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360 das Nichtigere, weil das Bombardement trotz des Abbruchs der Verhandlungen noch nicht begonnen hat. Tours, 10. November. Jules Favre erließ von Paris aus ein Circularschreiben an die französischen Gesandten im Auslände bezüglich des Scheiterns der Verhandlungen über einen Waffenstill stand. Das Rundschreiben geht davon aus, Preußen gebe vor, zur Fortsetzung des Krieges gezwungen zu sein, durch Frankreichs Weigerung zwei Provinzen abzutreten, von welcher Weigerung Frank reich weder abgehen könne noch wolle. Favre führt alsdann aus, daß Preußen eine 25tägige Dauer des Waffenstillstandes und die Wahlen obwohl nicht ohne Beschränkungen bezüglich des Elsaß und Lothringens zugegeben habe. Die Verproviantirung von Paris habe es aber zurückgewiesen. Daran seien die Verhandlungen gescheitert, denn ein Waffenstillstand ohne Verproviantirung sei die Herbeiführung der Kapitulation von Paris innerhalb einer bestimmten Zeil. Hier durch sei auch das Zusammentreten der Nationalversammlung ver eitelt worden. Europa werde diese Politik in richtiger Weise würdigen. Wir haben alles Mögliche gelhan, um als Männer von Ehre dem Kampfe Einhalt zu thun. Doch jeder Ausweg ist verlegt. Nur unseren Muth haben wir jetzt noch zu Rathe zu ziehen, indem wir die Verantwortlichkeit für weiteres Blutvergießen auf die werfen, welche systematisch jede Transaclion verhindern. Die Note ruft die neutralen Mächte zu Zeugen auf, gegen jene inhumane Politik, und hebt schließlich hervor, dre Regierung thue alles, zur Herbeiführung eines würdigen Friedens, aber ihr seien die Mittel genommen, um Frankreich zu Rathe zu ziehen, inzwischen habe sie Paris befragt u. die ganze Stadt habe sich in Waffen erhoben, um zu zeigen, was ein Volk vermöge, das für seine Unabhängigkeit kämpft. Die „N. A. Z." fragt: „Sollten die deutschen Heere gestatten, daß die Vorräthe der Paris zunächst liegenden Departements, die ihnen reiche Hülfsquellen bei der Verlängerung des Krieges bieten, von den Feinden aufgezehrt und erschöpft werden? Sollen die deutschen Heere vor Paris ihre Verpflegung für vier Wochen, und das sind ungeheure Vorräthe, aus der Heimath kommen lassen? Und wie viel lassen wir Paris zukommen? Täglich die Portionen für 2 Millionen Esser'? Von allen Schwierigkeiten abgesehen, wer bürgt dafür, daß die Zahl der Pariser nicht größer angegeben wird als sie ist, und daß sie sich in dieser Weise verproviantiren, um den Widerstand nach Abbruch der Verhandlungen zu verlängern?" Da'S mit dem Brod in Paris knapp hergehl, probirl man's mit den öffentlichen Spielen, um das Volk bei guter Laune zu er halten. Die Theater sind geöffnet, die Eintrittspreise außerordentlich ermäßigt worden; es dürfen aber nur Schauspiele und heroische Symphonien gegeben werden. Die Schauspielerinnen treten in dunkeln Kleidern auf, die bis an den Hals reichen und statt des Gases brennen Kerzen. Zum Schluffe wird die Marseillaise ge- fuiigi^ „Kreuzzeilung" glaubt die bestimmte Ueberzeugung aus- sprcchen zu dürfen in Betreff des Bombardements von Pans, daß an maßgebender Stelle keine falsche Großmuth obwalte und das Bombardement in kürzester Zeit erfolgen werbe. Wie verlautet, wird mit der Einnahme von Paris dem Haupt theile der deutschen Armeen eine längere 'Ruhe gewährt werden, was ganz besonders auch zur Herstellung einer genügenden Winteraus rüstung der Truppen unerläßlich sein soll, welche nach überein stimmenden Nachrichten allen Anstrengungen zum Trotze noch lange 'Licht in ausreichendem Maße hat bewirkt werden können. Aus Versailles vom 8. Nov. schreibt ein Correspondent der .