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- 31S - Er sah den Gutsherm lauernd an. Joachim von Treuen dorf derriet mit keiner Miene die furchtbare Erregung seiner Innern. Anbewegt blieben die kühnen, scharfen Züge seines schmalen, verbrannten Gesichts. Er sagte nur kurz: „Zeigen Sie den Wisch mal her." Der .Agent zog eine schmutzige Brieftasche aus seinem Rock, suchte umständlich darin und legte das .Papier dann vor 'Joachim hin. ' Er nahm es und prüfte es genau. Es lautete über zehntausend Mark, die am übernächsten Tage fällig wur den. Neben der Unterschrift Erich von Treuendorfs stand sein eigener Nam«. Er hatte dieses Papier nie in Händen gehabt, hatte nie seinen Namen an.'diese Stelle gesetzt. Er wußte es. Täuschend waren seine Schriftzüge nachgeahmt worden, dem Manne da vor ihm konnte kein Verdacht gekommen fern. Also so weit war es mit Erich von Treuendorf ge kommen, so wett! Fortsetzung folgt.. Ile r»»g«e (Die deutsche Siedelung hinter dem Stacheldraht.) Ile Longue! Wer kennt in Deutschland diesen Namen? Und doch hat sich an ihn während dieser langen Kriegs jahre das Schicksal von Hunderten von deutschen Männern geknüpft. Seit Ende 1914 leben auf Ile Longue, der öden, baumlosen Sandinsel im Hafen von Brest, anderthalb Tau send unfreiwillige Ansiedler hinter einem doppelreihigen Stacheldrahtzaun: Deutsche, Oesterreicher, Ungam, Polen, Bulgaren, Griechen, Türken usw. Sogar Zigeuner sind hier seßhaft gemacht worden. Weitaus in der Mehrzahl aber sind rn diesem bunten Männergemisch aus- den verschiedensten Völ kern, den verschiedensten sozialen Schichten, Ständen und Be rufen die Deutschen. Sie gehören zu jenen besten Ausländs deutschen, die bei Kriegsausbruch allen Fährnissen trotzenb die 'Heimat zu erreichen suchten, um ihre Pflicht zu tun. Die meisten kamen aus Amerika und wurden bei der Ueberfahrt abgefangsn, später kamen Deutsche aus unseren afrikanischen Kolonien hinzu. Auf der „langen Insel" Hausen die Zivil gefangenen in Baracken, die sie mit dürftigen Mitteln selbst erbauen mußten. Wie sich das Leben dieser durch Zufalls- will.kür und harten Zwang zusammengefügten Eilandsgemein- schaft gestaltet hat, erfahren wir aus einer Wochenschrift, die, allerdings bisher wohl nur in einem Eremplar, annähernd vollständig nach Deutschland gelangt ist, aus der „Insel- Woche". .Sie ist die einzige Zeitung, die von deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich herausgegeben wird und Ile Longue ist ihr Erscheinungsort. Angehörige des Herausgebers, des aus Cassel stammenden Eroßkaufmanns E. Kowalski, spendeten zu dem Unternehmen lithographische Platten, Pa pier und Farben. So fein und schmuck in seiner äußeren Er scheinung gibt sich das vierseitige, von einem Fachmanns mittels Steindrucks auf kräftigem reinen Papier sorgfältig hergestellte Blättchen mit der Insel-Silhouette am Kopfe, Lag erste Betrachtung zu 'dem übereilten Schluß verleiten könnte, das Lager, aus dem eine Druckschrift von solcher Beschaffenheit kommt, müsse ejne Stätte sein, in der sich's wohl leben läßt. Und wenn man flüchtig den Blick über die Seiten gleiten läßt und Worte wie Theater, Konzert, Sportfest," Musik-Kaffee (im Anzeigenteil) auffängt, so mag man denken, diese Insel sei auch keine Welt, in der man sich langweilt. Aber eine Vertiefung in diese einzigartigen Blätter deut scher Kriegsgefangenen gibt von der Wirklichkeit auf Ile Longue doch rasch ein anderes, ganz anderes Bild. Ergriffen lwst man, wie das Leben dieser Insulaner wider Willen rn seinem Verlauf immer mehr den Charakter einer tragischen Verwicklung angenommen hat: „Die lange, unabsehbare Dauer der Gefangenschaft, der Mangel an zweckmäßiger und zeitaus füllender Beschäftigung, di« Absperrung von all der unmittel baren Anregung eines stets und unaufhörlich weiterflutenden geistigen Lebens draußen in der Freiheit, das Zusammen gepferchtsein endlich mit allerlei Elementen, die sich eine gelockerte Disziplin rücksichtslos zunutze machen und unserer schon so vielfach erschwerten anständigen Selbstbehauptung noch neue Hindernisse in den Weg legen, — das sind die Faktoren, die unser Leben immer trüber und freudloser ge stalten." — Klagen über Mangel an gegenseitigem Ver ¬ trauen, über bösen Klatsch, Ausschreitungen und Zuchtlosig keiten, über den Lebensmittelwuchrr einiger „ehrenwert«: Pa trioten", besonders aber Klagen über die geistig« Trägheit über den zunehmenden Stumpfsinn