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— 882 — Und schließlich war der Hudson-River erreicht. Die weiße Jacht wurde verankert, ihre Insassen bestiegen das harrende Auto, fuhren nach Neuyork. Ay diesem Tag« war Englands Kriegserklärung an Deutschland bekannt geworden. Eine wahnsinnige Hitze brütete über Neuyork. Eine ungeheure, erregte, schreiende, gestikulierende Menschen menge war aus ällen Straßen. Nur langsam kam das Auto vorwärts,' hinter, ihnen, vor ihnen Autos und Äuios, ein unübersehbarer Zug, dazwischen die langen Züge der elektrischen Lars mit ihren ungeduldigen Glockensignalen, Wagen, die sich einen 'Weg durch das Gedränge bahnten, Radfahrer. In der Lust war ein Schreien, ein Summen, Brummen, «in Zusammenklang tausenderlei Laute, das Sprechen, Schreien, Schwatzen der erregten Menschenscharen, die schrillen Hupensignale der Autos, das Klingeln der Glocken an den elektrischen Cars, das Knallen der Peitschen und das Helle Tönen der Radfahrerglöckchen, das alles ver mischte sich zu emem chaotischen und ungeheuren 'Lärm, der in der Lust zitterte. Dazwischen das Schreien, das Rufen, das Brüllen der Zeitungsverkäufer, die Eitrablätter feilboten, über die die Menschen sich stürzten, die sie mit den Augen verschlangen, «rregt hin und her schwenkten. „Neuyork World, Ertra-Ausgabe, Kriegserklärung Ln Deutschland, Neuyork World!" „Neuyork Times, Neuyork Tribune, 'Ertra-Ausgabe, Krieg, Krieg, der europäische Krieg! England an Frank reichs Seite! England im Krieg mit Deutschland! Ertra Ertra!" > Joachim von Treuendorf winkte die Zeitungsjungen heran, kaufte einige Blätter, überflog ihren Inhalt. Seine Hände zitterten, sein Antlitz war schneeweiß. Er 'blickte Maud an. Ihr schönes Gesicht war unbewegt, der euro päische Krieg brachte ihrem Gleichgewicht keine Erschütte rungen. Nur ein Blick der Sorge aus ihren großen Augen traf ihn, der blaß und bis ins tiefste «rregt an ihrer Seite sah- Englands England nun auch! Wie sie sich zusammen- taten, alle, alle, um herzusällen über Deutschland, über das geliebte, bedrohte, gefährdete Land. Heiß und macht voll erwachte von neuem in Joachims Herzen die Liebe zur Heimat, die er in den letzten Jahren oft fast vergessen gehabt. Deutschland war in Gefahr. Deutschland brauchte seine Söhne. Er mußte heim. Heiß und gewaltig, erlösend durchdrang ihn sein Ent schluß. Schweigend fuhr er an Mauds Seite dahin. ' 2. Eine ungeheure Erregung lag über der Welt. Neuyork fieberte. Neuyork stand im Zeichen des europäisch«!» Kriegs. Joachim von Treuendorf fuhr nach Perth Amboy, und in die Maiden Lane. Er sprach seinen Schwiegervater, er sprach die Tryons, lleberäll, wohin er kam, wen er auch sah., nur vom Kriege Var die Rede. Der alte Kelsey und die Tryons zeigten offen ihre Sympathie für die Entente, vor allem für England. Sie machten kein Hehl aus ihren Ueberzeugungen, auch ihm gegenüber, hem Deutschen, nicht. In wenigen Monaten würde Deutschland am Boden liegen, besiegt, vernichtet, zermalmt. - Zu Ende würde es seinen Traum von der ersten Militärmacht Europas geträumt haben, zu Ende auch alle kühnen und wahnwitzigen Gedanken, die den Frieden der Erde bedrohten. Denn Deutschland üllein hatte diesen Krieg verschuldet. Deutschland hatte das un ermeßliche Elend über die Welt gebracht. Für Recht und Sitte, für Freiheit der Völker und für den ewigen Frieden kämpfte England an Frankreichs und — Rußlands Seite! Joachim von Treuendorf redete sich heiß und zornig. Nie hatte er sich so sehr als Deutscher gefühlt wie in diesen Tagen. Man zuckte die Achseln zu seinen Worten, nannte ihn verbohrt, mit Blindheit geschlagen. Er merkte bald, alle Diskussionen, Widerreden, Erörterungen waren zwecklos. Gegen die Sicherheit dieser Meinungen, gegen die llnum- stößlichkeit dieser Ansichten gab es nichts. Das war echtes Amerikanertum. Angefüllt waren diesen Männer mit Dünkel, mit Ueberhebung. Ihre Meinung war die richtige, mochte man noch so sehr dagegen reden, wenn man wollte. Sie erhitzten sich nicht, blieben kühl, lächelten wohl gar über den Eifer dieses Deutschen. Die Tatsachen würden ihnen recht geben. Also abwart«n. ' Joachim suchte die