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1^» Z LZLS L — 326 — rechtigkett, mein Herr von Trebendorf, es gibt einen Gott, der nicht wollte, daß «in unschuldiges, ahnungsloses Mädchen einem Lumpen in die Hände fiel!" Erich von Treuendorf schäumte auf. „Mäßigen Sie sich, Herr Oberst, oder ich kenne mich nicht mehr! Ich ver- gesse Ihre grauen Haare!" .Joachim ergriff des Verzweifelten Arm. „Sei ruhig! Du hast es verwirkt, Rechenschaft zu fordern, wenn du be leidigt wirst!" „Beleidigt!" brauste der Oberst auf. „Der Beleidigte bin ich! Mit mir, mit meinet Tochter ist ein schändliches. Spiel getrieben worden." Joachim versuchte zu vermitteln. Er wollte dem Oberst klar machen, daß Erich trotz allem Edith geliebt, auf seine Art — gewiß — die leichtsinnig war, ohne Ernst, ohne Reife, aber dennoch geliebt! Und daß nicht Schlechtigkeit, daß nur bodenloser Leichtsinn ihn so tief sinken ließ. Aber Herr von Gerlach blieb verschlossen und hart. Und Joachim fühlte bald, daß hier nichts, gar nichts zu erreichen sein würde. Da erhob er sich. Dor einer. Anzeige des Obersten war Erich vorerst sicher. Um das zu erfahren, war er hierher gekommen. „Sie wollen die Angelegenheiten Ihres Bruders ordnen, Herr von -Treuendorf?" fragte der Oberst, als Joachim abschiednehmend vor ihm stand. „Ich werde es versuchen, Herr Oberst." Er maß ihn mit langem, mitleidigem Blick. „Es ist schaoe um Sie. Schade um Ihre Eristenz. Und wissen Sie auch, was Sie wagen? Und ob Ihre Kräfte reichen wer den? Trtzuendorf ist belastet — woher wollen Sie dis Mittel neymen?" Joachim zuckte hoffnungslos die Achseln. „Ich weiß das alles heute noch nicht." „Und wissen Sie denn auch, um welche Summen es sich handelt? Es geht in die Hunderttausende, mein Lieber! Sie werden bläß, Sie Wanken? Za, wußten Sie das nicht? Man hat mir Wechsel gezeigt, die im ganzen über Hundert tausend Mark wert sind, und die Ihre Unterschrift tragen, Herr von Treuendors! Und dann kommt fast dieselbe Summe mit meinem Namen! Ja, mit Kleinigkeiten gab sich Ihr Bruder nicht ab! Das sind die Beträge, von denen ich weiß! Was mag nun noch in der Dunkelheit lauern?" „Sie wissen alle," sagte Erich mit mühsamer. Stimme. „Glauben Sie ihm nicht! Er ist Gott und aller Welt verschuldet, hat man mir gesagt. Hier etwas und dorr etwas, Schneider und Juwelier, Gärtner lind Schuster und was weiß ich! Aber wenn man es zusammenzieht, ergibt sich ein nettes Sümmchen! Nun, Herr von .Treuendorf, Sie wissen ja, was'Sie tun müssen! Aber das kann ich Ihnen sagen, Init einer saube ren Gesellschaft hat Ihr Bruder seine Geschäfte gemacht! Wucherer der allerschlimmsten Sorte, Buchmacher, Schieber, allerdunkelste Eristenzen, das sind Erich von Treuendorfs Geschäftsfreunde! Sie werden Ihre Freud« haben an der Ordnung der Dinge, Sie, der immer auf Reinlichkeit hielt!" „Ich halte es nicht aus, ich halte es nicht aus!" stöhnte Erich und ballte die Hände. Und Joachim ward es schwer, die Wutausbrüche des alten, beleidigten, betrogenen Man nes noch länger anzuhören. Da gingen sie. Der Diener erwartete sie in der Halle, geleitete sie an die Entreetür. Kein Laut war in der Woh nung zu hören, keine Spur von Edith . . . Die Brüder standen auf der Straße, sahen sich an, wort los, erschauernd vor dem Schicksal, das sie erwartete.^ Dann murmelt« Erich mühsam: „In vier Tagen ist das Rennen. Meine Chancen sind glänzend. Und fünfzigtausend Mark helfen eine Meile über alles fort. Das andere wird sich dann finden." Joachim schüttelte das Hcwpt. „Warum uns selbst be trügen? Was sind die Fünfzigtausend, wo es sich um Hun- ^derttausende handelt? Ich weiß, noch nicht, wie alles wer den soll." Und plötzlich übermannte ihn wieder der Zorn. „Deinen Neigungen hast du gelebt, deinen Leidenschaf ten! Hast alles getan, was dir Freude machte! Gewettet, gespielt, geritten! Eigene Pferde mußte der große H«rr haben, ohne die ging es nicht!" „Es war nur noch ein Pferd, Mr noch Puppi! Und ^glaube mst, sie wird