Volltext Seite (XML)
— 482 — K -ZLZ -hat! — Ich selbst bin Zeug« gewesen, wie du ihr str«ng befohlen hast, im Zimmer zu bleiben und Sissi zu beauf- fichtigen! — Und wäre sie diesem Gebot nicht doch infolge einer inneren Unruhe ungehorsam geworden, so hättest du auch noch den Tod deines Sohnes zu beklagen gehabt und hättest niemand verantwortlich machen können! Mit Nichtachtung ihres eigenen Lebens hat Fräulein Berger dir Ossi gerettet — und das ist dein Dank!" Fest und stark hielt er Lore im Arm, um sie vor dem Angriff der anderen zu schützen. Er fühlte ihr armes, ge ängstigtes Herz ungestüm an dem seinen klopfen und beruhi gend drückte er sie an sich. Doch Lella achtete seiner Work nicht; sie schrie und erging sich in sinnlosen Anklagen. .' „O, daß ich einen Vater hätte, der mich vor diesen un gerechten Vorwürfen schützte!" jammerte Lore. Sre war dem Umslmen nahe. „Seien Sie ruhig, Kind! Wir alle wissen, was Sie getan haben!" Rüdiger sprach ihr mit seiner begütigenden Stimnie beruhigend zu. „Ewig wird unser; Familie in ihrer Schuld bleiben!" Sern Mitleid mit der Schwägerin machte dem Gefühl erner zornigen Empörung Platz angesichts einer solchen Un gerechtigkeit. . „Mir aus den Augen!" rief dis Gräfin außer sich, „ich kann sie nicht mehr sehen, die schuld am Tods meines Kindes ist — sie verläßt mein Haus noch heute — trotzdem du dich als ihr Ritter und Beschützer aufspielst." „Das wird sie nicht!" entschied Rüdiger, „die Retterin deines Kindes hinausjagen — schlägst du so aller Gerechtig keit ins Gesicht? Sprichst du so aller Dankbarkeit Hohn? Ich habe mich Fräulein Bergers angenommen, wie ich bei jedem zu handeln pflege, der Unrecht erleiden mutz. — Ottokar, hast du denn kein Wort für das Mädchen, dem du so viel zu danken hast?" Vorwurfsvoll wandte er sich an seinen Bruder, der so schwach und unmännlich den Vorwürfen seiner Frau nicht Enthalt gebieten konnte. „Ich will Nora Berger halten, als sei sie mein eigenes Kind! Sie soll sagen, was sie begehrt! Alles will ich ihr geben, wei: sie mir meinen Sohn gerettet hat!" sagte er jetzt mit schwankender Stimme, ging auf Lore zu, schloß sie in die Arms und drückte einen Kutz auf ihre Stirn. Die Gräfin brach in ein hysterisches Lachen aus, das dann in ein krampfhaftes Schluchzen überging. „Ich begehre nur das eins: daß man mich noch heute nach dem Wunsch der Frau Gräfin gehen läßt!" entgegnete Lor«, „nicht um alles in der Welt kann ich nach dem, was ich habe hören müssen, noch eine Stunde hier bleiben." Sie wankte an das Lager des jungen, frühvollendete» Kindes und erfaßte dessen erkaltete Hand. „Du weißt vielleicht, wie gern ich dich gerettet, wie gern ich jetzt an deiner Stelle wäre! Wie schweres Unrecht dre Vorwürfe sind, die man mir gemacht — du weißt es!" flüsterte sie mit zuckenden Lippen, den tränenvollen Blick ans das entstellte Gesicht Theklas gerichtet. Und noch einmal: „Du weißt es!" In schlichter Größe stand sie da. Ihre Gedanken waren weit weg, man sah es an dem fremden Ausdruck ihres Antlitzes, über das ein Erschrecken ging, als Rüdiger sie jetzt anredete, und sie bestimmen wollt«, doch zu bleiben. Sie schüttelte den Kopf. „Nein! Ich kann nicht bleiben. Nur Ossi möchte ich noch einmal'sehen!" bat sie mit versagender Stimme. Vor seinem Bett sank sie nieder. Er lag in friedlichen, Schlummer — er schlief wohl seiner Genesung entgegen. Si« preßte die brennenden Augen auf die seidene Decke. Wk schwer wurde es ihr doch, fortzugehen — wie mit tausend Armen fühlte sie sich gehalten und doch brannte ihr der Boden unter den Füßen. Sie mußte fort — gleich — trotz der körperlichen Schwäche, der sie kaum noch Herr werden konnte. Alles dreht« sich um sie; große feurige Rmge kreisten vor ihren Augen. Doch mit Bettys Hilfe hatte sie bald ihren Anzug voll endet. Das Päckchen mit den Briefen der