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— 450 — sie «inen schwarzseidenen Mantel gezogen, ein; Thekla sprang geschwind nach ihr in den Magen, und Osfi, in einem weißen Matrosenanzug, wurde vom Diener hineingehoben — für Cäcilie war kein Platz da. Mit traurigem Gesicht stand sie da; dann schluchzte sie krut auf. " v „Sei doch vernünftig, Cäcilie, und weine nicht!" herrschte di« Gräfin das Kind an. „Willst du Papa mit verweinten Augen empfangen? Ich habe dir vorhin schon gesagt, daß Kin Platz ist. Wo soll Papa nachher sitzen?" Sie mochte sehr verärgert sein, weil sie „Cäcilie" sagte. „Ich hätte auch beim Joseph —" Thekla lachte höhnisch. „Eine Komtesse Allwörden und beim Kutscher sitzen! Du vergißt wohl, daß Franz mitfährt. Aber solche Idee sieht dir ähnlich. Ich bin die Aelteste — ich gehe vor." Selbstbewußt schlug sie die Füße übereinander, sah wohl gefällig auf die durchbrochenen seidenen Strümpfe und auf di« Kackschuhe mit den großen Stahlschnallen herab. Sie legte Lie rötlichen Locken nach vorn und rollte sie über den Finger. So.hübsch Thekla war — ihre Eitelkeit stieß doch ab; denn kindlich war das nicht mehr zu nennen. Hie fühlte sich ganz als große Dame . »Ich hoff«, Fräulein Berger, daß Sie Cäcilie zur Ver nunft gebracht haben, bis wrr zurück sind," ermahnte die Gräfin die junge Erzieherin. „Die Sentimentalität des Das war di« «rste Beg«gnung Jutta von Eggerts mit Erich B«rg«r gewesen. Wie er, dachte auch sie, jetzt daxan. Kerzengerade saß-sie da, hielt die Zügel fest und schaute mit hochmütigem Gesicht geradeaus, während ihr Vater nkft Förster Berger sprach. Ah, wenn sie gewußt hätte, wer heute morgen rhr Helfer gewesen war... Jutta hatte geglaubt, in ihm den jungen Hellwig vom Rittergut Steinsurt vor sich zu sehen, den sie persönlich noch nicht kannt«. Sie hatte sich schon diebisch auf das Zusam mentreffen mit ihm. auf sein verblüfftes Gesicht gefreut, wenn er heute nachmittag mit seinem Vater nach der Ober försterei kam. Zu dumm war alles. Aber der junge Förster sollte schon merken, wen er vor sich hatte. Diese Kühnheit von ihm, sie ein „Schmaltierchen" zu nennen. Und Erich fühlte ihren Aerger, ihren beleidigten Hoch mut, weil sie mit einem Untergebenen ihres Vaters, wenn auch unbewußt, so vertraulich geplaudert und gescherzt hatte. Es schmerzte und empörte ihn zu gleicher Zeit. Ihr Ver halten ließ ihn nicht im Zweifel. Mit einem flüchtigen, hochmütigen Kopfneigen verabschiedete sie sich, als sie weiter- fuhren. Frau Berger sah ihnen nach. „Der Oberförster ist doch immer recht nett. Aber seine Tochter — für so stolz hätte ich sie nicht gehalten; sie hat uns ja kaum beachtet! — Gut, daß unsere Lore nicht mit dabei war! Ihr Benehmen war ja direkt unmanierlich." Erich nickte flüchtig. Er sah im Geiste das schmale, vor nehme Gesicht des Mädchens vor sich mit den Rehaugen, dem feinen, roten, trotzigen Mudd, dem goldenen Kraus haar, das in üppiger Fülle unter dem weichen, vorn zurück- grschlagenen Lederhut hervorquoll. Di: zarte, kaum mittel groß« Gestalt voll biegsamer Anmut. Ihm wurde es heiß ums Herz, aber zum ersten Male kam ihm peinlich und drückend zum Bewußtsein, daß - es einen Unterschied gab zwischen der Person und 'dem Stand. .Warum war 'Jutta heute morgen geg«n ihn so liebenswürdig gewesen — und jetzt, da sie wußte, wer er war, so kalt? Neuntes Kapitel D«r Telegraphenbote hatte soeben Schloß Lengefeld ver lassen. „Papa kommt heute nachmittag, Fräulein Lora!" ju belte Cäcilie ihrer jungen Lehrerin entgegen. Ihre blassen Wangen waren vor Aufregung errötet, und die schönen, grauen Augen leuchteten; fast hübsch sah das Kind aus. „Ob mich Mama wohl mit nach der Bahn nimmt?" fragte sie ängstlich. „Titi und Ossi dürfen mit." „Dann wirft auch du nicht allein hiev bleiben!" sagte Kore beruhigend, allerdings gegen ihre Ueberzeugung, und dieses Gefühl behielt recht. Um vier Uhr hielt der offene Landauer an der großen Freitreppe des Schlosses; die Grä fin Allwörden in einem pastellblauen Tuchkleide, über das Kindes ist ja kaum noch