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SL-t L r- L — 383 — von Angst. (Fortsetzung folgt.) Als ich dache im auf Urlaub war, sagte mir jemand Be kanntes: „Na, Sie als Arzt können es brausten bei der Truppe gar nicht so schlecht haben. Sie kommen ja nicht so in Gefahr, da Sie ja unter dem Schutze des Roten Kreuzes stehen und doch nicht auf Sie geschossen werden darf." „Ja, NacMientt (Au? dec Feder emes Sächsischen FeldbM-arztes) sk) „Sanitäter, Sanitäter!" „Lregt hier nicht ein Arzt im Unterstand?" So ruft draußen ein« Stimme in höchster Aufregung. Ich fahre auf vom „Bett", das aus ein paar harten Brettern besteht, mii einer dürftigen Lage Gras be deckt. Schlaftrunken einen Augenblick Ueberlegung in der Ltockfinsternis: Wo bist du eigentlich überhaupt? Doch schon fühl ich's an feuchtigkeitsbeschlagenen Schlafdecken. Ach ja, im alten Engländerstollen mit seiner muffigen, nassen Keller luft und der üppigen Schwammvegetation als Wandschmuck. „Hier, hier" rufe ich aus den.Decken aufspringend, die Taschenlampe anknipsend. Jemand kommt die Treppe hrr- untergepoltert. ^Hier Unteroffizier H., Feldartillerie N., Herr Doktor" — so ist bei der Truppe die gang und gäbe Anrede für den Arzt — „Herr Doktor, um Gottes Willen helfen Lie! Wir waren eben dabei, unser letztes Geschütz aus der Stellung herauszuziehen und abzufahren, da kriegten wir einen Volltreffer mittenrein; "ich glaube, ich bin der einzige, der heil davongekommen ist, die anderen liegen tot oder schwerverwun det da, ebenso die Pferde. Rasch fahr« ich in die Stibfel^ Rock an, Mütze auf; inzwischen erklärt mir der Unteroffizier die Lage der Batteriestellung: „Keine 500 Meter seitlich von Hier!" Wir hasten die Treppe hinauf. Drausten brodelt die Schlacht, die neue Sommeschlacht. Unruhiges Auszuckrn der Mündungsblitze, das Grollen der Abschüsse, das Krachen der Einschläge; sonst eine Stockfinsternis in dieser Nacht. „Herr Doktor, Vorsicht, nicht mit der Taschenlampe leuchten, «ben vorhin noch kreisten englische Flieger über uns." Also im Finstern weiter, sonst gibts möglicherweise noch Flieger bomben oder Maschinengewehrfeuer von oben. Wir jagen los, in die Finsternis hinein, hinter uns her noch einer, mein treuer Bursche. Hier im Gelände, wo schon die Sommeschlacht 1916 tobte, liegt ein tiefer Granak trichter neben dem andern, bei Nacht natürlich nicht licht bar. Was Wunder, wenn erst der eine der Länge nach yinstürzt, dann der andere, bann wieder einmal zwei von «ys gleichzeitig in einen Trichter hinabsausen; aber gleich geht allemal die wilde H«tze weiter. Da: Drüben wieder „Und all dir Tausende, die Millionen Männer, dir . Frauen und Kinder jetzt verlassen müssen?" , „Ja, Achim, wenn sie es müssen! Gegen die Notwendig- s leit gibt es kern Auflehnen. Du aber muht nicht! Du willst ! freiwillig gehen! Obgleich du Amerikaner geworden bist, j obgleich keine Pflicht, kein Zwang dich gehen heißt. Du i willst dich in die größte Gefahr begeben, willst verwundet s werden, sterben, ohne an mich zu denken, der du alles bist." s Er nahm sie in seine Arme. „Wie wollte ich das, was ; du da sagst, Liebste? Warum sterben? Worum an das , Schlimmste denken? Ich will meine Pflicht erfüllen, nichts weiter. Und ein gnädiges Geschick wird mich bewahren, wird mich zurückkommen lassen zu dir und zu unserem Glück." Sie entwand sich ihm, stand vor ihm mit jagenden Pulsen, , fliegendem Atem, mit flammenden Augen, die schwarz er schienen in ihrer Erregung. „Wenn du gehst, wenn du mich lassen kannst, dann hast du mich nie geliebt." . Er stand regungslos unter ihren heftigen Worten. Sie aber wandte sich und verliest das Zimmer. Er folgte ihr, versuchte sie umzustimmen, aber sie blieb trotzig und stumm. Er hatte sich für den Abend mit einigen deutschen Herren seiner Bekanntschaft verabredet. Er fragte Maud, ob sie ihn begleiten wolle. Sie erkundigte sich, ob dir anderen Damen kämen; er wußte es nicht. „Geh nur allein," 'sagte sie finster. Es war das erstemal in ihrer Eh«, daß sie es ausschlug, ihn irgendwohin zu begleiten. Er empfand ihre Ablehnung bitter, aber dir anderen Regungen, die sein.Inneres er füllten, waren doch zu mächtig in ihm, ließen eine Verstim mung gegen Maud