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Frankenberger Erzähler UnterhaltAvgSbeilage z«m Frankenberger Tageblatt ^3 Sonntag de« 3. Hlovember 1918 Mgeüenke« Angedenken an das Gut« Hält uns i'mm-r frisch ber Mut«. Angedenken an das Schön« Ist das Heil der Erdensöhn«. Angedenken an das Liebe, Glücklich! wenn's lebendig bliebe. Angedenken an das eine Bleibt das beste, was ich metue. Goethe. - Tie Mlltoöedeus . Roman von Fr. Lehne 8 yochdnick ns-d^rev Schweigend sahen sich Mutter und Sohn beim Abend essen gegenüber. D.e Speisen blieben beinah: unberührt; es wollte nicht schmecken. Das Haus war ihnen weit und leer geworden — Lore fehlte überall. Der Abend war noch schön und mild. Erich stand auf, brannte sich eine kurze Pfeif: an und hing sich das Gewehr über die Schulter. »Ich gehe nicht weit, Mutter." bemerkte er auf den fragenden Blick Marias, „nur bis zum Kreuzweg, vielleicht nach den Fichtenschonungen. Auf jeden Fall bin ich bald wie der da." Die kleine Magd Rosa, ein Ostern erst konfirmiertes Mädchen aus dem Dorfe Steinfurt, muhte heute alles allein besorgen. Frau Maria rührte nicht eine Hand. Schwerfällig ging sie hinaus und setzte sich auf eine Bank neben dem Hauseingang. Sie war müde. Schwarz und schweigend lag der Wald vor ihr. Wie gespenstische Riesen standen die Bäume, ungewiß und groß, fast drohend. Und ihre Gedanken flatterten in ihrem Kopf wie aufgescheucht« Vögel. Hattest: doch recht getan, die Tochter nach Lengefeld zu schicken? Wäre es nicht doch besser gewesen, alles ruhen zu lassen? Aber der leidenschaftliche Wunsch beherrschte sie ganz, zu erfahren, wie es ihm — ihm ging, ob er glücklich war. — Sre hatte ja nie vergessen können. Und wenn sre bis zur Erschöpfung gearbeitet hatte — die Erinnerungen liehen sich nichr bannen. Wie lange war es her? Gerade fünfzehn Jahre in d«- sem Sommer, als ihr die große Demütigung wurde, mit ihrem Sohn gleich einer Bettlerin da weggeschickt zu wer den, wo sie eigentlich «in Recht gehabt hätte, als Herrin zu stehen. Ihr war, als ser an diesem Tag« etwas m ihr gestorben. Jede Verbindung mit Ottokar Allwörden hatte sie abge brochen; alle ferne Briefe waren unbeantwortet geblieben; sie verweigerte die Annahme einer beträchtlichen Geldsen dung, so bitter nötig ihr auch das Geld war. Und als schließlich der Rechtsbeistand des Gräflich All- wördenschen Hauses bei ihr erschien, erklärt« sie ihm kurz, daß sie sich in ihr Geschick gesunden und nichts von den Allwördens beanspruche. Ihre Kinder würde sie auch ohne fremde Hilse zu ordentlichen Menschen erziehen. Und dabei war sie geblieben. W« sie es ermöglicht hatte, war ihr manchmal «n Rätsel. Wenn die Kinder von ihren durcharbeiteten Näch ten wüßten, wie sie manchmal verzweifelt war — und wie s« sich doch immer wieder von neuem aufgerasst und allen Widrigkeiten Trotz geboten hatte. Nur «in Wort hätte sie es gekostet, sich leichtere Lebens, bedingungen zu schaffen. Das aber ließ ihr Stolz mcht zu- Aus eigener Kraft wollt« sie der Kinder Leben gestalten. Nur ihr sollten sie alles verdanken — ihr Vater hatte keinen Teil an ihnen. Sie hatte ihren Wohnort gewechselt, hatte einen an deren Namen angenommen — den einfachen