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Donnerstag, den 9. April 1903 1. Beilage zu Nr. 43 3 in vollem Ernst: „Seine Majestät sitzt und regirt Deutsch land!" So putzig die Antwort klang, der Mann hatte nicht unrecht, der Kaiser erledigte in der That Regierungs. geschäfte. Er schrieb, telephonirte, diktirte bis gegen 9 Uhr, wo er dann einige Abordnungen empfing. „Damit war das große deutsche Reich für den Rest des Tages besorgt", schreibt naiv ein Kopenhagener Blatt. Die älteste Engländerin, eine 111 Jahre zählende Frau Neve, ist in St. Peters Port auf der Insel Guernsey gestorben. Sie befaßte sich viel mit Kolonialpolitik, arbeitete bis zuletzt in ihrem Garten und führte ein peinlich ge regeltes Leben. Vor wenigen Monaten erst erlahmten ihre Geisteskräfte. Jetzt ist sie sozusagen eingeschlafen. Ein Fehlbetrag von 600000Kronen wurde nach der K. Z. in der bäuerlichen tschechischen Vorschußkasse in Hrobschitz bei Mähren entdeckt: ein weiterer Fehlbetrag von 200000 Kr. wird befürchtet. Vs; lWIismnerbt. Kriminal-Roman von LWav Lange. (Nachdruck verboten.) Aurze Chronik. Eine Blutthat ist vorgestern Nacht in Hamburg verübt worden. Wie von dort gemeldet wird, versuchte der 43jährige Gastwirth Ladewig seine von ihm getrennt lebende Ehefrau in einer Wirtschaft in der Bankstraße zu erschießen. Als der gleichfalls in der Restauration an- wefende Schiffsschrciber Alfons Schultz dies verhindern wollte, tödtete ihn Ladewig mit zwei Schüssen. Ladewig wurde festgenommen. Wieder eine Bergwerkskatastrophe in Ober- schlesien. Nachdem erst vor einigen Tagen das schwere Unglück auf der fiskalischen „Königin Luise-Grube" bei Zabrze so vielen Bergleuten den Tod gebracht hat, kommt schon wieder eine traurige Botschaft aus dem oberschlestschen Jndustriebezirk. Wie ein Telegramm meldet, cxplodirten in dem Edlerschacht bei Antonienhütte, der dem Grafen Henckel von Donnersmarck auf Karlshof gehört, in der Nacht Dynamitpatronen. Acht Bergleute, die mit halb entblößtem Körper auf der 605 Meter-Sohle arbeiteten, erlitten schwere Brandwunden, denen bereits drei im Bielscho- witzer Knappschaftslazareth erlegen sind. Das Unglück ist wahrscheinlich dadurch entstanden, daß Arbeiter mit der Grubenlampe unter Tage lagernden Sprengmaterialien zu nahe kamen. Theaterbrand in Lille, 6. April. Heute Nacht ist in Lille das im Jahre 1785 erbaute und kürzlich erst renovirte Theater niedergebrannt. Der Schaden wird auf zwei Millionen Frank veranschlagt. Ein Glück war es noch, daß der durch Kurzschluß an der elektrischen Leitung verursachte Brand erst dann entstand, als die 1600 Besucher der Sonntagsvorstellung das Gebäude bereits verlassen hatten. — Um 1 Uhr bemerkten Musiker, die auf der Terrasse eines dem Theater gegenüberliegenden Caf^s saßen, einen starken Rauch und alarmirten die Feuerwehr. Diese erschien schleunigst, aber schon schlugen mächtige Feuergarben aus dem Theater empor und mangelnder Wasserdruck erschwerte die Löscharbeiten. Man beschränkte sich infolgedessen bald darauf, die durch zwei schmale Gassen von der Brandstätte getrennten Privatgebäude zu retten. Mittlerweile spielten sich im Innern des Theaters er greifende Szenen ab. Der Obermaschinist war, als er den Rauch waürnahm, aus seiner Wohnung auf die Bühne geeilt und wollte den eisernen Vorhang, der seltsamerweise nach der Vorstellung nicht herabgelassen worden war, nieder senken; hierbei erlitt er schwere Brandwunden. Seine An gehörigen drangen in den qualmerfüllten Raum und ent rissen den Verletzten mit eigener Lebensgefahr den Flammen. Die Versuchsfischerei im Kaiser Wilhelm-Kanal führte nach der Mgd. Ztg. zu dem Ergebniß, daß der Kanal in keinem Jahre von so viel Heringen ausgesucht worden ist wie 1902. Im jedem Jahre kommen mehr Heringe, um in dem Kanal zu laichen, und die jungen, er staunlich schnell wachsenden Heringe sind ein