nicht aufkommen. Er rahm ihre Hand, dir sie ihm regungslos überließ, streichelte, küßt« sie. „Wir sprechen noch über alles, Liebling," sagte «r. "Und ging. Sie sah ihm zornig nach. Und ihr Herz war schwer drei dumpfe Abschüsse. „Deckung." Ich werfe mich nieder, in den Granattrichter hinein, an dessen Rand ich mich Wen befinde, da kommt auch schon die Salve von drei Schutz angeheult. Ein Schuß schlägt kurz vor mir rein, zwei da hinter. ,Herr Doktor", ruft es aus d«m Nebentrichter, „haben Sie was abgekriegt?" „Nee, Sie?" „Auch nicht!" „No, dann rasch weiter!" Wieder im Finstern auf, 100 Meter weiter; wir hören schon deutliches Aechzen und Wimmern: „Helft nur, helft mir!" Da, wieder drüben beim Engländer doppelt, das dumpfe Bum-bum! Im Augenblick werfen wir uns wieder hin ins nasse Gras, da sausts auch schon dicht über unser« Köpfe weg, krachend schlagen die Granaten dicht hinter uns ein. Wieder pfeifen die Splitter singend Um unsere Köpfe, Erdklumpen kommen aus uns niedergeprassett. Wieder auf, in Richtung auf das Jammern weitergerannt. Aus der Finsternis entwirrt sich ein wildes Chaos: Ein .zusammen geschossenes' Geschütz, Protzentrümmer, Pferdeleichen, da zwischen Tote, Fahrer und Kanonier«, und jammernde Ver wundete. Zum Glück finden wir rasch die Krankentrage der Batterie' noch unversehrt vor. Auf unser Rufen tauchen noch zwei'Mann auf, dis das Glück gehabt haben, bei dem verhängnisvollen Schuß heil davongekommen zu sein. Der am schwersten Verwundete wird auf vie Trage ge hoben, die beiden anderen, di« wir noch finden, nimmt je einer auf den Rücken. Zu zweit wird die Trage ängepackt, und nun wieder mildem Tode um die Wette zurückgelaufen. Kaum 100 Meter haben wir, schweißbedeckt durch dies Trichterfeld, stolpernd, zurückgelegt, da gshts drüben wieder los: Bum- bum-bum! Hinwerfen können wir uns diesesmal mit hem Schwer verwundeten nicht. Im Nu duckt sich jeder instinktiv so gur es geht nieder, da fauchen auch schon die Todesboten wieder knapp üb«r unsere Köpfe weg, krachend schlagen sie hinter uns ein, Splitter und Dreckbatzen fliegen uns wisper um die Ohren; jedem stockt der Atem: Bist du jetzt daran? Wunderbarerweise hat es keinen von uns verletzt. Nun nochmal alle Kräfte angestrengt, und mit unsren Lasten erreichen wir endlich den schützenden Unterstand. Alle atmen wir auf; das war nochmal gut abgelaufen! Nun noch «in anstrengend Stück Arbeit: die Hilflosen Verwundeten die enge steile Treppe in den Unterstand hinun- terbringen. Unten, beim matten Schein zweier Kerzen kann ich end lich die Wunden verbinden; die armen Kerle sind bös zuge richtet. Aber jeder von ihnen sucht seine Schmerzen zu ver beißen, so güt es geht. Zum Glück gehl die.Telephonleitung bei einer Nachbar batterie, sie ist mal nicht zerschossen, sodaß ich auf mancher lei Umwegen endlich im Telegrammstil nach rückwärts durch geben kann: „An Hauptverbandplatz, Sofort einen Sani tätswagen an Straßenkreuzung . . . senden zur Abholung von drei dringenden Fällen." Morgens kommt der bestellte Wagen im Trabe heran gefahren. Nun die Verwundeten noch hinübertragen nach der Straße; alles greift da wieder mit zu. Jeder der armen, hilflos daliegenden Kameraden streckt mir noch einmal di« Hand entgegen: „Vielen, vielen Dank, Herr Doktor!" Das es ihnen von Herzen kommt, sieht man ihren dankbaren Blicken an. Und das ist die schönste Entschädigung für die schweren Stunden, die wieder mal hinter einem liegen. Der am schwersten Verwundete, — er hat Bauchschuß, Brustschutz, den Kopf angesplittert, die linke Hand zerschmet tert, dazu beide Beine noch verletzt, klammert sich noch einmal mit der gesunden Rechten an mir fest: „Herr Doktor, ich brauche also wirklich nicht zu sterben?" Ich habe ihn vov- her über seinen Zustand beruhigt und ihm Hoffnung und Mut zugesprochen. Soll man in einem so dahinwelkenden jungen Blute, das so lxhr am Leben hängt, nicht auch das letzte Fünkchen Hoffnung noch erwecken? Sobald die Verwundeten eingeladen sind, macht sich der Wagen ungesäumt auf den Rückweg. Aufatmen kann man erst richtig, wenn man die Rote-Kreuz-Flagge des Wagens hinten am Horizont verschwinden sieht, d«nn die Straße erhält jeden Tag viel Granat- und Schrapnellfeuer.