„K. Z": Höre ich recht, so zählen die Franzosen aus die neu for- Mlirte Südarntee, die in der That fast 80,000 Mann stark hcran- -rückt. ES scheint der Plan zu bestehen, das deutsche Belagerungs- Heer zwischen zwei Feuer zu bringen, indem man einen starten Aus fall in cvmbinirter Weise durch euren Angriff der Südarmee auf die südlichen Stellungen des Einschließungshe.res organisirt. Eben so scheint man zu glauben, daß Mangel und Krankheiten unsere Reihen decinüren, während gerade jetzt die Truppen um Paris besser wie je verpflegt sind und die Krantheiten durchaus nicht in einem beüngsli- geirden Grade die Hospitäler füllen. Aber man scheint eben zu glau- peu, daß miau durchaus in bevorzugter Stellung sich befinde — und mag he« Deutschen daher nichts bewilligen, aus dem sie für sich Vortheil ziehen können. Versailles, 10. November. Erhebliche Geldcalamitäten sind unter den ärmeren Klaffen, namentlich der Städte Frankreichs dadurch entstanden, daß die franzöfische Regierung alle Spartassengelder und das Vermögen der Lorporalivnen und Gemeinden, das nach fran zösischem Gesetz in den Staatskassen deponirl werden mußte, sich ungeeignet und zu Kriegszwecken verbraucht. Ein Gegenstand froher Hoffnungen ist für die kriegsgierigen Franzosen jetzt die Loire-Armee, die angeblich nach ihrer Reorgani sation bis auf 80,000, nach anderen Quellen sogar auf 100,000 Mann gebracht sein soll. Gambetta sucht ihr durch seine persönliche Anwesenheit Muth einzuflößen, und auch der abgedaukte Fnebens- apostcl Thiers sieht den Leistungen dieser neuformirtrn Armee mit Zuversicht entgegen. Wo diese Armee nch gegenwärtig befindet, ist nicht sicher von hier aus festzustellen, dagegen werden unsere bei Orleans stehenden Truppen diesen Standort genau kennen und mit einem Theile der durch die Kapitulation von Metz disponibel ge wordenen Truppen ihr entgegeurückcn. Wir haben also für die nächste Zeit jenseits der Loire noch Kämpfe zu erwarten, als deren Resultat der Occupatio» von Mttel-Frantreich sich ergeben wird. Der Special-Correspondet der „Daily News" bei der französi schen Armee von der Loire schreibt untcrm 3. d. Mts., daß dieselbe, obwohl der Westarmee numerisch bedeutend überlegen, nicht das min deste Vertrauen einflöße. Unter den Offizieren herrsche große Gleich gültigkeit, und der größte Theil der Mannschaften trage, auf Grund der strengen Behandlung, der sie unterworfen seien, Rachegefühle ge gen ihre Führer zur Schau. Ein Offizier versicherte dem Correspon- denten, er habe innerhalb eines Monats nicht weniger als 113 seiner Leute wegen Insubordination erschießen lassen, und glaube fest, daß in der nächsten Schlacht die erste Kugel seiner Soldaten gegen ihn gerichtet sein werde. Die Disciplin der Armee sei aber viel besser, als die unter den Truppen Mac Mahon's. Der erste Friedenshauch hat eine ganze Anzahl von flüchtigen Familien wieder aus ihren Verstecken hervorgeholt. Gott weiß, wo sie sich verborgen gehalten. Man sieht sie in ganzen Zügen auf den Landstraßen der Seine und Marne, mit hoch bepackten Wagen, auf denen sie ihre häuslichen Habseligkeiten wieder in ihre Dörfer zurück- fchlcppen. Die armen Leute müssen größtentheils in den Wäldern gesteckt und viel gelitten haben. Sie erscheinen jetzt wieder am Ta geslicht mit Kesseln und Casserolen, Tischen, Stühlen, Schränken und Betten. Eine Ziege, ein Esel und ein Pferd gehören fast zu jeder Wirthschafl und an der Seite des Wagens hängt wohl ein großer Gitterkasten mit Lapins, den wilden Kaninchen, die ihnen jedenfalls zur Nahrung gedient. Das Aeußere der armen Leute ist oft erbar- menswerth. Ihre Kleidungsstücke starren vor Koth, sind oft von einer ganzen Lehmkruste umgeben, da sie dieselben in dem feuchten Obdach der Walder niemals abgelegt haben; ihre Füße sind von Lappen umwickelt, ihre vom Wetter gebräunten Gesichter sind zigeu nerhaft, und mit wildem, scheuem Blick weichen sie den deutschen Soldaten aus, wenn sie diesen auf der Landstraße begegnen. Man sieht es ihnen an, sie trauen, seit sie wieder unter dem freien Him mel sind, der Nachricht nicht, die man ihnen in des WaldeS Dickicht gebracht; sie haben sich die Sache vielleicht ganz anders vorgestellt und begegnen nun den gehaßten Feinden, die sie schon lange abge zogen glaubten. Vielleicht hat auch die Kälte diese Unglücklichen aus