Volltext Seite (XML)
— 4S4 — Ai« Ne IS7I «leüetirame» erzählt Sebastian Hensel in seiner Autobiographie. Hensel war nachts um vier Uhr am Anhalter Bahnhof in Berlin. Was er da sah, schildert er wie folgt: „Das war m den Wartesälen ein tolles Treiben. Alle Räume vollgestopft mit aufgeregten Landwehrfrauen und Kindern, alle mit Kränzen und Girlanden und Sträußen bewaffnet; seit dem vorigen Abend erwarteten sie schon die Männer und Väter, die Kinder lagen schlaftrunken aus den Sesseln und Sofas herum, die Frauen schwatzten und lachten und weinten durch einander. Es war ein reizender Anblick. Ich unterhielt mich mit einigen; namentlich eine robuste Fraü mit drei pracht vollen Kindern zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie war ganz toll vor Freude und Erwartung. „Na, liebe Frau," sagte ich, „wenn sich nun ihr Mann einen französischen Schatz mitgebracht hat!" .„Ach wat", entgegnete sie, „det schad't wischt — ick gönne andern och wat Jutes!" Aber sie sah mir gar nicht so aus, als wenn der französische Schatz einen sehr angenehmen Empfang gehabt hätte, wenn er gekommen wäre. So verging Stunde auf Stunde; es wurde acht Uhr, und der erwartete Zug war noch immer nicht in Sicht. Der Perron war durch Militärposten abgesperrt; man wollte erst die Ausschiffung der Mannschaften bewirken, ehe man dre Frauen und Kinder heranließ, um Unglück zu verhüten. Kanter Ler Postenkette standen die dichten Massen und reckten Nie Hälse. Da plötzlich — eine Rauchwolke — sie kommen! sie kommen! Und im selben ^Augenblick waren die Sol daten überrannt und in wildem Getümmel stürzten die Weiber und Kinder mit tollem Jauchzen auf den ankommenden Zug, zwischen die Wagen, auf die Trittbretter, in die Wagen — dre Männer heraus, alles in einem großen unentwirrbaren Knäuel. Das war ein Gehege und ein Geküsse; ein Jubel, und eine Freuds, daß mir die Hellen Tränen aus den Augen stürzten. Die Offiziere ließen das.eine ganze Weils sich austoben. Dann wurde das Bataillon formiert und sollte vors Schloß marschieren und vor dem alten Kaiser defi lieren. Aber, du lieber Gott! Es ging sehr unmilitärisch zu! Die Frauen nahmen die Gewehre, die Männer die KmLer ^uf den Arm, und so ging der Zug die Königgrätzer Straße und die Linden entlang vors Schloß." Vie stSiiberbam!« als Zoläatenrat Unter dem Deckmantel eines Arbeiter- und Soldaten- rates hat eine aus 12 Soldaten bestehende Räuberbande in Grünau mehrere Tage ihr Unwesen zu treiben verstanden. Aus Mannschaften des dortigen Depots für den Offiziers- asprranten-Kursus der Nachrichtentruppe bildete sich unter dem Vorsitz eines Vizefeldwebels Schadow ein sogenannter wilder Soldatenrat, der auch zugleich den Sicherheitsdienst für die Gemeinde Grünau mit übernahm. Diese Leute, di« keine Bestätigung des Berliner Soldatenrates einforderten oder besaßen, beschlagnahmten zunächst dir Kasse des Depots, m der sich noch 70—75 000 Mark befanden, und begannen dann die ihnen anvertrauten Waren zu veräußern. Nachdem das nicht mehr allzugroße Lager „geräumt", streiften sie die Umgebung ab und entnahmen aus Bauernhöfen und Speichern gegen Requisitionsscheine, die den Stempel „Ar beiter- und Soldatenrat Grünau" trugen, Lebensmittel aller Art. So beschlagnahmten sie namentlich Geflügel, ganze Rin der, Getreide, Mehl und anderes. In der Försterei Grünau nahmen sie außer einem Reh auch sämtliche Jagdwaffen der Försterei mit. Alle diese Vorräte boten sie 'in Grünau öffentlich aus und fanden natürlich willige Käufer, die zu Höchstpreisen die zusammengeraubten Lebensmittel erstanden. Damit nicht genug, veranstaltet; der falsche Soldalenrat nachts förmliche Raubzüge innerhalb der Gemeinde, so daß sich schließlich niemand mehr abends auf die Straße getraute. Mff die Klagen der Bürgerschaft rief schließlich der Gemeinde- oorstand Grünau, der dem Treiben dieser Soldateska hilflos gegenüberstand, den Arbeiter- und Soldatenrat Adlershof um Hilfe an, der eine Sicherhritswache entsandte. Es gelang, einige der Gauner noch zu fassen. Die anderen hatten sich mit ihrem Führer, dem Vizeseldwebel Sch., unter Mitnahme der erbeuteten Gelder aus dem Staube^ gemacht. Die ge raubten Waren und Lebensmittel wurden der Gemeinde Grünau übergeben, um sie ihren rechtmäßigen Eigentümern wieder zurückstellen zu können. llemiledter ' Was Groß-Berkn verspeist . . . Angenommen auf den Kopf der Millionenstadt käme durchschnittlich im Tage V; Pfd. Brot, 1 Pfund Kartoffeln, 15 Gramm Fett und 30 Gramm Fleisch. Das ergibt schon «inen Tagesbedarf von 20 000 Zentner Brotgetreide, 40000 Zentner Kartoffeln, 1200 Zent ner Fett und rund 2300 Zentner Fleisch. Und das ist der heutige Kriegsbedarf. In Friedenszeiten wird wahrschein lich mehr Brot, sicher mehr Kartoffeln und fünfmal soviel Fleisch verbraucht. Der Bedarf an Vollmilch ist unter heutigen Verhältnissen rund 10 000 Hektoliter. Auch ohne die anderen Lebensmittel, wie Gemüse, Obst, Zuckers Suppeneinlagen usw. braucht Berlin mindestens täglich 16 vollbeladene Eüter- züge zu je 30 Wagen, das Fleisch, in lebendes Vieh um gerechnet, zusammen also rund 30 Güterzüge! Täglich! — Der Jahresbedarf der Menschenmasse Groß-Berlins ergibt natürlich ganz ungeheure Zahlen: 20000 Zentner Brot sind bekanntlich täglich tausend Tonnen, also im Jahre 365 000 Tonnen; von der Bedeutung dieser Zahl macht man sich erst einen Begriff, wenn man bedenkt, daß ganz Württemberg und Baden in einem guten Erntejahr kaum 275 000 Tonnen Weizen und Roggen ernteten. ' Das Klavier der Gefangenen. Die in einem Hafen schuppen in Lübeck untergebracht gewesenen englischen Ge fangenen hatten sich auch ein Piano angeschafft. Bei ihrer Abreise beauftragten sie den Soldatenrat, das Instrument ! dem Waisenhaus als Geschenk zu überweisen. i * Sächsischer Humor. Aus Uerdingen am Rhein wird l uns über den Durchzug sächsischer Truppen berichtet: Aufschrift - und Ausschmückung der Fahrzeuge zeigten, daß die Leute noch den alten Humor besaßen. Auf einem Kraftwagen thronte ln Ueberlebensgröße „Irene, die neue Friedensgöttin!" Ein Lastauto, welches auf dem Marktplätze einen Achsenbruch erlitt, trug die Aufschrift: „Hier hab ich so manches liebe Mal mit meinem Heimweh gesessen." Eine schwierige Frage trug em anderes Auto als Aufschrift: „Schneider, haben Sie meinen Zivilanzug fertig?" Eine in Zwickau in Sachsen beheimatete Jagdstaffel schrieb an ihren Kraftwagen: „Ans nach Zwicke, und nie, nie mehr zurücke!" * Wie man Räuber fängt. Durch ein ungewöhnliches, s«hr energisches Mittel gelang es dem Leutnant Gerlach vom Ratiborer Soldatenrat, einer Räuberbande aus dem Dorfe Lubom habhaft zu werden, die die umliegenden Güter mit Diebereien und Erpressungen heimsuchte und durch Droh ungen mit Mord und Brand in Schrecken setzte.. Im Ein verständnis mit dem Soldatenrat zog er mit einem Trupp Soldaten und einem Maschinengewehr nach Lubom, berief eine Volksversammlung auf dem Dorfplatz vor der Kirche «iw und forderte rn einer eindringlichen Ansprache di« Nennung der Rädelsführer der Bande. Als das noch keinen Erfolg hatte, ließ «r sofort wahllos zehn Leute aus der Versamm lung herausgreifen und an die nächste Mauer stell«». Ein« Abteilung Soldaten trat vor und nun erklärte Leutnant Gerlach, daß die Zehn erschossen würden, falls er nicht sofort die verlangten Namen erfahre. Aber erst als das Kommando ,^L«gt an!" erscholl, begannen die Leute weich zu werden, und als das Zählen: „1 — 2 —" losging, wurden die Namen der Hauptbandtten laut. Sofort verteilten sich die Soldaten rm Dorfe und nahmen drei der Rädelsführer fest, einen vierten, den schlimmsten, erwischten sie später. Ein fünfter soll inzwischen in Breslau gefaßt und bereits erschossen wor den sein. 'Bei der Rückkehr von Lubom wurde Leutnant Ger lach vom Felde her von Unbekannten beschossen, aber glück licherweise nicht getroffen. ' 278 Entthront«. Die durch den Sturm der großen^ deutschen Revolution von ihren Thronen herabgewehten 20 Dynastien von verschiedenem Rang bilden ein recht ansehnliches Häuflein. Nach der Berechnung eines Berliner Blattes hat die Revolution nn ganzen 278 Angehörige deutscher Fürsten familien betroffen. ' Demobilisierung der Jagdstaffel Richthosen. Die unt«r der Führung der Gebrüder von Richthofen vereinigten Jagd staffeln, dis sich während de^ Krieges den Ruhm als bestes deutsches Jagdgeschwader erworben haben, werden zurzeit demobilisiert. Das Geschwader hat über ÄOO feindliche Flie ger abgeschossen, 118 Offiziere und Mannschaften durch den Tod verloren und 130 Offiziere durch schwere Verwundungen emgebüßt. Verantwortlicher Redakteur: Ernst Roßberq in Frankenberg i.S. — Druck und Verlag von C. S. Roßberg in Frarckenberg i.«-