Volltext Seite (XML)
And jetzt begriff er auch, welche Macht diese Frau über de« Bruder, diesen schwachen, haltlosen, schwärmerischen Mtn-- schen, hatte haben können, so daß er alles vergessen, was er seiner vornehmen Familie schuldig war! Zum Glück hatte . er sich jetzt doch noch darauf besonnen, ehe es zu spät ge worden! Der schlanke, fremde, junge Herr räusperte sich ein wenig und machte unwillkürlich eine Bewegung nach dem Hals, als sei Hm etwas unbequem. „Erne einigermaßen peinliche. Angelegenheit ist es, die »ich zu Ihnen führt, gnädige Frau," begann er endlich, „doch ich hoffe, daß wir trotzdem zu einem befriedigenden Abschluß kommen werden." „Hie "hoffen viel, Herr Graf," erwiderte sie sarkastisch, und tief und voll wie eine Glocke klang ihre Stimme, daß er beinahe überrascht aufhorchte. „Sie hoffen viel —" „Natürlich rechne ich da mit Ihrer Einsicht und Klugheit." „Sie rechnen mit etwas, von dessen Vorhandensem Sie doch eigentlich "noch keine Beweise haben," bemerkte sie ironisch ,^O doch — mehr als einen sogar! Da ist zum Beispiel Ihr« Heirat mit meinem Bruder " „Herr Graf," fuhr sie da aus, und eine Blutwelle färbte ihr Gesicht mit purpurner Glut. „Pardon, meine Gnädige! Aber es ist doch so " Sie ging einige Schritte nach der Tür, ihr Töchterchen »n die Hand fassend. „Ich verzichte auf jede nründlichr Unterredung mit Ihnen, Graf Allwörden! Was sie mir zu sagen haben, kann auch schriftlich geschehen!" erwiderte sie "auf seine letzte Bemer kung, und ihre Stimme bebte vor Entrüstung. „Nein, auf keinen Fall, das würde viel zu umständlich sein, würde vielleicht zu Mißverständnissen führen! — "Drs- .halb bin ich ja gerade gekommen"!" widersprach «r lebhaft. Uebrigens hatten Sie ja selbst "den schriftlichen Verkehr zwischen uns unmöglich gemacht, dadurch, daß Sie unsere gewiß gut gemeinten Vorschläge stets unbeantwortet gelassen haben." Sie lachte kurZ aus. „Gut gemeint — ja ! Was die Allwördens untir „gut meinen" verstehen. Ich habe es zur Genüge kennen gelernt, und deshalb eben danke ich auch dafür!" „War es nicht etwa gut gemeint und entgegenkommend von uns, Ihnen während der Krankheit meines Bruders eine angemessene Summe auszusetzen, trotzdem wir zu nichts ver pflichtet waren?" entgegnete er tnit einer gewissen Schärfe im Ton. „Deshalb eben habe ich-ja darauf verzichtet, wie sie wohl wissen werden, weil ich keine Gnadengeschenke wollte. Es ist auch so gegangen. Ich habe mich selbst und meine Kinder schon durchgebracht, wenn wir auch ost nicht viel mehr als trockenes Brot gegessen haben! — Doch nun will ich mein Recht!" „Ihr Recht —!" Er hob leicht die Schulter. „Der Be griff ist ziemlich kompliziert —", „Für mich nicht — es gibt nichts Einfacheres! Ich will endlich wieder mal mit meinem Mann vereint werden, dessen Krankheit Sie schlau genug benutzt haben, ihn von feiner Familie zu entfernen. Als er sich in feiner großen Not — krank, arbeitsunfähig, ohne Mittel, als er sich da an seine Eltern um Unterstützung gewandt — da fing es än! Sie brachten ihn in ein Sanatorium und nahmen mir dadurch die Möglichkeit, ihn selbst zu pflegen, vertrösteten mich, hielten mich mit leeren Ausflüchten hin, daß er dort am besten ausgehoben sei. Blutenden Herzens fügte ich mich, mußte Mich fügen, — denn Sie waren es ja, die die Kosten der Krankheft bezahlten — deshalb ertrug ich die Trennung aber wie- gern 'hätte ich für ihn gearbeitet .^Ottokar hätte das nie zugegeben — als seiner Frau unwürdig —" * „Unwürdig —? Kaun ehrliche Arbeit je unwürdig sein?" Sie lächelte ein wenig. „Mehr als einmal hab ich's getan, Gab's tun müssen — uktd hab's auch gern getan — 's war halt für ihn und unsere Kinder — meine Liebe gab mir Kraft dazu!" — Sie betrachtete ihre großen, doch gut ge- Hrmten Hände, denen man wohl ansah, daß ihnen Arbeit Wicht fremd war. Dann fuhr sie fort, in einem weicheren, »Menden Ton, als sie bisher gesprochen — „'s war manchmal schwer — aber die Lieb« und Irie Sehnsucht, die hielten mich «ich -»stecht, wenn ich am Verzagen war und dachte, 's geht nimmer — und deshalb bitte ich Sie, Gras Allwörden, hätten Sie mir meinen Mann nicht länger fern — von Tag zu Tag hab' ich