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« rL>«v Lö«S S.L «S4VKV — 423 — teten ihre Augen auf. Er legte impulsiv sein« Lippen auf ihre Hand. Sie streichelte sein kurz geschnittenes Blondhaar, und er fühlte, was in dieser Liebkosung lag, mit denen die. kalte, verschlossene' Frau so sehr sparsam war — fast, als schäme sie sich jeder weicheren Regung, jeder wärmeren Gefühls äußerung. .Er wußte, daß die Ehe der Eltern nicht glücklich war; er wußte aber auch, daß die Mutter wohl die größere Schuld daran trug, daß sie sich dem lebensfrohen Manne nicht so angepaßt chatte, wie sie es wohl hätte tun müssen. Ihr starres, strenges Wesen hatte ihn nicht die weiche Anmut seiner elften Frau vergessen lassen, die er schwärmerisch geliebt. Und diese Liebe hatte er auch auf seinen Erstgeborenen über tragen, und deshalb war ihm Ottokars vorschnelle Heirat doppelt niederschmetternd gewesen, und nur der' Klugheit seiner zweiten Frau war es zu danken, daß der Bruch nichl zu einem unwiderruflichen gemacht worden war — daß es für Ottokar in der größten Not doch noch ein „Zurück" ge geben! „Ich bin stolz auf dich, mein Sohn," sagte sie, „gerade seht hast du gezeigt, daß du der Ahnen deiner Väter würdig bist — nicht jeder an deiner Stelle hätte so gehandelt, für den Bruder einen so großen Besitz zu retten —" „Glaubst du, Mama, daß ich jemals diesen Vorteil an genommen hätte? Ottokar ist der AelLeste — ihm gehöre das Majorat, und dafür kämpfe ich. Nicht einen Augenbl'ck hätte ich mich glücklich gefühlt, wenn ich seine Stells hätte einnehmen sollen — um so mehr, da er der Ehe mit der Wirlberger längst überdrüssig geworden war — denn sonst wäre er fa nicht auf Vaters Bedingungen eingegangen, wäre, nachdem er das Sanatorium verlassen, wieder zu seiner Fa milie zurückgekehrt. Das gab mir zu denken! — Und ich kenne ihn zu gut —— sollt' lch mir später Vorwürfe machen lassen oder mit dem eigenen Bruder um oen Besitz feilschen und streiten denn über kurz oder lang wäre dieser Fall eingetreten! Papas unsicherer Gesundheitszustand in diesen letzten Monaten gab den willkommenen Anlaß, Klärung in die Sachlage zu bringen — und mich hatte man dazu aus- > ersehen, für ihn zu handeln was ich heute bereue" — setzte er nach kurzer Pause hinzu. Auf den ersMnten Blick der Mutter nickte er — „ja, Mava! — es ist doch anders, wenn man Hier so. gemütsruhrg die. Paragraphen durchblät tert und feststellt, daß man ganz im Recht ist, so und nicht anders zu handeln! — und wenn man dann dieses Recht auch durchsetzen will —" er sprang auf, „ich habe gestern ein Gefühl der Scham gehabt, das heute noch brennt —" Fortsetzung folgt. Der hMkwlr Von Th. Barth, (zr.) Trappend, klappernd, ja polternd in der neuesten Er rungenschaft, den Kriegsstieseln, kam es in dem geräumigen Schulhause die Treppe hinab. Unendlich viele Buntbemützte enteilten dem Zwang der Schule. Der Heimweg war die erwünschte Gelegenheit, allem zurückgedrängten llebermut in lustigen Neckereien die Zügel schießen- zu lassen. Nur der kleine Hans Golding beteiligte sich nicht an der allgemeinen Unterhaltung. Mit gesenktem Kopf trabte er fürbaß. Schwere Gedanken durchkreuzten seinen Kopf. Hans map von schwächlicherem Körperbau als seine Ka meraden; seine Mutter, eine Witwe, ermöglichte lediglich durch sparsamste Lebensführung den Besuch des guten Lehr instituts. "Sie sah, daß ihr Junge infolge seiner schwächlichen Konstitution nie einen Beruf, der körperliche Widerstands fähigkeit voraussetzte, ergreifen konnte, und sie versuchte, ihn daher wenigstens mit möglichst guten Eeisteswaffen für den Kampf ums Dasein auszurüsten. Das Schulgeld hatte sie aufbringen können, und für die Kleidung des Jungen sorgte der einzige Bruder ihres verstorbenen Mannes. Nichts wäre naheliegender gewesen, als sich mit der Bitte um eine größere Unterstützung an den in guten Verhältnissen leben den, unverheirateten Schwager zu wenden, aber sonderlich freundlich war ihr der alte Hagestolz nie entgegen gekommen, da er die Liebesheirat seines Bruders mißbilligte. Und doch war es gerade dieser Onkel, der die Gedanken d*s kleinen Hans völlig^ in Anspruch nahm. Volltönend schlug eine schwere, eichene Standuhr dreimal durch die Stille