Namen Ber ger. In nichts wollte sie mehr an frühere Zeiten erinnert werden. Sre nähte, bessert« aus, macht: Handarbeiten, garnierte Hüte; ihre Geschicklichkeit kam ihr dabei zu Hilfe. So fri stete sie ihr Leben über die ersten Jahre, unter Sorgen, Tränen und wieder Sorgen. Dann ward ihr Gelegenheit, ein Handarbeitsgeschäft billig zu übernehmen, dessen In haberin nach langer Krankheit plötzlich gestorben war. Durch ihren feinen Geschmack und ihr sympathisches We sen gewann sie sich neue Kundschaft. Auch hatte man Aner kennung für die Witwe, die sich mit ihren Kindern so tapfer durch die Welt schlug. Es ging allmählich vorwärts; Lie drückendsten Sorgen hatten nun endlich aufgehört ji« konnte erleichtert aufatmen. Erich wurde Förster. Wie gern hätte sie ihm dH hö- ere Forstkarriere ermöglicht; doch daran war nicht zu denken. Das Studium erforderte zu viel Geld. Aber er hatte wenigstens als Einjähriger in einem Jägerregiment dienen tönnen. Lore lernte gut in der Schule; sie war ein fleißiges und sehr begabtes Kind. Und als sie den Wunsch aussprach, ihr Lehrerinneneramen zu machen, waren Mutter und Bru der damit einverstanden. Lin Seminar war in der Stadt, so konnte Frau Maria ihre Tochter bei sich behalten und hatte keine weiteren Ausgaben als da; Schulgeld. ' Nun waren die Kinder erwachsen. Frau Maria stand am Abend ihres Lebens. Jetzt, da sie nicht mehr zu ar beiten und zu sorgen hatte, war es, als habe die Spann kraft ihres Körpers und ihrer Seele nachgelassen; sie war müde geworden. Der Kampf ums Dasein hatte ihr Haar vor der Zeit gebleicht, aber ihr Herz war voller Freude, da sah, zu welchen prächtigen, ganzen Menschen sich ihre Kinder entwickelt hatten. Einen Wunsch hegte sie: könnte Ottokar Allwörden ferne Kräder sehen! Den stattlichen Sohn, der ihm so ähnlich sah, der es mct Mem Hochgeborenen aufnehmen konnte.' Die anmutsvolle Tochter, deren bildhafte Schönheit aller Blicke auf sich zog. Welchen Triumph würde I» fühlen, könnte sie ihm Auge in Auge sagen: um das alles hast du dich gebracht, um das Glück, drch von diesen Krndern Vater nennen zu lassen! Erich wollte davon nichts wissen; er dacht« nicht mehr / an das, was hätte sein können. Er fühlte keine Liebe für den Vater, auf den er sich recht gut besinnen konnte. Lon wußte nicht, daß er überhaupt noch lebt«. Man hatte sie ja in dem Glauben «rzogen, der Väter srr tot — Und nun hatte es der Zufall gefügt, daß sie in Haus grng, um die Kinder, die ihre Geschwister waren, zu unterrichten. Ein Knabe war darunter; wie das Maria ' mit Groll, mit Enttäuschung erfüllte — und es gmg sie doch gar nichts an. Sie faß und sann und wartete, bis Erich zurückkam. s Dann stand sie auf und ging mit ihm ins Haus. Acht«s Kaprtel Schloß Lengefeld, den 23. September 1900. Mein liebes Muttchen, lieber Erich, merne Karte hat Euch schon gesagt, daß ich gut hier ange- kommen bm, daß Ihr also beruhigt sein könnt. Und nun will ich Euch heute ausführlich zum Sonntag schreiben. Gesund bin ich, das will ich vorausschicken, nur SeKn- dem Walde und nach Diana und Männe — «ine ganz un bändig« Sehnsucht, die mich die ersten Nächte hier nicht schlafen ließ. Aber es hilft ja nichts, mrn muß sich be-