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WilsdMrTagebW Fernsprecher Wilsdruff Nr. 6 Wochenblatt für Wilsdruff und ümgegend pssischrckkcnto Leipzig 286^4 Dieses Blatt enthält die amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amtsgerichts Wilsdruff, des Stadtrats zu Wilsdruff, -es Forstrentamts Tharandt Verleger und Drucker: Arthur Zschunke in Wilsdruff. Verantwortlicher Schriftleiter: Hermann Lässig, für den Inseratenteil: Arthur Zschunke, beide in Wilsdruff. Mittwoch den 27. Oktober 1920. Nr. 249. 79. Jahrgang. Kleine Zeitung für eilige Leser. * Der Jahresetat des Völkerbundes ist aus rund 20 Mil lionen Goldfrank festgesetzt worden. * Gerüchtweise verlautet, die englische Regierung schlage »Ls'^'.»deutsche Gesamtschuld auf die unsinnige Summe von 300 Milliarden Goldfrank, zahlbar in 42 Jahren, festzusetzen. * Nach einer Verordnung des preußischen Ministers des Innern wird die Polizeistunde für ganz Preußen auf 10 Uhr festgesetzt. * In Hannoverhat der Reichsparteitag der Deutschnationalen Volkspartei begonnen. * Der polnische Vertreter in Prag, Wysocki, wurde zum Ge schäftsträger in Berlin ernannt. An seine Stelle kommt nach Prag der bisherige Gesandte in Madrid, Tomaczowski. * Der Bürgermeister von Cork, der zum Protest gegen die englische Justiz seit dem 17. August im Gefängnis gehungert Hat, ist gestorben. * Die bolschewistischen Zeitungen zeigen an, daß dieses Jahr das Defizit der Finanzen der Sowjetregierung die unglaub liche Ziffer von 1000 Milliarden erreicht hat. * Die serbischen Truppen haben das Abstimmungsgebiet Kärnten jetzt endgültig geräunft. Ein Heldentod! Es Hat etwas lange gedauert, bis dem Bürgermeister von Cork der Beweis für die Echtheit seines Hungerstreiks gelungen ist. Aber nun, da aus London gemeldet wird, kurz und bedeutsam, wie immer in solchen Fällen: „Der Bürgermeister von Cork ist gestorben", nun weist man todsicher sozusagen, daß wir es hier in diesen Sohne der grünen Insel mit einem wahrhaften Märtyrer der großen Sach? des irischen Volkes zu tun gehabt haben Er wurde am 17. August, als die Aufstaudswogen in Irland wieder einmal hochgingen, zusammen mit 10 oder 20 Gesinnungsgenoffen verhaftet und vom Kriegsgericht kurzerhand zu zwei Jahren Gefängnis verurtei i. weil man in seinem Schreibtisch einen Geheimschlüssel der irischen Landespolizei aufgefunden hatte, was zu der Folge rung Anlaß bot, daß der Bürgermeister an einer Ver schwörung zur Beseitigung der englischen Herrschaft über Irland beteiligt ge wesen sei. Bürgermeister Mac Swinney protestierte gegen die ihm zuteil ge wordene Behandlung, indem er sofort jede Nahrungsauf nahme verweigerte, und ver blieb standhaft bet diesem Entschluß, so sehr amtliche wie private Vermittler sich auch bemühten, seinen starren Sinn zu erweichen. Die britische Regierung wurde mit Bittschriften und An trägen auf Haftentlassung Mac Swiuneq, des Bürgermeisters förmlich Bürgermeister von Kork ch. überschüttet, lehnte aber, wenigstens nach außenhin, jedes Ein lenken ab, unter Berufung darauf, daß sonst der Gesetzlichkeit, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, dem Vertrauen der Polizei auf Gewährung des unbedingt erfolgenden Schutzes für die persönliche Sicherheit ihrer ausübenden Organe der schwerste Stoß versetzt würde. Auch von Amerika her wurde Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um das Leben des Bürgermeisters aus der selbstverschuldeten Gefahr zu retten. Aber die Negierung sah leine Möglichkeit, der Justiz in den Arm zu fallen, zumal inzwischen der mit Pulver und Blei, mit Handgranaten und Dynamit geführte Kleinkrieg in Irland seinen erbarmungslosen Fortgang nahm. Heimlich hoffte sie vielleicht, da die Konstitution des Bürgermeisters den Hungerstreik merkwürdig gut und lange zu ertragen schien, daß das äußerste in diesem Falle mit Hilse irgend welcher natürlicher oder übernatürlicher Wunder