jetzt, da ich weiß, daß er gesund ist, aus ihn gewartet! Und hab' ihm geschrieben-, trotzdem er es nicht getan! Er hat sogar Lorchens Geburtstag vergessen! — — Den Aufenthalt in Lengefeld — bei seiner Familie — hab' ich ihm so gern gegönnt — aber einmal muß das doch ein End' haben! Er muß hoch meine und unserer Kinder Sehn sucht fühlen — Sie sind doch mit seinem Vorwissen hier?" Bestätigend nickte er; doch vermied er den Blick der schönen, dunsten Frauenaugen, als er setzt erwiderte: „Vor allem, gnädige Frau — ich habe keinen Einfluß, Ihre Bitte zu erfüllen. Ich bin lediglich äüsersehen, Ihnen den Beschluß der Familie zu überbnngen. Sie wollen dir Person von der Sache trennen und —" „Ah, was geht mich Ihre Familie an!" unterbrach si« ihn, „ich habe mit Ihrer Familie nichts zu schaffen; ich habe sie nie belästigt! Teilen Sie mir nun endlich mit, was Ihr Besuch zu bedeuten hat; für umsonst haben Sie ja di« weite Reife nicht gegischt." Sie war ungeduldig und voller Furcht. Das kalte, unbewegte, hochmütige, junge Gesicht ihre-/ Gegenübers peinigte sie — Hr war, als komme etwas Schreck liches auf sie zugeschlichen, und ihre Brust hob sich in hastigen, schnellen Atemzügen. Rüdiger von Allwörden warf einen Blick auf das lleme, etwa fünfjährige Mädchen, das fest mit seinen Händchen die Finger her Mutter umklammerte. Es war ein reizendes Kind und ganz der Mutter Ebenbild. Das rötlich-braune Haar hing in kurzen, dicken Locken um das runde, rosige Gesicht, aus dem dunste, große Tammetaugen ihn ängstlich ansahen, daß es ihn beinahe ergriff. „Halten Sie es .für notwendig, daß Ihr Töchterchen Zeuge der Unterhaltung zwischen uns ist?" fragte er, „Kinder sind in einem solchen Alter schon aufmerksame Zuhörer." „Fürchten Sie dir Kleine etwa? Ist es so schlimm, was Sie mir zu sagen haben- Und sie freut sich so sehr auf den Vater! — Gelt, Lori, du hast auch Sehnsucht.nach dem Papa?" Zärtlich beugte sich die schöne Frau zu ihrem Töch terchen. — „Er soll wiederkommen." Bekräftigend nickte das Kind. „Wir warten schon so lange auf ihn — Erich auch. Und die Mama ist immer allein und weint so viel —" Frau Maria wurde rot, und der junge Graf Allwörden sah an ihr vorüber, und seine Augen blieben auf der großen , Photographie eines Mamies haften, die auf einer Staffelei - stand und mit einem Kranze frischer Blumen geschmückt war. s Es war ein schöner Kopf; aber feine Schönheit war weich, fast weibisch; keine Spur von Energie lag auf diesen schönen schlaffen Zügen — haltlos, charatterlos wirkte das Gesicht auf den Beschauer. Das war Ottokar von Allwörden, sein ältester Bruder! Und der paßte so wenig mit seiner fchön- heitstrunkenen, verminten Seele in diesen so überaus ein fachen, schlicht möblierten Raum! Rüdiger begriff nicht, wir er es fo lange in hie^n dürftigen Verhältnissen hatte aus- , halten können. Und wenn jetzt ein Ende gemacht wurde, ; so war es gut. Er gab sich innerlich einen Ruck; es hatte - keinen Zweck, seinen Auftrag noch länger zu verheimlichen; - überdies war er gewöhnt, seinen Weg geradeaus zu gehen, ! — ohne Rücksicht auf andere! Und wollte er hier durch ein paar unschuldige Kinder- äugen sentimental werden — Hier, wo es so wenig angebracht > war, wo durch schlaueste Berechnung so viel Kummer "über ! seine Familie gebracht worden —? i „Bitte, Graf Allwörden, sagen Sie mir, wann ich nun meinen Mann erwarten darf,", sagte Frau Maria, „bis her bin ich so geduldig gewesen; doch auch die größte Geduld hat einmal ein End: — wann kommt «r mir wieder — ?" Und fordernd, erwartungsvoll, sah sie ihn an. Rüdiger von Allwörden holte tief Atem. i , „Er kommt nicht wieder. Warten Sie nicht länger auf > ihn!" erwiderte er hart und unvermittelt. Sie starrte ihn an, ungläubig, in tiefstem Schrecken. - Hatte sie denn recht gehört. Er — kommt — nicht — wieder?" Ihre Lippen formten die Worte, doch in nur undeutlichem, heiserem Flü stern rangen sie sich darüber — aber er hatte sie trotzdem verstanden. Er schüttelte den Kops. „Nein." Einem Blitzstrahl gleich traf dieses eine Wort die Frau. Sie fuhr mit beiden Händen nach dem Kopf, schloß wie ! im Schwindel die Augen; sie wankt« und wär« gefallen,