ihren Schlupfwinkeln herausgejagt und mit frostgeschwobenen und ausgebrochenen Gliedern entschließen sie sich, von zwei Feinden den barmherzigsten zu wählen. Was aber geschieht jetzt mit dem armen Frankreich, nachdem die Schwätzer und Schwärmer decretirt, daß im Reiche der Phantasie kein Fußbreit reellen Bodens abgetreten werden dürfe? Die Agitation beginnt von Neuem, ich sehe es um mich her; von Havre sollen nun große Waffenzusuhren geschehen; vom Westen und vom Süden sollen energische Unternehmungen gegen die Deut schen beginnen und da es nichts so Thörichles giebt, daß es nicht im Gehirn eines der Retter des Vaterlandes ausqebrütet würde, so mag auch die Drohung, die ich schon mehrfach hörte, daß man den Feind nicht allein von Paris aus bei den Hörnern, sondern von den Pro vinzen aus im Rücken fassen wolle, ihre Bedeutung haben. Bei den Erdarbeiten zu Bougival bei Paris haben unsre Soldaten in einem Hügel einen großen gemauerten Weinkeller entdeckt, welcher in gefüllten Stückfässern und Flaschen Wein und Cognac-Vorräthe in so großer Menge enthielt, daß dieselben, wie man versichert, auf Monate für ein ganzes Armeekorps ausreichcn sollen. Für die jetzt ins Innere von Frankreich weiter vorrückenden deutschen Truppen sind zwei neue Etappenstraßen eingerichtet. Die norddeutsche Postverwaltung stellt aus diesen Straßen bereits Post verbindungen her. Zum Dienste bei denselben wurde eine große Zahl von Postillonen nebst Pferden und Wagen mittels Eisenbahn transports von Berlin nach den betreffenden Linien abgesendet. Als ein Beispiel von der schlechten Disziplin' in der fran zösischen Armee, berichtet der Correspondent der „Times" in Tours: „Ein Offizier hielt dieser Tage auf der Straße einen Soldaten an, der ihn nicht grüßte. Als Antwort auf seinen Verweis spie ihm der Soldat in's Gesicht. Dafür schlug ihn der Offizier. Um die Strei tenden bildete sich alsbald eine Gruppe Volks; diese nahm entschieden Partei für den Soldaten und der Offizier mußte in einen Laden flüchten. Das beste kommt noch: der Soldat halte die Wache, und auch sie nahm für ihn Partei; hätte der Offizier sich nicht inzwischen unsichtbar gemacht, so hätten sie ihn unbedingt verhaftet!" In dem Kampfe der Garbedivision vor Paris bei Le Bourget (am 30. Oct.) find unter Anderm gefallen: der Oberst und Komman deur des 4. Gardegrenadierregiments „Königin" Graf v. Waldersee, nachdem er erst wenige Tage wieder bei seinem Regiment nach er folgter Wiederherstellung von schwerer Verwundung eingetroffen war und der Oberst und Kommandeur des 3. Gardegrenadierregiments „Königin Elisabeth" v. Zaluskowski. — Graf v, Waldersee einer der vorzüglichsten Offiziere ist nebst noch zwei anderen Offiziere» leider einer jener Schandlhaten erlegen, die der Feind in diesem Kriege so oft begeht: der Nichtachtung des Kriegsrechts. In einem Hause des Dorfes wurde die weiße Fahne herausgesteckt und Oberst v. Waldersee nahte mit seinen» Adjutanten diesem Hause in der Meinung, daß die Besatzung sichergeben wolle. Noch wenige Schritte davon wurden Beide durch die Brust geschossen. Ein Offizier, welcher ihnen zur Hülfe eilen wollte, hatte dasselbe Schicksal. — Die Wuth der Soldaten ist grenzenlos. Die „N. Fr. Presse" sagt über das neueste Circular von Favre: Dasselbe ist nicht geeignet, die Situation zu Gunsten des Friedens zu gestalte». Immer noch dieselben Illusionen, immer noch der Standpunkt des Rundschreibens vom 7/September. Jules Favre betrachtet auch heule noch, nach Allem, was seit zwei Monaten sich ereignet, eine Gebietsabtretung für unmöglich. Er constatirt, daß der Waffenstillstand an der Verproviantirung von Paris scheiterte, für welches man Lebensmittel für einen Monat verlangt habe. Wenn der Waffenstillstand nicht die Einleitung zum Frieden war, sonder» lediglich eme polnisch nicht weiter verbindliche Suspendirung der Feindseligkeiten, so war man auf deutscher Seite es sich selber schuldig, nicht darauf einzugehen. Mit dem Standpunkte, auf dem