sich bezahlt machen." Sie schlugen den Weg zum Zoologischen Garten «in. Joachim sah auf die Uhr. „Wenn wir uns eilen, kann ich meinen Zug noch erreichen." „Du willst schon fort?" „Ja, ich bin nötig draußen. Und für dich ist es auch besser, wenn ich jetzt gehe. Nach dem Rennen kannst du zu mir herauskvmmen, damit wir alles besprechen. Und vor her hast du genug zu "tun mit dem Training." , „Ich trainiere ja schon Tag und Nacht. Soviel, wie wir beide — Puppi und ich — es aushalten." Sie standen am Bahnhof Zoologischer Garten. ,Mb' wohl, Erich." - - „Kommst du zum Rennen herüber?" „Nein, ich kann jetzt während der Eryte nicht fortwährend nach Berlin. Ich erwarte dich dann in Treuendorf." „Und der Wechsel morgen?" „Wird eingelöst. Ich muß irgend ein.Arangement mit Meyer treffen. Ihm die Ernte verpfänden oder den Gr- lös aus dem Verkauf 'des Waldes. Wit diesen zehntausend Mark wird es gehen. Aber was dann kommt. . ." Er brach kurz ab, drückte dem Bruder die Hand und ging müden, gebrochenen Schrittes in den Bahnhof hinein. 6. Aber am Tage des Rennens fand Joachim doch nicht ! die Ruhe, in Treuendorf zu bleiben. Er wollte sich zwin- § gen zur Arbeit, zur Ruhe zwingen, wie an den drei qual- ' vollen Tagen vorher — aber heute versagten die Rerven, er konnte nicht mehr. Es zog, es riß ihn nach Berlin. Schließlich war es 's« keine Kleinigkeit, um die der Bruder heute ritt! Fünfzig tausend Mark! Sie bedeuteten nicht die Rettung, ach nein, das konnten sie nicht, aber Aufschub bedeuteten sie doch, ein Atemholen, ein WeiterdenkeM . . . Der Inspektor war erstaunt und unruhig, als sein Herr anspannen ließ, um zur Bahn zu fahren. Aber aus dem festverschlossenen Antlitz Joachim von Treuendorfs war nichts herauszulesen. - Dann fuhr er den Weg zur Station, erreichte noch eben : rechtzeitig den Zug und saß nun allein in seinem Abteil. Bäume ^Wiesen, Felder flogen an ihm vorüber. Er ! sah mit stumpfen Sinnen hinaus. Dir weite Ebene, golden wogende Aehrenselder, dazwischen schon weite Stoppel- -j flächen, blaue, märkische verträumte Seen, umstanden von >. dunklen Föhrenwäldern, Güter, Herrensitze — er sah das alles und sah es auch nicht. Er kannte auf dieser Strecke la jeden Baum, jeden Wald, jedes Gü»t .... Dann stand er vor dem Bahnhof auf der Straß«, um ihn brandete das Leben und Treiben der Riesenstadt her. nahm sich «in Auto und ließ sich zur Grunewald-Rennbahn fahren. Er sah flüchtig auf die Uhr. Ja, er kam zu spät, das j hatte 'er daheim schon gewußt, aber vielleicht sah er die Ent- ! scheidung noch mit an. Und wenn sie auch schon gefallen s war, er würde doch nun um Stunden früher wissen, ob ein letztes Atemholen, 'ein letztes Besinnen und Ueberlegen ihm - noch gegönnt war oder ob das Schicksal toll und blind und tückisch über ihm zusammenschlug. Nun war der Rennplatz erreicht. Joachim von Treuen dorf bezahlte den Chauffeur, warf "einen Blick aus die Bahn, in weiter Ferne sah er die Pferde, so war noch nichts ent schieden, das Rennen noch im Gange. - Er nahm seinen Tribünenplatz ein. Sah umher. Das Menschengewoge war beängstigend. Viel Eleganz, aber auch viel Talmi, große Toiletten, zum Teil gewagte Kostüme, wie immer an bedeutenden Renntagen. Diel Offiziere, deren bunte Uniformen das Bild belebten, glanzvoller machten. Joachim sah im flüchtigen Umherblicken manche Be kannte und Freunde. Kollegen seines Bruders, ältere Di plomaten, Gutsbesitzer mit ihren Frauen. Dffiziere feines eigenen Regiments. Und dort hinten sah er einige Ange hörige des Kaiserlichen Hauses. Ihn sah keiner. Aller Augen waren in die Ferne ge richtet, auf die eilenden, jagenden, dunklen Punkte, die nun wieder näher kamen. Zwei Pferde waren den anderen weit voraus. Joachim fetzte sein Glas an die Augen. Ja, das war „Puppi", die goldbraune Stute,- der heute feine Hoffnungen galten. Aber vor ihr, um wenige Längen voraus, der Rappe, der dem Leutnant von Walden gehörte. Weit hinter ihnen blieben > die anderen Reiter zurück. Redens