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von dir! Du kannst dir denken, wie wir gespannt sind. Gut scheint es dir zu gehen — gehungert hast du nicht!" scherzte «r, „deine Backen sind dick und rund." Tausend Fragen stellt« die Mutter, und bei Lores Be richt kreuzten sich^ihre Blicke oft mit denen des Sohnes — wenn das MädchUl ahnt«, wie nahe ihr diese Familie stand! „Und die Kinder hängen an dir?" „Komtesse Thekla nicht so sehr wie die beiden anderen. Thekla läßt es mich oft fühlen, daß ich nichts weiter als ein« bezahlte Lehrerin bin. Doch das ist mir gleichgültig. Reich lich entschädigt bin ich dafür durch des kleinen Ossi Anhäng lichkeit — wie eigensinnig er auch sonst ist, mir gehorcht er. Er ist das.Hätschelkind aller. — Ihm fällt einmal Lengefeld zu!" Frau Berger stand da hastig auf und stellte sich ans Fenster. Ihre Brust bebte vor Erregung; sie preßte die Lippen aufeinander. Erich sah still vor sich nieder. Verwundert fragt« Lore: < . „Was ist denn, Muttchen?" „Ach nichts, Kind! Ich glaubte, «inen Schlitten zu hören. Oberförsters fahren manchmal hier vorüber." Lang sam nahm sie ihren Platz wieder ein. „Doch nun erzähle weiter!" „Mein besonderer Liebling ist die kleine Sissi, weil sie immer zurückgesetzt wird. Dabei ist sie ein 1» rührend gutes Kind! Ich hab« sie lieb, eine Schwester könnte ich nicht lieber haben! Mit ihren schönen Geschwistern hat sie wenig Aehnlichkeit, dazu ihr körperliches Gebrechen. Wenn die Gräfin schlecht« Laune hat und sehr böse ist, sagt sie manch mal „Hinkechrn". Das empört mich. Graf Rüdiger —* „Graf Rüdiger! Wer ist das?" „Der jünger« Bruder des Grafen Allwörden. Er ist Legationsrat bei der preußischen Gesandtschaft; er hat ein« große Zukunft vor.sich.. Sissi sagt, er sei schon achtunddreißig Jahre alt, er sieht aber jünger aus. Ich mag ihn gern leiden, weil er so gut und vornehm ist. „Wirklich?" fragte Frau Berger mit schneidender Stimme. Erich sah sie warnend an. „Weshalb zweife.st du daran, Muttchen? Du solltest ihu> nur kennen! Wie ein Vater ist er zu den Kindern; ich glaube überhaupt, er kommt hauptsächlich ihretwegen. Mit der Frau Gräfin harmoniert «r garnicht, das habe ich längst gemerkt. Sie ist immer so gereizt und ausfallend gegen ihn — gerade wie zu ihrem Mann. Ueberhaupt dieses Familienleben! Der Graf und die Gräfin verstehen sich gar nicht; alle Tage ist Zank und Streit. Sie genieren sich weoer vor mir noch vor den Kindern. Sissi weint oft dar über; Thekla hält natürlich zu ihrer Mutter." „Also Graf Ottokar Allwörden ist nicht glücklich?" fragte Frau Berger mit eigentümlich schwerer Stimme. „Was denkst du, Muttchen — ich möchte nicht mit ihm tauschen. Lieber nichts haben, so wie wir — nur den häus lichen Frieden! — Du glaubst gar nicht, wie nervös der Graf ist. So alt sieht er in der Nähe aus, er hat viele Falten im Gesicht — und das Haar färbt er sich auch, ganz bestimm^ Muttel!" , „Er ist wohl ein großer Künstler?" „Mutter, das glaube ich nicht. Ich verstehe ja nicht viel davon — aber so lange ich da bin, hat er noch nicht ein Bild fertig gemalt, und dabei so viele angefangen! Ich hörte erst neulich die Gräfin sagen: „Du kannst gar nichts! Ein Stümper bist du — nichts weiter!" — Und seht ihr, das kränkt ihn am meisten! Er hat sich dann in seinem Atelier eingeschlossen und ist auch nicht zu Tische gekommen!" Sie seufzte. „Ach, Mutterle, ich glaube, das nimmt kein gutes Ende. Sie hat ihm auch schon mit Fortgehen gedroht. Unerträglich wäre es ihr an seiner Seite!" „Und wje ist er gegen dich?" „Gut und freundlich. Manchmal sieht er mich so durch dringend an, so fragend. Sissi sagte mir mal, altklug wie sie ist: „Papa mochte Sie gern malen, Mama erlaubt es aber nicht." Die Gräfin ist so eitel; sie ist nur darauf dedaM^ ihre Schönheit zu pflegen. Zwei Stunden des Morgens zur Toilette reichen nicht! Die Jungfer ist immer in Aufregung. Mal ist das Badewasser zu heiß, mal zu kalt. Und Kölnisches Wasser muß hinerngetan werden. Ach, und «he die Frisur so