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KAL 890 sie reisen. Da die Hochzeit nur im engsten Kreise gefeiert Traum. Wenn ich be- Kleine sehr stolz, wußte sie doch, daß sie zu Haus manchmal „Sonnenscheinchen" genannt wurde' von 'Tante Eva, die auch zuweilen traurig war, und dann über klein Hella lache» mußte. Bo etwas haben die kleinen Schlauberger bald heraus. In dem stillen, ernsten Sprechzimmer der Diakonissinnen war lange nicht so frohes. Lärmen gewesen. — Die festen Kinderfüßchen trappten ungeniert über de» weißgeschruerten Fußboden, und weder das kleine Ledersofa, noch die mit Schutzdecken belegten Sessel nötigten ihnen Ehrfurcht ab. Bettina sah mit strahlendem Gesicht dem frohen Treiben zu. Sie fühlte sich so leicht, so frei, wie seit Jahren nicht, und dankte dem Bruder—mit bewegtem Herzen. - „Wirst du zu Bernhards Hochzeit nach Hatknfelde kom men, Bettina?" fragte Fritz, als die' Kinder eine Weile Ruh« hielten. ° »Ja, ich werde der Trauung beiwohnen, dann aber hierher. zurückkehren." „Dann sehen wir uns ja bald wieder. Auch Maria wÄd dich dann endlich Wiedersehen." „Ja, auch Maria — ach Fritz — davor fürchte ich mich ein wenig. Ich fühle mich so schuldig ihr gegenüber." „Daran mußt du nicht mehr denken. Maria wird dich mit Freuden begrüßen." " - - „Bringt ihr die Kinder mit zur Hochzeit!" „Nein, sie bleiben bei Eva zu Haus, ich schrieb dir doch, daß die junge Dame unsere liebe Hausgenossin geworden ist. Du weißt auch, daß Wendenbdrg um.sie geworben-hat, und sie ihm nicht angehören konnte. So bleibt sie der Hochzeit fern, um mit Wendenburg nicht zusammen zu treffen. Und unsere Kinder sind bei ihr gut aufgehoben, daß wir besser ohne seine große Reise antreten?" »Ja, so schrieb uns Bernhard." „Mir ist das alles noch wie ein wird, ist es besser so." „Und Wendenburg will wirklich noch am selben Tage In den Herbstferien brachte Fritz Herbig der Schwester seine beiden Kinder. In fassungsloser Dankbarkeit drückte Bet tina dem Bruder die Hand. Und dann richtete sie den erlosche nen'Blick auf den drallen, kleinen Knaben, dessen Leben sie m der finstersten Stunde ihres Daseins bedroht hatte. — Der kleine Schelm, der des Vaters freien, offenen Blick, geerbt hatte, sah die neue Tante- eine Weile erstaunt an. Dann reichte er ihr lachend die Hand. „Aber du siehst mal komisch aus, Tante Bettina. Was hast du für eine große Haub; auf!" Bettina b*ach weinend in die Knie, als sich das feste Knabenhändchen in ihre Hand legte. Sie bedeckte- es mü Küssen. Er sah sie ganz betteten eine Weile an. Dann zog er schnell das Taschentuch aus ihren Händen und trocknete ihr unbeholfen die Tränen, genau wie es vor Wochen sein Vater getan. „Weine doch nicht. Was-tut dir denn weh?" fragte er unbehaglich. Und sein kleines Schwesterchen drängte mm auch herbei und strich liebkosend- die Wangen Bettinas. „Hast du ein „Wehweh?" Papa, warum weint di« arm« Tante?" Fritz beugte siH herab. „Fasse dich, Schwester, der Kinder wegen", bat er, und zu den Kindern gewandt fuhr er fort: „Tante Bettina weinl vor Freude. Ihr ,wißt, Mama weinte auch mal so arg, als Hella nach dem bösen Scharlach wieder gesund geworden war. va freute sie sich auch so sehr, daß sie weinen wußte." „Ach so", sagte der Dube verständig, und da er nun das Interesse an Tante Bettinas Tränen verlor, weil es eigentlich „gar keine richtigen waren", so betrachtete er auf merksam die Kupferstiche im Sprechzimmer. Hella aber plap pert« so holdes ungereimtes Zeug zum Trost der alten Tante, daß sie unter Tränen lächeln mutzte. Und darauf war di^ Ich brauche Arbeit, wirkliche Arbeit. Die finden Sie reichlich bel mir. Im Ernst — Ich brauche Sie nötiger als Sie mich." Eva starrte trübe vor sich hin. Dann richtete sie sich gewaltsam auf. „Dennoch kann ich nicht, mit Ihnen gehen," sagte sic ' fest. - ... „Was hindert Sie noch dMan?" Das junge Mädchen erhoo sich langsam und stellte sich hinter ihren Stuhl. - , „Heute morgen hat man meine Mutter in — tn das Gefängnis