des Herrenzimmers. Blauer Rauch hüllte die vornehme, gediegene Einrichtung in schwimmende, blaue Schleier, die Konturen der einzelnen Gegenstände verwischend. Ein knisterndes Zeitungsblatt wurde zur Seite geschoben und eine lange, hagere Gestalt lehnte fich in dem schweren Sessel zurück. Seit Kriegsausbruch ließ Hans Golding sen. dem Hauptblatt wenig Aufmerksamkeit zukommen, er wollte vom Krieg nicht viel wissen und hören. Er wollte keine unnützen Aufregungen. So lange es seiner Wirtschafterin-ge lang, für seines Leibes Nahrung zu sorgen, hielt er es schon aus. .Er brauchte Um niemanden draußen zu bangen, er hatte keinen Lieben draußen im Felde. Manchmal beschlich ihn in der vornehmen Ruhe seines Junggesellenheims ein Gefühl, das ihm die toten Dinge der Räume.fremd, ja feind- ' lich erscheinen ließ, aber — derartige „Grillen", wie er es - früher nannte, nrußten eben überwunden werden. . . Früher, ja, noch vor einem Jahrzehnt, da war ihm der Gedanke einer Heirat nicht fremd vorgekommen,' jetzt — war es halt doch zu spät. Ein schüchternes Klopfen! Das „Herein" ertönt« nicht besonders einladend. j Zögernd öffnete sich die Tür, und ein schmächtiger Jun- . genkörper zwängte sich verlegen durch den Spalt. Der kleine ft Hans zog seine Mütze vom Kopf und bot seinem Onksi-mit uncht ganz sicherer Stimme einen „Guten Tag". ft Ein erstaunter Blick musterte ihn von Kopf bis zu Fuß. Wer war denn der kleine Eindringling? Ach, richtig, sein Patenkind, der Junge seines verstorbenen Bruders. Na, glänzend sah der gerade nicht- aus, seiner Mutter blieb wohl auch nichts anderes übrig, als mit der Bitte um «ine Unter stützung zu kommen. Groß und ernsthaft hatten die Augen des kleinen Gastes während der Musterung den seinen standgchalten. Zum eisten Mal fiel ihm auf, daß es ganz die Augen seines Bruders waren, nur daß der viel kecker und fideler in die Welt gesehen hatte. „Na, was hast du denn auf dem Herzen?" klang es nicht mehr ganz so unfreundlich aus dem Sessel. Beherzt machte der kleine Hans einen Schritt vorwärts. „Onkel, lieber Onkel . . . ." eine kleine Angstpause — ein Stocken. — — „Ich habe nämlich eine große Bitte an dich." „Soo, das habe ich mir schon gedacht. Da setz dich einmal her und schütte dein Herz aus." Ich bin wirklich etwas begierig, was die Mutter dem kleinen Kerl für einen Vers eingelernt hat, erwog der alte Herr. Klein und schüchtern kam von drüben tastend dre Strmme durch die Dämmerung: „Sieh mal, Onkel, es ist doch Krieg. Sie wollen in unser Vaterland eindringen und da müssen wir natürlich alle zu sammenstehen" — die Stimme wurde schon etwas fester — „selbstverständlich tut das ein jeder, nicht wahr?" Ein Brummen, das man sich ganz nach Belieben deuten konnte, klang von drüben. Der kleine Hans nahm es als Zustimmung und fuhr fort: „Zuerst, wenn unsere Soldaten mit klingender Musik und flatternden Fahnen hinauszogen, dann hat es mir in den Beinen gezuckt, keine Ruhe hab« ich gehabt ^um Stillsitzen. Jeden Zug habe ich bis zum Bahnhvf gebracht." „Jeden," wiederholte er nochmal zur Bekräftigung. „Mich können sie überhaupt nicht gebrauchen." Das klang mit einem Male so mutlos und resigniert, daß der Onkel er staunt den Kopf hob. Nanu, was ist denn das? Hastig begann der Kleine wieder: „Ja, die andern Jun gen, die tun auch schon alle, was sie können. Die in den obersten Klassen sind auf der Post, in den Pakctämtern, auf den Güterböden mit richtiger Männerarbcit beschäftigt, und die anderen haben Altsachen gesammelt, Kartoffeln gefahren. Ein jeder hat was gemacht, nur ich, ich konnte immer nicht mit." Der alte Herr war äufgestanden, ging" im Zimmer auf und ad, dabei aber seinen kleinen Neffen unausgesetzt be obachtend. ^Ganz heiße Backen hatte sich das. Kerlchen schon geredet. Eine eigenartige Empfindung beschlich ihn. Das kleine Seelchen da vor "ihm empfand und lebte völlig mlt der Zeit, und er er hatte sie beiseite geschoben. „Onkel" — tonte es in sein Nachdenken — „heute habe ich nun auch mal eine Gelegenheit, etwas zu leisten, du bist doch immer so gut zu uns und schenkst Mutter das Geld für meine Kleidung. Diesmal ist mein Rock wirklich noch nichl so schlecht, und wenn ich ihn weiter recht sehr schone, hält er