ist, wie sie sein soll, Muttel, du hast ja keine Ahnung, wie es da zugeht " ' „Ist sie wirklich so hübsch?" „Ja, aber etwas Puppenhaftes hat ihre Schönheit. Si« — kein nennenswertes Vermögen. Und trotzdem hab' ich bei einer «rften Gefangmeisterin Unterricht genommen — nm mit einem Wechsel auf die Zukunft, den mir die Künstlerin vertrauensvoll stellt«. Und nachher hab' ich bezahlt; denn «rst das teure Stundengeld zu erschwingen, daran war nicht zu denken. Wenn das also Ihr« einzige Sorge ist " „Ich glaube aber nicht, daß mein Brud«r damit einver standen wäre, wenn ich meinen Beruf wechselte." „Damit hätte Ihr Bruder recht, Fräulein Berger. Sie sind ja viel zu ängstlich und unbeholfen, um je in der O«f- sentlichkeit zu wirken," sagte Gräfin Allwörden abschließend, j „ll«brig«ns können Sie jetzt Komtesse Titi zu Bett bringen, «s wird Zeit für sie." Damit war Lore entlassen. Frau von Matthes merkte bald, wie unangenehm Gräfin Allwörden ihre Freundlichkeit gegen Lore Berger war; des halb sprach sie nicht mehr von ihr, nahm sich aber vor, das jung«i Mädchen, das ihr Interesse geweckt, im Auge zu be- Zwölftes Kapitel Mit lustigem Schellengeklingel fuhr der Schlitten durch den winterlichen Wald. Erich Berger hatte seine Schwester vom Bahnhof ab- ! geholt, und nun waren sie schon vor dem Forsthause, wo ! FraUdMaria, in «in großes, warmes Tuch gehüllt, ihr« i Kinder ungeduldig erwartend, hin und her gegangen war. s Bleich vor innerer Erregung umfing sie die Tochter, die schnell aus den Schlitten gesprungen war. „Mutterle, liebes —" Die Tränen strömten über Lores Wangen vor Freude und Ergriffenheit über das erste Wiedersehen nach Monaten der Trennung. Auf die kleine, mit Backsteinen gepflasterte Diele war frischer Sand gestreut; die Holzbänke und Tische darin waren frisch gescheuert und die alte Kastenuhr ging noch mit dem langsamen, gemächlichen Ticken wie früher. Lore überflog dies alles mit einem frohen Blick . In der Wohnstube, wo der mächtige, grüne Kachelofen behagliche Wärm« spendet«, harrt« der gedeckte Kaffeetisch des so lieben Gastes. „Wie. schön, daß ich wieder hier bin bei duch! Und da d«r Weihnachtsbaum mit den lieben, wohlbekannten Sachen! Di« Körbchen, die ich aus dem Eoldpapier selbst geflochten habe. Die Ketten aus Silberpapier, und die lieben, alten Lichthalter." Die Stimme versagte ihr beinahe; wie durch einen Schleier sahen ihre Augen auf die vertrauten Gegenstände. Die große, weiße Kaffeekanne und den Milchtopf vor sichtig auf dem Tablett tragend, kam Rosa, das junge 'Dienst mädchen, herein. Vor Verlegenheit und Freude glühte ihr Gesicht, weil das Fräulein wieder da war! Das blonde Haar war doppelt glatt zurückgekämmt und der Zopf noch straffer, als gewöhnlich, geflochten. „Guten Tag, Rosa!" Lore gab ihr freundlich die Hand. „Wie gehts dir? Gut? Und Großvater Focke auch? Den will ich morgeen gleich aufsuchen — grüße ihn nur recht schön von mir!" Frau Herger schnitt den Roslnenstollen aus und goß Kaffee ein. „Nun laßt es euch schmecken, Kinder!" Immer wieder sah sie auf die Tochter und drückte deren Hände. „Jetzt ist erst unser richtiges Weihnachten, meine liebe Lore! Und du konntest wirklich nicht kommen? Es war uns recht weh ums Herz, Erich und mir, so allein am heiligen Abend." „Es ging nicht anders, Mutterle! Dafür darf ich ja bis zum sechsten Januar bleiben!" Erich saß bequem in der Sofaecke, den grünen Rock am Halse geöffnet. Männe, der Dackel, lag halb auf seinem Kni« — den Platz ließ er sich nicht nehmen. Diana, di« Jagd hündin, lag wieder faul am Ofen, nachdem sie sich genügend von Lors hatte liebkosen lassen, was wiederum Männes Neid erregt hatte. „Nun Erich, — wie ist's? Gefällt es dir noch immer hier? Im vorigen Jahre um diese Zeit warst du weit weg! Ich steue mich, daß Muttchen so wohl aussieht. Doch du, scheint es mir. bist magerer geworden — du hast wohl viel zu tun?" Etwas verlegen wich er ihrem liebevoll forschenden Blick aus. „Ach wo, Lore, du siehst Gespenster! Jetzt erzähle mal