abgewendet werden würde. Darin hat sie sich getäuscht und wird nun die Folgen ihrer Unnachgiebigkeit tragen und vor dem eng lischen Volk verantworten müssen. Diese schwere Belastung ihres politischen und moralischen Kredits kommt den britischen Staatsmännern gewiß in diesem Augenblick höchst ungelegen. Der Riesena isstand der Bergarbeiter nimmt alle ihre Überlegungen ohneües bereits vollkommen in Anspruch, und noch weist man nicht, ob die Bemühungen, ihn durch immer neu aufgenommene Ver handlungen aus der Welt zu schaffen, ehe schwere Er schütterungen des gesamten Wirtschaftslebens «inrreten, Er folg haben werden. Die Irländer werden aber auf die gefährdete Lage des Londoner Kabinetts nicht die mindeste Rücksicht nehmen. Sind sie schon bisher mit bewunderungs würdiger Opserfreudigkeit den militärischen und polizeilichen Streitkräften, die ihnen auf den Hals geschickt wurden, zu leide gegangen, so wird ihre Kampflust jetzt, nach dem Märtyrertode des Bürgermeisters von Cork, auch das letzte Bedenken fallen lassen. Außerhalb ihres Landes kann man sich von den Zuständen, die jetzt dort herrschen, wohl schwerlich eine richtige Vorstellung ryachen; dafür sorgt schon die ganze Art der englischen Berichterstattung, die der Welt nur mit äußerstem Widerstreben gerade die allerkärg lichsten Mitteilungen über die blutigen Kämpfe auf der Insel zukommen läßt. Wenn aber jetzt auf allerlei Um- wegen zum Beispiel bekannt wird, daß Dublin, die Haupt stadt des Landes, in der Gewalt der Sinnfeiner sei, und daß der stellvertretende Vizekönig abermals Truppenver stärkungen von London erbeten habe, so kann über die Er folglosigkeit aller bisherigen Anstrengungen zur „Beruhigung" Les Landes kein Zweifel sein. So gelassen die britischen Minister sich auch über die Lage äußern, sobald ihnen im Unterhause von Neugierigen oder mißtrauischen Abgeordneten die Zunge gelüst wird, so klar ist es doch, daß es sich hier um einen Kampf auf Leben und Tod handelt, und daß bei der Art, wie er geführt wird, England schließlich den kürzeren ziehen mutz. Es sei denn, daß es den Aufstand in Blut ersticken will, wie es das ja schon wiederholt getan hat. Aber dieses Beispiel früherer Zellen läßt sich in der Gegenwart doch nicht ohne weiteres wiederholen; man ge niert sich mehr als ehedem vor der öffentlichen Meinung der Welt, und leibst, wenn irgendwo in Hintertndten ein über schneidiger General in einen eben so Harm- wie wehrlosen Volks haufen blindlings hineinschießen läßt, muß er sich deswegen heute schon in der Heimat vor dem Parlament verant worten. Irland liegt aber nicht nur im Angesicht der alten, sondern auch der neuen Welt. Da muß man also schon, bis. zu einem gewissen Grade wenigstens, den Anschein der Humanität aufrechterhalten. Ein äußerst schwieriger Wider streit der Interessen, in dem selbst der sonst niemals ver legene Premierminister kaum wissen wird, wie ein Ausweg zu finden sei. Das wissen natürlich die Irländer, und das mutz sie in dem Feuereifer für ihre Sache nur noch mehr bestärken. Der Bürgermeister von Cork wird jedenfalls für die große Sache seines Volkes nicht vergebens gestorben sein! Ungerechte Verteilung der Rohstoffe. Ein Vorstoß Tittonis. Unter den Schriftstücken, mit denen der Völkerbund sich zu befassen haben wird, befindet sich ein Bericht Tittonis, der auf die schlechte Verteilung der Rohstoffe hinweist. In de» Schlußfolgerungen feines Berichtes schlägt Tittoni vor, einen Ausschuß zu bilden, der diese Frage prüfen und bestimmte Vorschläge ausarbeitcn soll, um die Monopolisierung der Rohstoffe durch die einzelnen Ne gierungen zu regeln, oder durch einen großen, zwischen staatliche« Trust zu verhindern, daß die Verteilung der Rohstoffe in unregelmäßiger Weise erfolgt. Allen Staaten soll eine gerechte und gleichmäßige Behandlung in kommer zieller Hinsicht gewährleistet werden. Es wäre, so heißt es in dem Bericht weiter, im