begehrter Artikel. Auch der Aalbestand hat sich dauernd auf seiner Höhe gehalten. Die Kanalseen sind reich an Süßwasser fischen, die ein gutes Gedeihen zeigen. Eine niedliche Geschichte von der Kopenhagener Kaiserfahrt wird im Rost. Anz. erzählt: Einer der dänischen Hofbediensteten wurde etwa um 8 Uhr Morgens gefragt, was denn der Kaiser mache, und er antwortete die aber, als sie eben 15 Lenze vollendete, ihrem Romeo Quattrini Treue geschworen hatte. Trotz seines verheiß ungsvollen Namens — quattrim bedeutet Geld — war Romeo arm wie eine Kirchenmaus, so daß Emilia schon acht Jahre vergeblich auf die Ehe wartete. Da sie sich allein zu Hause langweilte, unternahm sie häufig Spazier gänge in die Stadt. Darüber kam es mit dem Bräutigam, der ihr drohte, sie zu ermorden, wenn er sie noch einmal bei einem solchen Ausflüge träfe, zu heftigen Szenen. Aber Emilia vergaß die Drohung; eines Tages ging sie wieder in die Stadt und begegnete auf dem Heimwege ihrem Romeo, der beim Anblick der Geliebten mit einem wilden Schrei den Dolch zog und ihn zweimal in den Rücken des entsetzten Mädchens stieß. Als er aber das Mädchen zusammenbrechen sah, kam die Besinnung über ihn, und in den verzweifeltsten Ausdrücken bat er sein Opfer um Verzeihung. So fanden Vorübergehende das Paar —sie, die Todtwunde, wischte mit einem Tuch das todtenbleiche Gesicht ihres grausamen Geliebten und stammelte Liebes- Worte. „Entflieh," flüsterte sie ihm zu, „ich verrathe Dich nicht!" In der That verweigerte das Mädchen im Kranken haus jede Auskunft und weiß heute noch nicht, daß sich sein Romeo der Polizei gestellt hat. Er darf den römischen Richtern trauen: auf Wunsch seiner Emilia wird Romeo freigesprochen werden, nom bene — wenn die arme Emilia den Verhandlungstag erlebt. * Eine amüsante spiritische Manifestation. Das augenblicklich wieder so aktuell gewordene Thema des Spiritismus ruft die Erinnerung an eine heitere Episode wach, die sich zur Zeit der Anfänge der spiritisti schen Bewegung in Berlin zutrug und die wegen der dabei bctheiligten Persönlichkeiten auch heute noch aus ein gewisses posthumes Interesse rechnen darf. Aelteren Berlinern ist der Name der Gebrüder Davenport erinnerlich, die damals Aufsehen erregende Geisterspur-Vorstellungen (heut sagt man Söancen) veranstalteten. So veranstalteten sie auch einmal eine derartige Probevorstellung vor einem geladenen Kreise, der sich zumeist aus Journalisten und sonstigen literarischen und künstlerischen Persönlichkeiten zusammen setzte. Die Zuschauer mußten wie gewöhnlich, eine Kette bilden. Hand auf Hand legen, der Saal wurde verdunkelt, und alsbald vernahm man über den Köpfen das Geräusch von schnell durch die Luft geschleuderten Saiteninstrumenten, deren Saiten sausten und schwirrten. Apfelsinen waren damals noch zu theuer. Auf einer Bank saß Glasbrenner, der bekannte Humorist und Begründer der Berliner Mon- tags-Zeitung, und hinter diesem Dohm vom Kladderadatsch, der zur Rechten seinen Kollegen Scholz und zur Linken seinen Kollegen Kalisch hatte. Um unangenehmen Berühr- ungen mit den durch die Luft fliegenden Gegenständen zu entgehen, hatten die Zuschauer die Hüte aufgesetzt. In einerPause zwischen zwei „Apporten"oder „Manifestationen" sagte Dohm zu seine» Nachbarn: „Kinder, wenns wieder dunkel gemacht wird, laßt meine Hände los!" Und richtig, sobald Dohm die Hände frei hatte, bog er sich in der tiefen Finsterniß nach vorn und trieb Glasbrenner den Hut ein. Es wurde wieder hell gemacht, und Dohm, der inzwischen seine Hände wieder keusch und züchtig auf die der Nachbarn gelegt hatte, saß artig und erwartungs voll da. Glasbrenner, der sich nicht hatte rühren können, da seine beiden Hände ebenfalls festgehalten wurden, bot fort klar war, wo er den Hebel anzusetzen hatte, um zu seinem Ziele zu gelaugeu. „Wo bisher alle unsere Bitten und Vorstellungen ver