deutschen Herren seiner Bekannt schaft auf. Man saß zusammen in diesen Tagen, erwog alle ; Möglichkeiten, in die Heimat zu kommen. Es war schwer, schien fast unmöglich. Denn einige kühne Männer, die am i Vorabend des Krieges sich nach Deutschland eingeschifst, ! schmachteten schon heut« in englischer Gefangenschaft. Eng land beherrschte die Meer«, hielt dre Schiffe an, nahm i^e Deutschen gefangen. Und doch — meinte Joachim von Treuendors — und doch müsse es gewagt werden. "Trotz aller Gefahren, die draußen auf dem Meere lauerten, trotz der großen Unwahr- ! scheinlichkeit, das Ziel zu erreichen. Es könnt« doch g«- i lingen. Es-gab Mittel und Wege, Listen und Möglichkeiten, ! wenn man wollte. , Und Deutschland — von einer Welt von Feinden um- § ringt, brauchte jeden einzelnen Mann. Sein Offiziersblut war wach geworden in ihm. Seine > Jahrhunderte alte Zugehörigkeit zu Deutschland, zu Preu ßen ließ ihn hier in diesem fremden und kalten Land« nicht Ruhe finden,- indes sein Vaterland in Gefahr war. Er sprach mit Maud. Sagte ihr, was ihn bewegt«, redete ihr von seinen Gefühlen, seiner Liebe zu Deutsch land, die ihn übermächtig jetzt heimzog.. Von seinen Pflich ten gegen sein Vaterland, die laut und gewaltsam sein Heim kommen, sein Kämpfen verlangten. Maud war wie versteinert. Das hatte sie nicht vermutet, - das nicht! Mit kemem Gedanken hatte sie daran gedacht! s Daß Joachim von Treuendorf von ihr gehen wollte, fort ! von ihr, fort aus Ruhe und Sicherheit,'in Kampf und Gefahr ! und Tod! Sie war fassungslos. Alles in ihr sträubte sich gegen das Unfaßbare, daß Joachim sie verlassen wollte. Denn sie sah nur dies «ine. Sie verstand ihn nicht, ' nicht sein Gefühl, das ihn übermächtig in di« Heimat zog, nicht seine Pflichten, di« ihn dort von ihr riefen. Sie sagte ihm das alles. Zum ersten Male trat «in Neues, «in Fremdes, «in Ungeahntes zwischen sie und ihre Liebe. „Deine Pflichten fesseln dich an meine Seite," sagte sie in tiefer Erregung. „Du verkennst dre Dinge, Joachim! Du siehst sie nicht richtig! Deutschland hat dir nichts ge geben, nur Schmerz. Du hast es freiwillig verlassen, bist hierher gekommen und hast hier eine neue Heimat gesunden ! und ein neues Glück!" „Ich verließ Deutschland, weil ich dort zu'Schweres «r- ! lebte und kein Fortkommen sah. Was aber hat das mit dem Lande selbst zu tun und mit meiner Liebe zu diesem j Land? Maud, fei nicht kleinlich! Verbeiße dich nicht in deine ! Gedanken, verschließe dich nicht den Erkenntnissen, die dir un- s bequem sind. Du mußt, du mußt doch begreifen, daß mein i Vaterland mich heute braucht wie jeden jungen gesunden s Mann, daß es mich ruft!"' „Dein Vaterland ist Amerika," sagt« sie zornig, „hast . du denn alles vergessen? Du bist amerikanischer Bürger geworden, bist es seit Jahren schon. Kein« Pflicht bindet . dich mehr an Deutschland!" „Und wenn es selbst keine äußeren Pflichten wären, so doch die Pflichten des Herzens, des Gefühls. Amerikaner wurde ich nur, weil dein Vater es damals wünscht«. Ich wurde es ungern, Maud, aber ich tat ihm den Willen. Es war nicht mehr als eine äußere Form. Nie habe ich aufgehört, deutsch zu denken und zu empfinden, nie habe ich ausgehört, Deutscher zu sein! Und nie war ich es mehr als jetzt!" „Nein," rief ft« in tiefster Erregung, „ich lasse dich nicht! Deutschland hat Männer genug, auch ohne dich! Du bist weit! Wie willst du die Meere passieren, wo England auf die Deutschen lauert? Daß du Amerikaner bist, werden sie dir vielleicht nicht einmal glauben bei deinem deutschen Namen, denken, die Papiere seren gefälscht. Willst du in englische Gefangenschaft kommen, Achim?" „Ich will versuchen, Deutschland zu erreichen, um j«d«» Preis, ich mutz es versuchen!" „Nein, du mutzt es nicht! Und du darfst es nicht! Sollst es nicht! Habe ich darum um dich gekämpft und um unsere Liebe? Darum es fast zum Bruche kommen lasse» mit meinem Vater, darum, 'daß du mich jetzt verlassen willst?* „Maud, sprich nicht so! Wie kannst du verlassen nennen, wenn ich tun will, was Pflicht und Ehre mir gebietet?- „Deine Pflücht ist, dich mir zu erhalten, "bei mir z» bleiben, der du mein Glück und mein Leben bist!"