höchsten Grade unvorsichtig und gesährlich, die Welt vor ein Dilemma zu stellen, das entweder zur Ausbeutung der Menschheit durch eine ungeheuerliche kapitalistische Verbindung oder auf die schrecklichen Abwege des Kommunismus und Anarchis mus führen würde. Zu Ehren der Menschheit und zur Wahrung der Zivilisation müßten andere Wege gefunden werden. Der Friede und die Gerechtigkeit zwischen allen Völkern müßten durch den Völkerbund gesichert werden. Oer Streik -er Bergleute. Krieg oder Frieden. Nach holländischen Blättermeldungen erklärte Lloyd George mit Bezug auf den Bergarbeiterstreik einer Abi ordnung gegenüber, es könne innerhalb weniger Stundet? Frieden sein. Die Lage könne sich jedoch auch zums größten Kampf entwickeln, den England je durch gemacht habe. „Evening News" melden über die bis herige Wirkung des Streiks, die Verluste an Steinkohlen für das Land betrügen 2 600 000 Tonnen. Die Zahl der Arbeitslosen belaufe sich auf insgesamt 1 650 000, der Gesamt verlust an Löhnen auf 8 255 000 Pfund Sterling. Lloyd George hat den Vollzugsausschuß des Berg- arbetterbundes zu einer Konferenz eingeladen. Diese Ein ladung wurde angenommen. Der Vollzugsausschuß ersuchte daher die Eisenbahner, ihren Streik auf unbestimmte Zelt zu verschieben, um die neuen Verhandlungen nicht zu be einträchtigen. Forderungen der französischen Grubenarbeiter. Der Nationalrat der französischen Bergarbeiter hat, wie aus Paris gemeldet wird, dem Arbeitsminister und dem Minister für öffentliche Arbeiten seine Forderungen unter breitet. Er fordert einen Tageslohn, der fünfmal höher ist als der vor dem Kriege, und ferner Zulagen für die Arbeiter unter Tage. Der Nationalrat verlangt eine Antwort bis zum 30. Oktober, um gegebenenfalls die Verhandlungen über die neue Gehaltsskala mit den Grubenbesitzern am 2. No vember beginnen zu können. Am 14. November müßten die Verhandlungen zu Ende geführt sein. Die neue Lohnskala soll am 1. November in Kraft treten. Die Haltung der deutsche« Bergarbeiter. In einer in Bochum abgehaltenen Reoierkonferenz des Alten Bergarbeiteroerbandes führte der Verbandsoorsitzende Husemann aus, daß, wenn von den englischen Bergarbeitern ein Sympathiestreik der deutschen Bergarbeiter verlangt würde, noch zu überlegen wäre, ob nicht andere Mittel und Wege zur Verfügung ständen. Die deutschen Bergleute würden aber mit allen Mitteln verhindern, daß deutsche Ruhrkoble, die an die Entente abgeliefert werden müsse. nach England komme. Aber auch in diesem Falle würden sie sich zunächst an die Transportarbeiter wenden. Die Amerikaner. Die amerikanische Gewerkschastsunion schlägt zur Unter stützung der Forderungen der englischen Kohlenarbeiter vor, die Ausfuhr amerikanischer Kohle zu verhindern. Die Ge werkschaft der Lader in Newyork hat ihre Mitglieder auf gefordert, das Verladen von Ausfubrkoble zu verhindern. ViehverschieSungen nach dem Ausland. Eingreifen des Transportarbetterverbandes. Der Überwachungsausschuß für Fleisch-Einfuhr hat sich in seinen letzten Sitzungen mit der Frage der Viehoer schiebungen aus Deutschland befaßt. Der im Ausschuß ver tretene Bund der Viehhändler Deutschlands hat berichtet, daß trotz der von ihm getroffenen Maßnahmen Tiere aus Bayern nach Böhmen verbracht werden. Aus der Rhein provinz soll Vieh nach Belgien, Holland und Luxemburg, ebenso nach dem Saargebiet verschoben werden. Aus dem früheren Fürstentum Birkenfeld geht ebenfalls Vieh nach dem Saarstaat, auch werden nach den ehemaligen Reichs landen aus den süddeutschen Staaten (Baden, Pfalz) Vieh transporte geleitet. Teilweise sollen die Verschiebungen durch die Eisenbahn und auf dem Seewege, zum größten Teil jedoch auf dem Landwege über die grüne Grenze er folgen. Der Überwachungsausschuß ist bei dem Minister für Ernährung und Landwirtschaft vorstellig geworden und hat ihn ersucht, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln dieses