zu ertragen. Ich wünsche, daß Sie dieser Veranlagung Cäcilies keinen Vorschub leisten." „Ich werde mich bemühen, Frau Gräfin," entgegnet« Lor«, Indem sie Sissis Hand beruhigend drückte. Beide sahen schweigend dem fortfahrenden Wagen nach Tapfer unterdrückte Cäcilie di« von neuem aussteigenden Tränen, und unwillkürlich hob ein tiefes Atmen ihre schmale, kleine Brust — der Mutter Gegenwart war wie ein Druck. Lore sprach ihr gut zu. „Ach, Fräulein, Mama har mich nicht lieb' Niemand hat mich lieb, weil ich so häßlich bin," schluchzte das Kind. Lore Mete neben ihr und schlang ihrs Arme um den Hals des Kindes.. „Sissi, ich habe .dich lieb." ' Ihre Lippen lagen lieb kosend auf deii tränennassen Augen des kleinen Mädchens. „Wirklich, Fräulein, wirklich?" Ein ungläubiges Stau nen klang aus Cäcilie,^ Stimme — und forschend, durch dringend, blickten die klaren Kinderaugen in Lores Gesicht. . / „Wirklich, Sissi! Du bist mir die Liebste!" „Lieber hätten Sie mich, als Ossi und Titi? Ja? Ach, i Fräulein, nun Habs ich doch jemanden, der mich lieb hat," jubelte sie. „Papa hat immer so viel zu tun, Mama ist nervös. Ach, und nun sind Sie da. Sze bleiben hier und gehen nicht fort von. mir?" Schmeichelnd drückte sie- ihren Mund auf die weiße Hand des jungen Mädchens. „Das liegt nicht an mir, Sissi. Wenn deine Mama mich l nun fortschickt?" t , s „Wir sagen es ihr nicht, daß Sie mich lieb haben, sonst ! tut sie es," bemerkte Cäcilie geheimnisvoll, „sie mag es ! nicht leiden, wenn man mich lieber hat, als die anderen, i Onkel Rüdiger — —" „Wer ist Onkel. Rüdiger?" unterbrach Lore sie. „Onkel Rüdiger ist Papas Bruder. Er ist Legattonsrat. > Im Sommer ist er oft hier gewesen, solange er in München i wohnte. Er war weit fort, in Madrid. — Der ist gut zu i mir — der hat mich lieb — und deshalb mag Mama ihn s nicht; sie sprechen manchmal nicht miteinander." „Sissi, das darfst du aber nicht sagen; das sind Ein bildungen von dir. Und um das Kind auf andere Gedanken zu bringen, schlug sie vor, ein wenig zu musizieren, worin Cäcilie freudig einwilligte. Schnell war dabei die Zeit vergangen, und Lori hatte er reicht,'was sie wollte, die Kleine lachte wieder und hatte ihren Kummer vergessen. Als die Herrschaften von der Bahn zurückkehrten, eilte Cäcilie aufgeregt hinaus, während Lore sich bescheiden zurück hielt; sie beobachtete die Ankommenden von. einem der oberen Fenster. Der Djener riß den Wagenschlag auf. Zuerst sprang Graß Allwörden heraus^ um den Seinen dann beim Aus steigen behilflich zu sein. Lores Herz klopfte fast schmerzhaft — so erinnerte der Graf sie an ihren Bruder. Die jugendlich schlanke Gestalt m ! dem Hellen Reiseanzug, das edlr Profil — die Bewegungen s — das war ganz Erich! Und da kam die Sehnsucht nach > ihrem Heim über sie, die Sehnsucht nach der Mutter Zärtlich keit, als sie sah, qzis dis Kinder den Vater umjubelten. wie er sie in seine Arme nahm und der Reihe nach küßte. Ach, sie hatte nie einen Vater gekannt .... Später kam Cäcilie zu ihr. , „Fräulein Lore, ich darf heute auch ausnahmsweise mi! Papa essen," sagte sie wichtig, „er hat mir ein schönes Zeichenbuch mitgebracht; nachher zeige ich es Ihnen." Lore machte zum Abend etwas Toilette. Sie zog di« i weiße Bluse zu ihrem blauen, glatten Tuchrock an, "die für j die Sonntage bestimmt war. Glättend fuhr sie mit der Hand über die dicken, goldbraunen Zöpfe, die sie um den feinen, rassigen Kopf gelegt hatte: er war fast zu klein und i zu schmal für diese selten« Haarfülle. Aufmerksam betrachtete sie sich im Spiegel. Ja, es war asl«s in Ordnung; dem kritischen Auge der Gräfin entging nicht so leicht «in Fehler oder eine Nachlässigkeit im Anzuge, den sie mit beißenden Worten zu rügen pflegte. Lore ging in das Speisezimmer, als der Gong ertönte, s Trotz der vorgerückten Jahreszeit hatte man dis Tür nach der j Terrasse weil geöffnet. Es war ein fast sommerlich milder Herbstabend. An dem blassen Himmel schwamm die silbern« Mondsichel, und einzelne Sterne funkelten. Graf Allwörden stand an der Tür und scherzte mit