gebracht, als Betrügerin und Mitglied rjnsr Falsch spielergesellschaft," sagte sie hart und tonlos. Maria erschrak und blickte fassungslos in das schmerz- verzogene Gesicht des Mädchens. , Ein bitteres Lächeln, das in seiner jammervollen Pein ergreifend wirkte, umzuckte Evas MundX „Nicht wahr, für mich führt kein Meg unter ihr ehrliches Dach?" Es lag'«in trostloser Ausdruck in der weichen Mädchen- ftimme. — Maria erhob sich schnell, nachdem sie ihre Fassung wie- dergewonnen, und trat neben Eva. Ganz mütterlich legte sie den Arm um sie. . „Mein armes Kind — ich war fassungslos — gottlob, daß ich zur rechten Zeit gekommen bin. Nein, nicht ab wehren, nun lasse ich Sie auf keinen Fall, hier zurück. Sie müssen mit mir gehen." Ein Zittern lief durch Evas Gestalt. „Sie sind so gut — aber,bitte, quälen Sie mich nicht, ich kann nicht." Nur fester faßte Marias Arm das bebende Mädchen. „Doch Sie müssen können. And keine Angst sollen Sie haben. Eva, Bernhard wird nicht zu uns kommen, solange Sie es nicht wollen. Erschrecken Sie nichts Bernhard war bei uns, er hat uns "seine Herzensnot enthüllt und uns angefleht, Ihnen die Heimat Zu ersetzen^ die er Ihnen ge- nommen hat. Eva, liebe Eva — wir wollen 'Sie so lieb haben — schon seinetwegen. Er ist so sehr in Angst und Sorge um Sie. Sie müssen ihm seine Ruhe wiedergeben. Erschweren Sie ihm die Entsagung nicht, er leidet schwerer darunter, als Sie. Ich weiß, Sie wollen nicht, daß er friedlos bleibt. Sie kommen mit mir, nicht wahr?" Die warmen gütigen Worte trieben Eva die Tränen in die Augen. In haltlosem Schluchzen lag sie in Marias Armen. And zum erstenmal kam wieder etwas wie Ruhe und Frieden über sie. denke, wie mühelos mein Sohn emporgestiegen ist, erkenne ich zitternd, wie kleinmütig ich gewesen bin. Ich glaubte ihn arm und gedemütigt seinen Lebensweg wandeln zu sehen, als du Maria zu deiner Frau machtest. Wie Verzweiflung kam es Über mich, und finstere Gedanken nahmen von mir Besch. And nun ist er, ganz ohne meine Hilfe, vorwärts gestürmt, das Glück mit ihm." „Ja, der Erfolg war mit ihm vom ersten Tage an. Durch seine Verbindung mit Eabr Wendenburg glauben wir ihn auf der Höhe des Lebens angelangt. Mag ihm das Schicksal auf dieser Höhe den freien, klaren Blick erhalten." — „Das gebe Gott. Ich bin dem Schicksal so dankbar für das Glück meines Sohnes. Bitter empfinde ich nur, daß ich so gar nichts habe für ihn tun können." „Das ist Torheit, Bettina. Du gabst ihm deine Liebe. Glaubst dü, sie ist ohne Einfluß auf seine Entwicklung geblie ben? Jetzt hat ihn das Geschick an einen Platz gesteift, wo seine Tüchtigkeit, seine Kraft tausendfältig Frucht tragen kann, im idealen und realen Sinne. Er wird das Leben meistern mit fester Hand." Den Kindern wurden diese ernsten Gespräche langweilrg, sie zogen die Aufmerksamkeit w red er aus sich. Fritz sah -sinnend zu, wie Bettina ihnen dir Wandbilder erklärte. Seiner Schwester schien Bernhards Glück gesichert, er selbst aber wußte, daß diesem Glück immer die höchste Volb- endung fehlen würde. Erst seit er Eva besser kennen gelernt, wußte er, was Bernhard an ihr verloren hatte. Nie konnte ihm die zarte kleine Gabi ein so vollwertiger Weggenoss« sein, wie es Eva geworden wäre. Monate waren vergangen., Eva hatte eine wirkliche Heimat im Hause Fritz Herbigs gefunden. Sie fühlte sich hier so glücklich, wie sie es hei ihrer Veranlagung nach sein konnte, nach den schweren Schicksalsschlägen, die sie bettoffen. Maria hatte mit mütterlicher Liebe und Güte die wunde» Stellen in Evas Herzen zu heilen gesucht. Fritz in seiner heiteren Frische half ihr über manches Schwere hinweg, und die Kinder hingen mit Liebe an ihr. Klein Helba war ' stolz auf ihr Amt als Sonnenscheinen und litt nicht, daß ihre „süße Tante Evi" traurig war, und Walter spielte sich als ihr Ritter auf, was ihn allerdings nicht abhielt, zuweilen . ungebärdig und wild wie em rechter Junge gegen ihre Autori tät zu revoltieren. Aber sie hielt bei aller Milde die Zügel