verbrecherische Unwesen zu bekämpfen. Es hat ferner eine Besprechung mit dem Reichsbeauftragten für die Über wachung der Ein- und Ausfuhr und dem Transportarbeiter und Eisenbahnerverband im Überwachungsaussckuß statt gefunden. Der Transportaibeiteroerband hat bereits einen Ausruf an seine Mitglieder und an die Hafenarbeiter er lassen, in dem diese aufgefordert werden, Viehtransporte nach dem Ausland nicht zu verladen. Die Eisenbahner haben ebenfalls ihre Mitwirkung bei der Verhinderung der Verschiebung von Vieh nach dem Auslande zugejagt. Es wird demnächst eine Besprechung über die Frage stattfinden, zu der sämtliche für die Bekämpfung der Ver schiebung in Frage kommenden Kreise und Organisationen hinzugczogen, werden. Es steht zu erwarten, daß die Be mühungen des Überwachungsausjchusses für Fleischeinfuhr baldigen Erfolg zeitigen werden. OeuLschnalionaler parieiiag. Hannover, 25. Oktober. Dem soeben eröffneten Reichsparteitag der Deutsch- nationalen Volkspartei ging am Sonntag eine Sitzung des Hauptvorstandes voraus, von der aus sich eine Abordnung zum Generalfeldmarschall Hindenburg begab, um diesem 4ie Huldigung der Partei darzubringen. Die stark besuchte Tagung wurde eröffnet mit einer Rede vom Staatsminister a. D. Hergt. Dieser betonte u. a.: „Wenn unser Aufgebot schon im vorigen Jahr für eine junge Partei groß war, so sind wir inzwischen gewaltig gewachsen. Im Juni des Vorjahres standen 3,1 Millionen Reichstagswähler hinter uns. Inzwischen haben wir einen schmerzlichen Augenblick erleben müffen, indem deutsche Grenzmarken von uns gerissen wurden. Mit den deutschen Brüdern, die heute jenseits der Grenze leben und denen wir in alter Treue unsere Grüße senden wollen, haben wir Tausende und aber Tausende, ja Hunderttausende von unseren Parteifreunden verloren. Aber wir haben nicht nur diesen Verlust wieder ausgeglichen, sondern sind weit, weit über dieses Ziel hinaus angewachsen. Heute ngch der Reichstagswabl vom 6. Juni stehen fast 4 Millionen Reichstagswähler hinter uns, wenn man in drei Provinzen, die noch nicht ge- Mhlt haben, die alten Wählerzahlen zugrunde legt. Aber wir wissen, daß auch in diesen drei Provinzen der Ruck nach rechts vor sich geht und dann werden uns wiederum Hundert tausende von Wählern zuströmen, so daß wir heute schon sagen können, wir sind in Wahrheft die stärkste bürgerliche Partei. Das sind aber nur Etappen auf unserem Wege. Vorwärts muß es gehen. Wir betreiben Weltanschuungs- politik, Politik der groben Ziele, Politik der wellen Sicht. Vielleicht war es förderlich für unS, daß wir Oppositionspartei waren. Wir haben dennoch positive Mitarbeit genug geleistet bei der Gesetzgebung, indem wir durch unsere Anträge das schlimmste verhindert haben. Es ist eine Pflicht für uns, Opposition zu treiben unter der heutigen Herrschaft des parla mentarischen Systems, damit die Interessen der Minderheiten gewahrt bleiben, die sonst so leicht verloren gehen, damit das System erinnert wird an seine Verantwortlichkeit. Das Positivste ist aber eben, daß wir uns durch gerungen haben zu einer einheitlichen geschloffenen Welt anschauung, zu einer Weltanschauung, die so ausgebaut ist, daß unter ihrem Banner die breitesten Massen des Volkes zmammenstrümen können. Ich möchte den Wunsch und die Hoffnung aussprechen, daß unser Parteitag gerade nach außen hin dieses Zeichen zum Ausdruck bringt, daß wir die Partei der Ideale sind, die Partei mit dem durchgeistigsten Pro gramm. Wir können nicht an taktischen Fragen und an Koalitionsfragen vorübergehcn. Meine zweite Hoffnung ist deshalb, daß der Perteitag auch auf dem taktischen Gebiete zu einer klaren und zielbewußten Auffassung sich durchringt. Klar und zielbewußt wollen wir jede Kompromißpolitik ablehncn. Die Augen Deutschlands sind auf unsern Parteitag ge richtet. Die andem Parteitage waren mehr oder weniger eine. Enttäuschung,, ja efti .grobes Fiasko.. Der General-