der Gefährten kehren ' fast in jeder Nummer der „Insel-Woche" wieder. Aber das Blatt, das so mutig und offen die Dinge und Zustände bekennt, wie sie sind, ist doch schon an sich «rn starker Beweis für das Vorhandensein edler Kräfte, die sich unablässig be- müht haben, dem Dasein der Jnselgefangenen einen Menschen- würdigen Inhalt zu schaffen. Zäher deutscher Külturwille hat srch auch hier durch keine Hemmnisse und Widrigleite« unterdrücken lassen. Handwerke werden gepflegt und gefördert, ein deutscher Hilssausschuß hat für Unbemittelte eigene Re paraturwerkstätten errichtet, in denen Schuhmacher und Schnö der stark in Anspruch genommen werden. Sehr segensreich hat sich für die Insulaner die sportliche Betätigung bewährt. Gemeinsam« Sportbegristerüng hat unter lleberwindung un gewöhnlicher Schwierigkeiten die . Plätze geschaffen, auf denen geturnt, Tennis, Hockey, Fuß- und Faustball gespielt und griechisch-römische Ringkämpfe ausgetragen werden. Besondere Wettspiele geben dem Chronisten der. „Insel-Woche" reichen , Stoff zu seinen Betrachtungen in Reimen und Prosa. Humor voll und witzig weiß er das sportliche Leben mit den sonstigen Tagesbegebenheiten in Verbindung zu setzen. Sv läßt er ein mal, unbeanstandet von dem gestrengen Zensor, der ernen Spaß zu verstehen scheint, in seiner Plauderei die melancholisch- humoristische Bemerkung «mfließen, daß infolge des vor übergehenden Verbotes der Lagerverwaltungs Lebensmittel aus der Heimat zu empfangen, ein neuer Spörtzweig auf Ile Longue in Aussicht stehe: „Mancher wird jetzt imstande sein, hin Körpergewicht auf «in solches Minimum herabzusetzen, daß er bei entsprechender Windstärke sich auch ohne Apparat zum Flieger ausbilden kann". Auf dem körperlich geweckten Leben konnte, wie etn Seelsorger von Ile Longue, Pfarrer Fr. Hommel, in der „Insel-Woche" erzählt, die geistige Kultur dieser Eefangen- ioeft ausgebaut werden. „Es ist da viel in der Stille ge triebene Kleinarbeit, die doch in täglich neu erkämpfter Pflicht treue zu etwas Großem wird..." Es sind hier llnterrichtskurse organisiert für sprachliche und technische Fächer, zur Fort bildung des Kaufmanns in Handelskunde und Buchführung, für die'Angehörigen der Handelsmarine im Navigationswcsen, für staatsbürgerliche Erziehung in Fragen des Rechts und des bürgerlichen Gesetzes. Selbst die Erlernung schwieriger Sprachen, wie des Russischen, Türkischen und Arabischen, Mrd ermöglicht, durch das Zusammenleben mit Kameraden, bre k'n wissen Sprachen heimisch 'sind; im Türkischen find etwa 50 Teilnehmer da, im Arabischen 12. Da reihen sich belehrende und unterhaltende Vorträge an über alle Zwerge des Wissens: über Gesundheitspflege, über.Postwesen, Na tionalökonomie, Geologie, Reiseeindrücke, Missionserfahrungen, Reklamewesen, Theaterfragen usw. Diese Bildungsbestrebun gen werden, unterstützt durch eine Bücherei, dir 7000 Bände umfaßt und durchschnittlich täglich 200 Bücher verausgabt. Neben dem Wissenschaftlichen bringen Künste Licht und Farbe in das Grau Les Lagerl«bens. Die Musik vor allem ist die Nahrung, nach der die Seelen begehren. Ein Kirchen chor läßt sich in den sonntäglichen Gottesdiensten Leider Kirchen vernehmen, «in Lagerorchester und ein echter deutscher Männer- gesangverern veranstalten regelmäßig Konzerte. Auf den ge schmackvollen, von der Insel-Druckerei aüch typographisch vor züglich ausgestattsten Vortragsfolgen liest man überwiegend erst« Namen: Beethoven, Weber, Gluck, Schubert, Mendels sohn, Brahms, Wagner usw. Noch eine andere hochwertige Quelle geistigen Labsals haben sich die deutschen Gefangenen in ihrer Einsamkeit er schlossen. Sozusagen aus dem Nichrs heraus haben sie sich ein Theater, eine ständige Bühne geschaffen, auf der sie mit ernstem künstlerischen Wollen Grillparzer, Gustav Frey tag, Anzengruber, Gerhard Hauptmann, Mar Halbe, Ludwig Thoma, Björnson und Sudermann aufführen. Ein wenig Glück war bei dieser Gründung insofern dabei, als ein Mann vom Fach (G. M. Pabst) der Leiter werden konnte, und ein Dekorationsmeister (Primavesi) zur Stelle war, chrr, unterstützt von Technikern und erfinderischen Dilettanten, so gar in den anspruchsvollen Szenerien der „Versunkenen Glocke", und des Lustspiels „Weh dem, der lügt" keine unüberwindlichen Schwierigkeiten fand. Seine Bühnenbilder sollen, wie die „Insel-Woche" berichtet, außerordentlich il lusionsfähig sein. Die Frauenrollen werden auf der Lieb- E Überste Mrl