndet wird und er nun die Flucht nicht umsonst aus» führen wollte. * Berlin. Infolge ihrer Ehescheidung geisteskrank geworden ist die 32 Jahre alte Kutschersfrau Helene S. aus der Gubener Straße. Seit sechs Jahren verheirathet, knüpfte die Frau vor einem halben Jahre mit einem Tischler und dann — ein Adieu, ich habe die Ehre, vielleicht Habe ich noch einmal das Vergnügen! — Doch in der Großstadt wird sich das noch oft ereignen, da heißt cs haushülterisH sein mit dem Gefühl. Sie hätte es vor vierundzwanzig Stunden um alles in der Welt nicht fertig gebracht, den jungen Mann mit einem kurz gemessenen Gruße zu ent lassen. Der Rbcinische Hof war zum Absteigequartier bestimmt. Die Sternauschcn, die ihr jäbrttcles Winterquartier bereits bezogen hatten, erwarteten sie dort. „Dem Herrn Lieutenant hätte es auch nichts geschadet, wenn er auf den Bahnhof ge kommen wäre." Rinaelmann meinte damit den Neffen seiner Gattin, der in einem M.cr Neitcrregimeute stand. Auch Frau Ottilie mar sehr verstimmt darüber und gab rasch Johanna noch die Weisung, dem jungen Maune gegenüber sich mög lichst littst zu verhalten. Als sie auf dein von einer elektrischen Bogenlampe tag hell erleuchteten Platze den Gastho'wagen bestiegen, konnte Johanna einen lauten Ruf freudiger Ueberrajchuug nicht zurückdräugeu. Herr Treuberg nahm bereits einen Platz darin ein. Er erschien ihr jetzt inmitten dieser fremden Welt wirklich ein alter guter Bekannter, und dein jungen Manne, Ler auffallend bescheiden, sein Köfferchen unter den Füßen, in einer Ecke des mit rothem Sammet aus geschlagenen, mit goldenem Spiegel verzierten Wagen saß, schien es ebenso zu gehen. „Es scheint in den Sternen beschlossen, daß unsere Wege sich noch nicht trennen," sagte er. Co schön auch diese Worte klangen, Johanna erwiderte nichts darauf. Es war ihr, als ob Mariusz damit ein Un« recht geschehe. In ihrer müdchenhaiten Empfindung glaubte sie bereits Verpfli btungen gegen ihn zu haben. Weniger er-f bant von dem Zusammentreffen war Ringelmann, der über«! Haupt kein Freund des Dichtervolkes war. . Im Rheinischen Hof erwartete Baron Sternau mit Ge« malM die Ankommenden. M M