Mutter nahm sie an sich und ihre Barschaft. Alles übrige sorgsam einzupacken und ihr nachzuschicken, versprach ihr unter Tränen das ihr treu ergebene Mädchen. Unten in der großen Hall« vertrat ihr der Legationsrat betastete sie den Körper, schüttelt« ihn, rief kosend« Worte — doch keine Antwort kam * Ein Schrei, der nichts menschliches mehr an sich hatte, . rang sich aus ihrer Brust. Aus den Knien liegend wandte sie sich um und sah Rüdiger, der ihr gefolgt war, mit un heimlich drohenden Augen an. „Wie konnte das geschehen?" Er gab ihr Bescheid; sie hatte den Sinn seiner Wort« nutzt "klar erfaßt. „Wo wäret denn ihr?" keuchte sie, „hat denn niemand acht gegeben, daß mein Kind, mein schönes, unglückliches Kind «men jo «lenden Tod finden mußte! Warum antwortest du denn nicht? — O, ihr alle, ihr all« tragt die Schuld daran!" schrie sie gellend quf. Scheu drückte sich die Dienerschaft vor der offenen Tür herum. „Klage nicht an, Lella!" sagte Rüdiger, „beschwere nie mand mit einem solchen Vorwurf! Es ist ein unglücklicher Zufall, Theklas eigene Unvorsichtigkeit —" „Atz, du hast sie nie gemocht, und nun beschuldigst du mem argnes Kind, das sich nicht mehr verteidigen kann! — Wo wärst denn du, Rüdiger? Und der Vater — ? Euch mache ich verantwortlich." Er rechtete nicht mit ihren Worten; sie war ja eine in ihren tiefsten Tiefen erschütterte Frau, die nie im Leben etwas Trübes erfahren hatte, und nun doppelt leiden mutzte. Erschüttert beugt« er sich zu ihr nieder und wollte sie «mporheben; doch sie stieß ihn von sich. Da trat Ottokar zu ihr hin, schwankenden Schrittes; um Jahre gealtert sah er aus. - - ,Kella," — in halbersticktem Stöhnen rang sich ihr Name von seinen Lippen. Sissi weinte bitterlich Und eilte auf sie zu. „Mama, lieb« Mama! Die arme Titi —" Doch die Gräfin rief außer sich: „Ja, die arme Titi — sie mußte gehen! Warum «richt du -?" Da wurde das Kind totenblaß und starrte die Mutter mit einem so herzzerreißenden Blick an, daß es Rüdiger in die Seele schnitt; ihr Weinen verstummte, und mit einer verzweifelten Gebärde warf sie sich dem Vater leise wimmernd in die Arme. In Rüdiger quoll ein heißer Zorn auf. Das hätte Lella auch in ihrem größten Schmerze nie ,agen dürfen! Nie konnte sie verantworten, was sie mit diesen Wortes in Ihres Kindes Seel« vernichtet hatte. War sie denn ganz von Sinnen?" Da richtete sich Lella . auf. Ein plötzliches Erinnern kam ihr. „Wo ist die Berger?" „Sie ist noch leidend, Lella! Du kannst sie jetzt nicht fragen! Ick habe dir ja bereits alles mitgeteilt! Willst du nicht erst nach Ossi sehen? Der Arzt ist bei ihm!" sagte Rüdiger. „Die Berger soll kommen!" beharrte sie eigensinnig, „sie soll .kommen! Von ihr selbst will ich hören, wie sich alles zugetragen hat." Blaß und zitternd, mit Tränen in den Augen, stand Lori dann vor ihr. „Ich habe Thekla nicht mehr retten können!" flüsterte sie, ,,«s ging über meine Kraft —" Gräfin Lella stürzte auf sie zu, faßte sie fest an den Ober armen und schüttelte sie. „Gib mir mein Kind wieder!" schrie sie, „von dir son dere ich es — du bist verantwortlich gewesen — du trägst dre Schuld —" ' Wimmernd sank das junge Mädchen in die Knie. „Ich habe keine Schuld." „Ihnen waren die Kinder anvertraut. In sträflichem Leichtsinn haben Sie Ihre Pflicht vergessen." Schmerzlich schrie Lori da auf und legte die Hand vor das Gesicht. D«r Griff der Frau tat ihr so weh: mit eiserner Gewalt und erner Kraft, die man ihnen nicht zugekaut, hatten sich Lellas zarte Fingerchen in ihren Arm gekrallt. EeWnd schrie ihr die Gräfin «ine Flut von Anklagen ins Gesicht. Da riß Rüviger das wehrlos« Mädchen in seine schützen den Arme. „Schweige, Lella, mit deinen ungerechten Vorwürfen!" züknt« er, „auf den Knien müßtest du Fräulein Berger danken, daß sie dir wenigstens eins deiner Kinder gerettet srsr UIIU0P