gebens gewesen sind, wie sollte es da einem fremden Menschen gelingen." „Freilich bei Dir und Deinem Bruder da bin ich der unverbesserliche Taugenichts und weil ich einmal einen Fehler gemacht habe, verdammt man wich in alle Wege und möchte mich am liebsten auf die Straße werfen," unterbrach Sommer seine Gattin heftig. „Wenn alles an den Tag käme, wie manche zu ihrem vielen Geld gekommen sind, da könnten wir was Schönes erleben." „Still, kein Wort weiter," gebot Frau Sommer. „Wenn es Dir wirklich ernst ist, ein anderes Leben zu beginnen, werden wir wohl die Ersten sein, die dies mit Freuden be grüßen. Aber vor der Hand glaube ich nicht daran, bis ich den Schimmer eines Beweises besitze." „Sie haben vollständig Recht, Frau Sommer," nahm Silbermann das Wort. „Aber diesmal verbürge ich mich dafür. Mein Gott, wie mancher Mensch hat schon einen Fehler gemacht, der muß ihm verziehen werden. Wir wer den heute Vormittag einen Versuch machen, um eine passende Stelle zu finden, ich habe mir zu diesem Zwecke einen halben Tag freigeben lassen." Zwar versuchte Frau Sommer noch Einwendungen zu machen und ihren Gatten zurttckzuhalten, als er sich anschickte, Silbermann zu folgen, doch vergebens; er schien mit einem Male vollständig ernüchtert zu sein. „So wie ich hoffe, daß unser heutiger Weg kein ver gebener sein wird, hoffe ich auch, daß Fräulein Hilda eines Tages anders über meinen Antrag denken wird wie heute." Mit diesen Worten verabschiedete sich Silbermanu von den beiden Frauen, als er Hilda mit einem liebenswürdigen Lächeln die Hand reichen wollte, schien diese es gar nicht zu bemerken, denn sie wanete keinen Augenblick die Aufmerksam keit von ihrer Arbeit ab. . > erwähne, daß mein hochgeschätzter PrinzPal es nicht ungern sehen würde, wenn auf diese Weise seine Nichte, die er, wie ich genau weiß, sehr liebt, aus ihren jetzigen Verhältnissen herauskommen würde." „Wie gewöhnlich, die Frauen mit ihrem kurzen Verstand und langen Haaren wissen alles besser," warf jetzt Sommer dazwischen, den die ablehnende Haltung seiner Frau in Har nisch brachte, „lassen sich nichts einreden, hungern und darben lieber, wo sie im Ueberfluß leben könnten." „Du kümmerst Dich doch sonst nicht darum, wo das liebe tägliche Brod herkommt, sondern lebst in den blauen Tag hinein," gab Frau Sommer ihrem Gatten den Vorwurf zurück. „Hilda ist auch noch zu jung zum Heimchen; sie hat noch nichts von ihrer Jugend genossen, weshalb soll sie sich also schon in eine solche Fessel, wie es eine Heirath doch immerhin ist, ich brauche dabei nur an mich zu denken, be geben. Von einem Wunsch meines Bruders nach dieser Richtung hin ist mir auch nichts bekannt und selbst wenn es der Fall sein sollte, so würde doch in erster Linie der Wille meiner Tochter maßgebend sein." Frau Sonimer war bei ihren letzten Worten, die nicht den geringsten Zweifel darüber aufkommen ließen, daß es ihr völlig Ernst damit, einen Schritt näher an Silbermanu herau getreten und ihre Hand machte eine so energische Bewegung, als wolle sie den lästigen Besucher Hinausweisen, doch dieser verlor seine Ruhe und Selbstbeherrschung auch nicht einen Augenblick. „Natürlich, nur mit Einverständniß Ihrer Tochter kann die Hochzeit stattsinden," pflichtete er bei. „Ich werde mich bemühen, zunächst ihre Gunst und schließlich auch ihre Liebe zu erringen. Vor allem aber gilt es jetzt, zunächst Ihren Gatten wieder in eine gesicherte Position zu bringen." „Da dürfte wohl alle Mühe vergebens sein," sagte Frau Sonimer und ihre Stimme klang schon nicht mehr so schroff abweisend, wie anfangs, auch richtete sie den Blick wie tragend -uf Silbermann, den dieser wohl bemerkte und sich nun' so Vermischtes. 2 äs Louise." Bei der Eröffnung der Sezessions-Ausstellung in Wien entstand, so lesen wir in der Köln. Ztg., unter der Schaar der geladenen Kunst- sreunde keine geringe Aufregung, als sich die Kunde ver- breitete, der zu universaler Berühmtheit gelangte Haus- lehrer Giro» befinde sich im Saale. Bald drängte sich Alles um ihn, die Damen selbstredend voran, um aus eigener Anschauung festzustellen, ob es der Mühe werth sei, seinetwegen eine Krone fortzuwerfen. Der arme Mensch wußte nicht mehr, wo aus noch ein, als er sich so von allen Seiten umdrängt, verfolgt und theils mit bloßem, theils mit bewaffnetem Auge neugierig gemustert sah. Zum ersten Male in seinem Leben crröthend, suchte er bald da, bald dort sich den Blicken der Menge zu entziehen, und das um so mehr, als er aus den ohne jeglichen Rückhalt fallenden kritischen Aeußerungen entnehmen mutzte, daß die meisten Damen durch seine persönliche Bekanntschaft ent schieden enttäuscht waren und sich nach dem verbreiteten Postkarten. Porträts ein schmeichelhafteres Bild von dem Helden der Eheirrung gemacht hatten. Er war nämlich gar nicht Giron, sondern Charpentier, der Komponist des Musikdrama's „Luise", und für Giron war er nun ge- halten, weil eine Dame, die ihn kannte, ihn einer Freundin mit den Worten gezeigt hatte: „L sst kRomms äs l^ouiss." * Römische Liebe. Drei Bluttbaten aus Liebes gram in einer Woche in Rom, das ist selbst für römische Verhältnisse etwas viel. Und immer war der weibliche Theil der leidende und in zwei Füllen der männliche der feige. Nachdem zwei der unglücklichen Liebespaare beschlossen hatten, in der einsamen Campagna ihrem Leben ein Ende zu machen, weil ihnen die Erde das ersehnte Glück nicht gewährte, bot das Mädchen muthig und vertrauensvoll die Brust dem Revolver dar, den Mann aber packte beim An blick der sterbenden Geliebten das Todesgrauen, er verlor die Kraft, die Waffe auf sich selbst zu richten, und entfloh, Von Furien gepeitscht, in die Weite, um bald darauf von der Polizei ergriffen und als Mörder vor Gericht gestellt zu werden. So geschah es, wie gesagt, in zwei Fällen, das dritte Vorkommniß ist aber psychologisch noch be- merkenswerthcr. An der Tiburtinischen Straße wohnt Domenico Pilozzi. Er hat eine Osteria und besaß eine wunderschöne Tochter Emilia, der die Freier nichtmangelten, Hilda wagte unter den leidenschaftlichen Blicken, die er auf sie richtete, ihre Augen nicht zu erheben und ein fast ver- rätherisches Roth färbte ihre Wangen. „Es ist doch ein unverdientes Loos, für andere Leute sich abquälen zu müssen, nur damit diese fein im Staat ein hergehen können," sagte er mit einein Anflug von Mitleid, indem er sich leicht zu den: Mädchen herabbeugte. „Ihre Schönheit und nicht minder auch Ihre Gesundheit müssen darunter leiden. Ich hoffe, Ihr Vater hat Sie bereits davon unterrichtet, wie sehr es mein sehnlichster Wunsch ist, Ihnen ein besseres, freudenvolleres Dasein zu bieten." „Besser arbeiten und sich ehrlich durch die Welt schlagen, als auf Kosten anderer Leute ein bequemes Leben fuhren," entgegnete Frau Sommer an Stelle ihrer Tochter, wobei man ihr deutlich ansah, wie sehr sie sich bemühte, ihren Un willen über diesen ungern gesehenen Besuch zurückzudrängen, eine noch schärfere Antwort zu unterdrücken. Silbermann, denn dieser war es, über den die beiden Ehegatten kurz vorher erst eine ziemlich lebhafte Auseinander setzung gehabt hatten, verfärbte sich bei diesen abweisenden Worten leicht und warf einen giftigen Seitenblick auf die Sprecherin, den diese aber nicht bemerkte, weil die Arbeit unter ihren Händen ihre Aufmerksamkeit voll in Anspruch "ahm. „Ich verstehe Ihre Worte nicht recht, geehrte Frau," sagte er mit noch größerer Liebenswürdigkeit als vorher. „Meine Absicht ist eine durchaus reelle; ich bitte um die Hand ihrer Tochter und dadurch dürste Sie wohl der Sorge um das tägliche Brod überhoben sein. Wie Sie wohl wissen, bekleide ich in dein Geschäft Ihres Herrn Bruders eine sehr gute Stelle, ich glaube auch nicht fehl zu gehen, wenn ich